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Die Sammlung Prinzhorn und andere Orte für Außenseiter-Kunst in Heidelberg

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Academic year: 2022

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D I E S A M M L U N G P R I N Z H O R N

U N D A N D E R E O R T E FÜ R A U S S E N S E I T E R - K U N S T I N H E I D E L B E R G

THOMAS RöSKE

Eigentlich hat es mit der kollektiven Wandzeichnung im Karzer begonnen, d e m Straftrakt der Heidelberger Universität f ü r n o r m v e r s t o ß e n d e Studenten. Für die Eingesperrten w u r d e es offenbar zwischen 1885 u n d 1914 geradezu Pflicht, sich mit Bild u n d Text dort z u verewigen, zumindest, falls das Talent gar zu gering war, mit Kopfsilhouette u n d N a m e n . So zieht sich hier ein reiches Wandbild naiver Konterfeis u n d Figurenerfindungen, durchsetzt mit Reimen u n d Sprüchen, über Treppenhaus, Flur u n d K a m m e r n ­ ein beeindruckendes Kollektivwerk junger Männer, f ü r die das ü b e r k o m m e n e Strafsystem längst Auszeichnung war: Wer sich nicht z u m i n d e s t einmal außerhalb der Universitätsnorm gestellt hatte, gehörte nicht z u m in­

neren Kreis der burschenschaftlich organisierten Studenten. Diese Außenseiterzeichnungen w a r e n also Insiderkunst.

Parallel z u m A n w a c h s e n der Karzer­Dekoration begann Emil Kraepelin (1856­1926), im Jahre 1891 z u m Ordinarius f ü r Psychiatrie u n d Leiter der psychiatrischen Universitätsklinik beru­

fen, Zeichnungen u n d Texte von Patienten aus Heidelberg u n d Wiesloch zu sammeln, die keine künstlerische Ausbildung hatten. I n d e m er vorgebliche Ähnlichkeiten zu zeitgenössi­

scher Kunst herausstellte, wollte er das Pathologisieren von Künstlern wie Max Klinger oder Stephane Mallarme rechtfertigen. Es ging d e m Arzt mithin d a r u m nachzuweisen, dass Insi­

derwerke eigentlich Produkte von Außenseitern waren.

Kraepelin konnte nicht ahnen, dass seine kleine »Lehrsammlung« z u m Grundstock f ü r ein konträres größeres Projekt w e r d e n sollte, das bis heute nach einem n u r k u r z an der Klinik tä­

tigen Assistenzarzt b e n a n n t wird. H a n s Prinzhorn (1886­1933) hatte erst Kunstgeschichte u n d Philosophie studiert, d a n n Gesang u n d schließlich Medizin, bevor er im Februar 1919, mit 32 Jahren, in Heidelberg seine erste Anstellung fand. Er schien bestens f ü r d e n Plan geeignet, ei­

ne große S a m m l u n g von »Irrenkunst« z u s a m m e n z u b r i n g e n u n d auszuwerten. Z u s a m m e n mit d e m n e u e n Klinikleiter Karl Wilmanns verfasste er A u f r u f e an sämtliche psychiatrischen Kliniken, Anstalten u n d Sanatorien im deutschsprachigen R a u m u n d inventarisierte, was ge­

schickt w u r d e . Als er im Juni 1921 ging, w a r e n es bereits über 5000 Zeichnungen, Bilder, Skulpturen u n d Textilien. Seine Studie über die Sammlung, Bildnerei der Geisteskranken, er­

schien 1922. Revolutionär war seine Position darin, insbesondere als Psychiater: Er bestritt, dass es eindeutige inhaltliche oder formale Merkmale von Werken psychisch Kranker gebe.

Stattdessen stellte er deren besondere Ästhetik heraus u n d machte mit fast 200 Abbildungen, z u m Teil in Farbe, das Gebiet z u m ersten Mal f ü r eine größere Öffentlichkeit sichtbar. A n

67 Originalveröffentlichung in: Heidelberg - Geist und Rätsel, Dossenheim 2012, S. 67-69 (Heidelberger Reihe)

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»Echtheit«, Authentizität sah er die Anstaltswerke sogar der professionellen Kunst überlegen, die nach gleichem strebe, aber »fast n u r intellektuelle Ersatzkonstruktionen« hervorbringe. Er erklärte die Außenseiter z u eigentlichen Insidern der Kunst.

Künstler u n d Kunstinteressierte reagierten sofort begeistert auf Prinzhorns Position. Ihr Zu­

spruch ist verantwortlich f ü r mittlerweile sieben Auflagen des Buchs u n d Übersetzungen in bislang vier Sprachen. Die Fach­Kollegen des jungen Arztes schlössen sich d e m Enthusiasmus jedoch nicht an. Vielmehr s c h w a n g e n sich einige Psychiater schon bald wie Kraepelin zu Kul­

turdiagnostikern auf u n d w a r n t e n vor der Bedrohung der Volksgesundheit d u r c h geistige

»Entartung« in d e n Künsten. Ihren H ö h e p u n k t erlebte diese H a l t u n g in der Kulturdemagogie der Nationalsozialisten nach 1936. Auf der Ausstellung Entartete Kunst, die seit 1937 d u r c h Deutschland wanderte, w u r d e n Werke der Heidelberger S a m m l u n g zu diffamierenden Ver­

gleichen mit Bildern u n d Skulpturen von Vertretern der M o d e r n e missbraucht. Dabei hatte schon Prinzhorn hellsichtig vor Kurzschlüssen gewarnt: »Der Schluss: dieser Maler malt wie jener Geisteskranke, also ist er geisteskrank, ist keineswegs beweisender u n d geistvoller als der andere: Pechstein, Heckel u. a. m a c h e n Holzfiguren wie Kamerunneger, also sind sie Ka­

merunneger.« Den Nationalsozialisten ging es allerdings nicht m e h r n u r u m Ausgrenzung, s o n d e r n u m Vernichtung. Wie Psychiater d a m a l s h u n d e r t t a u s e n d e Anstaltspatienten im Rah­

m e n des so g e n a n n t e n Euthanasie­Programms in d e n Tod schickten, zielten die Verantwortli­

chen der Aktion Entartete Kunst darauf, die Existenz von Künstlern z u zerstören. Z u m Au­

ßenseiter erklärt zu werden, bedeutete Lebensgefahr.

N a c h 1945 hat sich das Blatt w i e d e r u m u n d aus heutiger Sicht endgültig gewendet, vor allem d u r c h d e n Künstler Jean D u b u f f e t (1901­1985), der 1945 die Kunst von Außenseitern unter d e m N a m e n Art b r u t d a u e r h a f t d e m Kunstdiskurs integrierte. Durch ihn angeregt, entdeckte der Ausstellungsmacher H a r a l d Szeemann die Heidelberger S a m m l u n g wieder u n d stellte 250 Werke d a r a u s 1963 in der Berner Kunsthalle aus. Damit b e g a n n eine internationale Er­

folgsgeschichte, die 2001 in die Einrichtung eines eigenen M u s e u m s S a m m l u n g Prinzhorn auf d e m Gelände des Altklinikums m ü n d e t e . Seine Besucher k o m m e n zu fast 50% von außerhalb u n d z u m Teil von weither, u m d e n A u s g a n g s p u n k t f ü r die N e u b e w e r t u n g so genannter Out­

sider Art kennenzulernen, die heute ein b o o m e n d e r Sektor des Kunstmarktes ist. Hier sind Außenseiter i m m e r schwerer v o n Insidern z u unterscheiden.

Auch in Heidelberg ist die S a m m l u n g Prinzhorn nicht m e h r allein. 1980 zogen der Buch­

h ä n d l e r Egon Hassbecker u n d seine Lebensgefährtin Barbara Schulz mit ihrem Geschäft hier­

her u n d brachten ihre S a m m l u n g »Primitiver Malerei« mit. In d e n 1960er Jahren hatte auch d e n Besitzer der »Hinterhofbuchhandlung« in Eberbach die Faszination f ü r naive Kunst u n d Art b r u t gepackt, u n d bald w a r e n beide in Italien u n d Tschechoslowakei selbstständig auf die Suche d a n a c h gegangen. Die vielfältigen Entdeckungen bilden mittlerweile eine Stiftung mit U n t e r s t ü t z u n g der Stadt u n d sind n a h e d e m Marktplatz im M u s e u m H a u s Cajeth ausgestellt,

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einem spätbarocken Palais, das zur eigenen Atmosphäre der Präsentationen beiträgt.

Die Sammlungen Prinzhorn und Hassbecker formen in Heidelberg ein weltweit einzigartiges Ensemble für Kunst von Außenseitern, das ist längst kein Insider-Tipp mehr. Auf dem Weg vom einen zum anderen Museum sollte man allerdings nicht versäumen, einen Abstecher in den Studentenkarzer zu machen und dabei der langen Geschichte besonderer Kunst in dieser Stadt zu gedenken.

L

diese und vorhergehende Zeichnung:

E r w i n Starre: I l l u s t r a t i o n e n auf B r i e f e n a n d i e Mutter, 1909 S a m m l u n g P r i n z h o r n

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