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Archiv "Das Plazebo-Problem: Geschichte und Klinik eines Begriffs" (27.11.1992)

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Das Plazebo-Problem:

Geschichte und Klinik eines Begriffs

Es gibt fremdsprachige Lehnwörter, die — obwohl seltsam und durchaus gelehrt klingend — nahezu den Sprung in die Alltags- sprache geschafft haben. Sie sind wenig griffig, aber sie machen ein Stück Lebenswelt greifbar, für das sich in der Muttersprache sonst kein adäquater Begriff eingebürgert hat. Dennoch haben sie den Kontakt zu ihrem fachsprachlichen Hintergrund nicht ein- gebüßt und haben eine — sonst nur dem Fachbegriff eigene — in- ternationale Gültigkeit behalten. Schließlich . haben sich solche

„Kuckuckswörter" wohl auch deshalb einer Übersetzung in ein- zelne Muttersprachen widersetzt, weil dem, was sie bezeichnen, etwas "intrinsisch" Geheimnisvolles eigen ist. Ein Beispiel dafür ist der dem Lateinischen entlehnte „Plazebo"-Begriff.

I

n Wörterbüchern der Gegen- wartssprache wird „Plazebo"

häufig als „Scheinmedikament"

übersetzt. Das ist sachlich falsch, aber historisch sicher nicht ohne Be- rechtigung. „An epithet given to any medicine adapted more to please than benefit the patient", definierte Joseph Fox 1803 in seinem New Medical Dictionary unter dem Stich- worteintrag „placebo" (1). Die Be- griffsgeschichte läßt sich noch mehr als 600 Jahre weiter zurück verfol- gen, ins lateinische Spätmittelalter:

Hier wurden — nicht zum ersten Mal in der Religionsgeschichte — bei der Feier christlicher Totenves- pern professionelle Klageliedsänger beschäftigt. Die Liturgie dieser Mes- sen war nun gewissermaßen um den Psalm 116 herum gewebt, in dessen 9. Vers es heißt: „ Placebo Domino in regione vivorum", zu deutsch etwa

„Ich werde dem Herrn gefallen im Lande der Lebenden".

In der Folgezeit tauchte dann der Begriff im romanischen Sprach- raum in verschiedenerlei Gestalt auf als Attribut zur — meist pejorativen

— Beschreibung für den professio- nellen oder zumindest kalkulierten Umgang mit Gefühlen in der höfi- schen Gesellschaft, nicht selten in ruchbarer Nähe zur Prostitution (üb- rigens auch eine Art „Kuckucks- wort"). Die Einbindung des Begriffs in den medizinisch-fachsprachlichen Kontext, in dem allein er bis heute gebräuchlich ist, war dann eine Ent- wicklung des 18. Jahrhunderts.

Der professionelle Umgang mit Gefühlen hat zwangsläufig und weit- gehend unabhängig von der Kultur, in der er sich ereignet, etwas Öffent- liches und Institutionalisiertes. Dar- in liegt ja auch seine besondere Chance, denn besonders dadurch ge- währt dieser Umgang demjenigen, der eine solche Dienstleistung in An- spruch nimmt, ein Stück Distanzie- rung. Und die wiederum erleichtert ihn in der Regel von einem Teil sei- ner Bedrängnis. Auf der anderen Seite hinterläßt eine solche distan- zierte Intimität aber auch Wider- sprüche, die häufig in die zweifelnde Frage einmünden, ob der Anbieter der Dienstleistung es damit ehrlich meine, ob die Professionalität seiner Arbeit nicht ihre „Echtheit" gefähr-

de. Dieser Frage hat sich auch der Arzt zu stellen, der einem Kranken ein Plazebo verordnet und der dann gemeinsam mit ihm mehr oder weni- ger engagiert hofft: „Ut aliquid fiat", zu deutsch: „Daß (irgend) etwas ge- schehen möge".

Empirische

Plazeboforschung

Scheinbar paradox ist, daß erst die empirisch abgesicherte Deutung der Arzneimittelwirkung durch die Pharmakologie des 20. Jahrhunderts es erforderte, auch den pharmakolo- gisch nicht erklärbaren Rest dieser Wirkung zum Untersuchungsgegen- stand zu machen. Der Startschuß zur empirischen Plazeboforschung fällt darum aus heutiger Sicht relativ spät erst 1945 mit einer Notiz des Interni- sten Pepper (2) im „American Jour- nal of Pharmacy", wo er vorschlägt, das Plazebo als einen seit Generatio- nen unverzichtbaren Bestandteil des therapeutischen Arsenals einer sy- stematischen Reflektion zu unterzie- hen.

Auch Paul Martini, der vielleicht erste „klinische" Pharmakologe im deutschsprachigen Raum, hatte eini- ge Jahre zuvor schon die systema- tische Verwendung von Leertablet-

ten bei der klinisch therapeutischen Forschung angeregt, ohne in diesem Zusammenhang allerdings den Pla- zebo-Begriff zu verwenden (3). Pep- pers Anregung trifft etwas mehr als zehn Jahre später besonders in der Psychiatrie auf einen fruchtbaren Boden, die mit der Einführung des Chiorpromazins als Neuroleptikum und des Imipramins als Antidepres- sivum eine eigene Pharmakologie zu entwickeln beginnt.

Es zeigt sich recht bald, daß bei den mit Plazebos behandelten Pro- banden nur in etwa einem Drittel der Fälle eine deutliche Wirkung auftritt, und zwar recht unabhängig davon, ob für die Behandlung des je- weiligen Krankheitsbildes eine effek- tive Verumtherapie bereits bekannt ist oder nicht. Soziodemographische und persönlichkeitspsychologische Eigenschaften des „idealen" Plaze- bo-Reagierers werden untersucht, schließlich auch das unterschiedliche Ausmaß erzielbarer Effekte in ver- schiedenen Organsystemen. Dabei kommt heraus, daß beispielsweise regelmäßige Kirchgänger tendenziell eher von Plazebos profitieren (4), daß dem psychologischen Konstrukt der „Suggestibilität" bei der Erklä- rung von Plazebophänomenen eine gewisse — wenn auch durchaus nicht entscheidende (5) — Bedeutung zu- Dt. Ärztebl. 89, Heft 48, 27. November 1992 (29) A1-4077

(2)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

16a/92 11111111

BOEHIIINGER

INGFIXEIM 05 -93-RNT-91-BIKGD-189 /91-JA

„Die Deutschen lieben ge- fährlich." Unter diesem Mot- to startete das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" Ende September dieses Jahres eine vierteilige Serie über den Umgang der Menschheit mit der Immun- schwäche-Krankheit AIDS.

Die Ergebnisse, die die Re- chercheure zusammentrugen, waren vielfach niederschmet- ternd. Zwar hat sich die Panik und die Hysterie der achtzi- ger Jahre gelegt. An ihre Stel- le getreten sind aber keines- wegs Realismus und Ernüch- terung, sondern vielmehr eine zunehmende Sorglosigkeit.

„Nicht schon wieder AIDS", stöhnen Schüler, wenn sie vom Lehrpersonal zur Auf- klärungsstunde gebeten wer- den.

15 000 Teilnehmer Gesprächsstoff genug also für die „IXth International Conference on AIDS", die vom 7. bis zum 11. Juli 1993 im International Congress Center (ICC) Berlin stattfin- den wird. Schwerpunktthe- men der Veranstaltung, zu der die Organisatoren 15 000 Teilnehmer und 2000 Journa- listen aus aller Welt erwarten, werden vor allem wissen- schaftliche und medizinische Aspekte der HIV-Krankheit sein. Daneben wird es aber auch um ethische, politische, soziale und juristische Frage- stellungen im Zusammen- hang mit AIDS sowie um die Bereiche Aufklärung und Prävention gehen.

Wegen der hohen gesund- heits- und sozialpolitischen Bedeutung des Immunschwä- che-Problems wird der Kon- greß von zahlreichen Parallel- Veranstaltungen begleitet.

Dazu zählen Sitzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie anderer wis- senschaftlicher Gremien und Gesellschaften. Eingebunden

in die Vorbereitung der Kon- ferenz sind auch Selbsthilfe- gruppen und AIDS-Stiftun- gen. Insgesamt werden 150 Sitzungen mit rund 1000 Re- feraten stattfinden. Hinzu kommen 20 Plenarveranstal- tungen. Außerdem gibt es ei- ne große Industrie-Austel- lung sowie eine Posterdemon- stration mit über 5000 Plaka- ten zum Thema AIDS.

Weizsäcker Schirmherr Zum Chairman des Kon- gresses wurde der Direktor des Instituts für Klinische und Experimentelle Virologie der Freien Universität Berlin, Prof. Dr. med. Karl-Otto Ha- bermehl, gewählt. Schirmherr ist Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der die von der International Aids Socie- ty, der WHO und der Berli- ner Medizinischen Gesell- schaft unterstützte Veranstal- tung auch eröffnen wird.

Als kulturelles Rahmen- programm veranstalten die Deutsche AIDS-Hilfe und die Organisation „Kultur ist plu- ral" ein Festival unter dem Motto „AIDS Culture — Cul- tural AIDS". Konferenzteil- nehmer und andere Interes- senten erhalten damit die Möglichkeit, abseits der offi- ziellen Sitzungen an Theater- aufführungen, Ausstellungen, Podiumsdiskussionen, Film- vorführungen und Seminaren teilzunehmen.

Auskunft und Meldung DER-CONGRESS, Con- gress Organisation, Bundesal- lee 56, 1000 Berlin 31, Te- lefon: 030/85 79 030, Fax:

030/85 79 03 27

Deadline für die Anmel- dung wissenschaftlicher Prä- sentationen: 15. Januar 1993 Deadline für die Anmel- dung zu ermäßigter Gebühr:

31. Januar 1993 ❑

neu

PRES®

2,5 mg

Zusammensetzung: 1 Tablette Pres 2,5 mg/Pres 5 mg mit Bruchrille/Pres 10 mg mit Bruchrille/Pres 20 mg mit Bruch- rille enthält 2,5/5/10/20 mg Enalaprilhydrogenmaleat.

Indikationen: Hypertonie, Herzinsuffizienz - zusätzlich zu Diuretika und insbesondere bei schwerer Herzinsuffizienz auch zu Digitalis. Kontraindikationen: Überempfindlich- keit gegen Enalapril; anamnestisch bekanntes angioneuro- tisches Odem; Nierenarterienstenose (beidseitig oder bei Einzelniere); Zustand nach Nierentransplantation; hämo- dynamisch relevante Aorten- oder Mitralklappenstenose, hypertrophe Kardiomyopathie; primärer Hyperaldostero- nismus; primäre Lebererkrankung, Leberinsuffizienz;

Schwangerschaft, Stillzeit, Kinder. Kritische Nutzen-Risiko- Abwägung und regelmäßige Kontrollen bei schwerer Nie- reninsuffizienz (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min), Dialyse, klinisch relevanter Proteinurie (> 1 g/Tag), klinisch relevanten Elektrolytstörungen, gestörter Immunreaktion oder Kolla- genkrankheit, Begleittherapie mit Kortikoiden, Zytostatika, Antimetaboliten, Allopurinol, Procainamid, Lithium. Hin- weise: Vor Therapiebeginn Überprüfung der Nierenfunktion.

Insbesondere zu Therapiebeginn Überwachung von Blut- druck und/oder Laborwerten bei Salz-/Flüssigkeitsmangel, Niereninsuffizienz, schwerer oder renaler Hypertonie, schwerer Herzinsuffizienz, Patienten über 65 Jahre. Ne- benwirkungen: Gelegentlich Hypotonie, Orthostase mit Schwindel, Schwächegefühl, Sehstörungen, selten Syn- kope; vereinzelt bei Blutdruckabfall: Tachykardie, Palpi- tationen, Herzrhythmusstörungen, Brustschmerz, Angina pectoris, Herzinfarkt, TIA, zerebraler Insult. Gelegentlich Nierenfunktionsstörungen, in Einzelfällen akutes Nierenver- sagen, selten Proteinurie. Gelegentlich Reizhusten, Hals- schmerzen, Heiserkeit, Bronchitis, selten Atemnot, Sinusitis, Rhinitis; vereinzelt Bronchospasmus/Asthma, Stomatitis, Glossitis, Mundtrockenheit, angioneurotisches Ödem (bei Beteiligung von Kehlkopf, Rachen und/oder Zunge ggf. Not- fallmaßnahmen). Gelegentlich gastrointestinale Störungen, Einzelfälle von cholestatischem Ikterus, Leberfunktions- störungen, Hepatitis, Pankreatitis, Ileus. Gelegentlich Haut- reaktionen (z. B. Exanthem), selten Urtikaria, Pruritus, Einzel- fälle von Erythema multiforme, exfoliativer Dermatitis, Stevens-Johnson-Syndrom, toxischer epidermaler Nekro- lyse, Diaphorese, Flush, psoriasiformen Hautveränderun- gen, Photosensibilität, Alopezie, Onycholyse, Verstärkung einer Raynaud-Symptomatik; in Einzelfällen mit Fieber, Myalgien, Arthralgien, Arthritis, Vaskulitis, Serositis, Eosi- nophilie, Leukozytose, erhöhter BSG, erhöhten ANA-Titern.

Gelegentlich Kopfschmerz, Müdigkeit, selten Benommen- heit, Depressionen, Schlafstörungen, Impotenz, Parästhe- sien, Gleichgewichtsstörungen, Muskelkrämpfe, Nervosität, Verwirrtheit, Ohrensausen verschwommenes Sehen, Ge- schmacksveränderungen oder vorübergehender -verlust.

Gelegentlich Abfall von Hämoglobin, Hämatokrit, Leukozy- ten, Thrombozyten. Bei bestimmten Risikopatienten selten:

Anämie einschl. Hämolyse/hämolyt. Anämie, Thrombo- penie, Neutropenie, Eosinophilie, vereinzelt Agranulozytose, Panzytopenie. Selten, insbesondere bei Niereninsuffizienz, Anstieg von Harnstoff, Kreatinin, Kalium, Proteinurie, Abfall von Natrium. In Einzelfällen Anstieg von Bilirubin, Leber- enzymen. Hinweis: Die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen kann be- einträchtigt werden. Wechselwirkungen: Kochsalz, Anti- hypertensiva, Analgetika, Antiphlogistika, Kalium, kalium- . sparende Diuretika, Lithium, Alkohol, Narkotika, Anästhe- tika, Allopurinol, Zytostatika, Immunsuppressiva, Korti- koide, Procainamid, bestimmte High-Flux-Dialysemem- branen.

Boehringer Ingelheim KG, 6507 Ingelheim am Rhein.

Dosierung: Hinweis: Salz-/Flüssigkeitsmangel vor Thera- piebeginn ausgleichen bzw. Diuretika reduzieren oder ggf.

absetzen. Insbesondere bei Salz-/Flüssigkeitsmangel, Herz- insuffizienz, schwerer oder renaler Hypertonie mit 2,5 mg Enalapril beginnen. Diese Patienten nach der ersten Dosis und bei Dosiserhöhung von Enalapril und/oder Schleifen- diuretika mindestens 8 Stunden ärztlich überwachen. - Hypertonie: Üblicherweise initial 5 mg morgens, ggf. nach 3 Wochen Dosiserhöhung auf 10 mg/Tag. Erhaltungsdosis 10 mg/Tag, Maximaldosis 40 mg/Tag. - Herzinsuffizienz (Zusatzmedikation zu Digitalis, Diuretika): Initial 2,5 mg Enalapril morgens, schrittweise Dosiserhöhung; Erhal- tungsdosis 5-10 mg/Tag, Maximaldosis 20 mg/Tag. - Ein- geschränkte Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance 30-60 ml/min), ältere Patienten: Initial 2,5 mg morgens, Erhaltungs- dosis 5-10 mg/Tag, Maximaldosis 20 mg/Tag. - Schwere Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min), Dia- lyse: Anfangsdosis 2,5 mg/Tag (bei Dialysepatienten nach der Dialyse). Erhaltungsdosis 5 mg/Tag, Maximaldosis 10 mg/Tag.

Hinweis: Weitere Einzelheiten enthalten die Fach- bzw.

Gebrauchsinformationen, deren aufmerksame Durchsicht wir empfehlen.

Packungen (Stand Juni 1992): A.V. P. Pres 2,5 mg: 30 Tablet- ten (N 1) DM 40,00; 50 Tabletten (N 2) DM 57,50; 100 Tablet- ten (N 3) DM 102,20; Pres 5 mg: 30 Tabletten (N 1) DM 55,10;

50 Tabletten (N2) DM 86,20; 100 Tabletten (N3) DM 161,45;

Pres 10 mg: 30 Tabletten (N1) DM 63,10; 50 Tabletten (N2) DM 99,00; 100 Tabletten (N3) DM 186,15; Pres 20 mg:

30 Tabletten (N 1) DM 72,15; 50 Tabletten (N2) DM 113,30;

100 Tabletten (N3) DM 213,40; Klinikpackungen.

Boehringer Ingelheim

IXth

International Conference on AIDS in Berlin

Risikoneigung und Sorglosigkeit sind wieder auf dem Vormarsch

A1-4078 (30) Dt. Ärztebl. 89, Heft 48, 27. November 1992

(3)

kommt, daß auch bei der Anwen- dung von Plazebos Zeit-Wirkungs- Relationen und Mengen-Wirkungs- Relationen auftreten (6). Auch un- erwünschte Wirkungen werden be- obachtet (7).

Die Sedierung und die Analge- sie kristallisieren sich schließlich als Domänen der Plazebo-Anwendung heraus. Letztere ist in psychophysio- logischer Hinsicht das bis heute am besten untersuchte Phänomen. Seit- dem es einer amerikanischen Ar- beitsgruppe, (8) gelungen ist, plaze- bo-analgetische Effekte (selektiv und in einer Doppelblind-Anord- nung) mit einem Opiat-Antagonisten pharmakologisch zurückzunehmen, kann als sehr wahrscheinlich gelten, daß dieses Phänomen als Folge einer Endorphin-Ausschüttung zustande- kommt

Für den Forscher und für den gesunden medizinischen Laien ist das Plazebo-Problem ein Faszino- sum, das bis heute wenig von seiner Anziehungskraft verloren hat. Der Therapeut will und kann es nicht aus seiner Praxis verbannen, hat aber ei- nige Vorbehalte. Und den Patienten schließlich macht es vor allen Dingen mißtrauisch.

Der Forscher kann sich darauf berufen, daß dem Plazebo-Problem nach wie vor methodisch grundle- gende Bedeutung in der Arzneimit- telforschung zukommt, denn haupt- sächlich ihm verdankt sie mit der Doppelblind-Anordnung ein genial einfaches Kürzungsverfahren, das die Validität klinischer Prüfungen wesentlich erhöht hat. Darüber hin- aus sind von Untersuchungen über die psychophysiologischen und neu- robiologischen Grundlagen verschie- dener Plazebophänomene analog der Endorphin-Analgesie anregende Zwischenergebnisse zu erwarten.

Der Patient kann für seinen Teil möglicherweise auch davon profitie- ren, wenn ihm über die für ihn zu- gänglichen Informationen zum Pla- zebo-Problem die Grenzen der me- dikamentösen Therapie in Erinne- rung gerufen werden.

Die unsicherste Rolle hat von den dreien wahrscheinlich der Arzt.

Einerseits tritt er für eine rationale Arzneitherapie ein. Andererseits weiß er aber auch, daß Medikamente

nicht nur deshalb wirken, weil sie pharmakologisch definierte Inhalts- stoffe enthalten, sondern weil sie für den Kranken in seiner Lebenssituati- on immer auch für etwas anderes stehen. Symbolisch sind sie — häufig unterhalb der Schwelle des bewußt Intendierten — materialisierte Trost- und Fürsorgeversprechen.

Im Doppelblind-Versuch

Reine Plazebos — also Medika- mente ohne pharmakologisch defi- nierte Inhaltsstoffe — werden in der klinischen Praxis nur sehr selten an- gewendet. Sie sind in der Bundesre- publik nicht rezeptierbar, und es gibt weder eine standardisierte Vor- schrift zu ihrer Herstellung noch ei- ne verbindliche Rechtsnorm zur ethischen Problematik ihrer Anwen- dung (9, 10, 11, 12). Einzig bei klini- schen Prüfungen im Rahmen einer Doppelblind-Anordnung werden sie regelmäßig angewendet.

Klinische Bedeutung hat das Plazebo-Problem vor allem dadurch, daß es bei jeder medikamentösen Therapie gewissermaßen präsent ist.

Die Erfahrung des Doppelblind- Versuchs lehrt ja gerade, daß auch die Effekte von Medikamenten, de- ren Wirkung pharmakologisch gut untersucht und empirisch abgesi- chert ist, durch Plazebophänomene mit verursacht werden, und zwar zu einem Anteil, der im Bezug auf den Gesamteffekt häufig über 20 Prozent liegt. Wesentlich höher noch dürfte dieser Anteil bei den sogenannten

„unreinen" Plazebos und bei den

„Pseudoplazebos" liegen, die auch hierzulande recht häufig verordnet werden, nämlich nach einer Umfrage aus dem Jahr 1985 (13) von 54 Pro- zent der niedergelassenen Ärzte re- gelmäßig. Pseudoplazebos sind Me- dikamente, die zwar pharmakolo- gisch definierte Inhaltsstoffe enthal- ten, jedoch ausschließlich solche, von denen bisher ein Wirksamkeitsnach- weis fehlt. Unreine Plazebos enthal- ten pharmakologisch definierte In- haltsstoffe, die durchaus eine Wir- kung haben können, welche aber ih- rerseits mit der intendierten therapeutischen Wirkung in keinem Zusammenhang steht.

Die Praxis der Anwendung von Arzneimitteln ist durchsetzt mit Ri- tualen. Jede Arznei hat ihre be- stimmte Farbe, einen oft geheimnis- vollen Namen, ihr eigenes Aroma und nicht zuletzt ihren Preis. Sie sucht und findet ihren rechten Platz im Alltag des Kranken, etwa „drei- mal täglich nach den Mahlzeiten".

Pharmakologisch ist es in der Regel wenig sinnvoll, ein Medikament in den ersten zwölf von vierundzwanzig Stunden eines Tages häufiger als in seiner zweiten Hälfte einzunehmen.

Dennoch waren beispielsweise im Bezugsjahr 1979 noch 57 Prozent al- ler verordneten Oralpräparate mit dem Dosierungshinweis „dreimal täglich" versehen (14).

Je näher jemand in seinem Le- bens- oder Arbeitsalltag mit Arznei- mitteln befaßt ist, desto eher könnte er den rituellen und ästhetischen Aspekt ihrer Anwendung für unbe- deutend halten. Aber der Alltag ei- nes kranken Menschen wird ja nicht nur durch die Beschwerden der Er- krankung, sondern auch durch den damit verbundenen Strukturverlust bedroht. Je nach der Schwere der Erkrankung wird ein Stück seines Lebensplans ins Wanken gebracht.

In dieser Situation wird er ebenso wie sein Arzt besonders darauf be- dacht sein, gerade die versteckten und ungeahnten Strukturierungsan- gebote der Arznei und ihrer Aura zu nutzen. Und je weniger beide in die- ser Situation darüber reflektieren, desto näher werden sie diesem Ziel kommen, wie aufgeklärt sie auch sonst sein mögen. Es scheint fast, als könnte man so die Faszination des Forschers, die Vorbehalte des Klini- kers und das Mißtrauen des Kranken unter einen Hut bringen.

Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -4077-4080 [Heft 48]

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Klaus Schonauer M. A.

Klinik für Psychiatrie der Universität Münster Albert-Schweitzer-Straße 11 W-4400 Münster

A1-4080 (32) Dt. Ärztebl. 89, Heft 48, 27. November 1992

Referenzen

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