DAS EDITORIA
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Die RUDER-Studie
Konsequenzen für de Praxis
Wolfgang Rösch
m Dezember 1990 wurde die RUDER-Stu- die (Ranitidin beim Ulcus duodeni. Epide- miologie und Rezidiv-Verhütung) abge- schlossen, die umfangreichste Ulkusthera- piestudie, die weltweit je durchgeführt wurde und deren Ergebnisse entsprechend internatio- nal Anerkennung fanden. Insgesamt beteiligten sich 546 Prüfärzte mit 2109 Patienten daran; an eine Akutbehandlungsphase mit 300 mg Raniti- din über zwei bis acht Wochen schloß sich eine zweijährige Langzeittherapie an mit elf Kontroll- terminen pro Patient, so daß über ein zentrales datenbankgestütztes Monitoring über 20 000 Un- tersuchungen ausgewertet werden konnten.
Ziel der unter der wissenschaftlichen Lei- tung von A. L. Blum, Lausanne, durchgeführten Studie war die Identifizierung von Risikofakto- ren, um eine Grundlage für eine differenzierte Indikationsstellung zur medikamentösen Rezi- divprophylaxe zu schaffen. Bei den Ergebnissen muß zwischen einer konfirmatorischen (hypothe- senprüfenden) und einer explorativen (hypothe- senregenerierenden) Datenauswertung differen- ziert werden. Auf der Basis vorformulierter Hy- pothesen bestätigten sich die folgenden sechs Faktoren als Risiko für eine Rezidivneigung ei- nes Ulcus duodeni:
• Rauchen und ehemaliges Rauchen
• Streß
• körperliche Schwerarbeit
• hohe Rezidivfrequenz in der Vergangenheit
• Bulbusveränderungen
• persistierende Symptome trotz Akutheilung Überraschenderweise scheint die Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika die Rezidivnei- gung nicht zu beeinflussen. Hingegen wiesen Teetrinker mehr Ulkusrezidive auf als Patienten, die keinen Tee trinken, Kaffeetrinker haben we- niger Rezidive als Patienten, die keinen Kaffee trinken, und schließlich war Alkoholabstinenz mit einer höheren Rezidivrate verbunden ge- genüber mäßigem Alkoholkonsum. Ungünstig scheint auch eine überkalorische Ernährung zu sein.
Liegen mehrere der genannten Risikofakto- ren vor, kommt es zu einer Risikoaddition; das Rezidivrisiko steigt dabei von 5,5 Prozent bei Fehlen von Risikofaktoren auf über 30 Prozent bei mehr als acht Risikofaktoren an. Für die Pra- xis bedeutet dies, daß bei hohem Leidensdruck des Patienten, einer hohen Rezidivneigung und der Unmöglichkeit, seinen Lebensstil zu ändern, die Indikation für eine medikamentöse Rezidiv- prophylaxe gegeben ist. Daß das Therapiekon- zept aufgeht, zeigt die Rezidivrate von 13 Pro- zent nach einem Jahr und von 9,7 Prozent nach zwei Jahren Dauertherapie. Während in den bei- den Jahren vor Beginn der RUDER-Studie 6404 Ulkusschübe registriert wurden, waren dies un- ter der Langzeitbehandlung nur 566, das heißt, die Rezidivrate konnte auf ein Zehntel gesenkt werden.
Ein weiteres Ergebnis erscheint bemerkens- wert: die Komplikationsrate der Durchbruchul- zera (Ulzera unter H 2-Blocker) war mit 0,7 Pro- zent signifikant niedriger als vor der Dauerthera- pie, die Zahl der Nebenwirkungen lag mit drei Prozent im ersten und 0,9 Prozent im zweiten Jahr so günstig, daß es nur bei einem Prozent al- ler Behandlungen zu einem Therapieabbruch kam. So glauben auch 80 Prozent der an der Stu- die beteiligten Ärzte, daß sich ihr Therapiever- halten durch das Ergebnis der Studie ändern werde. Fragt man, wie die RUDER-Studie ihre Strategie beeinflußt hat, so geben 49,2 Prozent an, daß sie künftig häufiger und konsequenter ei- ne Langzeittherapie einsetzen würden. Daneben wurden ein gezielterer Einsatz bei Risikofakto- ren und eine über die der Studie zugrundeliegen- den zwei Jahre hinausgehende Langzeittherapie diskutiert.
Als Alternative zur medikamentösen Rezi- divprophylaxe scheint die proximal selektive Va- gotomie ausgedient zu haben. Wegen ihrer schlechten Ergebnisse hat unlängst einer der bekanntesten Abdominalchirurgen Großbritan- niens, Sir Alexander-Williams, ein Editorial mit dem provokanten Artikel: „A requiem for vago- tomy" im British Medical Journal verfaßt. So Dt. Ärztebl. 88, Heft 42, 17. Oktober 1991 (57) A-3519
bleibt schließlich als echte Alternative nur die wiederholte Akuttherapie beim Auftreten eines Ulkusschubes (on demand), wobei für diese Akutbehandlung aus der RUDER-Studie eben- falls Konsequenzen abgeleitet werden können:
Risikofaktoren für eine verzögerte Ulkusheilung wie • Rauchen, • Schwerarbeit, • Streß, •hohe Rezidivfrequenz, • langsame Ulkusheilung in der Vergangenheit, • multiple Ulzera und • Ulkus- größe über 15 mm sollten, insbesondere wenn mehrere Risikofaktoren vorliegen, zu einer The- rapiedauer von acht Wochen führen. Unter der Therapie mit Ranitidin heilten primär 40 Pro- zent der Ulzera innerhalb von zwei Wochen, 71 Prozent innerhalb von vier Wochen und 93 Pro- zent innerhalb von acht Wochen ab. Nur bei ei- nem Prozent war ein Versagen der konservativen Therapie zu beobachten. Diese relativ schlech- ten Akuttherapieergebnisse erklären sich aus der negativen Patientenselektion: bei über 30 Pro- zent der Patienten war aus der Anamnese eine langsame Heilungstendenz bekannt.
Ob der natürliche Verlauf der Ulkuskrank- heit durch eine zweijährige Langzeittherapie mit Ranitidin positiv beeinflußt werden kann, muß derzeit noch offengelassen werden. Eine erste Analyse der Rezidivraten nach Absetzen der Dauermedikation zeigt bei einer Rezidivrate von 35 Prozent im darauf folgenden Jahr eine deutli- che Senkung, rechnet man doch beim Ulcus duo- deni mit Rezidivraten von 75 bis 80 Prozent in- nerhalb eines Jahres.
Schließlich soll kurz auf die Auswertung ei- nes über drei Tage geführten Ernährungstage- buchs bei den Ulcus-duodeni-Patienten einge- gangen werden. Obwohl eine Ulkusdiät seit vie- len Jahren nicht mehr aktuell ist, ergeben sich ei- nige Gesichtspunkte, die bei der Beratung des Patienten berücksichtigt werden sollten. Als gün- stig werden angesehen: frühes Abendessen, kei- ne späten Mahlzeiten, faserreiche Kost, normo- kalorische Ernährung.
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Ergebnisse der RUDER-Studie bei der The- rapie des Patienten mit einem chronisch rezidi- vierenden Ulcus-duodeni-Leiden in der Praxis berücksichtigt werden sollten, insbesondere bei den Patienten, bei denen mehrere Risikofakto- ren vorliegen. Stimmt der Patient dem Behand- lungskonzept einer zwei- bis dreijährigen Dauer- medikation zu und kann von einer ausreichen- den Compliance ausgegangen werden, dann kann das Rezidivrisiko drastisch reduziert wer- den. Die dann noch beobachteten „Durchbruch- ulzera" verlaufen entweder asymptomatisch (40 Prozent) oder sprechen auf die Behandlung mit voller Dosis prompt an.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Wolfgang Rösch
Medizinische Klinik am Krankenhaus Nordwest der Stiftung Hospital zum Heiligen Geist Steinbacher Hohl 2-26
W-6000 Frankfurt 90
Kopfumfang
mit acht Monaten als Prognose für die
geistige Entwicklung
Kinder mit extrem niedrigem Geburtsgewicht (unter 1500 Gramm) und perinatalen Entwick- lungsstörungen, die im Alter von acht Monaten einen verringerten Kopfumfang (Mittelwert für das ent- sprechende Alter minus zwei Stan- dardabweichungen) aufwiesen, wur- den im Alter von acht bis neun Jah- ren einer neurologischen Untersu- chung und Intelligenztests unterzo- gen. Das verbale Verständnis, die Ausdrucksfähigkeit, das Lesen, Ma- thematik, visuelle und feinmotori- sche Fähigkeiten wurden ebenso festgestellt wie das Verhalten.
Die Kinder mit verringertem Kopfumfang im Alter von acht Mo- naten hatten eine signifikant höhere Inzidenz von neurologischen Störun- gen und niedrigere Intelligenz-Quo- tienten als eine Vergleichsgruppe.
Sie zeigten häufiger hyperaktives Verhalten und schnitten in allen Tests schlechter ab, als die Ver- gleichsgruppe mit normalem Kopf- umfang im Alter von acht Monaten.
Die Kinder mit verringertem Kopf- umfang wiesen gegenüber der Ver- gleichsgruppe ein signifikant niedri- geres Geburtsgewicht und höhere neonatale Risiko-Faktoren auf.
Nach multipler Regressions-Analy- se, um sozio-ökonomische und neo- natale Risiko-Faktoren sowie intrau- terine Wachstumsretardierung, Ein- fluß von Geburtsgewicht und neuro- logische Störungen auszuschalten, zeigte sich immer noch, daß der ver- ringerte Kopfumfang im Alter von
FÜR SIE REFERIERT
acht Monaten auf eine verzögerte geistige Entwicklung hinwies.
Die geistige Entwicklung ist so- mit nach Auffassung der Autoren stärker von neonatalen Einflüssen abhängig als von der intrauterinen Entwicklung, dem Geburtsgewicht oder ungünstigen sozio-ökonomi- schen Umgebungsfaktoren. Slü
Hack, M. et al.: Effect of very low birth weight and subnormal head size on cogni- tive abilities at school age. N. Eng J Med.
325 (1991) 231-237
Dr. Hack, Rainbow Babies and Children's Hospital, University Hospitals of Cleve- land, 2101 Adelbert Rd., Cleveland, OH 44106, USA.
A-3520 (58) Dt. Ärztebl. 88, Heft 42, 17. Oktober 1991