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Archiv "Kündigung der kassenärztlichen Tätigkeit: Korbmodell anno 1904" (28.03.2008)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 13⏐⏐28. März 2008 A665

P O L I T I K

D

em 1900 gegründeten Ver- band der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen, später Hartmannbund genannt nach dem Namen seines In- itiators, gelang es, den Krankenkas- sen ein straff organisiertes Gruppen- interesse entgegenzustellen. Sein aus der Arbeiterbewegung entlehnter Kampfruf „Aerzte ganz Deutsch- lands, organisirt Euch!“ und die da- mit verbundene Idee, mit gewerk- schaftlichen Kampfmethoden in die Auseinandersetzung mit den gesetz- lichen Krankenkassen zu gehen, stieß zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf große Resonanz innerhalb der Ärzteschaft. Der 31. Deutsche Ärz- tetag in Köln zeigte sich 1903 soli- darisch und forderte die dem Deut- schen Ärztevereinsbund angehören- den Vereine auf, „dass dieselben al- le den ärztlichen Interessen wider- sprechenden Verträge (mit den Krankenkassen) zum frühest mögli- chen Termin kündigen und von nun an nur noch solche abschliessen las- sen, welche die freie Arztwahl und

genügende Honorierung bieten“.

Schleunigst und energisch sollten alle Maßnahmen der Selbsthilfe zur Durchsetzung der ärztlichen Forde- rungen bei den Krankenkassen er- griffen werden. Diese ohne Gegen- stimme angenommene Resolution des Deutschen Ärztetages wird we- sentlich mit dazu beigetragen ha- ben, dass die etwa gleichzeitig an- laufenden Vorbereitungen eines Streiks der Kölner Ärzte zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden konnten.

Die Kölner Bezirksgruppe des Hartmannbundes arbeitete darauf hin, dass alle 265 Kölner Ärzte die bestehenden Verträge mit den Kran- kenkassen zum 1. Januar 1904 kün- digten, um so ihre Forderung nach freier Arztwahl der Versicherten und besserer Honorierung der ärztlichen Leistung durchzusetzen. Um sämtli- che Kölner Ärzte und insbesondere diejenigen, die über fixierte Ein- künfte aus ihrer kassenärztlichen Arbeit verfügten, zu einem solchen Schritt zu bewegen, waren umfas-

sende organisatorische Vorarbeiten nötig. In Geheimverträgen wurde den Ärzten, die bei freier Arztwahl der Versicherten finanzielle Ein- bußen zu befürchten hatten, ein be- stimmtes Mindesteinkommen in den Folgejahren garantiert. Eine Verpflichtung der Ärzte zur frist- gemäßen Kündigung ihrer Verträge mit den Krankenkassen sollte zu- dem nur dann bestehen, wenn min- destens 95 Prozent der Kölner Ärzte eine entsprechende Erklärung unter- schrieben hatten. Zudem verpflich- teten sich die Kölner Ärzte in Einzelerklärungen, beim künftigen Abschluss von Verträgen mit Kran- kenkassen die diesbezüglich von der Ärztekammer der Rheinprovinz aufgestellten Grundsätze anzuer- kennen.

„Heimtücke rücklings einbrechender Aerzte“

Wenig mehr als zwei Wochen nach Beendigung des Kölner Ärztetages hatten die Aktivisten des Hartmann- bundes mit einer Beteiligung von 92 Prozent der Ärzte das vorgege- bene Ziel fast erreicht. Wollte man die vorgeschriebene Kündigungsfrist von drei Monaten einhalten, blieb nun aber keine Zeit mehr, in mühe- voller Kleinarbeit die noch fehlen- den wenigen Ärzte von der Notwen- digkeit eines Streiks zu überzeugen.

Auf einer Versammlung der Kölner Kassenärzte am 29. September 1903 wurde beschlossen, die Vertragsbe- ziehungen zu den Krankenkassen zum 1. Januar 1904 zu beenden. We- nig später hatte man die ursprüng- lich avisierte Marke von 95 Prozent überschritten. Die weiteren Ver- handlungen mit den Krankenkassen wurden einer aus zwölf Ärzten be- stehenden Kommission übertragen.

Die Forderungen der Ärzte – freie Arztwahl, Einsetzung eines Schieds- gerichts, deutlich bessere Honorie- rung – wurden vom Krankenkassen- verband des Aufsichtsbezirks Köln zurückgewiesen. Eine Einigung vor dem zum 1. Januar 1904 beginnen- den vertragslosen Zustand schien kaum mehr möglich. Auf ärztlicher Seite hatte man aufgrund der unter großem Einsatz gesammelten Ver- pflichtungserklärungen die Gewiss- heit, dass es zu keinen separaten

KÜNDIGUNG DER KASSENÄRZTLICHEN TÄTIGKEIT

Korbmodell anno 1904

Der Kölner Ärztestreik bedeutete einen Wendepunkt in den Auseinandersetzungen zwischen Ärzten und Krankenkassen.

SYSTEMVERSAGEN

Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundes- sozialgerichts ist der Handlungsspielraum der Ärzte, die kollektiv aus dem bestehenden Ver- tragssystem aussteigen wollen, begrenzt. Dem- nach bestehe eine Möglichkeit, dass Versicherte von Nichtvertragsärzten zulasten der Krankenkas- se behandelt würden, nur, wenn ein „Systemver- sagen“ vorliegt, das heißt, wenn aufgrund eines Kollektivverzichts von Ärzten die Versorgung der Patienten nicht mehr umgehend sichergestellt werden könne.

Den kollektiven Verzicht auf die Zulassung be- handelt der § 95 b des Fünften Sozialgesetzbu- ches. Dort heißt es: „Mit den Pflichten eines Vertragsarztes ist es nicht vereinbar, in einem mit anderen Ärzten aufeinander abgestimmten Ver-

fahren oder Verhalten auf die Zulassung als Ver- tragsarzt zu verzichten.“ Wenn mehr als 50 Pro- zent aller Vertragsärzte in einem Zulassungsbe- zirk ihre Zulassung zurückgeben, geht dort der Si- cherstellungsauftrag auf die Krankenkassen über, das heißt, diese versuchen, über den Abschluss von Einzel- oder Gruppenverträgen die Patienten- versorgung sicherzustellen. Verträge mit den kol- lektiv ausgestiegenen Ärzten sind dabei nicht zulässig. Diesen kann frühestens nach sechs Jahren wieder eine Zulassung erteilt werden.

Ob solche Sanktionsandrohungen der Macht des Faktischen standhalten, ist unsicher. Eine Antwort darauf könnten die aktuellen Ausstiegs- szenarien in Bayern und Baden-Württemberg

geben. TG

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Vertragsabschlüssen mit Kölner Ärzten kommen würde.

Aus früheren Streiks hatte man gelernt, dass es in erster Linie darauf ankam, den Einsatz von vertragsbe- reiten Ärzten, die die Krankenkas- sen von außerhalb als „Nothelfer“

verpflichteten, zu verhindern. Mit den „Cavete-Listen“, die seit 1903 in jeder Ausgabe des „Ärztlichen Vereinsblattes für Deutschland“

veröffentlicht wurden, warnte der Hartmannbund Ärzte vor der Auf- nahme einer kassenärztlichen Tätig- keit in den Orten, wo es Auseinan- dersetzungen zwischen Ärzten und Krankenkassen gab. In einem Be- richt des „Ärztlichen Vereinsblat- tes“ vom Dezember 1903 hieß es unter der Überschrift „Vom Cölner Kriegsschauplatz“: „Möge anderer- seits jeder deutsche Arzt, der auf sei- ne und seines Standes Ehre hält, ein- gedenk bleiben seiner Pflicht, allen ärztlichen Kämpfern nach Kräften beizustehen, dass es nicht der Heim- tücke rücklings etwa einbrechender Aerzte gelinge, das Häuflein der Streiter schmählich niederzuma- chen. Darum, du deutscher Arzt, sei mit uns, für und zeige dich wach- sam, standhaft und treu! Heute gilts mir – morgen dir!“

Die kämpferische Entschlossen- heit der Ärzte, die in dieser Textstel- le zum Ausdruck kommt, mag mit

ein Grund dafür gewesen sein, dass es den Krankenkassen in Köln trotz intensiver Bemühungen nicht ge- lang, für die medizinische Versor- gung der Kölner Bevölkerung zu Beginn des Jahres 1904 eine ausrei- chend große Anzahl von „Nothelfern“

zu rekrutieren. Ärztliche Streikbre- cher hatten sicher mit ernsten Kon- sequenzen für ihre weitere berufli- che Laufbahn zu rechnen, sodass die Behauptung der Streikführenden nicht unwahrscheinlich erscheint, dass sich unter den wenigen „Not- helfern“, die für Köln angeworben werden konnten, auch einige zwie- lichtige Elemente, die nichts zu ver- lieren hatten, befanden. Da die Krankenkassen die medizinische Versorgung in Köln – anders als zu- vor behauptet – zu Beginn des Jah- res 1904 nicht sicherstellen konnten und die Kölner Ärzte ihre Drohung wahr machten und nur bei dringen- den Notfällen tätig wurden, schritt bereits im Januar die Aufsichts- behörde ein. Der Regierungspräsi- dent verlangte von den Kölner Krankenkassen, binnen weniger Ta- ge zusätzlich zu den bereits rekru- tierten „Nothelfer“-Ärzten, die mit der Versorgung von mehr als 100 000 Versicherten völlig überfordert wa- ren, noch mindestens 30 weitere Ärzte einzustellen. Dieser Forde- rung konnten die Krankenkassen

nicht nachkommen, und so wurde bereits Ende Januar 1904 auf Druck des Regierungspräsidenten ein Ver- trag zwischen den Kölner Ärzten und den Krankenkassen abge- schlossen, mit dem die Forderungen der Streikenden weitestgehend er- füllt wurden: Alle in Köln niederge- lassenen Ärzte, die Mitglied des

„Allgemeinen ärztlichen Vereins“

waren und sich dessen Vorschriften über die kassenärztliche Tätigkeit unterwarfen, wurden als Kassenarzt zugelassen; das pauschale Honorar je Kassenmitglied wurde auf fünf Mark, bei Familienversicherung auf 15 Mark erhöht. Die ärztlichen

„Nothelfer“ wurden aus ihren Dienstverträgen mit den Kranken- kassen entlassen; allerdings – und das bedeutete einen Wermutstrop- fen für die erfolgreichen Ärzte – musste der „Allgemeine ärztliche Verein“ die nicht geringe Abfin- dungssumme über einen Zeitraum von fünf Jahren aufbringen.

Wendepunkt im Streit mit den Krankenkassen

Der Kölner Ärztestreik und die kurz darauf ebenfalls erfolgreich beendete Streikaktion in Leipzig bedeuteten einen Wendepunkt in den Auseinan- dersetzungen zwischen Ärzten und Krankenkassen. Der zuvor eher kon- servativ-behäbige Ärztevereinsbund akzeptierte das den Gewerkschaften entliehene kämpferische Vorgehen des Hartmannbundes und machte sich dessen eher kriegerisch anmu- tendes Vokabular zu eigen. Der 1903 vom Ärztetag in Köln ausgehende Solidarisierungseffekt führte dazu, dass die ärztlichen Organisationen gestärkt in den Konflikt mit den Krankenkassen gingen. Die Kölner und Leipziger Ereignisse der Jahre 1903/04 bildeten den Auftakt zu ei- ner Serie von lokalen Konflikten zwischen Ärzten und Krankenkas- sen, die fast durchgängig zugunsten der Ärzte endeten – oft reichte bereits die Androhung eines Streiks. Diese bereiteten den Boden für das Berliner Abkommen Ende des Jahres 1913, mit dem endgültig die Zulassungs- autonomie der Krankenkassen durch- brochen und der Übergang zur freien Arztwahl ermöglicht wurde. I Thomas Gerst Durch heftige

Kontroversen geprägt war das Verhältnis von Ärzten und Krankenkassen zu Beginn des 20.

Jahrhunderts.

Foto:Deutsches Historisches Museum,Berlin

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