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Archiv "Ärztenetze und Integrierte Versorgung: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit" (23.03.2012)

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A 576 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 12

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23. März 2012

ÄRZTENETZE UND INTEGRIERTE VERSORGUNG

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Ärzte haben durchweg hohe Erwartungen, wenn sie sich in Netzen organisieren und an der integrierten Versorgung teilnehmen. Doch nicht immer werden alle Ziele erreicht, wie eine empirische Untersuchung der Technischen Hochschule Mittelhessen zeigt.

Sven Keller

S

eit langem werden integrierte Versorgungsstrukturen (IV) als Bestandteil eines zukunftswei- senden Gesundheitssystems be- trachtet. Im Rahmen einer An- schubfinanzierungsphase wurden in den Jahren 2004 bis 2008 insgesamt 6 407 IV-Verträge bei der für die Evaluation zuständigen Bundesge- schäftsstelle für Qualitätssicherung gemeldet. In knapp zwei Drittel dieser Verträge waren niedergelas- sene Vertragsärzte als wesentliche Partner beteiligt, die wiederum vor- wiegend in Arztnetzen organisiert waren. Danach wurden allerdings kaum noch neue Verträge abge- schlossen. Um die Sichtweise von Arztnetzen im Hinblick auf IV- Strukturen analysieren zu können, wurde am Fachbereich Wirtschaft der Technischen Hochschule Mit- telhessen eine empirische Untersu- chung durch geführt. Daran wirkten 150 Teilnehmer aus zahlreichen Netzen mit.

Überwiegend Haus- und Fachärzte beteiligt

Unter den Befragungsteilnehmern waren zu 45 Prozent Hausärzte und zu 37 Prozent Fachärzte vertreten.

Bei 15 Prozent war (hauptsächlich wegen Mehrfachnennungen) keine eindeutige Zuordnung zu einer Fachgruppe möglich, drei Prozent waren Nichtmediziner. Im Hinblick auf die Organisationsstruktur der Netze wurden folgende Aspekte un- tersucht:

Mitgliederzahl

Dauer des Bestehens

Rechtsform

Zusammensetzung der Netz- führung sowie

Existenz eines Netzbüros und dessen Mitarbeiterzahl.

Die Antworten zur Mitglieder- zahl erlaubten eine Trennung zwi- schen kleinen (≤ 49 Mitglieder, 24 Prozent der Teilnehmer), mittelgro- ßen (50 bis 150 Mitglieder, 42 Pro- zent der Teilnehmer) und großen Netzen (> 150 Mitglieder, 28 Pro- zent der Teilnehmer). Die übrigen Befragten machten keine Angaben zur Netzgröße.

Die meisten Netze (43 Prozent) wurden während der Anschubfinan-

zierungsphase gegründet. Nur 15 Prozent der Teilnehmer kamen aus älteren Netzen, die übrigen waren aus Netzen mit einem Alter von höchstens drei Jahren.

Beinahe die Hälfte der Befrag- ten (46 Prozent) war in Genossen- schaften organisiert. Eingetragene Ver eine (18 Prozent) sowie Ge- sellschaften bürgerlichen Rechts (elf Prozent) folgten mit deutli- chem Abstand. Weitere Gesell-

Foto: Vario Images

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23. März 2012 A 577 schaftsformen (GmbH, GmbH &

Co. KG sowie AG) hatten jeweils weniger als zehn Prozent der Nen- nungen. Die Größe der Führungs- mannschaft korreliert mit der Mit- gliederzahl und bewegt sich zwi- schen vier und sechs Personen.

Nichtmediziner sind vor allem in der Leitung mittelgroßer und gro- ßer Netze mit je einer Person ver- treten.

In mehr als 80 Prozent der Fälle wickelt ein zentrales Netzbüro das operative Tagesgeschäft ab. Hier werden im Durchschnitt drei Perso- nen beschäftigt.

Oberste Priorität: Austausch mit den Kollegen

Die Ausgestaltung des Zielrahmens bildet eine wesentliche Grundlage für eine erfolgreiche Netzarbeit.

Daher wurden die Befragungsteil- nehmer gebeten, ihre persönliche Gewichtung bezüglich eines vorge- gebenen Katalogs von Zielen anzu- geben. Parallel dazu sollte jeweils die Umsetzung im eigenen Netz be- wertet werden. Für jedes Ziel er- folgte die Bewertung auf einer Ska- la von 1 (unbedeutend) bis 5 (sehr wichtig).

Bei allen Zielen stimmten deut- lich mehr als 50 Prozent der Teil- nehmer zu, dass diese einen min- destens hohen Stellenwert haben, das heißt jeweils der Kategorien 4 oder 5 zugeordnet werden. Oberste Priorität haben der Informations- austausch mit Kollegen sowie die Bildung einer politisch beziehungs- weise wirtschaftlichen Interessen-

vertretung. Danach folgen dicht zusammen die Generierung von Zusatzeinnahmen , höhere Quali- tätsstandards sowie eine bessere Organisation der medizinischen Versorgung und die Organisation von Fortbildungsmaßnahmen. Trotz eines gewissen Abstands haben die gemeinsame Vermarktung des ärzt- lichen Leistungsangebots sowie die Erschließung von Kostensenkungs- potenzialen noch bei circa 60 Pro- zent der Befragten einen mindes- tens hohen Stellwert.

Im Gegensatz zu den Erwartun- gen liegt die praktische Umsetzung der Ziele in nahezu allen Bereichen sehr deutlich zurück. Selbst beim wichtigsten und vermeintlich ein- fach zu realisierenden Ziel des In- formationsaustauschs mit den Kol- legen bewerten nur 36 Prozent des- sen Umsetzung mit gut oder besser.

Auffällig ist hier eine größere Zu- friedenheit bei kleineren Netzen, bei denen der direkte persönliche Kontakt zwischen den Mitgliedern entscheidend sein dürfte. Lediglich im Hinblick auf die Organisation von Fortbildungsmaßnahmen lie- gen Wunsch und Wirklichkeit eng beieinander.

Die Zufriedenheit bezüglich Zu- satzeinnahmen ist bei allen Netz- größenklassen etwa gleich hoch.

Auffällig ist die Tatsache, dass die Bewertung einer Qualitätsverbesse- rung der medizinischen Versorgung mit zunehmender Netzgröße gerin- ger wird.

Bei älteren Netzen ist tendenziell ein höheres Niveau der Zielerrei-

chung zu verzeichnen, insbesonde- re bei solchen, die seit mehr als zehn Jahren existieren.

Bessere Teamarbeit auch im eigenen Netz

Im Rahmen der Bewertung von IV- Maßnahmen im eigenen Netz wur- den folgende Aspekte betrachtet:

Stellenwert typischer Merk- male von IV-Projekten

Bedeutung von Kooperations- partnern

Inhalte abgeschlossener Se- lektivverträge sowie

eventuelle Hinderungsgründe für den Vertragsabschluss.

Der Stellenwert einzelner Aspek- te von IV-Projekten im eigenen Arztnetz wird in Grafik 1 zusam- menfassend dargestellt.

Auch im eigenen Netz hat die Verbesserung der Teamarbeit mit Kollegen den höchsten kumulierten Stellenwert (Zustimmungsgrad 4 oder 5). Den höchsten Einzelwert hat dagegen das Ziel, überhaupt Di- rektverträge mit Krankenkassen ab- zuschließen (37 Prozent). 61 Pro- zent stimmen in hohem Maße der These zu, dass IV-Verträge notwen- dig zur eigenen Zukunftssicherung sind. Ähnlich wichtig wird die Er- reichung einer qualitativ besseren medizinischen Versorgung bewer- tet. Erkennbar dahinter zurück liegt die Bedeutung finanzieller Vorteile durch Pauschalvergütungen.

Im Vergleich zu den übrigen Zie- len hat die Kooperation mit Kran- kenhäusern einen geringeren Stel- lenwert – obwohl eine Verzahnung des ambulanten und stationären Sektors eines der Hauptziele der in- tegrierten Versorgung darstellt. Die- se ablehnende Haltung stammt weit- gehend von Fachärzten. Im Rahmen einer expliziten Bewertung der für wichtig erachteten IV-Kooperati- onspartner stehen dagegen Kran- kenhäuser eindeutig im Vordergrund (70 Prozent). An zweiter Stelle wer- den die Pflegedienste genannt. Auch Physiotherapeuten werden als wich- tige Partner (57 Prozent) bewertet.

Rehakliniken, Apotheken sowie Sa- nitätshäuser haben dagegen deutlich geringere Bedeutung.

Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass im eigenen Netz bereits

0 20 40 60 80 100

11 13 13 25 37

5 7 18 33 36

12 9 18 25 36

5 11 23 30 30

10 15 25 25 25

9 19 30 29 13

„

0 (k. A.)

„

1 (niedrig)

„

2

„

3

„

4

„

5 (hoch)

GRAFIK 1

Stellenwert einzelner IV-Aspekte im Netz (Angaben in %; n = 150)

Direktverträge mit Krankenkassen verbesserte Teamarbeit

mit Kollegen Notwendigkeit zur eigenen Zukunftssicherung/Berufsausübung

qualitativ bessere Versorgung finanzielle Vorteile durch

Pauschalvergütung engere Kooperation mit Krankenhäusern

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23. März 2012 mindestens ein Direktvertrag abge-

schlossen wurde. Diese Angaben stammen meist aus mittelgroßen oder großen Netzen, die oft wäh- rend der Anschubfinanzierung ge- gründet wurden. Eine Klassifizie- rung der Antworten ergab, dass es sich meist um Verträge mit konkre- tem Diagnosebezug (46 Nennun- gen) handelt. Weitere 18 der Be- fragten gaben an, therapiebezogene Vertragsinhalte (über Medikamen- te, Hilfsmittel, Pflege oder ambu- lantes Operieren) vereinbart zu ha- ben. In acht Fällen handelt es sich um fachgruppenbezogene Verträge.

In zwölf Fällen wurden jeweils ein- malige Inhalte genannt.

Die BKKen sind zu IV-Konzep- ten am häufigsten bereit. Deren Be- teiligung wurde 35-mal genannt.

Mit deutlichem Abstand folgten die AOKen in 23 Fällen. Jeweils mehr- fach vor kamen KKH, IKKen und BEK.

Als häufigstes Hindernis für Ver- tragsabschlüsse wurde die ableh- nende Haltung der Kostenträger (16-mal) angeführt. Bei neun Nen - nun gen wurden Probleme in der eigenen Netzstruktur erwähnt. Sechs - mal wurden Vorbereitungen oder konkrete Verhandlungen genannt.

Grundsätzlich haben die befrag- ten Ärzte eine eher positive Grundeinstellung zur IV (Grafik 2). Fast zwei Drittel sind der Mei- nung, dass durch IV eine bessere medizinische Betreuungs- und Be- handlungsqualität erreicht werde.

Jeweils gut die Hälfte ist über- zeugt, dass einheitliche Behand-

lungsstandards wichtig sind sowie dass das Gesundheitswesen durch IV-Modelle moderner wird. Zahl- reiche Netzmitglieder erwarten so- wohl kurzfristig als auch langfris- tig positive Einkommenseffekte.

Allerdings besteht bezüglich kurz- fristiger Einkommenseffekte auch nennenswerte Skepsis. Ähnlich in- different wie bei den kurzfristigen Einkommenseffekten ist die Ein- schätzung, ob durch integrierte Versorgung Kostenersparnisse er- zielbar sind. Hier sind sowohl Be- fürworter als auch Skeptiker rela- tiv zahlreich.

Im Rahmen ergänzender Anmer- kungen wurden zahlreiche Beden- ken hinsichtlich der Vielzahl mögli- cher Verträge und Sorgen vor hohem bürokratischem Zusatzaufwand so - wie daraus resultierender persönli- cher Überlastung geäußert.

Schlussfolgerungen

Die Teilnehmer der Befragung sind größtenteils Mitglieder in zumin- dest formal professionell organi- sierten und gemanagten Netzen.

Diese haben durchweg hohe oder sehr hohe Anforderungen an die Ziele der Netzarbeit. Die Zielerrei- chung bleibt dagegen deutlich hin- ter den Erwartungen zurück. Offen- sichtlich besteht in den meisten Netzen erheblicher Bedarf, An- spruch und Wirklichkeit in Ein- klang zu bringen.

Insgesamt haben circa zwei Drittel der Befragten eigene Er- fahrungen mit IV-Projekten. Sie sind häufig Mitglieder solcher

Netze, die während der Anschub- finanzierungsphase von 2004 bis 2008 gegründet wurden. Bei den beschriebenen Projekten dominie- ren Verträge mit Diagnosebezug.

Aufseiten der Kostenträger waren oder sind primär die BKKen be- teiligt. Mit Abstand folgen die AOKen. Der Abschluss neuer Ver- träge hat für die Teilnehmer hohe Priorität, erweist sich aber wegen der fehlenden Verhandlungsbe- reitschaft der Kostenträger als schwierig. Allerdings werden auch organisatorische Mängel im eigenen Netz als Hindernis gese- hen. Auch dies belegt, dass die Netze an ihrer operativen Basis arbeiten müssen.

Mehrfach belegt wurde, dass den meisten Netzmitgliedern eine quali- tative Verbesserung der medizini- schen Versorgung wichtiger ist, als die Erzielung eigener Einkom- mensvorteile. Trotz erkennbarer Sorgen vor einer unübersichtliche- ren Gesamtversorgung und zu - sätzlichem Administrationsaufwand stehen die meisten Ärzte IV-Kon- zepten positiv gegenüber.

Eine wesentliche Voraussetzung für die Fortführung oder gar Neu- auflage von IV-Projekten ist die Frage der Finanzierung. Kranken- kassen sind derzeit eher auf kurz- fristig wirksame Sparmaßnahmen fokussiert. Beteiligungsmöglichkei- ten der Industrie, die durch das Arz- neimittelmarktneuordnungsgesetz seit Anfang 2011 möglich sind, er- scheinen wegen konzeptioneller und rechtlicher Probleme kaum ge- eignet. Mit dem seit Jahresbeginn geltenden Versorgungsstrukturge- setz erhalten Arztnetze dagegen zum ersten Mal die Möglichkeit, ein eigenes Honorarvolumen mit den Kassenärztlichen Vereinigun- gen zu verhandeln. Gut organisierte Arztnetze können sich nun wenigs- tens vorsichtige Hoffnungen auf neue IV-Verträge machen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2012; 109(12): A 576–8 Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers Prof. Dr.-Ing. Sven Keller Technische Hochschule Mittelhessen Wiesenstraße 14, 35390 Gießen

0 20 40 60 80 100

31 16 52

27 23 49

35 24 40

36 23 40

23 23 53

23 11 65

„

k. A.

„

Nein

„

Eventuell

„

Ja

GRAFIK 2

Persönliche Erwartungen an IV-Verträge (Angaben in %; n = 150) bessere

Behandlungsqualität einheitliche Behandlungsstandards insgesamt moderneres Gesundheitswesen langfristig positive Einkommenseffekte

Kostensparungen insgesamt kurzfristig positive Einkommenseffekte

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