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Archiv "Zur Epikutan-Testung von Amalgam: Diskordante Testreaktionen zu erwarten" (20.03.1998)

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Academic year: 2022

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Die Autoren weisen auf die seit einigen Jahren sehr emotional ge- führte Diskussion um das Amalgam- problem hin. Die allgemeine Verun- sicherung der Betroffenen bezie- hungsweise der möglicherweise Be- troffenen ist groß. Ich bin mit den Autoren einer Meinung, daß eine Epikutantestung auf eine Typ-IV- Sensibilisierung in vielen Fällen indi- ziert ist.

Sicher sollte diese nur von erfah- renen Allergologen durchgeführt werden.

Die Autoren, die sicher zu die- sen gehören, weisen jedoch selbstkri- tisch darauf hin, daß sie erst „im Lau- fe ihrer Untersuchungen“ auf eine Reihe falsch positiver Reaktionen aufmerksam geworden sind.

Ich bin der Meinung, daß zur Klärung von Problemfällen zwei un- abhängige Methoden zur Diagnose- sicherung herangezogen werden soll- ten, zumal die Konsequenz der Dia- gnose „Sensibilisierung auf Zahnme- talle“ sowohl aus zahnmedizinischer Sicht als auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten für die Betroffenen erheblich ist.

Die interdisziplinäre Zusam- menarbeit von Zahnärzten, Derma- tologen/Allergologen und Laborme- dizinern kann einen erheblichen Bei- trag zur Beseitigung der Verunsiche- rung in der Bevölkerung leisten und individuell die Notwendigkeit einer Amalgamsanierung klären.

Der Lymphozytentransformati- onstest (LTT), durchgeführt in ei- nem mit Zellkulturen erfahrenen Labor, ist die zur Zeit einzige ob- jektive In-vitro-Methode, um eine Sensibilisierung der Lymphozyten eines Patienten gegenüber Metallen nachzuweisen. Ein positiver Epiku- tantest, untermauert durch einen po- sitiven LTT, gibt sicher allen Betei- ligten mehr Sicherheit bei der Ent- scheidungsfindung, was im Einzelfall

für den Patienten notwendig und sinnvoll ist. Gerade bei solchen emo- tionalen Diskussionen sollten die be- teiligten Fachkollegen ihre interdis- ziplinäre Zusammenarbeit verstär- ken.

Literatur

1. Bieger WP: Immuntoxikologie der Metal- le – Labordiagnostik der Quecksilber- und Dentalmetall-Sensibilisierung. Clin Lab 1996; 42: 243–255.

Dr. med. Lutz Franke Facharzt für Immunologie und Laboratoriumsmedizin Kaiserswerther Str. 89 40476 Düsseldorf

Zu den interessanten Ausfüh- rungen der Kollegen Reinhard zur Epikutantestung mit Amalgam neh- men wir ergänzend Stellung. Amal-

game sind Legierungen von Queck- silber mit verschiedenen Metallen, im wesentlichen mit Silber, Zinn und Kupfer. Die Ausgangslegierungen (Alloys) können darüber hinaus auch weitere Metalle wie Zink, Platin, Pal- ladium, Indium oder Gold enthalten (2, 3), so daß Amalgame verschiede- ner Hersteller sowohl hinsichtlich der im Alloy enthaltenen Metalle als auch bezüglich der prozentualen An- teile der Metalle in dem Alloy deut- lich variieren können. Als Leitaller- gen der Amalgamallergie ist Queck- silber zu betrachten. In der auch von den Kollegen Reinhard zitierten Stu- die fanden von Mayenburg et al. (1) bei 96 Prozent der Patienten mit po-

sitiver Testreaktion auf Amalgam bei fünf Prozent eine Typ-IV-Sensibilisie- rung gegen Quecksilber-(II-)Amid- chlorid, Typ-IV-Sensibilisierungen ge- gen die (quecksilberfreien) Legie- rungsmetalle zeigten nur drei Patien- ten aus dem Gesamtkollektiv von 368 getesteten Patienten. Unter Berück- sichtigung dieser Zusammenhänge sind die diskordanten Testreaktionen bezüglich des untersuchten (queck- silberhaltigen) Amalgams und der (quecksilberfreien) Legierungsme- talle, die die Kollegen Reinhard zur Klärung der Frage veranlaßten, „bei welcher Testsubstanz falsch positive oder falsch negative Reaktionen vor- lagen“, nicht erstaunlich, sondern im Gegenteil bei den meisten Patienten so zu erwarten. Somit kann daraus kein Hinweis auf die unzureichende Qualität der von der Firma HAL ge- lieferten Testsubstanz abgeleitet werden.

Die Kollegen Reinhard machen im weiteren allerdings auch auf die auffällige Diskrepanz der Testresul- tate zwischen den beiden (quecksil- berhaltigen) Amalgamchargen der Firma HAL und zwischen der erstge- lieferten „alten“ Amalgamcharge der Firma HAL und einem Vergleichs- präparat aufmerksam. Sie erinnern mit Recht daran, daß auch die Testre- sultate einer etablierten Methode im- mer kritisch hinsichtlich möglicher Fehler überprüft werden sollten. Da- bei sind die kommerziellen Testsub- stanzen eine der möglichen Fehler- quellen.

Wenn im Patientenkollektiv gehäuft eindeutig irritative Reaktio- nen beobachtet werden, stellt sich unzweifelhaft die Frage, ob die Test- substanz in korrekter Konzentration oder Verarbeitung geliefert wurde.

Bei klar als allergisch eingestuften Reaktionen muß zuerst die Frage nach der klinischen Relevanz und ge- gebenenfalls der Reproduzierbarkeit der Testreaktionen gestellt werden.

Entscheidend ist daher die Korrelati- on der Testergebnisse mit dem klini- schen Befund. Es wäre aus diesem

Zur Epikutan-Testung von Amalgam

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Zu dem Beitrag von Irmtrud A. Reinhard und Dr. med. Winfried M. Reinhard in Heft 30/1997

Diskordante Testreaktionen

zu erwarten

(2)

Grund für die Leser aufschlußreich, wenn die Autoren die interessanten Testresultate nachträglich in bezug zu den klinischen Symptomen der untersuchten Patienten darstellen würden.

Literatur

1. Von Mayenburg J, Frosch PJ, Fuchs T et al.:

Mercury and amalgam sensitivity. Possible clinical manifestations and sources of contact sensitization. Dermatosen 1996, 44:

213–221.

2. Sorg T, Studer S, Lutz F: Amalgam.

Schweiz. Monatssch. Zahnmed. 1989, 99:

1164–1170.

3. Städtler P, Ebeleseder K: Amalgam. Der- matosen 1995, 43: 163–171.

Dr. med. Uwe Hillen

Prof. Dr. med. Manfred Goos

Klinik und Poliklinik für Dermatolo- gie, Venerologie und Allergologie Universitätsklinikum Essen Hufelandstraße 55

45122 Essen

Zuschrift von Dr. Lutz Franke Wir danken Herrn Kollegen L.

Franke für diese sehr konstruktiven Bemerkungen. Wir werden uns gerne näher mit dem LTT bei Metall-Ionen befassen.

Uns ist dieser Test nur im Zusam- menhang mit Arzneimittelallergien vertraut. Sollte bei Metallen die Spe- zifität und Sensitivität ähnlich gut sein wie bei allergisierenden Medikamen- ten, wäre in Grenzfällen mit dem LTT sicher eine gute Entscheidungshilfe gegeben.

Wir möchten noch anmerken, daß Beobachtungen wohl immer „im Laufe“ von Untersuchungen anfal- len. Vom ersten Kontakt mit der Test- substanz Amalgam gamma-2-frei der Firma HAL vergingen allerdings nur einige Wochen, bis wir zumindest die Hypothese formulieren konnten, daß diese Testsubstanz problematisch war.

Zuschrift von Dr. Uwe Hillen und Prof. Dr. Manfred Goos Den Kollegen U. Hillen und M.

Goos haben wir für drei wesentliche Hinweise zu danken.

In der Gold- und Silberstadt Schwäbisch Gmünd weiß man natür- lich, was eine Legierung ist und wie man dieses Wort ins Englische über- setzt. In unserer Mitteilung befaßten wir uns mit sogenannten Non-Gam- ma-2-Amalgamen, die sich gegenüber den Gamma-2-Amalgamen durch ho- he Korrosionsbeständigkeit und ein edleres Korrosionspotential auszeich- nen. Ihre Summenformel wird mit Cu6 Sn5 + Ag3 Hg4 angegeben. Es sind heute eine Reihe verschiedener Non-Gamma-Amalgame verfügbar, die sich besonders durch ihre Kup- fer/Silber-Relationen unterscheiden (1). Verunreinigungen mit anderen Metallen sind bei diesen Legierungen nicht bekannt.

Die Autoren haben scharfsinnig eine mißverständliche Formulierung entdeckt. Unsere Untersuchungen gehen ja von einer Beobachtungsdif- ferenz der Amalgampräparation der Firma HAL und des in der Praxis verwendeten Amalgampräparates ei- nes anderen Herstellers aus. Bei bei- den Testpräparaten handelt es sich um Non-Gamma-2-Amalgam-Präpa- rationen zur Epikutantestung. Nur unter diesem Bezug konnte die Fra- ge, welche der beiden Präparationen die falsche oder richtige Information vermittelt, in einem logischen Zusam- menhang gesehen werden.

Es hätte also formuliert wer- den müssen, „bei welcher der bei- den Amalgam-Testsubstanzen“ (an- statt „bei welcher Testsubstanz“)

„falsch positive oder falsch negative Ergebnisse vorlagen“. Bei den Legie- rungsmetallen fehlen solche Unter- schiede, was auch den Tabellen und der zitierten Literatur zu entnehmen ist. Formal ist die Schlußfolgerung der Autoren natürlich korrekt. Wir bedauern, daß, durch unseren For- mulierungsfehler bedingt, die Auto- ren erst auf einem „Umweg“ zur ei- gentlichen Diskrepanz der Testresul- tate kommen, und danken ihnen sehr für ihre Bestätigung, daß auch eta- blierte Testmethoden einer ständig kritischen Überprüfung bedürfen.

Die Frage nach der klinischen Relevanz unserer Ergebnisse bringt uns unzweifelhaft in Verlegenheit.

Nicht etwa, weil wir uns nicht gerne mit diesem eminent wichtigen Pro- blem befassen. Im Gegenteil.

Wir glauben, daß sich gerade der Allergologe ohne grundsätzlichen Einbezug der Relevanzfrage bei sei- nen Ergebnissen auf die Bedeutung eines Analysegerätes reduziert. Aber woher nehmen wir zunächst die Sym- ptome? Die in unserer Einleitung er- wähnten, bisher als zumindest amal- gamassoziiert anerkannten Sympto- me fehlten bei unseren Patienten.

Die als Begründung für den Amal- gamtest angegebenen Symptome wa- ren zu variabel und spiegelten den in- zwischen ja bekannten Katalog der sogenannten Amalgamkrankheit wi- der.

Wir haben daher auch bewußt auf die Darstellung dieser Beschwer- den verzichtet. Hätten wir uns aber doch mit diesen Symptomen befas- sen wollen, wären wir auf das Dilem- ma des negativen Amalgamtests ge- stoßen. Wir waren spätestens nach der Rücknahme des alten Amalgam- Testpräparates überzeugt, daß die Ergebnisse mit der von uns benutz- ten Testpräparation korrekt waren, zumal auch Quecksilberamidchlorid bei allen Patienten keine Reaktionen zeigte. Ein Blick auf die Tabellen läßt das sofort erkennen. Eine Betrach- tung der klinischen Relevanz falsch positiver Reaktionen mit einer Reihe unspezifischer Symptome sollten wir aber dem Leser ersparen. Es bliebe noch die Frage zu klären, ob das Test- präparat der Firma HAL wirklich un- tauglich war.

Die große Zahl irritativer und falsch positiver Reaktionen gegen- über der als Praxisstandard verwen- deten Amalgampräparation war ekla- tant. Neben telefonischen und schrift- lichen Bestätigungen durch Kollegen liegt uns ferner eine Mitteilung von Herrn Prof. Dr. med. dent. D. Herr- mann aus Berlin vom 11. August 1997 vor, derzufolge K. P. Peters im Jahre 1995 im Rahmen einer Epikutan-Te- stung bei der Amalgam–Testsubstanz der Firma HAL in „zirka 50 Prozent der getesteten schwachen Erytheme, teils mit Infiltration bei den Ablese- zeitpunkten 48 und 72 Stunden“ regi- striert hatte.

Die Untersuchungen wurden im Vergleich zu der von uns verwendeten Präparation durchgeführt. Gleichzei- tige Reaktionen auf diese Präparation traten nicht auf. Wir sehen unsere Be-

Schlußwort

(3)

obachtungen durch dieses Ergebnis untermauert.

Wir erlauben uns im Zusammen- hang mit dem „Amalgamsyndrom“

mitzuteilen, daß kürzlich bei einer Patientin ein bis zwei Monate nach ei- ner Amalgamsanierung und einer großzügigen Versorgung des Gebis- ses mit Goldfüllungen und Jacketkro- nen gegenüber kunststoffversorgten

Zähnen im Molarbereich lichenoide Schleimhautreaktionen an den Kon- taktstellen mit der Wangenschleim- haut aufgetreten sind. Auch in den Interdentalräumen im Oberkieferbe- reich fanden sich solche Reaktionen zwischen kunststoffversorgten Zäh- nen. Diese Veränderungen beste- hen zwischenzeitlich nun seit zwei Jahren. Sollte auf die „Amalgamepi-

sode“ nun bald eine „Kunststoff- epoche“ folgen?

Literatur

Rithe P: Kariesprophylaxe und konservieren- de Therapie. Farbatlanten der Zahnmedizin.

Thieme Verlag, 1988; 140–143.

Dr. med. Winfried M. Reinhard Kornhausstraße 3

73525 Schwäbisch Gmünd

Dem Verfasser geht es um die Einbeziehung sozialer Aspekte in epidemiologische Untersuchungen komplexer Erkrankungen. Er votiert gegen „überhandnehmende Aus- richtung auf die Erfassung von Risi- kofaktoren“ und spricht sich für die Aufnahme „qualitativer, sozialer Anamnesen“ aus. Dagegen ist grund- sätzlich nichts einzuwenden, solange nicht davon ausgegangen wird, daß komplexe Erkrankungen, die eine Fülle von sozialen Aspekten be- rühren, auch zwangsläufig eine kom- plexe Ursache haben müssen.

Irreführend beginnt der fachli- che Teil mit der Berechnung, daß bei möglicher Heilung aller Krebsarten Menschen über 65 Jahren 1,4 Jahre älter und unter 35 Jahren ein halbes Jahr älter würden. Würde der Autor dies unter seinem Thema „Präventi- on“ betrachten, so muß er davon aus- gehen, daß eine erfolgreiche Krebs- prävention auch zur Vorbeugung ei- nes erheblichen Anteils von Herz- Kreislauferkrankungen führen wür- de, da beide zweifellos komplexen Krankheitsbilder zumindest partiell eine gleiche Ursache haben: das Ta- bakrauchen. Unter Berücksichtigung dieses Faktums würde sich seine Be- rechnung deutlich ändern. Sein Plä- doyer für die Betrachtung komplexer Zusammenhänge hätte er gut auf sei- ne eigenen vorgetragenen Zahlen an- wenden können.

Auch die Tabelle über das Ernährungsverhalten ist eine willkür- liche Zusammenstellung von qualita-

tiv und quantitativ ganz unterschiedli- chen Studien, selbst wenn diese nach seiner Meinung in „über jeden Zwei- fel erhabenen Fachzeitschriften“ er- schienen sind.

Man wundert sich über Aussa- gen wie „Wer sich aus den kompli- zierten Gefährdungssituationen . . . nur auf einen Faktor konzentriert, handelt nicht nur unwissenschaft- lich, sondern verwechselt gesund- heitliche Aufklärung mit sektiereri- scher Erweckung“. Das klingt wohl- formuliert und mag sogar noch im

Hinblick auf unser begrenztes Wis- sen über präventiv wirksame Ernährungsfaktoren eine gewisse Berechtigung haben, darüber hinaus ist ein solcher Standpunkt maßlos überzogen: gerade in diesen Jahren wurde das komplexe Krankheitsbild der Kinderlähmung (neben vielen anderen Beispielen aus der Vergan- genheit) durch die Konzentration auf einen Faktor (Schutzimpfung) praktisch zur Ausrottung gebracht.

Gleichzeitig wissen wir, daß präven- tive Programme, die sich auf einen Faktor – die Vermeidung des Tabak- rauchens – ausrichten, eine wesentli- che Reduktion zum Beispiel des Lungenkrebs- und des Herzinfarkt- risikos bewirken können.

Bei seinen Ausführungen über

„kreuzzugartige Feldzüge mit zwang- hafter Zensur“ beim Passivrauchen

läßt der Autor schließlich die Katze aus dem Sack. Diese kreuzzugarti- gen Feldzüge werden nach seiner Meinung auch in den zuvor erwähn- ten „renommierten amerikanischen Fachzeitschriften“ geführt, die nach seinen eigenen vorausgehenden An- gaben über jeden Zweifel erhaben sein sollen. Es heißt bei ihm weiter:

„Anstelle vernünftiger Aktivität ver- merken wir oft blinden Aktivismus von Eiferern, die für sich in An- spruch nehmen, alleine die gesund- heitspolitische Wahrheit zu besit- zen“. Sollte Herr Atteslander über- sehen, daß selbst die Tabakindustrie beim Passivrauchen – zumindest bei Kindern – auf Distanz geht? Ich zitie- re wörtlich aus einer Broschüre der Firma Reynolds International aus dem Jahre 1997 unter dem Titel

„Something in the Air – Tabakrauch in der Umweltluft: Ein echtes Pro- blem?“: „Kinder sollten Zigaretten- qualm nicht ausgesetzt werden – je jünger, desto weniger“. Dann heißt es weiter: „Es ist wahr, daß bei Kindern, die in Haushalten mit einem Rau- cher leben, häufiger Infektionen der Atemwege wie Bronchitis oder Lun- genentzündung festgestellt worden sind als bei denen, die in Nicht- raucherhaushalten aufwachsen. Sie scheinen auch verstärkt Atemwegs- symptome wie Erkältungen, Husten und Keuchen aufzuweisen.“

Die Firma sieht in diesen Ergeb- nissen allerdings weniger eine Kon- sequenz des Passivrauchens als viel- mehr des sozialen Umfelds dieser Fa- milien („Raucherhaushalte sind an- ders“). Macht es dann Sinn, davor zu warnen, daß Kinder dem Zigaretten- qualm ausgesetzt werden? Hier liegt

Prävention als Risiko?

Verharmlosung des Passivrauchens

Zu dem Beitrag von

Prof. em. Dr. phil. Peter Atteslander in Heft 39/1997

(4)

wohl wirklich eine spannende Aufga- be für einen Soziologen: Wieweit ist das soziale Umfeld der Raucherhaus- halte auch eine Konsequenz des Ta- bakrauchens? Hier liegt zweifellos wiederum ein komplexer sozialer Zusammenhang vor, der vermutlich ebenfalls durch Vermeidung eines Faktors aufgelöst würde. Nicht die Prävention, „die sich nicht aus- reichend an wissenschaftlichen Er- kenntnissen sozialen Verhaltens orientiert“ wird „selbst zum Risiko“

als vielmehr Berichte, die einfache Kausalketten in Abrede stellen wol- len, deren Resultat ein komplexes Krankheitsbild sein kann, das auch durch das soziale Verhalten beein- flußt wird.

Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult.

Harald zur Hausen

Deutsches Krebsforschungszentrum Im Neuenheimer Feld 280

69120 Heidelberg

Mit seinem Artikel möchte Herr Prof. Dr. Atteslander einen Beitrag dazu leisten, daß „eine mit vielen Konstrukten behaftete, quantitativ orientierte Epidemiologie gleichsam wieder auf die Füße“ gestellt wird.

Wir sind nicht sicher, daß dieser Zweck erreicht wurde. Dem Artikel liegen vielerlei doch etwas verein- fachte Vorstellungen von der sich unter anderem mit der Untersu- chung von Risikofaktoren befassen- den gegenwärtigen epidemiologi- schen Forschung zugrunde. Wir möchten zu zwei bedenklichen In- halten des Artikels gezielt Stellung nehmen.

Eine kürzlich von der Tabakin- dustrie in einer Werbekampagne lancierte Tabelle wird mit dem Titel

„Risiko von Ernährungsverhalten“

in dem Artikel von Atteslander weit- gehend unkommentiert übernom- men. In dieser Tabelle werden will- kürlich aus einzelnen Studien her- ausgegriffene Einzelergebnisse mit Resultaten von Metaanalysen, die viele Studien umfassen, vermischt.

Herr Atteslander folgt der irre- führenden Argumentation der Ta-

Vereinfachte Vorstellung

bakindustrie, wenn er aus der Tatsa- che, daß andere Expositionen größe- re Risiken mit sich führen, ableitet, daß Passivrauchen kein Risiko bein- haltet und damit Präventionsmaß- nahmen unnötig oder überzogen sind. Für eine kritische Bewertung der Anzeigenkampagne der Zigaret- tenindustrie sei der interessierte Le- ser zum Beispiel auf einen kürzlich im British Medical Journal (1) er- schienenen Artikel verwiesen.

Auch unsere zweite Anmerkung bezieht sich auf das Passivrauchen.

An weiteren Stellen im Artikel wird deutlich, daß der Autor die Ein- schätzung des Passivrauchens als Ri- sikofaktor und sich daraus ergeben- de Präventionsmaßnahmen für sehr fragwürdig hält. Dabei scheint der Autor zu vergessen, daß für das Pas- sivrauchen nicht nur ein etwa 20 Pro- zent erhöhtes Lungenkrebsrisiko nachgewiesen wurde, sondern auch beispielsweise akute Erkrankungen der oberen und unteren Luftwege bei Kindern (2), chronische Atem- wegserkrankungen bei Erwachsenen und andere Krebsarten (3) damit in Verbindung gebracht werden. Zu- dem ist die Exposition gegenüber Passivrauchen, im Unterschied zum aktiven Tabakkonsum, meist unfrei- willig. Wir unterstützen die These

des Autors, daß Risikofaktoren in den Kontext sozialer Bezüge gestellt werden müssen und nur eine von mehreren Grundlagen für gezielte Präventionsmaßnahmen sein kön- nen. Allerdings hilft der Artikel we- nig, den Stellenwert von Risikofak- toren zu erläutern. Zudem unter- stützt er durch unkritische Übernah- me von Argumentationsweisen der Tabakindustrie deren Bemühen, Passivrauchen als harmlos hinzustel- len.

Literatur

1. Smith GD, Phillips AN: Passive smoking and health: should we believe Philip Morris’s “expert”? Br Med J 1996; 313:

929–933.

2. Office of Health and Environmental Assess- ment and Office of Research and Develop- ment: Respiratory health effects of passive smoking: lung cancer and other disorders.

Washington DC: US Environmental Pro- tection Agency, 1992.

3. Slattery ML, Robison LM, Schuman KL, French TK, Abbott TM, Overall JC Jr., Gardner JW: Cigarette smoking and expo- sure to passive smoke are risk factors for cervical cancer. JAMA 1989; 261:

1593–1598.

Dr. med. Hajo Zeeb, MSc Prof. Dr. sc. math.

Jürgen Wahrendorf

Deutsches Krebsforschungszentrum Abteilung 345

Postfach 10 19 49 69009 Heidelberg

Es ist nicht leicht, auf Inhalte und Intentionen zu replizieren, die in mei- nem Essay gar nicht enthalten sind.

Mein Ziel war, dem praktisch tätigen Arzt im schwierigen Gebiet der Prävention eine eigene Meinungsbil- dung zu ermöglichen und ihn in sei- nem Bedürfnis nach handlungsleiten- der Epidemiologie zu unterstützen.

Beide Kritiker stimmen mir im Grundsatz zu, daß in epidemiologi- schen Untersuchungen komplexer Erkrankungen soziale Aspekte stär- ker einzubeziehen sind und daß folge- richtig eine überhandnehmende Aus- richtung auf einzelne Risikofaktoren nicht zum Ziele führt. Offensichtlich können nach der Meinung von zur Hausen komplexe Effekte auch einen einzigen Grund haben. Dies mag in einzelnen Fällen durchaus so sein. Die

Berechnung, daß bei angenommener plötzlicher Heilung aller Krebsarten 60jährige 1,4 Jahre älter würden, stammt vom renommierten Bevölke- rungswissenschaftler und Statistiker Konrad E. Taeuber (1). Seine Berech- nung Mitte der siebziger Jahre ist im Lichte der damaligen, nach der Brust- krebsoperation der Präsidentengattin Ms. Ford einsetzenden massiven Fi- nanzierung von Krebsforschung aller Art zu Lasten vieler anderer, mögli- cherweise ebenfalls sehr wichtiger medizinischer Forschungsgebiete ge- schrieben worden. Seine hypotheti- sche Berechnung wandte sich gegen die damals völlig übertriebene Hoff- nung auf rasche Erfolge in der Krebst- herapie. Irreführend waren also allen- falls die Zielvorstellungen, nicht aber Taeubers Berechnungen. In ähnlicher Weise sind dies die heute in Präventi- onskampagnen verwendeten soge- nannten „gewonnenen“ oder „verlo-

Schlußwort

(5)

renen“ Lebensjahre: Es handelt sich um statistische Artefakte, deren Wirklichkeitsgehalt zu diskutieren wäre.

Schwierigkeiten habe ich im Einfangen der Katze, die ich nach Herrn zur Hausen aus dem Sack ge- lassen hätte. Er bezieht sich auf mei- ne Hinweise auf „kreuzzugartige Feldzüge mit zwanghafter Zensur“

beim Passivrauchen. Ich maße mir keineswegs die Kompetenz an, die Schädlichkeit von Passivrauchen zu beurteilen. Dazu sind Toxikologen aufgerufen. Freilich traue ich mir bei statistischen Korrelationen und Ar- tefakten ein Urteil zu, insbesondere wenn es sich um Befragungen über soziales Verhalten von Menschen handelt.

Es ging mir um die Darstellung verschiedener sogenannter „schwa- cher Wirkungen“. Wenn wir Hans Schäfer folgen, rufen schwache Wir- kungen Krankheiten nur dann hervor, wenn mehrere Einwirkungen gemein- sam effektiv werden. Damit ist die multifaktorielle Pathogenese ange- sprochen (2). Als Nichtmediziner könnte ich Schäfers Argumentation mit zahlreichen Beispielen belegen, wenn er ausführt, daß das Risikofak- torenkonzept primär an der Inzidenz von „Katastrophen“ orientiert sei (Schäfer 1996, S. 8). Was heißt in Sta- tistiken schon „Tod durch Herzstill- stand“?

In der Tat habe ich eine Tabelle, die als „willkürlich“ abgetan wird, aus gutem Grunde übernommen, nämlich um sie zur Diskussion zu stellen. Es nützt nichts, den Botschaf- ter zu steinigen, wenn die Botschaft an sich richtig ist. Jede Wissenschaft ist Auswahl. Wichtig ist, daß diese nach wissenschaftlichen Regeln ge- schieht und nachvollziehbar ist. Es ist deshalb unrichtig zu behaupten, daß willkürlich herausgegriffene Einzel- ergebnisse gut abgesicherten Daten aus breit gestützten Meta-Analysen gegenübergestellt wurden. Herr zur Hausen hätte unschwer feststellen können, daß etwa im Falle der Veröf- fentlichung über chloriertes Trink- wasser schon aus dem Titel der Ori- ginalpublikation hervorgeht, daß es sich um eine Meta-Analyse handelt (3). Sollte mein Kritiker nicht einmal die Überschrift der Originalliteratur

gelesen haben? Die in der Tabelle als Beispiel genannten Themen schei- nen offenbar von dauernder Aktua- lität zu sein. Erst kürzlich (19. No- vember 1997) ging ein Zeitungsarti- kel durch die US-amerikanische Presse, der eindringlich vor der Ge- fahr warnte, die von den Trans- Fettsäuren in Margarine ausgeht (Verringerung des „guten“ Choleste- rin, Erhöhung des „bösen“ Choleste- rin).

Wir müssen davon ausgehen, daß sich verschiedene Noxen als Todesur- sache wechselseitig vertreten können.

Ebenso ist unbestritten, daß viele To- desursachen ein „Summationsphäno- men“ darstellen (2). Mir ging es in er- ster Linie um sinnvolle Prävention und die dafür notwendigen Grundla- gen. Es sollte in der Tat die Medi- zinalstatistik ihr Augenmerk stärker darauf richten, Krankheitsverläufe zeitbezogen, operationsbezogen und altersbezogen nach den vorliegenden Erscheinungsformen einer „vikari- ierenden“ Sterblichkeit zu betrach- ten. Dies ist leider seit Taeuber nicht geschehen. Wären meine Kritiker der Argumentation des Altmeisters der Sozialmedizin und Physiologie, H.

Schäfer, eher zugänglich? Er schreibt:

„Es wird immer wieder behauptet, bestimmte Noxen, zum Beispiel das Rauchen oder bestimmte Ernäh- rungsformen, verursachten hohe An- teile an der Gesamtsterblichkeit“

„(WHO: 500 000 Tote durch Rau- chen in Westeuropa.“ „Die Hälfte der Gewohnheitsraucher stirbt an ihrer Sucht“; Zitat Tagespresse)“. Derarti- ge Angaben sind sicher falsch: Eine Zuordnung bestimmter Todesraten zu bestimmten Verhaltensweisen ist wahrscheinlich grundsätzlich nicht möglich. Der Begriff des „vermeidba- ren Todes ist in seiner augenblicklich praktizierten Bedeutung vermutlich unhaltbar“ (2).

„Macht es Sinn, davor zu war- nen, daß Kinder dem Zigaretten- qualm ausgesetzt werden?“, fragt mich Harald zur Hausen. Ja, selbst- verständlich. Die Frage ist wie.

Gerade darum ging es mir. Wieweit das soziale Umfeld von Raucher- haushalten auch eine Konsequenz des Tabakrauchens sei? Hier wird das Pferd am Schwanz aufgezäumt.

Angenommen, die amerikanischen

Raucherverbote trügen auch in der finstersten Ecke Harlems Früchte und sie würden strikt eingehalten.

Einsparung durch wegfallenden Zi- garettenkonsum wird im Ernst an der sozialen Lage der Betroffenen nichts ändern. Verwahrlosung durch Rauchen – eine absurde Logik.

Es wäre hilfreich, wenn strin- gent nachgewiesen würde, wo ich durch „unkritische Übernahme von Argumentationsweisen“ der Tabak- industrie zu Diensten gewesen sein soll. Meine Intention ist, eine Dis- kussion öffentlich und interdiszi- plinär zu führen. Daß dies überhaupt möglich ist, ist dem Deutschen Ärz- teblatt hoch anzurechnen. Zu mei- nem größten Bedauern wird in der immer noch führenden Wissen- schaftsnation, in den Vereinigten Staaten von Amerika, seit einiger Zeit zensiert (4). Wo stünden wir, wenn Forschung, etwa von der phar- mazeutischen Industrie gefördert, nicht mehr in wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert würde und daher auch nicht öffentlich disku- tiert werden könnte.

Literatur

1. Taeuber KE in Krämer W: Wer leben will muß zahlen. Düsseldorf, 1982. 65.

2. Schäfer H: Schwache Wirkungen als Risi- kofaktoren bei der Entstehung von Krank- heiten. Springer Verlag, Berlin, Heidel- berg, New York, 1996 (Veröffentlichungen aus der Forschungstelle für theoretische Pathologie der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Supplement zu den Sitzungsberichten der mathematischen- naturwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 1995/96).

3. RD Morris et al.: Chlorination, chlorinati- on by-products, and Cancer: A Meta- analysis. Am J Public Health, 1992; 82 H (Suppl III): 955.

4. Announcement: “Upon recommendation of the Publications Policy Committee, the American Journal of Respiratory and Cri- tical Care Medicine and the American Journal of Respiratory Cell and Molecular Biology no longer will accept for review or publication manuscripts resulting from in- vestigations supported by tobacco industry funding. This policy is effective December 1, 1995. Articles that have been submitted prior to this date will be processed as for all other papers.” Alan R. Leff, Editor, Ame- rican Journal of Respiratory and Critical Care Medicine, John A. McDonald, Edi- tor, American Journal of Respiratory Cell and Molecular Biology. Am J Respiratory and Critical Care Medicine 1995; 5: 152.

Prof. em. Dr. phil.

Peter Atteslander Bellevue 29 CH-2562 Port

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