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Archiv "Saudi-Arabien: Land ohne Gesetze" (05.09.2008)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 365. September 2008 A1867

S T A T U S

T

rotz oder gerade wegen des schlechten Rufs, den die Medi- en über Saudi-Arabien verbreiten, akzeptierte ich einen Vertrag als Dermatologin in einer Privatklinik in Riad. Es war nicht mein erster Auslandsaufenthalt. Ich hatte bereits mehrfach in verschiedenen Ländern und Kulturen gearbeitet – auch unter schwierigen Bedingungen wie zum Beispiel in Ghana und Bangladesch.

Aber hier war alles anders! Es be- gann bereits bei der Ankunft am Flughafen: Bei der Passkontrolle rief der Offizier, der meinen Pass in den Händen hielt, laut: „Al. ..!“ Darauf- hin kam einer der vielen dort warten- den Männer zum Schalter, nahm meinen Pass und lief, ohne sich mir vorzustellen, zur Gepäckausgabe. Ich rannte in Panik meinem Pass bezie- hungsweise dem jungen Mann im weißen Gewand hinterher, der mich erst nach geraumer Zeit wahrzuneh- men schien und sich schließlich als Mitarbeiter der Klinik vorstellte, in der ich künftig arbeiten sollte.

In Saudi-Arabien gilt das spon- sorship system, das heißt, das Visum ist an den Arbeitsvertrag geknüpft.

Man ist also während seines gesam- ten Aufenthalts seinem Arbeitgeber ausgeliefert. Er zieht den Pass ein, und er bestimmt, ob und wann man das Land wieder verlassen darf. Da- zu kommt, dass es kein Gesetz zum

Schutz der Arbeitnehmer gibt. Der Arbeitgeber kann die Arbeitszeiten nach Gutdünken festlegen. Ob und wann er das Gehalt auszahlt, liegt ebenfalls in seinem Ermessen.

Vom Flughafen wurde ich zu dem Gelände gefahren, auf dem mein Mann und ich in den nächsten zwei Jahren leben sollten. Es war mit Sta- cheldraht umzäunt und wurde von Soldaten bewacht. Aus Angst vor Terroranschlägen werden Europäer und Amerikaner seit Jahren in sol- chen Gettos untergebracht. Obwohl das Krankenhaus nur zehn Gehminu- ten entfernt war, warnten mich das Management, Kollegen und Fahrer,

zu Fuß dorthin zu gehen. Es zieme sich nicht, sich als Frau allein auf der Straße sehen zu lassen.

Die Klinik selbst spiegelt das Kas- tensystem Saudi-Arabiens wieder.

Die Ärzte sind im Libanon, in Syrien oder anderen arabischen Ländern, hauptsächlich jedoch in Kanada, in den USA und teilweise in Europa ausgebildet worden. Das Gehalt ist keineswegs für alle gleich. Es richtet sich nach der Herkunft. Die Kran- kenschwestern sind Filipinas, die Raumpfleger Bangladeshis, die Fah- rer Inder. Eine Reise in die Heimat

kommt für sie erst nach Ablauf ihres zweijährigen Vertrags infrage.

In Riad gibt es mehrere Privatkli- niken. Da alle miteinander konkur- rieren, werben sie vor allem mit eu- ropäischen oder US-amerikanischen Ärzten sowie mit Kooperationspro- grammen mit ausländischen Kran- kenhäusern. Die Klinik, an der ich ar- beitete, unterhält unter anderem Be- ziehungen zur Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf.

Es dauerte einige Monate, bis ich begann, mich an meine Arbeit unter schwierigen Verhältnissen zu ge- wöhnen. Zum Beispiel sind alle Pati- entinnen von Kopf bis Fuß schwarz umhüllt, nur manchmal bleiben die Augen frei. Man muss sich unterhal- ten, ohne das Gesicht seiner Ge- sprächspartnerin zu sehen, und man muss durch eine winzige Öffnung im Gewand und den Anblick eines klei- nen Stückchens Haut seine dermato- logischen Diagnosen stellen.

Gerade als ich begann, mich mit diesen absurden Umständen zu ar- rangieren, rief mich der Personalchef

an, der für die ausländischen Mitar- beiter zuständig ist. Er teilte mir mit, er habe gesehen, wie ich auf der Straße mit einem männlichen Kolle- gen sprach, und dass dies nicht er- laubt sei. Er schlug mir vor, für mich und besagten Kollegen, der ein Freund von ihm sei, ein Wochenende in Bahrain zu organisieren – dort ver- bringen die Saudis ihre Wochenen- den, weil es Alkohol und Sex gibt.

Ferner riet er mir, meine Zeit mit die- sem Kollegen zu verbringen, statt sie mit meinem Ehemann und anderen Europäern zu vergeuden. Der Perso- SAUDI-ARABIEN

Land ohne Gesetze

Die Dermatologin Shahrzad Amier scheitert bei ihrer Tätigkeit an einem privaten Krankenhaus in Riad am Sexismus der Gesellschaft und der Rechtlosigkeit ausländischer Arbeitnehmer.

Ich rannte in Panik meinem Pass beziehungsweise dem jungen Mann im weißen Gewand hinterher.

Foto:dpa

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nalchef war über mein gesamtes Pri- vatleben bestens informiert. Ich be- schwerte mich bei der Krankenhaus- leitung über diese Eingriffe in meine Privatsphäre. Das hielt jedoch nie- manden davon ab, mir weiterhin Einladungen zu dubiosen Partys zu schicken. Die Folge war, dass ich nur noch in Begleitung meines Mannes in die Klinik ging und er mich nach Dienstschluss auch immer abholte.

Damit wollten wir allen Missver- ständnissen ein Ende setzen.

In der Folge wurde meine Arbeits- situation immer seltsamer: Patienten erschienen nicht zu ihrem Termin;

sie erwiesen sich als Scheinpatien- ten. Patientenanfragen wurden abge- blockt, weil ich angeblich keine Ter- mine mehr frei hatte. Die Organisato- rin meiner Sprechstunde war die rechte Hand des stellvertretenden Verwaltungsleiters, der mir gleich am Empfangsabend einen Heiratsan- trag gemacht hatte. Als ich wegen dieser Schwierigkeiten die Kliniklei- tung aufsuchte, traf ich auf genau diesen stellvertretenden Verwal- tungsleiter. Er betonte auf anzügliche Weise, wie einfach ich es hätte haben können, wenn ich auf sein Angebot

und die diversen Einladungen einge- gangen wäre. Erst da verstand ich die Situation und die Zusammenhänge.

Da es in Saudi-Arabien für einen ausländischen Arbeitnehmer schwie- rig ist zu kündigen, versuchte ich zunächst mit Hilfe meines Mannes die Situation irgendwie zu ertragen.

Ich hoffte auf gute Menschen in der Krankenhausleitung, die mir helfen würden. Doch die Situation nahm ei- ne absurde Wende.

Als ich dem Besitzer des Kran- kenhauses die Lage schildern wollte, rief er mich an einem Abend nach Dienstschluss zu sich. Doch sobald er meinen Mann bemerkte, sagte er:

„Oh, dein Mann wartet. Geh doch zu ihm!“ – ungeachtet meiner Be- schwerdebriefe, die ihm vorlagen.

Dabei darf man nicht vergessen, dass in Saudi-Arabien keine Frau je einen Schritt tun darf, ohne vom Ehemann, Vater oder Bruder begleitet zu wer- den. Am nächsten Tag teilte mir die Klinikleitung mit, dass es meinem Mann nicht mehr erlaubt sei, mich in der Klinik abzuholen. Als mein Mann nach Terminvereinbarung dann doch zu einem Gespräch mit der Leitung ins Krankenhaus kam, fing der stellvertretende Verwal- tungsleiter ihn am Eingang ab. Nach einem kurzen Wortwechsel rief er die Polizei und warf meinem Mann Gotteslästerung vor. Darauf steht in Saudi-Arabien die Todesstrafe. Der

Vorwurf war also alles andere als harmlos. Mein Mann verbrachte zwei Tage im Gefängnis.

Was sollte ich – schwanger, ohne Pass, ohne Ehemann – mit einem sol- chen Sponsor in einem solchen Land machen?! Die deutsche Botschaft war ausgesprochen hilfsbereit, wur- de jedoch im Krankenhaus nicht wei- ter ernst genommen. Wenigstens konnten wir bei der Polizei errei- chen, dass mein Mann unter Bürg- schaft freikam.

Wir zeigten den Fall bei der Poli- zei und bei den Gesundheits- und Ar- beitsministern persönlich an. Auch der Bürgermeister von Riad und Kö- nig Abdullah erhielten Kenntnis. Al- le versprachen zu helfen. Dabei blieb es. Die Krankenhausleitung und der Besitzer wurden mehrmals vorgela- den. Erschienen sind sie nie. Nach vier Monaten Stress konnte mir am Ende nur die saudische Menschen- rechtsorganisation helfen. Sie er- reichte, dass man mir meinen Pass einschließlich Ausreiseerlaubnis und ein Minimum an Geld für die Reise- kosten aushändigte. Im Gegenzug musste ich unterschreiben, dass ich auf weitere Ansprüche verzichte.

Versuche, nach unserer Rückkehr deutsche Politiker dazu zu bewegen, gegen solche Missstände in Saudi- Arabien vorzugehen, scheiterten. I Dr. med. Shahrzad Amier E-Mail: Miramar100@hotmail.com

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Der Personalchef war über mein gesamtes Privatleben bestens informiert.

RECHTSREPORT

Standard- und Basistarif:

Beschwerde unzulässig

Vertragsärzte und -zahnärzte sind durch die Regelungen zur Versorgung von Standard- und Basistarifversicherten gemäß Artikel 75 Absatz 3 a Satz 1 SGB V nicht unmittelbar in ihren Grundrechten betroffen. Das Bundesverfas- sungsgericht (BVG) hat deshalb die Beschwer- den eines Internisten und eines Zahnarztes nicht zur Entscheidung angenommen.

Ein Vertragsarzt für Innere Medizin hatte die Verletzung seiner durch Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz geschützten Berufsfreiheit gerügt.

Mit den neuen Vorgaben werde Vertragsärzten im Rahmen ihrer privatärztlichen Tätigkeit eine Behandlungspflicht von Standard- und Basista-

rifversicherten auferlegt. Der Eingriff sei auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil die Norm mangels Gesetzgebungskompetenz des Bun- desgesetzgebers formell verfassungswidrig sei.

Das BVG hat darauf verwiesen, dass im Fall einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz Voraussetzung sei, dass der Beschwerdeführer durch die angegriffene Norm unmittelbar in sei- nen Grundrechten betroffen sein müsse. Dies sei der Fall, wenn die angegriffene Bestimmung, ohne eines weiteren Vollzugsakts zu bedürfen, die Rechtstellung des Beschwerdeführers verän- dere. In diesem Sinn sind Ärzte nach Auffassung des BVG nicht unmittelbar betroffen.

Adressaten der Norm sind nämlich die Kas- senärztlichen Vereinigungen (KVen) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Sie

haben die ärztliche Versorgung der Standard- und Basistarifversicherten zu gewährleisten.

Die Rechtstellung eines niedergelassenen Arztes wird hierdurch nicht verändert. Insbeson- dere führt diese Übertragung eines weiteren Si- cherstellungsauftrags nicht zu einer Ausweitung der Pflichten des einzelnen Vertragsarztes.

Denn die Versorgung der Standard- und Ba- sistarifversicherten vollzieht sich außerhalb des Systems der vertragsärztlichen Versorgung.

Deshalb erstreckt sich die Behandlungspflicht nicht auf diese Patientengruppe. Zudem bedarf die Norm noch der Umsetzung. Das Gesetz lässt KVen und KBV einen Gestaltungsspielraum, der die Annahme einer unmittelbaren Betroffenheit ausschließt. (Beschluss vom 5. Mai 2008, Az.: 1

BvR 807/08) RA Barbara Berner

Referenzen

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