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ei pränatal diagnostiziertem Down-Syndrom wird in mehr als 90 Prozent der Fälle ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen. Darauf wies der Vor- sitzende der Deutschen Bischofskon- ferenz, Bischof Dr. Karl Lehmann, Mitte Mai vor Journalisten in Bonn hin. Eine Umfrage unter Humange- netikern habe ergeben, daß bereits 18 Prozent das Geschlecht des Kindes als einen Grund für eine Abtreibung an- sehen. Die Frage, ob sie selbst eine Abtreibung vornehmen lassen wür- den, wenn ihr eigenes ungeborenes Kind eine schwere Spina bifida auf- weise, hätten 90 Prozent der Human- genetiker bejaht. Diese Beispiele be- legten, so Lehmann, „daß anschei- nend eine latente Bereitschaft zu prä- nataler Selektion durch Abtreibung sowohl in der Durchschnittsbevölke- rung als auch bei einer wachsenden Zahl von Fachvertretern besteht“.Auf diese Entwicklung aufmerk- sam zu machen und ihr entschieden entgegenzusteuern sei Aufgabe der Kirchen, betonte auch der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD), Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt: „Wenn Men- schen nicht mehr Geschöpf sein wol- len, sondern sich selbst zum Schöpfer machen, dann überschreiten sie die ih- nen als Geschöpf gesetzten Grenzen.“
Grundsätzlich wird von beiden Kirchenvertretern in der anläßlich der „Woche für das Leben“ gemein-
sam herausgegebenen Schrift die prä- natale Diagnostik begrüßt. In vielen Fällen diene sie den Lebens- und Ge- sundheitsinteressen des Ungebore- nen und verbessere seine Chancen:
Die pränatale Diagnostik „kann den
Entschluß zu einem Kind auch in Fäl- len einer Risikoschwangerschaft er- leichtern; in rund 97 Prozent der Fälle können die Eltern von einer monate- langen Angst befreit werden, ein Kind mit einer Chromosomenstörung zu bekommen“. Es könne außerdem verhindert werden, daß Schwanger- schaften aufgrund bloß befürchteter Schädigungen abgebrochen werden.
Den Chancen der pränatalen Diagnostik stünden jedoch auch zahl- reiche Risiken gegenüber, befürchten die Kirchen in ihrem „Gemeinsamen Wort“. So könne „bei einer unkon- trollierten Verbreitung pränataler Diagnostik und ihrer routinemäßigen Nutzung nicht ausgeschlossen wer- den, daß sich die Bewertung von Krankheit und Behinderung sowie das Verständnis von ,Normalität‘ ver- ändern und sich schleichend eine Dis- kriminierung von Menschen mit be- stimmten genetischen Merkmalen durchsetzt“, heißt es in dem Kirchen- papier. Es werden deshalb mehrere Grundsätze für einen verantwor- tungsbewußten Umgang mit pränata- ler Diagnostik formuliert:
1 Verbrauchende Forschung an Embryonen ist nicht zu rechtfertigen.
1 Eine wertorientierte Bera- tung kann und soll die Entscheidungs- fähigkeit der Ratsuchenden verbes- sern.
1 Das Zusammenleben mit Be- hinderten oder kranken Menschen gehört auch künftig zur gesellschaftli- chen Wirklichkeit. Deshalb müssen Hilfen für Behinderte auch künftig von der Solidargemeinschaft getragen werden. „Eugenischen Tendenzen ist entschieden und nachdrücklich zu wi- dersprechen und zu widerstehen.“
1 Bei der prädiktiven Diagno- stik ist die Wahrung folgender Prinzi- pien ausschlaggebend: die Freiwillig- keit der Inanspruchnahme, das Recht auf Nichtwissen der eigenen geneti- schen Ausstattung und damit auch das Recht auf Selbstbestimmung, wel- che genetischen Daten über einen selbst erhoben werden. Unerläßlich ist die Wahrung der Vertraulichkeit der Diagnosen.
In einem Anhang des „Gemein- samen Wortes“ gehen die Kirchen auf die Präimplantationsdiagnostik ein, die in Deutschland gegen das Em- bryonenschutzgesetz verstößt. „Das selektive Vorgehen ist bereits bei der Anwendung der pränatalen Diagno- stik fragwürdig. Es verschärft sich noch einmal bei der Anwendung der Präimplantationsdiagnostik, die al- lein auf die Selektion von menschli- chem Leben ausgerichtet ist“, geben die Kirchen zu bedenken. Sie fordern eine rechtliche Regelung dieses Be- reiches. Gisela Klinkhammer A-1485 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 22, 30. Mai 1997 (33)
T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE