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Archiv "Gestoden: Schlußwort I" (01.05.1992)

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den Einzelfall bezogen, besteht bei den Geschädigten im nachhinein ei- ne absolute Unvertretbarkeit der Maßnahme. Entsprechende ärztliche Sorgfalt vorausgesetzt, war die Schä- digung jedoch a priori nicht näher zu bestimmen, sondern verbarg sich un- scharf in dem Begriff Risiko.

Der Umgang mit Arzneimittelri- siken wird stets aufs Neue eine wis- senschaftliche und ethische Heraus- forderung darstellen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß durch umfangreiche Arzneimittelprüfun- gen die Zahl Geschädigter im Ver- hältnis zur Zahl der Anwenderinnen gering ist. Wenngleich an erster Stel- le die Abwendung unvertretbarer Schäden für die Anwenderinnen von Arzneimitteln stehen muß, so sollte jedoch auch vermieden werden, daß durch unbegründete Verdachtsäuße- rungen eine Schädigung des Anse- hens der verschreibenden Ärzte und der pharmazeutischen Industrie ein- tritt.

Allerdings werfen die Vorgänge um gestodenhaltige Arzneimittel die Frage auf, ob die Beteiligten der wis- senschaftlichen und ethischen Her- ausforderung gerecht wurden und ob sie ihnen künftig konsequent gerecht werden wollen oder ob die Dynamik der Ereignisse durch den Einfluß verleugneter Interessen chaotisch unbestimmbar bleiben wird.

Leider muß die Einbeziehung des Beitrages von König in dieser Form skeptisch stimmen. Letztlich wurden nur in 16 der dort aufgeführ- ten 61 Fälle zerebrovaskulärer Stö- rungen (26 Prozent) Grundkrankhei- ten diagnostiziert, die geeignet sind, eine Beteiligung von Gestoden am pathogenetischen Geschehen auszu- schließen (Sinusthrombosen auf ent- zündlicher, neoplastischer oder hä- modynamischer Basis; Embolien kardialen Ursprungs; Thrombosen bei Gefäßmalformationen). Bei der Mehrheit der Fälle war dies nicht möglich. Anstatt die Vertretbarkeit des verbleibenden Risikos anhand der Anwendungshäufigkeit gesto- denhaltiger Mittel und im Vergleich mit Literaturdaten zu zerebrovasku- lären Ereignissen bei oraler Kontra- zeption zu diskutieren, reagierte Kö- nig mit sophistischen Interpretatio- nen und Ignoranz.

Wenn man schon geneigt ist, in diesem Zusammenhang „traurige Verdienste" zuzuerkennen, so ge- bühren sie jenen (und dies sind kei- nesfalls nur Marketingstrategen in Pharma-Unternehmen), die — mit welchen Motiven auch immer — nied- rig dosierten oralen Kontrazeptiva absolute Sicherheit bescheinigt ha- ben, ohne über verläßliche wissen- schaftliche Daten zu verfügen.

Durch das Gerede vom Fehlen uner- wünschter Wirkungen bei den soge- nannten „Kontrazeptiva der dritten Generation" wurde das von der Ar- beitsgruppe Spitzer und dem Scienti- fic Review Board beanstandete Defi- zit an wissenschaftlichen Erkenntnis- sen vom Sicherheitsstandard der heute meist verwendeten Kontrazep- tiva mit herbeigeführt. Wenngleich es richtig sein mag, daß die Kontro- verse um Gestoden hätte vermieden werden können, wenn verläßliche In- formationen bereits 1988 verfügbar gewesen wären, so bedurfte es zu- mindest in Deutschland erst dieser dramatischen Auseinandersetzun- gen, um das Bewußtsein eines Defi- zites entstehen zu lassen. Vielleicht fruchtet sogar zusätzlich zur Aufklä- rung der Häufigkeit thrombemboli- scher Erkrankungen in Assoziation mit niedrig dosierten oralen Kontra- zeptiva allgemein oder mit Gesto- den-haltigen Präparaten im beson- deren die Empfehlung des Scientific Review Boards zur Entwicklung in- dustrieweiter internationaler Stan- dards der Entdeckung seltener, aber schwerwiegender Nebenwirkungen vor und nach Zulassung.

So kann es dem BGA trotz einer möglichen Fehlinterpretation unter- schiedlicher, präparatebezogener Meldehäufigkeiten durchaus als Verdienst und verantwortungsvolle Wahrnehmung der dem Amt oblie- genden Aufgaben angerechnet wer- den, daß es die Diskussion um thrombembolische Komplikationen durch niedrig dosierte orale Kontra- zeptiva ausgelöst und damit letztlich eine Optimierung der Arzneimittel- sicherheit in diesem Bereich einge- leitet hat.

Dr. Claus Günther Königsberger Straße 21 W-1000 Berlin 45

Schlußwort I

Professor Kuhl ist offenbar der Meinung, die Warnung des BGA (ASI) von 1989 sei weniger durch seine Befunde, als vielmehr durch ei- ne vergleichsweise hohe Zahl von Thrombosemeldungen bei gestoden- haltigen Präparaten veranlaßt wor- den.

Bis zum Erscheinen der ASI la- gen aus Deutschland elf Meldungen über Thrombosen vor, bei denen ein Zusammenhang mit dem 1987 ein- geführten gestodenhaltigen oralen Kontrazeptivum vermutet wurde.

Ein Vergleich mit dem desogestrel- haltigen Präparat ist nicht möglich, da dieses bereits 1981 eingeführt wurde. Beim Vergleich von Melde- frequenzen müssen gleiche Ab- schnitte im Leben eines Präparates miteinander verglichen werden, übli- cherweise die ersten zwei bis drei Jahre nach Einführung, wenn sich das Nebenwirkungsprofil heraus- stellt und die Ärzte die Beobachtun- gen häufiger als bei bekannten Prä- paraten melden. Hinzu kommt, daß eine eindeutige gesetzliche Ver- pflichtung zur Weitergabe spontan gemeldeter Einzelverdachtsfälle be- kannter Nebenwirkungen erst seit dem 1. Februar 1987 besteht. Wie sich aus der Nebenwirkungsliste des BGA ergibt, wurden bis zu diesem Zeitpunkt vom Hersteller des zum Vergleich herangezogenen Präpara- tes keine UAW-Spontanberichte an das BGA gemeldet. Die wenigen ge- meldeten Fälle kamen von dritter Seite; erfahrungsgemäß wird der weitaus überwiegende Teil der UAW-Verdachtsfälle über den phar- mazeutischen Hersteller und nur ein kleiner Teil von den Ärzten direkt an das BGA oder die Arzneimittelkom- mission gemeldet.

Daß die auf die BGA-Warnun- gen in Deutschland folgende höhere Melderate für gestodenhaltige Prä- parate auf die jeweils nachfolgende öffentliche Dskussion zurückzufüh- ren ist, geht nicht nur aus dem Ver- lauf der deutschen Meldekurve her- vor, sondern auch aus einem Ver- gleich mit dem Meldeverhalten in England. Wenn es sich um einen pharmakologischen Effekt handelte, müßten die gestodenhaltigen Präpa- A1-1638 (70) Dt. Ärztebl. 89, Heft 18, 1. Mai 1992

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rate auch dort auffällig geworden sein, was nicht der Fall ist.

Nach meiner Kenntnis der briti- schen Daten und nach wiederholten Auskünften, die ich in der britischen Gesundheitsbehörde (CSM) erhal- ten habe, trifft auch die Behauptung nicht zu, daß die Zahl der Meldun- gen zerebrosvaskulärer Erkrankun- gen bei den gestodenhaltigen Ovula- tionshemmern in England um ein Mehrfaches über denen anderer Prä- parate liege. Ich bleibe dabei, daß die höhere Melderate für gesto- denhaltige Ovulationshemmer in Deutschland als Ergebnis einer sti- mulierten Berichtstätigkeit und nicht als „Signal" im epidemiologischen Sinne zu werten ist.

Wenn Professor Kuhl die Rolle seiner pharmakokinetischen Befun- de bei der Auslösung der Warnung des BGA jetzt auch als weniger wich- tig darstellt, so wurden sie doch im- mer wieder, nicht zuletzt von ihm selbst, zur Erklärung der vermeint- lich höheren Thrombosehäufigkeit bei den gestodenhaltigen Präparaten herangezogen. Das wird auch in sei- nem Leserbrief wieder deutlich. Daß Gestoden in höheren Konzentratio- nen als 3-Keto-Desogestrel im Se- rum erscheint, ist unstreitig und liegt daran, daß beide Substanzen ein un- terschiedliches Eiweißbindungsver- mögen haben und sich anders im Körper verteilen. Daraus läßt sich nicht ein gegenüber 3-Keto-Des- ogestrel verzögerter Abbau des Ge- stodens ableiten — die Eliminations- halbwertzeiten beider Gestagene aus dem Serum sind einander mit 16 be- ziehungsweise 18 Stunden sehr ähn- lich. Auch die bei allen untersuchten Gestagenen in vitro in hohen Kon- zentrationen gefundene Hemmung von P-450-Enzymen stützt diese Ver- mutung nicht. Die von Professor Kuhl vorgetragene pathophysiologi- sche Erklärung für die vermeintlich durch Gestoden hervorgerufenen Schlaganfälle stützt sich auf Arbei- ten, die Gestoden überhaupt nicht behandeln.

Ich bedaure, wenn Professor Kuhl die von der Arbeitsgruppe und mir an seiner Studie geäußerte Kritik als „einseitig und überzogen" und

„mit groben Fehlern behaftet" emp- findet. Das ändert aber nichts an der

Tatsache, daß inzwischen eine weite- re randomisierte Studie mit verblin- deter Analytik und genügendem Prüfumfang keine Unterschiede in den Ethinylestradiolspiegeln unter Kombinationspräparaten mit 30 Ethinylestradiol und Desogestrel be- ziehungsweise Gestoden gefunden hat. Diese Studie, an deren Design Professor Kuhl mitgearbeitet hat, war eigens zu dem Versuch eingelei- tet worden, seine Befunde zu repro- duzieren. Sie gesellt sich jetzt zu den fünf pharmakokinetischen Studien, die ebenfalls keinen Unterschied in den EE2-Spiegeln zwischen den mit den beiden Gestagenen kombinier- ten Präparaten gefunden hatten.

Als Ende Oktober 1991 in Mott- ram Hall nahe Manchester bei der Vorstellung der letzten Studie in An- wesenheit von Professor Kuhl nach einer Erklärung für die Diskrepanz zwischen seiner und den anderen Studien gesucht wurde, nannte ich den Zufall als am wahrscheinlich- sten: Bei einem vorgegebenen Irr-

Schlußwort II

Grundlage der klinischen Analy- se ist die Pathophysiologie. Unter Berücksichtigung naturwissenschaft- lich erhobener Einzeldaten werden Manifestationen organischer Er- krankungen in ihren Zusammenhän- gen und wiederkehrenden Gesetz- mäßigkeiten erfaßt. Die Kritiker meiner pathophysiologischen Wer- tung sind Naturwissenschaftler. Sie behandeln keine Patienten. Somit bleibt ihnen die Beurteilung der kli- nischen Relevanz laborchemischer Einzeldaten gewöhnlich erspart. Aus der Sicht des Klinikers ist es aller- dings unzulässig und zudem unver- antwortlich, wenn man, wie Prof. Dr.

H. Kuhl dies in seiner Stellungnah- me tut, individuelle Risikofaktoren ignoriert, nur weil sie nicht ins wis- senschaftstheoretische Konzept pas- sen.

So verwundert es nicht, daß Kuhl sich auf eine ätiologische Ana- lyse zerebrovaskulärer Störungen nicht einlassen mag. Weiterhin ver- wendet er den Begriff „Schlagan- fall", mit dem lediglich ein akutes

tumsrisiko von 0,05 kann jeder 20.

Befund ein Zufallsprodukt sein, eine nicht zu vernachlässigende Größen- ordnung. Professor Kuhl wollte diese Möglichkeit auch nicht ausschließen.

Abwegig ist der Vorwurf, die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates hätten „keine Erfahrung mit der Pharmakokinetik der Pille."

Immerhin sind vier Mitglieder des Beirates Pharmakologen oder klini- sche Pharmakologen, denen die für die Beurteilung der hier einschlägi- gen pharmakokinetischen Fragen notwendige Sachkenntnis sehr wohl unterstellt werden darf.

Walter 0. Spitzer

M.D., M.P.H., F.R.C.P. (C) Department of Epidemiology and Biostatistics

McGill University Faculty of Medicine Purvis Hall

1020 Pine Avenue West Montreal, Quebec H3A 1A2 Canada

zerebrales Ereignis beschrieben wird. Kuhl wirft die Theorie auf, das gesamte in den Fallmeldungen zu findende Spektrum zerebrovaskulä- rer Störungen sei Folge eines vaso- konstriktorischen Effekts von Gesto- den, verstärkt durch die erhöhte Ge- rinnungsbereitschaft infolge zuneh- mender Konzentration von EE 2 im Serum. Dieser Theorie kann nicht zugestimmt werden: Hirnvenen- und Sinusthrombosen im Zusammen- hang mit entzündlichen oder tumor- ösen Grunderkrankungen, kardio- gene Embolien oder hypertonische Blutungen lassen sich wohl kaum als Folge gestagenbedingter Vasokon- striktion bei erhöhter Gerinnungsbe- reitschaft erklären. In diesem Zu- sammenhang stellt sich die Frage, warum die durch den Ovulations- hemmer bedingte Aktivierung des fibrinolytischen Systems unerwähnt bleibt. Als Beleg für den postulierten Pathomechanismus werden drei Publikationen bemüht, die sich je- doch sämtlich mit spezifisch gesto- denabhängigen Effekten gar nicht befassen. Die Behauptung, die Zahl von 61 gemeldeten Fällen zerebro- Dt. Ärztebl. 89, Heft 18, 1. Mai 1992 (73) A1-1641

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