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Archiv "Milde Formen der Schilddrüsenfehlfunktion: Ursachen, Diagnostik, Vorgehen" (07.08.2006)

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M

ilde, das heißt, latente oder auch subklinische, Schilddrü- senfunktionsstörungen sind als eine laborchemische Konstellation de- finiert, bei der die Schilddrüsenhor- monkonzentrationen noch im Refe- renzbereich liegen, TSH aber oberhalb oder unterhalb desselben gemessen wird. Zusätzlich sind oft unspezifische klinische Symptome nachweisbar, die initial eine weiterführende Labordia- gnostik auslösen.

Die Diagnose beruht auf der Defini- tion eines TSH-Referenzbereichs, der in den letzten Jahren in großen Popula- tionsstudien genauer erfasst wurde. Die Ergebnisse dieser Studien haben aktu- ell zu Diskussionen über eine Neufas- sung der Referenzgrenzen für TSH ge- führt. In großen epidemiologischen Un- tersuchungen fand man Hinweise für ei- nen TSH-Normalwert, der nicht wie bis- lang üblich von 0,3 bis 4 mU/L reicht, sondern nur zwischen 0,3 und 2,5 mU/L schwankt (1, 2). Insbesondere lässt eine kürzlich publizierte epidemiologische Untersuchung an mehr als 9 000 Pro- banden aus Mecklenburg-Vorpommern

(SHIP-1-Studie) gerade für den deut- schen Raum an engere Normgrenzen denken, weil dort TSH-Spiegel zwi- schen 0,3 und 2,12 mU/L mit einem Me- dian von 1,4 mU/L angegeben wurden (2). Darüber hinaus gibt es in einer Langzeitstudie über Einwohner der englischen Kleinstadt Whickham, die über einen Zeitraum von 20 Jahren nachbeobachtet worden sind, klare Hinweise, dass sich bereits oberhalb ei- nes TSH-Basalspiegels von circa 2,5 mU/L im Laufe der Jahre häufig eine manifeste Hypothyreose der Schilddrü- se entwickelt (3). Im Rahmen dieser Langzeitbeobachtung trat in der Folge eine klinisch eindeutige Unterfunktion bei nahezu fünf Prozent der nicht vor- therapierten Teilnehmer mit einem in- itialen TSH-Grenzwert von über 2,5

mU/L, aber noch normalen peripheren Schilddrüsenhormonen auf. In ähnli- cher Weise lässt sich die Entwicklung einer manifesten Hyperthyreose aus Werten vorhersagen, die unter 0,1 mU/L TSH bei peripher normalen Schild- drüsenhormonen liegen.

Eine Veränderung der Normgren- zen von TSH, insbesondere eine Ab- senkung des oberen Grenzwertes, würde die diagnostische Vorgehens- weise und die Entscheidung zur thera- peutischen Intervention erheblich be- einflussen. Daher sollen hier Ergebnis- se diskutiert werden, die in Konsensus- konferenzen der Sektion Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Endo- krinologie und der Arbeitsgemein- schaft Schilddrüse der Deutschen Ge- sellschaft für Nuklearmedizin zur Si- cherheit der Labordiagnostik erarbei- tet wurden. Sie stellen die Charakteri- stika der klinischen Veränderungen bei milden Schilddrüsenfunktionsstörun- gen und ihre gesundheitlichen Lang- zeitkonsequenzen der Sicherheit und Effektivität der therapeutischen Maß- nahmen gegenüber.

Milde Formen der

Schilddrüsenfehlfunktion

Ursachen, Diagnostik, Vorgehen

Zusammenfassung

Eine milde, das heißt, latente oder auch subkli- nische, Hyperthyreose ist laborchemisch durch wiederholt gemessene TSH-Spiegel unterhalb des Referenzbereiches bei noch normalen Schilddrüsenhormonkonzentrationen defi- niert. Die milden Überfunktionszustände sind mit häufig uncharakteristischen klinischen Symptomen und kardiovaskulären Risiken wie Tachykardien, Vorhofflimmern, linksventri- kulärer Hypertrophie und eingeschränkter, vor allem diastolischer Funktion verbunden. Diese stellen zunehmend eine Behandlungsindikati- on dar. Dagegen ist das Morbiditätsrisiko der milden Hypothyreose weniger klar definiert.

Im Einzelfall sprechen die meist uncharakteri- stische klinische Symptomatik mit trockener Haut, Obstipation oder Kälteintoleranz schon bei normalen Schilddrüsenhormonkonzentra- tionen, aber TSH-Spiegeln oberhalb 2,5 mU/L

zwar für einen zeitlich begrenzten Therapie- versuch mit Schilddrüsenhormonen. Es fehlen bislang jedoch Daten, die eine Absenkung des bisher gebräuchlichen TSH-Referenzbereichs von 4 mU/L rechtfertigen. Zudem muss gerade bei milden Formen der Schilddrüsenunterfunk- tion die Gefahr einer Übertherapie mit Schild- drüsenhormonen berücksichtigt werden.

Schlüsselwörter: subklinische Hyperthyreose, subklinische Hypothyreose, Schilddrüse, Funk- tionsstörung, Epidemiologie

Summary

Subclinical hyperthyroidism

Mild (latent or subclinical) hyperthyroidism is characterized by suppressed TSH serum levels when circulating thyroid hormone concentra- tions are still within the reference range. These

mild forms of hyperthyroidism are associated with an increased incidence of tachycardia, ar- trial fibrillation, left ventricular hypertrophy and impaired diastolic function requiring treat- ment. Mild hypothyroidism, on the other hand, presents a less clear clinical picture. There may be uncharacteristic symptoms with dry skin, constipation or cold intolerance which may suggest a limited therapeutic trial with thyro- xine even when TSH serum levels are between 2.5 and the generally used upper limit of the reference range of 4.0 mU/L. Currently there are however no published data to confirm a benefit of the frequently proposed lowering of the upper cut-off limit of TSH of 4.0 mU/L. This seems especially important as the danger of accidental TSH suppression has been reported.

Key words: subclinical hyperthyroidism, sub- clinical hypothyroidism, dysfunction, thyroid, epidemiology

1Department of Endocrinology, Christie’s Hospital, Man- chester, Großbritannien

2I. Medizinische Klinik und Poliklinik, SP Endokrinologie (Direktor: Prof. Dr. med. Peter R. Galle), Universität Mainz

3Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin (Direktor: Prof.

Dr. med. Harald Schicha), Universität Köln

4Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin (Direktor: Prof.

Dr. med. Christoph Reiners), Universität Würzburg

Georg Brabant1 Georg J. Kahaly2 Harald Schicha3 Christoph Reiners4

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Einflüsse auf die TSH-Messung

Wenn aus der alleinigen Auslenkung ei- nes TSH-Spiegels aus der definierten Norm die Diagnose eines behandlungs- bedürftigen Krankheitsbildes resul- tiert, müssen besonders strenge Maß- stäbe an dessen Bestimmung angelegt werden und die physiologischen Ein- flüsse auf die Höhe des Spiegels genau bekannt sein.

TSH ist ein glykosyliertes Hormon, dessen Bioaktivität entscheidend von seinen Zuckerresten abhängt. Dieser glykosylierte Anteil des TSH als Maß der Bioaktivität wird in der üblichen Antikörper-abhängigen Messung des Hormons nicht berücksichtigt. Daher kann der Nachweis von immunaktivem, biologisch aber inaktivem TSH zum Beispiel bei Patienten mit hypothala- misch-hypophysärem Ausfall, zu Fehl- interpretationen führen (4). TSH-Mes- sungen werden immer auf eine interna- tionale Standardpräparation bezogen und müssen, wie eine internationale

Konsensusleitlinie fordert, mit laborei- genen Referenzbereichen an Gesunden abgeglichen werden (5).

Neben diesen methodischen Pro- blemen findet man eine Vielzahl von Einflussgrößen, die auch beim Gesun- den den TSH-Spiegel akut verändern können. So weist die TSH-Sekretion eine ausgeprägte zirkadiane und pulsatile Schwankung auf, die 30 bis 50 Prozent des Minimalwertes beträgt.

Diese Tatsache muss bei grenzwertig niedrigen Werten nach Abnahme in den Nachmittagsstunden berücksich- tigt werden (6).

Akuter Schlafentzug erhöht deutlich die basalen TSH-Spiegel, wohingegen Fasten die TSH-Serumspiegel auf etwa die Hälfte des Ausgangsspiegels senken kann (7) (Kasten 1). Chronische, schwere Allgemeinerkrankungen mit kataboler Stoffwechselfunktion im Sinne einer

„nicht thyreoidalen Erkrankung (NTI)“

supprimieren die TSH-Spiegel zum Teil vollständig. Demgegenüber können auch beim Schilddrüsengesunden in der Phase der Überwindung einer solchen

Erkrankung physiologischerweise die TSH-Spiegel auf Werte über 4 mU/L an- steigen (8). Auch Spurenelemente wie Jod und Medikamente wie Dopamin, Somatostatin, Glucocorticoide, Metoclo- pramid, Sulpirid und Sexualsteroide können die Serum-TSH-Konzentratio- nen erheblich verändern (6, 9–12).

Häufigkeit subklinischer Funktionsstörungen

Populationsstudien mit mehr als 60 000 Personen weltweit zeigen je nach Jod- angebot und Ernährungsform eine Häufigkeit zwischen ein und fünf Pro- zent einer subklinischen oder manifesten Hypothyreose in der Allgemeinbevöl- kerung. Dieser Anteil steigt auf sieben bis 26 Prozent bei über 50-Jährigen. Da- gegen liegt die Häufigkeit eines unter 0,3 mU/L supprimierten Serum-TSH- Spiegels im Sinne einer subklinischen Hyperthyreose bei 0,5 bis fünf Prozent (Tabelle). Auch hier ist die Jodversor- gung von entscheidender Bedeutung.

So wurde in der Colorado Thyroid Disease Prevalence Study bei mehr als 25 000 Personen eine Häufigkeit der Schilddrüsenüberfunktion von 0,7 Pro- zent festgestellt, wenn die Entschei- dungsgrenze für TSH bei 0,1 mU/L lag, wohingegen diese bei einer Entschei- dungsgrenze von 0,3 mU/L auf 2,1 Pro- zent anstieg (13).

In Deutschland ist die Häufigkeit der Hyperthyreose höher. Dies ist durch die höhere Frequenz von Schilddrüsenau- tonomien durch langjährigen Jodman- gel begründet. Die SHIP-1-Studie wie die Heinz-Nixdorf-Recall-Studie zei- gen eine Häufigkeit der subklinischen beziehungsweise milden Hyperthyreo- se mit Serum-TSH-Spiegeln kleiner 0,3 mU/L von 2,2 beziehungsweise 4,3 Pro- zent und eine Prävalenz einer manife- sten Hyperthyreose von circa 0,6 bis 0,7 Prozent ([2] und persönliche Mitteilung von Prof. K. Mann, Essen).

Aus diesen Populationsstudien ergibt sich ein übereinstimmender Median von circa 1,4 mU/L (14). Die daraus ab- geleiteten Referenzgrenzen stimmen ebenfalls gut überein und liegen zwi- schen 0,3 und etwa 2,5 mU/L. Alle Stu- dien zeigen, dass der Einfluss des Le-

bensalters gering ist.

´ Tabelle ´ 1

Epidemiologie der subklinischen Schilddrüsendysfunktion

Region Jahr N Häufigkeit (%)

Subklinische Hypothyreose

Finnland 1971 1 137 2

England 1977 2 779 3,3

USA 1979 344 3

Neuseeland 1979 396 1,3

Schweiz 1981 955 3,1

Stuttgart 1981 1 455 1,3

Heide 1983 396 5,2

NHANES III (USA) 2002 16 533 4,3

Mecklenburg-Vorpommern 2003 3 941 0,5

Nordrhein-Westfalen 2004 5 000 6,1

Subklinische Hyperthyreose

England 1977 2 779 3,9

Mannheim 1986 56 200 0,5

München 1986 1 100 4,7

Ungarn 1995 279 2

NHANES III (USA) 2002 16 533 0,7

Mecklenburg-Vorpommern 2003 3 941 1,8

Nordrhein-Westfalen 2004 5 000 4,3

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Symptome und Risiken der milden Hyperthyreose

Endogene Ursachen einer milden Schilddrüsenüberfunktion sind bei- spielsweise ein Morbus Basedow, eine Schilddrüsenautonomie in Einzelkno- ten oder multinodösen Strumen; exo- gene Gründe sind zum Beispiel eine Überdosierung von Schilddrüsenhor- monen oder die beabsichtigte Suppres- sionstherapie bei Schilddrüsenkarzino- men (Kasten 2).

Die Symptome einer milden Form der Schilddrüsenüberfunktion sind oft diffus. Sie vermindern aber durch die höhere Frequenz vor allem katechola- minerger Symptome, wie Palpitationen, Tremor, Schwitzen und Hitzeintole- ranz, Angst und Nervosität die Lebens- qualität. Dies ist in einer Reihe von Testverfahren nachgewiesen worden (17). Weitere Symptome sind Konzen- trationsstörungen, die möglicherweise mit der etwa dreifach erhöhten Rate für die Entwicklung einer Demenz oder einer Alzheimer-Erkrankung bei Pati- enten mit milden Schilddrüsenüber- funktionen assoziiert sein können (15).

Auslöser der Symptomatik ist eine in- dividuelle, gegebenenfalls organspezifi- sche, besondere Sensitivität gegenüber Schilddrüsenhormonen.

Die klinisch wichtigsten Symptome und Zeichen sind kardiovaskuläre Pro- bleme, die sich in Sinustachykardien, in prämaturen atrialen Schlägen, sowie in Vorhofflimmern äußern. So findet man in mehreren Studien ein erhöhtes Risi- ko des Vorhofflimmerns bei erniedrig- tem TSH im Vergleich zu euthyreoten Personen, wobei das relative Risiko bei über fünf liegt. Darüber hinaus stellt die leichte Schilddrüsenüberfunktion ein unabhängiges Risiko für Vorhofflim- mern bei Patienten mit präexistenten kardialen Risikofaktoren dar. Die mil- de Hyperthyreose erhöht die Arbeits- belastung des Herzens und führt zu ei- ner linksventrikulären Hypertrophie, zu einer eingeschränkten diastolischen Funktion und insbesondere unter Bela- stung zu Störungen der systolischen Funktion. Dies äußert sich vor allem in einer signifikant verminderten Bela- stungsfähigkeit, einer geringeren Sau- erstoffaufnahme unter Belastung und einer Veränderung der anaeroben

Schwelle. Besonders das Vorhofflim- mern und die linksventrikuläre Hyper- trophie haben eine erhöhte kardiovas- kuläre Mortalität zur Folge, wie Studi- en an über 60-Jährigen mit einem Se- rum-TSH-Spiegel von unter 0,5 mU/L bei Nachuntersuchungen über einen Zeitraum von zehn Jahren belegen (16).

Die Risiken einer manifesten Hyper- thyreose für die Entwicklung von Osteo- porose und Frakturen ist unbestritten.

Schilddrüsenhormone führen über ihren Einfluss auf das so genannte „bone remodeling“ zu einer negativen Calcium- bilanz und zu einem Verlust der Kno- chensubstanz. Hinsichtlich der milden Hyperthyreoseformen sind die Daten weniger eindeutig: zumindest vier Querschnittstudien an prä- und fünf Stu-

dien an postmenopausalen Frauen zei- gen einen verstärkten Knochenmasse- verlust, wohingegen in zwölf Studien an prä- und elf Studien an postmenopausa- len Frauen keine solchen Veränderungen erkannt wurden. Untersuchungen, die auf die exogene Gabe von Thyroxin fo- kussieren, ergaben, dass die Dosis von L- Thyroxin eine wichtige Rolle spielt. Dar- über hinaus scheint die milde Form der Hyperthyreose vor allem Skelettab- schnitte mit einem hohen Anteil an korti- kalem Knochen zu betreffen (17).

Symptome und Risiken der milden Hypothyreose

Große populationsbasierte Studien an mehr als 60 000 Personen zeigen, dass, ähnlich der milden Form der Schilddrü- senüberfunktion, auch die milde Hypo- thyreose abhängig von der Jodversor- gung ist. In gut versorgten Gegenden, wie den USA, ist der prozentuale An- teil von Hypothyreosen, besonders der subklinischen Formen, hoch und be- trägt bis zu zehn Prozent. In schlecht mit Jod versorgten Gegenden, wie es Deutschland über Jahrzehnte war, liegt der Anteil niedriger.

Zwei aktuelle epidemiologische Un- tersuchungen aus Mecklenburg-Vor- pommern beziehungsweise Nordrhein- Westfalen zeigen, dass der Anteil von manifesten und milden Formen der Hy- pothyreose in der Allgemeinbevölke- rung zwischen 0,5 und 6,1 Prozent liegt.

Die endogenen Ursachen dieser Fehlfunktion sind chronische Autoim- munerkrankungen der Schilddrüse, so- wie seltener ein Zustand nach de-Quer- vain-Thyreoiditis (Kasten 2). Zu den exogenen Gründen zählt neben der sel- ten gewordenen externen Bestrahlung des Halses vor allem die Radiojodthera- pie, wobei neue Nachuntersuchungen an Patienten mit einem solitären auto- nomen Adenom eine Hypothyreoserate von bis 60 Prozent nach zehn Jahren auf- weisen. Auch nach Operationen kann sich eine subklinische Hypothyreose aus- bilden.Medikamente wie Amiodaron,das auch Überfunktionszustände auslösen kann, sind selten Ursache einer Hypo- thyreose. Weitere medikamentös aus- gelöste Formen der subklinischen Hypo- thyreose sind nach Gabe jodhaltiger Beeinflussung der TSH-Sekretion

Erniedrigung

>Alter

>Fasten

>Mangelernährung

>Anorexia nervosa

>Schwere nichtthyreoidale Allgemeinerkrankung („non thyroidal illness“)

>Depression

>Hyperkaliämie

>Hypercortisolismus

>Medikamente: Schilddrüsenhormone, Gluco- corticoide, Dopaminagonisten, Katecholamine, Somatostatin

>Chronische Gabe von hochdosiertem Jod (> 0,5 mg/Tag), Amiodarontherapie

>Sekundäre/tertiäre Hypothyreose

>Laborprobleme: ungenügende Empfindlichkeit des TSH-Assays, Interferenz mit HCG Erhöhung

>Thyreostatika

>Akute Gabe von hochdosiertem Jod (> 1 mg), Amiodarontherapie

>Östrogene

>Dopaminantagonisten (Metoclopramid, Dom- peridon, Sulpirid)

>Psychopharmaka (Lithium, Modulatoren des Dopaminsystems)

>Hypocortisolismus – Nebenniereninsuffizienz

>Hypokalzämie

>Schlafentzug

>Erholungsphase nach schwerer Erkrankung

>HIV-Infektion

>TSH-produzierende Hypophysenadenome

>Schilddrüsenhormonresistenz

>Polymorphismen des TSH-Rezeptors oder der Dejodasen

>Anti-Maus-IgG-Antikörper gegen TSH im Serum

>Umweltfaktoren: Kälteexposition, große Höhen HCG, „human chorionic gonadotropin“

Kasten 1

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Substanzen, nach Lithiumapplikation, nach dopaminergen Substanzen oder nach Übertherapie mit thyreostatischen Medikamenten beschrieben.

Die Symptome der milden Unter- funktion der Schilddrüse sind ähnlich uncharakteristisch wie die der milden Schilddrüsenüberfunktion. Im Rahmen der Colorado Thyroid Disease Preva- lence Study konnten mehr als 2 000 Per- sonen mit Schilddrüsenunterfunktion identifiziert werden. Nach ihrer Häufig- keit geordnet findet man Symptome wie trockene Haut, kognitive Funkti- ons- und Gedächtnisstörungen, mus- kuläre Schwäche und Müdigkeit so- wie Muskelkrämpfe, Kälteintoleranz, Schwellungen der Augen, Verstopfung und Heiserkeit signifikant häufiger als bei den euthyreoten Kontrollen. Wich- tig ist allerdings auch, dass nur circa 25 Prozent der Patienten mit milder Dys- funktion der Schilddrüse Symptome be- richteten, wohingegen 75 Prozent der Patienten keine schilddrüsenspezifi- schen Probleme bemerkten.

Auch bei der milden Unterfunktion stehen kardiovaskuläre Risikofaktoren im Vordergrund. Diese stehen in Bezie- hung zu einem erhöhten Arteriosklero- serisiko durch einen Anstieg von Ge-

samt- und LDL-Cholesterin. Zwei Studi- en beschäftigen sich mit der Entwick- lung der Intima-Media-Dicke: Im Ver- gleich von milden Hypothyreoseformen und Kontrollen zeigen die hypothy- reoten Patienten eine höhere Intima- Media-Dicke. Autoimmunerkrankungen mit positiven TPO-Antikörpern schei- nen hier eine wichtige Rolle zu spielen und könnten auf die eigenständige

Rolle eines inflammatorischen Prozesses bei der Entwicklung kardiovaskulärer Risiken hinweisen.

Neben dem Gefäßrisiko existieren direkte Einflüsse auf die kardialen Funktionen, insbesondere die Diastole.

Videodensitometrische Analysen zei- gen eine Veränderung des myokardia- len Musters. Die Belastungskapazität, das belastungsabhängige Schlagvolu- men und der kardiale Index (Blutvolu- men in L/min, das pro Minute vom lin- ken Herzen in die Peripherie gepumpt wird) sind bei Patienten mit milden Hy- pothyreoseformen vermindert. Die Ab- hängigkeit dieser Zeichen von der sub- klinischen Schilddrüsenfehlfunktion konnte durch Besserung der Beschwer- den nach Gaben von Levothyroxin nachgewiesen werden (18).

Die zweite wichtige Gruppe von Störungen bei milden Hypothyreose- formen sind neuromuskuläre und ko- gnitive Beeinträchtigungen. Es gibt Hinweise, dass nicht nur das Myokard, sondern auch die periphere Skelettmus- kulatur verändert ist. Die früher be- nutzten diagnostischen Kriterien zur Abklärung einer Schilddrüsenunter- funktion wie die Verlängerung der Achillessehnenreflexzeit deuten auf die wichtige Bedeutung der Schilddrüsen- hormone für die neuromuskulären Re- flexbögen hin. Darüber hinaus liegt ei- ne umfassende Literatur hinsichtlich psychiatrischer Probleme bei Hypothy- reosen vor. Allerdings zeigen sich keine klaren Veränderungen in einem TSH- Bereich zwischen 5 und 10 mU/L. Im Rahmen der akuten Aufnahme kommt es allerdings offenkundig häufiger zu Auslenkungen der Schilddrüsenfunkti- onstests. Dabei wurden in 13 bis 27 Pro- zent der Fälle Störungen nachgewiesen.

Auch Veränderungen der Gedächtnis- funktion, der Häufigkeit depressiver Störungen und anderer kognitiver Funktionen sind in kleinen Studien überprüft worden. Diese Untersuchun- gen, die oft durch die Benutzung von Fragebögen auch subjektiven Einflüs- sen ausgesetzt sind, konnten kürzlich durch zwei Untersuchungen ergänzt wer- den, die durch die Messung so genannter

„event-related-potentials“ (ERPs) un- abhängig von der aktiven Mitarbeit des Patienten waren (19, 20). Bei beiden Untersuchungen ließ sich eine klare Ursachen der subklinischen Schilddrüsenfunktion

Subklinische Hyperthyreose Endogen:

>Funktionelle Autonomie

>Immunhyperthyreose

>Thyreoiditis

– Floride Phase der Immunthyreoiditis Typ Hashimoto – Floride Phase der subakuten Thyreoiditis de Quervain

>Selten

– Schwangerschafts-assoziierte Hyperthyreose, Trophoblasterkrankungen (HCG) – Schilddrüsenhormonresistenz, TSH-Rezeptor-Mutationen

Exogen:

>TSH-Suppressionstherapie beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom

>Hyperthyreosis factitia

>Jodinduziert

>„Marine-Lenhart-Syndrom“ nach Radiojodtherapie Subklinische Hypothyreose Endogen:

>Immunthyreoiditis Typ Hashimoto (häufig!)

>Postpartum Thyreoiditis

>Thyreoiditis de Quervain (selten) Exogen:

>Thyreostatika, Thyreoidektomie, Radiojodtherapie, externe Bestrahlung

>Unzureichende Schilddrüsenhormon-Substitution bei primärer Hypothyreose

>Pharmaka: Lithium, Jod, jodhaltige Medikamente (Amiodaron) Kasten 2

Indikationen zur Therapie der subklinischen Hypothyreose

Sichere Indikationen

>Serum TSH > 10 mU/L

>Diffuse Struma

>Nach Schilddrüsenoperation oder Radiojodtherapie

>Nach externer Strahlenbehandlung der Halsregion

>Schwangerschaft/Kinderwunsch

>Schilddrüsenvolumen < 5 mL und hochtitrige TPO-Antikörper

Relative Indikationen

>Nachweis von TPO-Antikörpern

>Zyklus- und Fertilitätsstörungen

>Neugeborene, Kinder, Jugendliche (Pubertät)

>Hypercholesterinämie

>Hyperprolaktinämie

>Depression Kasten 3

(5)

Veränderung spezifischer Hirnleistun- gen bei der Hypothyreose belegen.

Therapeutischer Nutzen und Gefahren einer Levothyroxin-Therapie

Die Gabe von Levothyroxin kann alle Zeichen einer subklinischen wie manife- sten Hyperthyreose auslösen. In mehre- ren Studien konnten bei 10 bis 33 Prozent aller Probanden unter einer Therapie mit Levothyroxin Serum-TSH-Spiegel unter 0,3 mU/L nachgewiesen werden. Bei 30 bis 50 Prozent dieser Patienten lagen die TSH-Spiegel sogar unter 0,1 mU/L. Da- ten aus der Colorado Thyroid Disease Prevalence Study wie aktuelle Untersu- chungen aus Deutschland (unveröffent- lichte Daten der Papillon-3-Studie) zei- gen, dass 40 Prozent der Patienten unter einer Levothyroxin-Therapie zu niedrige Serum-TSH-Konzentrationen aufwiesen.

Zudem ergab die Nachuntersuchung der Colorado Thyroid Disease Prevalence Study, dass nur bei elf Prozent der Pa- tienten mit supprimierten Serum-TSH- Konzentrationen eine Korrektur der Therapie erfolgte (13, 21). Nach ersten, noch nicht publizierten Daten der Papillon-Nachuntersuchung wird auch in Deutschland die Adaptation der TSH-Spiegel in der Praxis nicht häufi- ger vorgenommen.

Resümee

Aus den diskutierten Erwägungen wird deutlich, dass nach den Kriterien der evi- denzbasierten Medizin negative klini- sche Folgen einer milden Überfunktion der Schilddrüse sehr viel klarer zu fassen sind als milde Unterfunktionszustände.

Während die positiven Effekte einer the- rapeutischen Korrektur bei milder Hy- perthyreose auf klinische Endpunkte gut abgesichert erscheinen, findet sich in Metaanalysen kein gesicherter günstiger Effekt einer Levothyroxin-Therapie bei milden Unterfunktionszuständen und Serum-TSH-Spiegeln von 4 bis10 mU/L oder gar von TSH-Konzentrationen zwi- schen 2,5 bis 4 mU/L. Allerdings liegen auch klare Indikationen zur Behandlung einer subklinischen Hypothyreose mit Levothyroxin vor (Kasten 3).

Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass eine milde Hyperthyreose mit

Serum-TSH-Spiegeln von < 0,3 mU/L bei normalen peripheren Hormonkon- zentrationen nach Ausschluss anderer behebbarer Ursachen und nach einer bestätigenden Kontrolle stets behan- delt werden sollte (Grafik). Das Ziel einer solchen Behandlung sollte ein TSH-Spiegel zwischen 0,5 und 2 mU/L sein. Die Schilddrüsenfunktion muss danach kurzfristig, das heißt innerhalb von vier Wochen, überprüft werden und auch danach, besonders nach Ände- rung weiterer interagierender Faktoren, adaptiert werden. In jedem Fall ist eine kontinuierliche Nachsorge der Patien- ten notwendig.

Trotz der sinnvollen theoretischen Erwägungen anhand von Populations- studien sollte die Obergrenze des TSH- Referenzbereichs noch nicht wie vorge- schlagen von bisher 4 mU/L auf circa 2,5 mU/L abgesenkt werden. Gründe dafür sind Unsicherheiten in der Mes- sung von TSH und physiologische Ein- flüsse auf die TSH-Sekretion. Zudem sind positive klinische Effekte einer Therapie gegenwärtig nicht belegt. Um- gekehrt bestehen – wie diskutiert – be- sonders bei nicht ausreichender Nach- kontrolle Risiken für eine Überthera- pie mit den negativen Folgen einer Hy- perthyreose-Problematik.

Die Entscheidung, den Patienten nicht lediglich weiter zu kontrollieren sondern mit Thyroxin zu substituieren, sollte daher im TSH-Bereich zwischen 4 und 10 mU/L besonders aber bei TSH

< 4 mU/L kritisch getroffen werden. Be- vor ein Therapieversuch mit Levothy- roxin begonnen wird, sollten die klini- sche Symptomatik und Risikofaktoren wie positive anti-TPO-Antikörper so- wie ein Zustand nach Schilddrüsenope- ration oder Radiojodtherapie berück- sichtigt und nachfolgend das klinische wie laborchemische Ergebnis der Inter- vention geprüft werden.

Manuskript eingereicht: 22. 6. 2005, revidierte Fassung angenommen: 4. 1. 2006

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2006; 103(31–32): A 2110–15.

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21. Ross DS, Daniels GH, Gouveia D: The use and limita- tions of a chemiluminescent thyrotropin assay as a single thyroid function test in an outpatient endocrine clinic. J Clin Endocrinol Metab 1990; 71: 764–769.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Georg Brabant Department of Endocrinology Christie´s Hospital Wilmslow Road Manchester M20 4BX Großbritannien

E-Mail: georg.brabant@man.ac.uk

AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT

MEDIZINGESCHICHTE(N))

Suizid

Geschlechtsspezifische Rate

Zitat:„Der Primitive kann überall, wohin er geht, seine Götter und seine Fa- milie mitnehmen, nach denen sein soziales Wesen verlangt. Und hier liegt schließlich auch der Grund, warum die Frau eher als der Mann allein leben kann. Wenn man sieht, daß die verwitwete Frau ihr Geschick soviel besser trägt als der Witwer, und wie sie weniger heftig danach trachtet, sich wieder zu verheiraten, dann ist man versucht anzunehmen, daß diese Fähigkeit, ohne Familie auszukommen, ein Zeichen von Überlegenheit ist [...]. Es ist aber in Wirklichkeit so, daß sie dieses Privileg dem Umstand verdankt, dass ihre Empfindlichkeit eher rudimentär als besonders stark entwickelt ist. Da sie mehr als der Mann außerhalb des öffentlichen Lebens steht, hat sie dieses we- niger durchdrungen. Die Gesellschaft ist ihr weniger notwendig, weil sie we- niger gesellig ist. Sie hat nur wenig Bedürfnisse in dieser Richtung und be- friedigt sie mit geringem Aufwand. [...] Wenn sie den religiösen Überlieferun- gen so treu verbunden bleibt und darin einen hilfreichen Schutz vor dem Selbstmord findet, dann deshalb, weil diese sehr simplen sozialen Formeln al- len ihren Ansprüchen genügen.“

Émile Durkheim: Der Selbstmord (Französische Originalausgabe 1897). 3. Auflage Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1990, Seite 240 f. – Der französische Soziologe Durkheim (1858–1917), ab 1896 Professor in Bordeaux, ab 1902 in Paris, argumentiert an dieser Stelle in seinem Hauptwerk freilich weniger soziologisch im Sinne der empiri- schen Sozialforschung, als vielmehr medizinisch-biologisch: Die Frauen seien aufgrund ihrer konstitutionellen Naturnähe (analog Kindern, „Primitiven“ und Tieren) weniger anfällig für den Selbstmord als Männer, die stär- ker von den Irritationen der Zivilisation beeinflusst seien. Dieses Frauenbild entspricht einem aus der Antike stammenden Topos, der im Zeitalter des Darwinismus in biologistischer Perspektive aktualisiert wurde.

Augenheilkunde Starstecher, Okulisten

Zitat:„Für Augenkranke.

Bonn. Sr. Kurfürstl. Durchlaucht zu Köln [1] von der Geschicklichkeit des Herrn Ritters von Tadiny [2] und Augenarztes des königl. Franz. Hofes über- zeugt, haben geruhet, demselben die Erlaubniß zu ertheilen, seine Kunst in Höchstdero Landen ungestört ausüben zu können. Dieser geschickte Augen- arzt ist schon seit 40 Jahren in allen vornehmen Städten von Europa bekannt, sogar in Konstantinopel, wo er im Jahr 1766 die Schwester des Sultan Mustafa, und die Frau des Großveziers [3] glücklich operirte. Er reiset hier von Bonn nach Kopenhagen und nimm seine Route über Münster, Pader- born, Osnabrück, Bremen, Hamburg und Lübeck. Armen hilft er umsonst.“

Ankündigung im „Bönnischen Intelligenzblatt“ vom 26. März 1789. – Der volle Titel des Anzeigers lautet:

„Von Sr. Kurfürstl. Durchlaucht zu Köln gnädigst privilirtes Bönnisches Intelligenzblatt in Anzeigen und Auf- sätzen zum Besten des Nahrungsstandes und zur Beförderung der Aufklärung“. – [1] Erzbischof Maximilian Franz von Österreich (1756–1801). [2] Felice Tadini, fahrender Okulist, wahrscheinlich aus Mailand stammend, wird von Casanova in dessen Memoiren erwähnt: Tadini habe ihm bei einer Begegnung in Warschau 1765/66 geschliffene Linsen, wahrscheinlich aus Bergkristall, gezeigt, die er nach der Linsenextraktion – zu jener Zeit des getrübten Kerns der Linse unter Belassung der Linsenkapsel – als Ersatz in das Auge einsetzen wollte, die- se Prozedur aber nie durchgeführt habe. Etwa 30 Jahre später wurde jedoch tatsächlich von dem Hofokulisten Joannis Virgilius Casaamata in Dresden ein entsprechender Versuch unternommen, das Verfahren jedoch rasch wegen seiner Erfolglosigkeit wieder aufgegeben. [3] Großwesir: im osmanischen Reich der zweite Mann im Staat, später (ab 1922) in der Türkei „Ministerpräsident“.

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