Bericht und Meinung NACHRICHTEN
Seminarkongreß Grado
Die Kosten allein sind kein Maßstab für
ärztliches Handeln
Die Ärzte denken patientenorien- tiert, die Krankenkassen in den letzten Jahren zunehmend kosten- orientiert. Auf diese kurze Formel brachte Bundesärztekammer-Prä- sident Dr. Karsten Vilmar einen Widerspruch, der heute das Ge- sundheitswesen kennzeichnet.
Vilmar sprach vor rund 400 Teil- nehmern bei der Eröffnung des 14.
Internationalen Seminarkongres- ses für praktische Medizin in Gra- do, den die Bundesärztekammer zusammen mit der Österreichi- schen Ärztekammer vom 24. Au- gust bis zum 9. September veran- staltet. Schon das Kongreßthema
„Rationelle Diagnostik und Thera- pie" deutet die Auswirkungen an, die die Kostendämpfung bis in die Fortbildung hinein hat.
Die Ärzte haben also, so Vilmar, Verständnis auch für die ökonomi- schen Bedingungen des Gesund- heitswesens. Andererseits weite sich das Leistungsspektrum, das diesem zugute komme, stetig aus.
Vilmar warb um die Einsicht, daß ärztliches Handeln in erster Linie auf optimale Leistungen für den Patienten gerichtet sein und öko- nomisches Denken demgegen- über zurücktreten muß. Nach- drücklich wandte er sich gegen ei- ne lediglich an den Einnahmen orientierte Ausgabenpolitik und betonte, für diese Einstellung müsse nicht nur beim Patienten, sondern vor allem bei den Gesun- den um Verständnis geworben werden, denn „die Mehrheit der Gesunden" entscheide über die Ausgaben.
Auch der Präsident der Öster- reichischen Ärztekammer, Dr. Ri- chard Piaty, rief zu einer breiten Öffentlichkeitsarbeit auf, die über den Patienten hinaus die gesamte Gesellschaft anspreche. Piaty will sie als Teil einer langfristig ange-
Grado
legten Gegenstrategie wissen; sie soll sich gegen ideologisch fixier- te Gegner der Ärzteschaft richten, die nach Piaty heute die alte Garde der pragmatisch denkenden Geg- ner ablösen.
Ein von „Polit-Ideologen" bevor- zugtes Thema sprach auch Dr. Vil- mar an: die Prävention. Sie nimmt auf den Kongressen in Grado re- gelmäßig einen breiten Raum ein, da hier ein sehr umfangreiches präventiv angelegtes sportmedizi- nisches Programm geboten wird.
Vilmar warnte allerdings davor, die Prävention zu absolutieren.
Denn bei aller Vorsorge „bleibt die Notwendigkeit der Therapie". In politischen Aussagen werde das oft übergangen und der falsche Eindruck erweckt, mit individuel- ler Prävention und mit der Beseiti- gung krankmachender Faktoren in der Gesellschaft ließen sich alle Krankheiten beseitigen.
Mit der Rolle des Patienten bei der Arzneitherapie beschäftigte sich in einem Vortrag anläßlich der Kongreßeröffnung Professor Dr.
Ellen Weber, Heidelberg. Ein nicht unwesentlicher Aspekt der ratio- nellen Therapie, den Frau Weber aufzeigte: sie wies einmal mehr darauf hin, in welchem Umfang Patienten verordnete Arzneimittel nicht einnehmen. Nur in rund
50
Prozent aller Fälle kann damit ge- rechnet werden, daß Patienten die Verordnung voll oder doch in sehr hohem Grade befolgen. Eine volle„Compliance" (so lautet kurz und scheußlich der Terminus techni- cus) zeigt sich einer Heidelberger Studie zufolge bei nur 34 Prozent, einer US-Studie zufolge bei nur 26 Prozent (dazu 27 Prozent mit ho- her Compliance). In beiden Fällen handelt es sich um Untersuchun- gen an entlassenen Krankenhaus- patienten. Doch auch in einer hes- sischen Landpraxis nahmen aus- weislich einer anderen Studie nur 31 Prozent der Patienten verord- nete Medikamente regelmäßig ein.
Die von den Patienten angegebe- nen Gründe sind vor allem Nach- lassen der Symptome, Vergeßlich- keit und die Sorge vor Nebenwir- kungen. Der Grad der Verweige- rung steigt mit der Kompliziertheit des Verordnungsschemas. Je mehr Präparate, je häufiger am Tag, desto geringer die „Com- pliance". Frau Weber empfahl da- her, das Verordnungsschema übersichtlich zu halten durch
— strenge Indikation,
—Wahl von Kombinationspräpa- raten,
—retardierende galenische For- men (wenn auch bei den beiden letzten Empfehlungen pharmako- logisch gewisse Vorbehalte be- standen).
Vor allem müsse der Patient ver- stehen, was ihm verordnet werde.
Damit scheint es nicht zum besten bestellt zu sein. Nach Frau Prof.
Weber wissen nämlich in 25 Pro- zent der Fälle die Patienten den Verordnungsgrund nicht. Die Angst vor Nebenwirkungen kann der Arzt im Gespräch wirkungsvoll beheben, indem er mögliche uner- wünschte Wirkungen offen an- spricht und nicht lediglich der Packungsinformation die Aufklä- rung überläßt (denn gerade diese führt beim Patienten oft zur Ver- ängstigung). Frau Weber räumte allerdings ein, daß überzeugende Strategien, mit denen Vergeßlich- keit und Verweigerung durch den Patienten entgegengewirkt wer- den kann, noch nicht entwickelt sind. NJ