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er plötzliche Herztod ist die häufigste Todesursache au- ßerhalb von Krankenhäusern in modernen Industriegesell- schaften. Mit einer Inzidenz von zirka tausend Fällen pro eine Million Ein- wohner und Jahr (1) ist er mindestens fünfmal so häufig wie der Tod durch Unfall (2). In etwa Dreiviertel der Fälle ist Kammerflimmern Ursache des plötzlichen Kreislaufstillstands.Kammerflimmern ist kausal allein durch Defibrillation zu behandeln.
Die Häufigkeit des plötzlichen Herztods einer- seits und die kausale Be- handlungsmöglichkeit des meist verursachenden Kam- merflimmerns andererseits waren Anlaß, in den USA bereits zu Beginn der 80er Jahre in Überlegungen ein- zutreten, weniger hochqua- lifizierte Rettungskräfte (Rettungssanitäter, Ret- tungsassistenten) mit Defi- brillatoren auszustatten, die automatisiert Kammerflim- mern mit hoher Spezifität und Sensitivität erkennen, im positiven Fall Defibrilla- tionsenergie zur Verfügung stellen und damit eine Defi- brillation noch vor Eintref- fen höher qualifizierter
Rettungskräfte (Paramedics, Notärz- te) erlauben.
Entsprechende Studien verliefen erfolgreich und führten zu der Frage, ob und, wenn ja, unter welchen Be- dingungen die zunächst in den USA gemachten Erfahrungen auf die Ver- hältnisse in der Bundesrepublik Deutschland übertragen werden kön- nen. Eine erste Berliner Studie (3) und eine nachfolgende multizentri-
sche Studie (4) haben nunmehr ge- zeigt, daß der Einsatz halbautomati- scher Defibrillatoren in der Hand spe- ziell ausgebildeten nichtärztlichen Personals auch im Notarzt-begleite- ten Rettungsdienst die Ergebnisse prähospitaler Reanimationsversuche verbessern kann.
Im Land Berlin wird „Frühdefi- brillation“ seit Herbst 1993 durch alle im Rettungsdienst eingesetzten RTW routinemäßig durchgeführt.
Das Bundesland Bayern hat eine offizielle Empfehlung zur Einführung ausgespro- chen. Darüber hinaus wol- len bereits eine zunehmen- de Zahl einzelner Rettungs- dienstbereiche der übrigen Bundesrepublik Frühdefi- brillation einführen, bezie- hungsweise haben bereits mit der Praxis begonnen.
Die nachfolgende kurze Übersicht soll deshalb eine Orientierungshilfe sein und die Bedingungen darstellen, unter denen ein sogenann- tes „Frühdefibrillationspro- gramm“ erfolgreich umge- setzt werden kann (5, 6).
Vor Einführung der
„Frühdefibrillation“ sollte ein Rettungsdienstbereich in einer exakten Analyse die Zahl der Reanimationsver- A-813 Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 13, 29. März 1996 (35)
T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE
Defibrillation durch qualifiziertes nichtärztliches Personal
Voraussetzungen für ein erfolgreiches Reanimationsprogramm
Arbeitsgemeinschaft Frühdefibrillation
Frühdefibrillation durch nichtärztliche Rettungskräfte ver- bessert die Ergebnisse der kardiopulmonalen Reanimation bei Patienten mit Kammerflimmern. Dieser Erfolg kann nur erzielt werden, wenn auf dem Boden einer exakten Ist-Ana- lyse Struktur und Organisation des Rettungsdienstes opti- miert sind. Wichtige Grenzbedingungen sind unter anderem die Eintreffzeiten des RTW und NAW, die am ehesten in ei- nem Rendezvous-System eingehalten werden können. Ein
Frühdefibrillationsprogramm erfordert die Aufsicht eines weisungsbefugten ärztlichen Koordinators, der sowohl für die Ausbildung und Nachschulung des nichtärztlichen Perso- nals verantwortlich ist als auch die Auswertung der Einsätze überprüft. Die gerätetechnische Voraussetzung für ein er- folgreiches Reanimationsprogramm sind hohe Sensitivität und Spezifität bei der Erkennung defibrillationsfähiger Rhythmen und die Dokumentation von EKG und Sprache.
Frühdefibrillation – Algorithmus diagnostischer Block
HLW bis Gerät bereit
10x HLW (1:5) Schock empfohlen kein Schock empfohlen Defibrillation bis zu 3x
Analyse
Grafik
suche sowie die Zeitintervalle zwi- schen Notrufeingang und Eintreffen der verschieden qualifizierten Ret- tungskräfte (Rettungswagen/Not- arzt) prüfen. Aufgrund der kürzeren Eingreifintervalle ist die Frühdefibril- lation prinzipiell nur sinnvoll in einem gestaffelten Rettungssystem, dem so- genannten Rendezvous-System (7).
Das Zeitintervall zwischen Kol- laps und Beginn von Basismaßnah- men durch Rettungskräfte sollte un- ter acht Minuten liegen (8). Der Zeit- punkt zwischen Notruf und Eintref- fen des Notarztes sollte in der Regel nicht länger als 15 Minuten betragen.
Bei extrem kurzen Eintreffzeiten wird die Frühdefibrillation selten zum Einsatz kommen (erste Defibrillation durch Notarzt mit manuellem Gerät).
Bei sehr viel längeren Eintreffzeiten des Notarztes (. 15 Min. nach Not- ruf) wird die Frühdefibrillation nur in Einzelfällen wirksam sein (3, 8).
Die Vereinheitlichung der Not- rufnummer (112!), Programme zur Laienreanimation und Maßnahmen zur strukturellen Verbesserung des Rettungsdienstes sollten unabhängig vom Frühdefibrillationsprogramm ebenfalls vorangetrieben werden.
Die Aufsicht über ein Frühdefi- brillationsprogramm führt ein ärztli- cher Koordinator mit fundierten Kenntnissen in Notfallmedizin und laufender notfallmedizinischer Tätig- keit. Er entscheidet in Zusammenar- beit mit den durchführenden Organi- sationen über Einzelheiten.
Erstausbildung: Bei gesicherten Grundkenntnissen in den Basismaß- nahmen der Herz-Lungen-Wiederbe- lebung dauert die Erstausbildung mindestens acht Stunden. Der Unter- richt wird vom ärztlichen Koordina- tor oder von einem von ihm bestimm- ten erfahrenen Notarzt und notfall- medizinisch erfahrenem nichtärztli- chem Lehrpersonal durchgeführt. In den praktischen Übungen sollte die Gruppengröße von sechs bis acht Per- sonen nicht überstiegen werden. Für je zwei Gruppen muß ein Arzt zur Verfügung stehen. Praktische Übun- gen bilden den inhaltlichen und zeitli- chen Schwerpunkt der Ausbildung.
Es werden hier verschiedene Einsatz- situationen mit Hilfe entsprechender Trainingspuppen besprochen und trainiert.
Die Erlaubnis zur Durchführung der Frühdefibrillation bleibt an die er- folgreiche Teilnahme an regelmäßi- gen Nachschulungen gebunden. In den in der Arbeitsgruppe zusammen- gefaßten Zentren hat sich bewährt, diese Nachschulung mindestens in halbjährlichen Abständen durchzu- führen. Hierbei sollen Ergebnisse bis- her durchgeführter Einsätze bespro- chen werden. Ein Mindestzeitrahmen von drei Stunden ist für die Nachschu- lung vorzusehen.
Einsatzauswertung
Jede Anwendung des halbauto- matischen Defibrillators muß nach- träglich auch aus rechtlichen Grün- den vom ärztlichen Koordinator oder von erfahrenen Notärzten kri- tisch ausgewertet und beurteilt wer- den. Die EKG-Ausdrucke sowie Auswertungs- und Beurteilungspro- tokolle sind Bestandteil der Patien- tenunterlagen. Es konnte gezeigt werden, daß die regelmäßige Aus- wertung der Einsätze und die Umset- zung der hierbei gewonnenen Er- kenntnisse in die Schulung und Nachschulung der Rettungskräfte zu einer systematischen Verbesserung der Reanimationsergebnisse führen (9). Dies setzt allerdings eine kom- plette Einsatzdokumentation, also Aufzeichnung von EKG und Sprache, voraus.
Technisch sind folgende Min- destanforderungen zu erfüllen:
1. Zur „Frühdefibrillation“ soll- ten ausschließlich (halb-)automati- sche Defibrillatoren verwendet wer- den.
2. Die Sensitivität der Geräte sollte .95 Prozent, die Spezifität be- züglich der Erkennung von Kammer- flimmern und hochfrequenter Tachy- kardie . 98 Prozent sein.
3. Die EKG-Analyse und die Defibrillation sollten nur über großflächige Klebeelektroden mög- lich sein.
4. Die Geräte müssen in der La- ge sein, EKG und Sprache aufzu- zeichnen, um eine nachträgliche Aus- wertung des Reanimationsablaufes zu ermöglichen (s. o.).
5. Die Geräte sollten über eine Möglichkeit zur frühzeitigen Kurzdo-
kumentation des Reanimationsablau- fes verfügen (zum Beispiel Ausdruck eines Rhythmusstreifens).
6. Die Geräte sollten die Forde- rungen des „Utstein-Style“, insbeson- dere der Echtzeit-Dokumentation, berücksichtigen (10).
Protokoll
Das Standardeinsatzprotokoll berücksichtigt die Richtlinien der American Heart Association sowie des European Resuscitation Council (11, 12) und umfaßt zusätzlich die Er- fahrungen der Mitglieder der Arbeits- gruppe unter regional unterschiedli- chen Einsatzbedingungen. Folgende Grundregeln sind zu berücksichtigen:
1. Die Basismaßnahmen der Herz-Lungen-Wiederbelebung wer- den unter keinen Umständen länger als 30 Sekunden unterbrochen.
2. Jede Gerätestörung führt zum sofortigen Abbruch des Defibrilla- tionsprotokolls mit nachfolgend allei- niger konsequenter Basisreanimation bis zum Eintreffen des Notarztes, das heißt, die Basismaßnahmen haben absoluten Vorrang.
3. Der halbautomatische Defi- brillator darf nur nach Feststellung von Bewußtlosigkeit, Atemstillstand und Kreislaufstillstand eingesetzt werden. Die Dokumentationseinheit muß funktionstüchtig sein, und ein- schlägige Sicherheitsaspekte sind zu berücksichtigen (Anwendung nur beim ruhig liegenden Patienten, Kör- pergewicht . 35 kg, keine Anwen- dung in explosionsgefährdeter Umge- bung beziehungsweise bei elektrisch leitender Unterlage).
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis (beim Verfasser).
Anschrift für die Verfasser:
Priv. -Doz. Dr. med.
Hans-Richard Arntz
Klinikum Benjamin Franklin Abteilung für Kardiologie Hindenburgdamm 30 12200 Berlin
A-814 (36) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 13, 29. März 1996
T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1996; 93: A-813–814 [Heft 13]