A 1016 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 18|
6. Mai 2011 Aus entwicklungsgeschichtlichemBlickwinkel dient der Schmerz dem Überleben eines Organismus, in- dem er vor Schädigung warnt. Zu- gleich ist Schmerz aber selbst po- tenziell schädlich. Im Menschen entwickelte sich statt einfacher Af- ferenz ein Schmerzsystem mit Hemmung und Erregung, dass fei- ne, aber auch extreme Modulatio- nen ermöglicht, wie zum Beispiel die stressinduzierte Analgesie des Unfallopfers. Affektives Inventar, psychosozialer Kontext, Alter und Reife beeinflussen das System Schmerz. Leiden schafft Schmerz, und Schmerz schafft Leiden – das genuine Tätigkeitsfeld des Arztes.
Wer hier helfen will, muss neben den möglichen Ursachen des Schmerzes (die lange Liste der Dif- ferenzialdiagnosen und rationale Diagnosewege) auch das „System Schmerz“ kennen, eine gute Bezie- hung zu seinem Patienten haben und sich mit den medikamentösen und nichtmedikamentösen Thera- pieoptionen auskennen.
Friedrich Ebinger hat ein Buch vorgelegt, das einem die physiolo- gischen Grundlagen ebenso nahe- bringt wie aktuelle komplexe Erklä- rungsmodelle zum Thema sowie konkrete Therapiehilfen. Das Kapi- tel „Medikamentöse Schmerzthera- pie“ ist äußerst hilfreich („einige wenige Präparate, dann aber richtig dosiert“). Besonders hervorzuheben ist der Wandel im Verständnis des frühkindlichen und fetalen Schmerzempfindens. Ein Thema, das heute sehr ernst genommen wird und dem sich das Kapitel
„Schmerztherapie in der Neonato- logie“ exzellent widmet.
Für den niedergelassenen Prakti- ker hilfreich sind auch die vielen Gedanken zur Entwicklung eines chronischen Schmerzes, zu „Habi- tuation“ versus „Sensibilisierung“
und zur Rolle der Eltern, die mit ih- rem regulierenden Verhalten so- wohl stabilisierend als auch verstär- kend wirken können. Ähnliches lässt sich auch zur Rolle des Arztes sagen: Wann befördere ich mit im- mer weiterer Diagnostik eine Chro- PÄDIATRIE
Konkrete Therapiehilfen
nifizierung, wann darf ich mit der Suche nach organischer Ursache aufhören? Um die lästige Liste der Differenzialdiagnosen kommt man nicht herum. Das Kapitel über tho- rakale Schmerzen gleicht einer sol- chen Liste.
Etwas befremdlich mutet das Kapitel über „Physikalische Thera- pie und Physiotherapie“ an. In der Einleitung befinden sich Sätze wie:
„Erst mit der Aufklärung löste sich die wissenschaftliche Medizin zu- nehmend von magisch-religiösen Vorstellungen. Aber auch heute noch ist der psychotherapeutische Aspekt, der durchaus den Placebo- effekt einschließt, eine in der physi- kalischen Medizin nicht zu ver- nachlässigende Größe.“ Was meint der Autor? Geht es um den heilen- den Effekt der bloßen Hinwendung des Therapeuten? Hinwendung ist aber nicht Psychotherapie. Geht es um Hokuspokus, um eine Art Frei- brief für verschiedenste nicht evi- denzbasierte Behandlungsmetho- den? Auch ein Beispiel desselben Kapitels macht ratlos: Ein Kind mit Nackenschmerzen, die durch eine eingeschränkte Beweglichkeit der Lisfranc’schen Gelenklinie mit konsekutiver Verlagerung des Kör- perlots hervorgerufen werden? Das Lisfrancgelenk oder Tarsometatar- salgelenk gehört zu den Amphiar- throsen, den straffen Gelenken, die per se nur sehr geringe Bewegun- gen zulassen.
Unter dem Strich kann man die- ses von vielen unterschiedlichen Autoren geschriebene Buch mit Ge- winn lesen. Elmar Höffer-Belitz Friedrich Ebinger (Hrsg.): Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen. Ursachen, Diagnostik und Therapie. Thieme, Stuttgart, New York 2011, 305 Seiten, gebunden, 79,95 Euro ch Ebinger (Hrsg.):Schmerzenbei Hier werden die Berufsverbände
ambulant tätiger Operateure damit zitiert, dass Honorare für das am- bulante Operieren „gedeckelt“
würden, obwohl sie „viel kosten- günstiger als in Krankenhäusern“
erbracht würden. Wir teilen die Einschätzung der Berufsverbände ambulant tätiger Operateure, dass das ambulante Operieren aus- kömmlich finanziert werden muss und dass es gefördert werden soll- te. Zurückgewiesen werden muss aber, dass grundsätzlich kosten- günstiger als in Krankenhäusern operiert wird. Ein einfacher Preis- vergleich wird der Sache nicht ge- recht. Bei der häufigsten aller Ope- rationen, der Katarakt-Operation, werden weit über 90 Prozent der Operationen ambulant erbracht.
Bei den relativ wenig verbliebenen stationären Patienten aber handelt es sich um solche, die schwere Grunderkrankungen aufweisen, die stationärer Betreuung bedürfen oder die zum Beispiel nur ein gutes Auge haben, weil das andere am- blyop, also schwachsichtig ist, was in Deutschland für circa vier Pro- zent der Bevölkerung zutrifft.
Wünschenswert wäre eine statio- näre Betreuung auch für Patienten, die keine ausreichende häusliche Unterstützung haben, um zur am- bulanten Operation gehen zu kön- nen (ambulare = gehen!). Schließ- lich ist die stationäre Vergütung noch nicht einmal so hoch: Wäh- rend die DRG 1 549,42 Euro vor- sieht, wird in der Regel nur ein Tag der Verweildauer anerkannt, was zu einem Erlös von 1 161,28 Euro führt, egal wie die Grunderkran- kungen ausgeprägt sind, ob Nar - kose notwendig und eine postope- rative Intensivbettüberwachung angezeigt ist. Insofern leisten Krankenhäuser einen wertvollen Beitrag zur Versorgung von Kata- rakt-Patienten, insbesondere dann, wenn sie sowohl ambulante als auch stationäre Operationen vor- halten und individuell für den ein- zelnen Patienten richtig anbieten können.
Univ.-Prof. Dr. med. Norbert Pfeiffer, 1. Vorsitzender des Verbandes ophthalmologischer Lehrstuhlinhaber, Direktor der Augenklinik und Po- liklinik, Universitätsmedizin Mainz, 55131 Mainz