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Archiv "Ophthalmologie: Wie das Normaldruckglaukom entsteht" (19.09.2008)

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A1960 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 3819. September 2008

M E D I Z I N R E P O R T

on, retinalem Nervenfaserverlust und resultierenden Gesichtsfeld- ausfällen erleiden.

> Immer wieder stoßen Au- genärzte auf Patienten, deren IOD dank einer Therapie mit drucksen- kenden Augentropfen oder als Fol- ge einer Operation (meist einer Trabekulektomie) deutlich im „si- cheren“ Druckbereich liegt – und die doch eine Progression des Seh- nerv- und Gesichtsfeldbefunds er- leiden.

> Epidemiologisch am wichtigs- ten sind die Patienten, die nie einen erhöhten Augeninnendruck haben, aber dennoch einen typischen Glau- komschaden entwickeln. Ihre Krank- heitsform wird mit dem etwas hilf- los klingenden Terminus „Normal-

druckglaukom“ (NTG = normal ten- sion glaucoma) bezeichnet.

Inzwischen geht man davon aus, dass Normaldruckglaukome hier- zulande fast die Hälfte aller pri- mären Offenwinkelglaukome aus- machen, in Japan macht diese Vari- ante bis zu 90 Prozent aller Glauko- me aus. Bei vielen dieser Patienten findet man häufig vaskuläre Dys- regulationen, die zu episodenhaf- ten Minderperfusionen von Netz- haut und Sehnerv führen und damit eine Apoptose der Ganglienzellen auslösen können.

Extraokuläre Symptome dieser vaskulären Dysregulationen sind oft kalte Finger, Migräne und Tinnitus.

Doch reicht diese vaskuläre Kom- ponente des Normaldruckglaukoms

E

ine Arbeitsgruppe von Oph- thalmologen aus der Schweiz und den USA haben mit Untersu- chungen zum Normaldruckglaukom überraschende Befunde erzielt, wel- che die klassischen Thesen der Pa- thogenese in Zukunft möglicher- weise verdrängen werden. Nach ihren Forschungsergebnissen sind eine Kompartimentierung des Li- quorraums im Sehnerv sowie eine gestörte, entzündlich veränderte Zu- sammensetzung des Liquors dafür verantwortlich, dass eine Optikus- neuropathie entsteht.

Das Glaukom ist eine der häu- figsten Erblindungsursachen welt- weit; seine Prävalenz wird vor al- lem in den alternden Gesellschaf- ten der Industrienationen erheblich zunehmen. Die Pathogenese dieser Augenerkrankung verschließt sich hingegen zahlreichen Ärzten und Patienten. Für viele sind die Glau- kome fast ausschließlich über den Augeninnendruck definiert – vor allem das primäre Offenwinkel- glaukom (POAG = primary open- angle glaucoma), welches mit mehr als 90 Prozent die häufigste Form darstellt. Die überkommene For- mel, dass ein Intraokulardruck (IOD) „von über 22 mmHg gleich krank und unter 21 mmHg gleich gesund ist“, herrscht noch in zahl- reichen Köpfen vor.

Der erhöhte Augeninnendruck wird auch deswegen als Synonym für das Glaukom benutzt, da die Therapie fast ausschließlich auf ei- ne Senkung dieses Parameters ab- zielt. Doch gleich mehrere Parado- xe stehen der Gleichsetzung beider Begriffe im Weg:

> Es gibt zahlreiche Men- schen, deren Augeninnendruck über 22 mmHg liegt, die aber dennoch nie den charakteristischen Glau- komschaden mit Papillenexkavati- OPHTHALMOLOGIE

Wie das Normaldruckglaukom entsteht

Die Ergebnisse aktueller Untersuchungen zur Pathogenese der Augenerkrankung haben zu neuen Thesen über die Schädigung des Sehnervs geführt. Entscheidend ist die Kompartimentierung des Liquors um den Nervus opticus.

Fotos:Pharmacia

Der Verlauf des unbehandelten Glaukoms:Gesichtsfeld und Augenhintergrund beim gesunden Auge (oben), bei beginnendem (Mitte) und fortgeschrittenem Glaukom (unten)

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A1962 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 3819. September 2008

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aus, um eine Pathogenese zu er- klären, die oft völlig unabhängig vom Augeninnendruck zu sein scheint?

Die vorherrschende Lehrmei- nung geht bei der Schädigung der Axone von einem Prozess aus, der an den retinalen Ganglienzellen be- ginnt und den Sehnerv entlang bis in dessen retrolaminare Anteile fort- schreitet. Jedoch: Das scheinbar so glaukomtypische Schadensbild mit Papillenexkavation und -atrophie sieht man ophthalmoskopisch auch bei Krankheitsbildern, die nichts mit intraokularem Druck und intra- okularer Hämodynamik zu tun ha- ben, wie bei der anterioren ischämi- schen Optikusneuropathie und der kompressionsbedingten Optikusneu- ropathie.

Entzündungsmediatoren im Liquor des Nervus opticus In diesen Fällen liegt die Ursache nicht im, sondern hinter dem Auge.

Könnte es sein, dass auch beim Nor- maldruckglaukom das pathologische Geschehen von den hinter dem Bul- bus gelegenen Anteilen des Seh- nervs seinen Ausgang nimmt, in Richtung Augapfel fortschreitet und dort die Axone schädigt – also als letzten und nicht als ersten Schritt des Krankheitsprozesses?

Eine Arbeitsgruppe zweier Schwei- zer Augenkliniken und des Wilmer Ophthalmological Institutes an der John-Hopkins-Universität in Balti- more/USAist dieser Hypothese nach- gegangen und hat jetzt erstaunliche Befunde und Argumente zusam- mengetragen, die das Bild des Glau- koms im Allgemeinen und vom Normaldruckglaukom im Besonde- ren revolutionieren könnten (Clini- cal and Experimental Ophthalmolo- gy 2008; 36: 308–11). Ausgangs- punkt dieser Forschungen ist die einzigartige morphologische Struk- tur des Nervus opticus.

Im Gegensatz zu den anderen elf Hirnnerven ist er weniger ein Strang von Nervengewebe als vielmehr ein Hirnfaszikel, der nicht intrakranial, sondern durch die Orbita verläuft.

Ein weiterer Unterschied gegenüber den anderen Hirnnerven: Der Nervus opticus ist auf seiner ganzen Länge von Dura mater, Pia mater und vor al- lem Liquor cerebrospinalis umge-

ben. Die lange vorherrschende An- nahme, dass Liquor ungehindert und gleichmäßig durch alle von ihm ein- genommenen Kompartimente (Ven- trikel, Zisternen und Subarachnoi- dalraum) kommuniziert, ist in jüngs- ter Zeit widerlegt worden.

Liquorentnahmen aus dem Spi- nalkanal und dem subarachnoidalen Raum des Sehnervs zeigen eine Differenz der Konzentration des Proteins L-PGDS (eine vorwiegend im Liquor vorkommende Prosta- glandinsynthase) um bis zu 400 Pro- zent – ein Beweis dafür, dass die postulierte Homogenität zwischen allen Liquorräumen nicht existiert.

Derartige Konzentrationsdifferen- zen zwischen dem Sehnerv und an- deren Liquorräumen sind vor allem bei einer Probandengruppe entdeckt worden: bei Patienten mit Normal- druckglaukom.

Diese neueren Untersuchungen, so erklärt Prof. Hanspeter E. Killer von der Augenklinik des schweize- rischen Kantonsspitals Aarau, deu- teten darauf hin, dass beim Normal- druckglaukom (ebenso übrigens wie beim Pseudotumor cerebri) ein eige- nes Liquorkompartiment im Seh- nerv vorliege, das von anderen Li- quorräumen nicht ohne Weiteres zu erreichen sei. So konnte ein spinal injiziertes Kontrastmittel (Iopami- dol) bei diesen beiden Krankheits- bildern nicht in den subarachnoida- len Raum des Sehnervs vordringen.

Der Liquor des Sehnervs weist in diesen Fällen eine abnormale Zusam- mensetzung auf, dessen biologisch aktive Komponenten zu entzündli-

chen Veränderungen führen, die ei- ne erhöhte Expression von MHC-II- Zellen, Tumor-Nekrose-Faktor-alpha und Endothelin zur Folge haben.

Die Bedeutung des Liquors für die Ernährung des Sehnervs wie auch für seine „Reinigungsfunktion“ wird sofort klar, wenn man bedenkt, dass im Normalfall der gesamte Liquor bis zu dreimal täglich erneuert wird. Ei- ne abnormale Liquorzusammenset- zung als Folge der Kompartimentie- rung hingegen könnte zu Schädigun- gen an den Axonen der Sinneszellen des Sehnervs, seiner Astrozyten und Mitochondrien führen sowie seine Blutversorgung hemmen. Klinisch sichtbares Zeichen eines solchen Pro- zesses wäre die Exkavation des Seh- nervs als Folge des Zelluntergangs, funktionelle Folge der beginnende und progressive Gesichtsfeldausfall des Patienten. Mit anderen Worten:

der Glaukomschaden.

Das Normaldruckglaukom ist nicht der einzige Krankheitsprozess mit einer reduzierten Liquorzirkula- tion – eine solche kann nachweislich auch Erkrankungen des Zentralner- vensystems wie Hydrozephalus und Alzheimer ungünstig beeinflussen.

An der Therapie des NTG und anderer Glaukome wird sich zu- nächst nichts ändern. „Wir schlagen damit keineswegs vor, von dem Bemühen um eine Senkung des er- höhten Augeninnendrucks abzulas- sen“, warnt Killer, „aber die Suche nach zusätzlichen pathophysiolo- gischen Mechanismen sollte mit Nachdruck betrieben werden.“ I Dr. med. Roland Gerste

THESE: AUTOIMMUNERKRANKUNG

Das Glaukom war ein zentraler Dis- kussionspunkt auf dem 106. Kon- gress der Deutschen Ophthalmologi- schen Gesellschaft (DOG) in Berlin.

Wie Prof. Dr. med. Norbert Pfeiffer (Universitätsaugenklinik Mainz) be- richtet, könnte es sich hierbei um eine Autoimmunerkrankung handeln, bei der Antikörper die körpereigenen Strukturen des Auges schädigen.

Möglich sei jedoch auch, dass die An- tikörper nicht Auslöser, sondern Folge der Erkrankung sind, was in weiteren

Studien untersucht werden soll. „In je- dem Fall könnten die Antikörper künf- tig als Biomarker zum Einsatz kom- men. Nur eine effektive Frühdiagnos- tik kann eine Erblindung beim Glau- kom verhindern“, so Pfeiffer. „Mit den derzeitigen Mitteln erkennen wir die Krankheit erst, wenn der Patient schon etwa zehn Jahre an ihr leidet.

Dann ist jedoch bereits die Hälfte der Nervenzellen abgestorben.“ In Deutschland sind etwa eine Million Menschen vom Glaukom betroffen.

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