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Archiv "USA: Erfolgreiches Präventions-Programm mit Schönheitsfehlern" (27.05.1994)

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THEMEN DER ZEIT BLICK INS AUSLAND

USA: Erfolgreiches Präventions-Programm mit Schönheitsfehlern

Ingberi Weber

Programmatische Gesundheitsziele, davon sind heute vie- le überzeugt, können sehr hilfreich sein, wenn es darum geht, auf der Grundlage von Prävention das Gesundheits- niveau der Bevölkerung positiv zu beeinflussen. Öffentlich propagierte, gesundheitsbezogene Zielforderungen helfen zu erkennen, daß viele Krankheiten vermeidbar sind und daß solche Krankheiten finanzielle Mittel binden, die für die Behandlung unvermeidbarer Krankheiten benötigt werden. Gesundheitsziele als Instrument der Gesundheits- politik haben aber noch keine lange Tradition. Erstmals

eingesetzt wurde dieses Instrument von den Bundesbe- hörden der USA im Rahmen ihrer Strategie „Objectives for the Nation — Preventing Diseuse, Promoting Health"

(Ziele für die Nation — Krankheiten vorbeugen, Gesund- heit fördern). Als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Mitte der achtziger Jahre in Europa erstmals die inzwi- schen weithin bekannten Gesundheitsziele im Rahmen der Strategie „Gesundheit für alle 2000" vorstellte, war man in den USA bereits mit der praktischen Umsetzung des dortigen Vorhabens beschäftigt.*)

ie Amerikaner hatten für ih- re Präventionsstrategie enor- me Kräfte in Bewegung ge- setzt, sowohl manpower als auch Know-how betreffend. Alle Ge- sundheitsministerien der Einzelstaa- ten, 300 Organisationen und Verbän- de, zahlreiche Forschungsinstitute und mehr als 10 000 Experten ver- schiedener Disziplinen haben daran mitgewirkt. Auf Bundesebene waren besonders eingebunden das US-De- partment of Health and Human Ser- vices und dort die Abteilung Öffentli- cher Gesundheitsdienst, das US-De- partment of Health, Education and Welfare und die Centers for Disease Control in Atlanta.

Unter der globalen Zielsetzung, weitere Fortschritte bei der Senkung von Mortalität ihrer Bevölkerung zu erzielen, hatte man 15 Bereiche iden- tifiziert, in denen selbst innerhalb ei- nes so kurzen Zeitraums wie nur zehn Jahre bei entsprechender An- strengung meßbare Verbesserungen zu erreichen wären. Für diese 15 In- terventionsbereiche wurden insge- samt 226 Einzelziele aufgestellt. Die- se Zahl erschlägt sicher auch aufge-

*) Die Darstellung stützt sich teilweise auf ei- ne neue Studie von Dr. rer. pol. Hagen Kühn, Wissenschaftszentrum Berlin, die als Buch erschienen ist unter dem Titel:

„Healthismus — Eine Analyse der Präventi- onspolitik und Gesundheitsförderung in den USA", Berlin 1993.

schlossene Beobachter auf den er- sten Blick. Daß so viele Ziele formu- liert wurden, liegt nicht zuletzt darin begründet, daß es sich überwiegend um operative Ziele handelt. Die Grenze zwischen Zielen und Maß- nahmen ist fließend. Wer nun im Zu- sammenhang mit präventiven Ziel- vorstellungen relativ abstrakte Leit- bilder oder vage moralisierende For- derungen erwartet, wird enttäuscht.

Das Besondere an den amerikani- schen Gesundheitszielen ist ihre Konkretheit und Präzision, beson- ders im Vergleich zu denen der WHO:

• Aus dem Zielkatalog zum In- terventionsbereich „Kontrolle toxi- scher Substanzen" mit insgesamt 20 Einzelzielen: Bis 1990 soll die Zahl der medizinisch unnötigen diagnosti- schen Röntgenuntersuchungen um etwa 50 Millionen im Jahr reduziert worden sein (83 Millionen Untersu- chungen wurden von insgesamt 278 Millionen im Jahr 1978 als medizi- nisch entbehrlich eingestuft).

• Aus dem Zielkatalog zum In- terventionsbereich „Familienpla- nung" mit insgesamt neun Einzelzie- len: Bis 1990 soll die Fruchtbarkeits- rate für 16jährige Mädchen von 31 auf 25 pro 1000 reduziert werden.

• Aus dem Zielkatalog zum In- terventionsbereich „Körperliche Be- wegung" mit insgesamt elf Einzelzie- len: Bis 1990 soll der Anteil von Be-

schäftigten, die an betrieblich finan- zierten Fitneß-Programmen teilneh- men, mehr als 25 Prozent derjenigen betragen, die in Betrieben mit mehr als 500 Mitarbeitern tätig sind.

Diese Beispiele verdeutlichen, daß die amerikanischen Ziele nicht nur konkret und genau sind, sondern auch überprüfbar: Sie wurden mit Hilfe meßbarer Indikatoren formu- liert, und zwar einheitlich vom Basis- jahr 1979 ausgehend auf die Frist

1990 bezogen. Der Vorteil dieses Verfahrens ist, daß die quantifizier- ten Sollgrößen mit dem tatsächlich Erreichten verglichen werden kön- nen, daß Erfolg oder Mißerfolg für jedes Einzelresultat festgestellt wer- den kann.

Beachtliche Erfolge

Ohne hier die Ergebnisse im De- tail zu betrachten, scheint das Pro- gramm nach zehnjähriger Laufzeit doch beachtliche Erfolge aufzuwei- sen. Soweit es Studien und amtliche Statistiken erkennen lassen, sind in den 80er Jahren Inzidenz und Morta- lität für die meisten Krankheitsarten im Durchschnitt der Gesamtbevölke- rung zurückgegangen. Diese Verbes- serungen finden ihren Ausdruck in der durchschnittlichen Lebenserwar- tung. Sie ist zwischen 1980 und 1989 von 73,7 auf 75,2 Jahre angestiegen.

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 21, 27. Mai 1994 (69) A-1543

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Quelle: Statistical Abstract of the United States 1990, 110th edition. Washington, D.C., 1990, S. 90

Zigarettenraucher nach Bildungsgrad, USA 1970 bis 1987

THEMEN DER ZEIT

Auch die Lebenserwartung für Per- sonen im Alter von 65 Jahren verbes- serte sich im Durchschnitt von 16,4 auf 17,2 Jahre. Diese „harten" Daten stehen nicht unvermittelt für sich.

Auch Indikatoren gesundheits- bezogenen Wissens und Verhaltens haben sich im gleichen Zeitraum ge- ändert, so daß anzunehmen ist, daß die Erfolge nicht ganz unabhängig von der Präventionsstrategie zustan- de gekommen sind: Der Teil der amerikanischen Bevölkerung, der seinen Cholesterinspiegel untersu- chen läßt, hat sich zwischen 1983 und 1990 von 35 auf 65 Prozent erhöht.

Die Rate derjenigen Amerikaner, die regelmäßig körperliche Bewegung aus Gesundheitsgründen betreiben, hat sich zwischen 1961 und 1984 von 24 auf 59 Prozent erhöht und der An- teil von Joggern von 6 auf 18 Prozent der Bevölkerung. Der Bekanntheits- grad der Risikofaktoren für Herz- krankheiten ist zwischen 1979 und 1985 deutlich gestiegen, und zwar um das Drei- bis Achtfache je nach frag- lichem Risikofaktor. Eine Studie fand heraus, daß 42 Prozent der be- fragten Amerikaner „über ihre Ge- sundheit öfter nachdenken als über irgend etwas anderes, einschließlich Liebe, Arbeit und Geld".

Zwar gibt es nach Einschätzung mancher Experten berechtigte Zwei- fel an einer kausalen Zurechnung der im Rahmen präventiver Strategien

BLICK INS AUSLAND

berücksichtigten Faktoren, insbeson- dere von Cholesterin beziehungswei- se Ernährungsverhalten im Hinblick auf die rückläufige Sterblichkeit kar- diovaskulärer Erkrankungen. Aber selbst wenn man diese Zweifel nicht teilt, haben die amerikanischen Prä- ventionserfolge einen Schönheitsfeh- ler: Sie haben das Ausmaß der sozia- len Ungleichheit bei Krankheit und Tod, die auch früher schon auffällig war, vergrößert. An den erreichten Fortschritten im Gesundheitszustand haben nicht alle Bevölkerungsgrup- pen teilgehabt.

Unterprivilegierte nicht erreicht

Zwei Gründe sind dafür von Be- deutung:

Die amerikanischen Gesund- heitsziele sind in der Praxis vor allem in den Bereichen umgesetzt worden, wo Verhaltensweisen des Lebensstils angesprochen waren. Nichtrauchen, körperliche Fitneß, gesunde Ernäh- rung, Mäßigung im Alkoholkonsum und Streßbewältigung haben zwar nicht generell, aber bei den breiten Mittelschichten eine überraschend große Akzeptanz gefunden. Viele ha- ben ihr Verhalten zum Positiven ge- ändert, aber die Angehörigen unter- privilegierter Soziallagen wurden diesbezüglich kaum erreicht. Das

überrascht nicht. Denn der Erfolg le- bensstilorientierter Strategien ist letztlich von Ressourcen abhängig, die ihrerseits sozial ungleich verteilt sind, wie etwa Einkommen oder Bil- dung oder bestimmte über Sozialisa- tion vermittelte Einstellungen (vgl.

Abbildung).

Obwohl die Zielstrategie umfas- sender konzipiert war und Maßnah- men auf den verschiedensten Ebenen zum Tragen kommen sollten, so ha- ben sich doch die Maßnahmen auf der Ebene des individuellen Lebens- stils als einzige als erfolgreich erwie- sen. Etwa auf den Ebenen sozialer oder ökologischer Bedingungen, wo erfolgreich durchgeführte Maßnah- men den benachteiligten Bevölke- rungsschichten hätten zugute kom- men können (die Bereiche Arbeit, Wohnen, Verkehr, Umwelt), blieben die Ergebnisse hinter den Erwartun- gen zurück.

So weisen zwar die meisten Indi- katoren der gesundheitlichen Lage in den USA für die achtziger Jahre auf Verbesserungen im Durchschnitt der Bevölkerung hin. Differenziert man aber nach Kriterien der sozialen Schichtung, also vor allem ethnische Zugehörigkeit, Einkommen und Bil- dung, so zeigt sich, daß die erreichten Verbesserungen in den oberen Schichten größer ausfielen als in den unteren. Das heißt auch: Das Aus- maß der sozialen Ungleichheit bei Krankheit und Tod hat in den USA während der achtziger Jahre zuge- nommen. Die Präventionsstrategie hat sich, wegen einseitiger Erfolge der lebensstil-orientierten Gesund- heitsförderung, letztlich als Trend- verstärker einer allgemeinen Polari- sierung der Bevölkerung ausgewirkt, die schon für andere Lebensbereiche kennzeichnend war.

Deutsches Ärzteblatt

91 (1994) A-1543-1544 [Heft 21]

Anschrift des Verfassers:

Dr. phil. Ingbert Weber Zentralinstitut für die

kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland Her bert-Lewin-Straße 5 50931 Köln

A-1544 (70) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 21, 27. Mai 1994

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