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Affektive Modulation des Attentional Blink

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Academic year: 2022

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A FFEKTIVE M ODULATION DES

A TTENTIONAL B LINK

Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades eines Diplom- Psychologen im Fachbereich Psychologie der Universität Konstanz

vorgelegt von

Niklas Ihssen Steinstraße 17 A

78467 Konstanz

Erstgutachter:

Privatdozent Dr. Carsten Eulitz Fachbereich Psychologie

AG Klinische Psychologie Universität Konstanz

Zweitgutachter:

Prof. Dr. Ronald Hübner Fachbereich Psychologie AG Kognitive Psychologie Universität Konstanz

Konstanz, im Juli 2003

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I. EINLEITUNG... 3

I.1 Theoretischer Hintergrund... 4

I.1.1 Das Konzept der Aufmerksamkeit... 4

I.1.2 Selektive Aufmerksamkeit... 5

Die Debatte early- versus late-selection... 5

Die Spotlight-Metapher... 6

Physiologische Netzwerkmodelle zur visuellen selektiven Aufmerksamkeit... 6

Aufmerksamkeitsselektion durch verzerrten Wettstreit nach Desimone (1996) ... 7

Aufmerksamkeitsselektion durch Synchronisierung nach Müller und Keil (2002)... 8

Selektive Aufmerksamkeit in Raum und Zeit ... 9

I.1.3 Das Paradigma der Rapid Serial Visual Presentation ... 10

I.1.4 Der Attentional Blink... 11

Die klassische Studie von Raymond, Shapiro und Arnell (1992)... 12

Das typische Muster des Attentional Blink... 13

I.1.5 Modelle des Attentional Blink ... 14

Interferenz-Theorien... 14

Das Inhibitions-Modell: Die Aufmerksamkeit schließt das Tor ... 14

Das Similarity-Modell: Entscheidend ist die Gewichtung... 15

Flaschenhalstheorien ... 17

Das Two-Stage-Modell von Chun und Potter: Es gibt einen Flaschenhals ... 17

Das Central-Interference-Modell: Es kommt zu zentraler Interferenz... 18

Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Modelle ... 19

I.1.6 Evidenzen für eine späte Auswahl beim Attentional Blink ... 21

ERP-Studien ... 21

Priming-Studien ... 22

I.1.7 Modulation des Attentional Blink... 23

Salienz-Modulation durch Namen ... 23

Affektive Modulation durch negative Wörter... 24

Mögliche neuronale Grundlagen der affektiven Modulation... 25

I.1.8 Zusammenfassung... 26

I.2 Herleitung der Hypothesen... 27

I.2.1 Rating-Vorstudie... 27

I.2.2 Behaviorale Attentional-Blink-Studie ... 29

I.2.3 Studie zur Elektrophysiologie des Attentional Blink und seiner Modulation ... 31

II. METHODEN ... 33

II.1 Rating-Vorstudie: Verben im affektiven Raum ... 33

Versuchspersonen... 33

Material ... 33

Prozedur ... 34

Ergebnisse der Rating-Vorstudie ... 34

II.2 Behaviorale Attentional-Blink-Studie ... 35

Versuchspersonen... 35

Material ... 36

Prozedur ... 37

SAM-Rating nach dem AB-Experiment ... 38

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Design des AB-Experimentes ... 39

Datenanalyse ... 40

II.3 Studie zur Elektrophysiologie des Attentional Blink und seiner Modulation... 42

Versuchspersonen und Prozedur ... 42

Elektrophysiologische Aufnahmen ... 42

Datenreduktion und -analyse... 42

III. ERGEBNISSE... 44

III.1 SAM-Ratings nach dem Verhaltensexperiment ... 44

III.2 Verhaltensdaten zum Attentional Blink und seiner affektiven Modulation... 47

III.3 Elektrophysiologische Substrate des Attentional Blink und seiner Modulation ... 50

Verhalten ... 50

Elektrophysiologische Daten... 51

IV. DISKUSSION... 55

Rating-Vorstudie ... 55

Behaviorales AB-Experiment ... 57

Elektrophysiologisches AB-Experiment ... 63

Fazit und Ausblick ... 64

V. ZUSAMMENFASSUNG... 66

LITERATURVERZEICHNIS ... 67

ANHANG ... 71

(4)

I. Einleitung

Trotz der außerordentlichen Fähigkeit des menschlichen Geistes, Objekte, Personen und Szenen in seiner Umwelt innerhalb von Sekundenbruchteilen zu erkennen und darauf zu reagieren, gibt es Situationen, in denen dieses Vermögen an seine Grenzen stößt. Auf solche Situationen treffen wir im alltäglichen Leben beispielsweise, wenn wir zu Fuß eine dicht befahrene Kreuzung überqueren wollen. Es ist kaum möglich, dass wir uns sämtlicher Eindrücke dieser Szene in einem einzelnen Moment gleichzeitig bewusst werden: Der

herannahenden Autos, der Litfasssäule auf der gegenüberliegenden Straßenseite, der Baustelle einige Meter weiter entfernt, des Kennzeichens des vorbeifahrenden Omnibusses oder der Haarfarbe des Fahrradfahrers.

Die Grenzen unserer Verarbeitungskapazität sind definiert durch eine räumliche und zeitliche Dimension. Zu viele Objekte an verschiedenen Positionen unseres Sehfeldes oder eine zu schnelle Aufeinanderfolge von Objekten an einer einzelnen Position stellen eine Überlastung für unser Aufmerksamkeitssystem dar. Wir müssen uns entscheiden, was wir sehen und hören wollen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Doch worauf basiert diese Auswahl? Was ist wichtig in der beschriebenen Szene? Offensichtlich sind die Haarfarbe eines Fahrradfahrers, eine Litfasssäule und ein Kennzeichen für eine sichere Überquerung der Kreuzung ganz und gar irrelevant. Wir schenken ihnen keine

Aufmerksamkeit. Stattdessen richtet sich unsere Konzentration ausschließlich auf die herannahenden Autos und deren Geschwindigkeit. Wir wissen: Diese Reize besitzen in der Gefahrensituation einer Straßenüberquerung unmittelbare Verhaltensrelevanz. Allein sie beeinflussen, ob wir beginnen, über die Kreuzung zu gehen oder uns entscheiden, noch zu warten.

In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, wie Verhaltensrelevanz die Auswahl von Reizen in einem laborexperimentellen Setting beeinflusst. Dieses Setting soll mittels einer sehr raschen Präsentation von zu beachtenden Reizen so konstruiert werden, dass ähnlich wie beim Überqueren einer dicht befahrenen Kreuzung eine Überlastungssituation für unser Aufmerksamkeitssystem eintritt. Im Kern der Untersuchung steht dann die Frage, ob Reize, die emotional gefärbt sind und damit inhärent höhere Verhaltensrelevanz besitzen als neutrale Reize, in einem solchen Szenario leichter erkannt werden können. Möglicherweise entziehen sich affektive Reize den oben beschriebenen Restriktionen unserer

Verarbeitungskapazität.

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I.1 Theoretischer Hintergrund I.1.1 Das Konzept der Aufmerksamkeit

Nur bei wenigen psychologischen Konzepten wurde über Jahrzehnte hinweg auf vergleichbare Weise um eine kompakte und einheitliche Definition gerungen wie beim Konzept der Aufmerksamkeit. Dies mag einerseits aus der Vielzahl von Phänomenen und Konstrukten resultieren, die sich unter dem Begriff der Aufmerksamkeit subsumieren lassen.

Andererseits dauerte es bis in die frühen 50er Jahre, bis das kognitive Konzept der

Aufmerksamkeit aus dem behavioristischen Schatten heraustreten und sprichwörtlich wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit innerhalb der psychologischen Wissenschaftswelt

vorrücken konnte.

Schon vor den Black-Box-Jahren des Behaviorismus hatte sich William James in der Beschreibung dieses Konstruktes nicht leicht getan. So konstatierte er 1890 fast lapidar:

„Jeder weiß, was Aufmerksamkeit ist“ (James, 1890, p. 403). Später präzisierte er: „Es [Aufmerksamkeit] ist das klare und lebhafte geistige Besitzergreifen eines von mehreren möglichen Objekten oder Gedankengängen. Fokussierung, Konzentration des Bewusstseins sind sein Wesen. Es beinhaltet das Vernachlässigen bestimmter Dinge, um effektiver mit anderen umgehen zu können“ (James, 1890, p. 404).

Fast 100 Jahre später schlug Matlin (Matlin, 1983, p. 30) eine ähnliche Richtung ein, indem sie Aufmerksamkeit als Konzentration und Fokussierung mentaler Aktivität umschrieb.

Letztlich wurde der konzeptuellen Unklarheit damit begegnet, Aufmerksamkeit nicht als singulären psychologischen Prozess sondern als eine Art Überschrift für eine Vielzahl von Phänomenen zu betrachten (Driver, 2001). Möglich ist es auch, eine Art Operationaldefinition vorzunehmen und verschiedene Aufgabenstellungen und Forschungsrichtungen zu benennen, in denen sich Aspekte von Aufmerksamkeit manifestieren. So könnten entsprechend diversen Lehrbüchern zur kognitiven Psychologie (z.B. Best, 1995) beispielhaft vier verschiedene Aspekte und dementsprechend vier verschiedene konzeptuelle Herangehensweisen unterschieden werden: (1) Selektive Aufmerksamkeit und Flaschenhalstheorien (z.B.

Broadbent, 1958; Treisman, 1964), (2) Verteilung von Ressourcen und Kapazitätsmodelle (z.B. Kahneman, 1973), (3) automatisierte versus kontrollierte Prozesse und das Modell von Schneider und Shiffrin (1977) sowie (4) Objektwahrnehmung und Treismans Feature- Integration-Theorie (Treisman & Gelade, 1980).

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I.1.2 Selektive Aufmerksamkeit

Als anregend für die Theoriebildung erwiesen sich unter anderem Studien zur selektiven Aufmerksamkeit. Versuchspersonen werden hierbei typischerweise instruiert, bestimmte Aufgaben oder Reize zu beachten, während andere Stimuli ignoriert werden sollen. Als klassisches Paradigma der selektiven Aufmerksamkeit in der auditorischen Domäne gelten Beschattungsaufgaben mit dem dichotischen Hörtest. In der prototypischen Form dieses Paradigmas müssen Probanden selektiv auf eine von zwei unterschiedlichen Nachrichten achten, die per Kopfhörer simultan auf beiden Ohren dargeboten werden.

In der visuellen Domäne kann das Konzept der selektiven Aufmerksamkeit entsprechend den Selektionskriterien innerhalb eines experimentellen Paradigmas in zwei grundlegende Formen unterteilt werden: (1) räumlich-basierte Aufmerksamkeit (Auswahl von Reizen aufgrund ihrer räumlichen Position im Sehfeld), (2) feature-basierte Aufmerksamkeit (Auswahl von Reizen aufgrund von bestimmten Features wie Farbe oder Orientierung).

Räumlich-basierte Aufmerksamkeit wird zum Beispiel untersucht, wenn ein Hinweisreiz (Cue) die Position eines zu beachtenden Reizes in Relation zu einem Fixationskreuz angibt.

Als Paradigma der feature-basierten Aufmerksamkeit kann beispielsweise die visuelle Sucheaufgabe angeführt werden: Versuchspersonen müssen hierbei aufgrund bestimmter Features oder Feature-Kombinationen einen Zielreiz innerhalb einer Anordnung von Distraktor-Items detektieren, die den Zielreiz umgeben.

Die Debatte early- versus late-selection

Im Kern der wissenschaftlichen Diskussion steht bis heute die Frage, bis zu welchem Grad nicht-beachtete Informationen – zum Beispiel die des unbeschatteten Ohres bei einer

dichotischen Aufgabe – tatsächlich registriert und verarbeitet werden: An welcher Stelle der perzeptuellen und kognitiven Verarbeitung findet die Selektion zwischen beachteten und ignorierten Stimuli statt? Frühe Theorien zur selektiven Aufmerksamkeit können in early- selection-Theorien – wegweisend waren hier vor allem Broadbents Filtertheorie (Broadbent, 1958) und Treismans Dämpfungsmodell (Treisman, 1964) – und late-selection-Theorien (z.B.

Deutsch, 1963) unterteilt werden. Die Position der early-selection oder frühen Auswahl geht davon aus, dass der Einfluss von Aufmerksamkeit bereits auf perzeptueller Ebene zu wirken beginnt und Informationen innerhalb des Verarbeitungsprozesses schon früh an einem Flaschenhals herausgefiltert werden. Nicht-beachtete Information wird zwar innerhalb eines sensorischen Registers präattentiv einer Analyse nach basalen physikalischen Merkmalen unterzogen, aber nicht oder nur in geringem Umfang auf semantische Merkmale untersucht.

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Demgegenüber siedeln late-selection-Theoretiker den Wirkungsmechanismus und Flaschenhals auf einer höheren, postperzeptuellen Stufe an, nachdem die Wahrnehmung beziehungsweise Identifikation und semantische Analyse bereits abgeschlossen ist. Alle Informationen werden parallel und unbewusst einer kompletten Analyse unterzogen.

Wiedergabedefizite hinsichtlich des nicht-beachteten Reizmaterials resultieren lediglich aus Kapazitätsbeschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses oder der Reaktionskontrolle.

Die Spotlight-Metapher

Zur Veranschaulichung des Wirkungsmechanismus von selektiver Aufmerksamkeit in der visuell-räumlichen Domäne wird meist die Metapher eines Spotlights verwendet (Posner, Snyder, & Davidson, 1980). Hierbei wird angenommen, dass Aufmerksamkeit – auch unabhängig von Augenbewegungen – wie ein Lichtkegel umherbewegt werden kann, um verschiedene Teile des visuellen Feldes zu fokussieren: Wenn das Spotlight auf eine

bestimmte Stelle gerichtet ist, erhalten diejenigen Stimuli maximale Verabreitungsressourcen, die innerhalb des Spotlights liegen. Zudem ermöglicht die Fokussierung des Spotlights auf einen spezifischen Ort, dass dort verschiedene Features eines Objektes integriert werden können. Aufmerksamkeit liefert nach Treisman und Gelade (1980) somit über ihre räumliche Fokussierung den Klebstoff, mit dem einzelne Merkmale zu Objekten verknüpft werden.

Physiologische Netzwerkmodelle zur visuellen selektiven Aufmerksamkeit

Mit der Entwicklung ausgereifterer Techniken zur Aufzeichnung der metabolischen und elektrischen Gehirnaktivität hat sich in den letzten beiden Dekaden auch für die

Aufmerksamkeitsforschung die Chance eröffnet, abstrakte psychologische Prozesse auf dem Boden der biologischen Realität zu überprüfen. Erfolgreich vollzogen werden konnte der Brückenschlag zwischen Konzepten der kognitiven Psychologie und messbaren neuronalen Prozessen mit Hilfe von physiologischen Netzwerkmodellen. Diese basieren auf Theorien der kognitiven Psychologie, in denen bedeutungsbezogene Wissensrepräsentationen oder auch Emotionen mit Hilfe propositionaler Netzwerke beschrieben werden (z.B. Anderson &

Bower, 1973). Jede Wissenseinheit oder Proposition („Fritz fährt Fahrrad“) wird als Knoten dargestellt, von welchem Verbindungen zu verschiedenen Argumenten („Fritz“, „Fahrrad“) und Prädikaten („fährt“) ausgehen (Anderson, 1996). Zwischen verschiedenen Propositionen können ebenfalls Verbindungen existieren, so dass letztlich ein assoziatives Netzwerk

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entsteht. Neben semantischer Information kann ein solches Netzwerk auch affektive Informationen oder behaviorale Komponenten der Reaktion umfassen (Keil, 2000).

Biologisch plausibel erscheint eine derartige weit verteilte Informationsrepräsentation, wenn man sich die Knoten des Netzwerkes als einzelne Neuronen oder

Neuronenpopulationen vorstellt und sich dann die Verknüpfungsdichte des Gehirns vor Augen führt: Auf Basis histologischer Färbetechniken schätzen Braitenberg und Schüz (1991) die synaptische Dichte bereits im Mäusekortex auf 7.2 x 108 Synapsen pro mm3. Bei einer Neurondichte von 9.2 x 104 pro mm3 ergibt sich so eine durchschnittliche Anzahl von über 7800 Synapsen pro Neuron (Braitenberg & Schüz, 1991).

Zudem ist bekannt, dass zum Beispiel das visuelle System als weit verteiltes Gebilde organisiert ist, in dem die Informationsverarbeitung von zahlreichen, auf unterschiedliche Aspekte wie Form, Farbe oder Bewegung spezialisierten Regionen geleistet wird (Kolb &

Whishaw, 1996).

Wie kann man sich nun das Wirken von Aufmerksamkeit innerhalb eines solchen weit verteilten Netzwerkes vorstellen? Zur Beantwortung dieser Frage soll im folgenden zunächst ein Ansatz von Desimone (1996) dargestellt werden. Desimones Aussagen basieren im wesentlichen auf Einzelzellableitungen im Gehirn von Affen, die visuelle delayed-matching- to-sample-Aufgaben durchführten. Außerdem soll kurz auf einen neuen Ansatz von Müller und Keil (2002) eingegangen werden, die Aufmerksamkeitsprozesse anhand von EEG- Aufzeichnungen beim Menschen untersuchten.

Aufmerksamkeitsselektion durch verzerrten Wettstreit nach Desimone (1996)

Nach Desimone (1996) werden beim Betrachten einer komplexen visuellen Szene, die aus mehreren Objekten besteht, im Kortex parallel entsprechende neuronale Repräsentationen aktiviert. Weiter geht er davon aus, dass die den Repräsentationen zugrundeliegenden Zellverbände dann in einen Wettstreit treten, in welcher jede Repräsentation versucht, die anderen Repräsentationen zu unterdrücken. Auf neuronaler Ebene wird diese Unterdrückung über wechselseitig hemmende Verbindungen zwischen Neuronen im extrastriatären visuellen Kortex möglich (Desimone & Duncan, 1995).

Das Resultat des Wettstreites – die Dominanz einer Repräsentation auf Kosten einer anderen – wird durch verschiedene Faktoren determiniert. Zum einen handelt es sich nach Desimone (1996) um intrinsische Mechanismen innerhalb des visuellen Kortex selbst (bottom-up): Stärkere Stimulus-Repräsentationen hemmen schwächere Repräsentationen.

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Zum anderen bestimmt auch extrinsisches Feedback von anderen Strukturen außerhalb des traditionellen visuellen Systems (top-down) das Ergebnis der Konkurrenz von

Repräsentationen.

Desimone (1996) beschreibt hier auf neuronaler Ebene drei Gedächtnisprozesse, welche die Konkurrenz der Repräsentationen durch eine Modifikation der Feuerrate oder der

Sensitivität der Zellen im visuellen Kortex beeinflussen können: (1) Repetition Suppression:

Die wiederholte Präsentation desselben Stimulus führt zu kurz- und langfristiger Unterdrückung der neuronalen Antworten; (2) Enhancement: Neuronale Antworten auf Objekte mit Verhaltensrelevanz werden verstärkt; (3) Delay-Aktivität: Neuronen sind aktiv, während Information für kurze Zeit „on-line“ gehalten wird.

Desimone (1996) postuliert, dass sich „Aufmerksamkeit zumindest teilweise aus der Wirkung von Gedächtnismechanismen auf kortikale sensorische Mechanismen ableitet, welche intrinsisch kompetitiv sind“ (p. 13499).

Wesentlich für das Wirken von Aufmerksamkeit scheint aber vor allem der zweite Prozess:

Reaktionssteigerung oder Verstärkung aufgrund von Verhaltensrelevanz. In Erweiterung von Desimones Ansatz (1996) ist hier eine Verstärkung aufgrund volitionaler Aspekte zum Beispiel der Aufgabeninstruktion (willentliche Beachtung versus Nicht-Beachtung) aber auch aufgrund motivationaler oder emotionaler Faktoren denkbar (siehe unten).

Moran und Desimone (1985) konnten zeigen, dass ein stimulus-spezifisches Neuron in der Tat stark aktiviert wird, wenn der Stimulus beachtet wird, jedoch nur gering oder gar nicht erregt wird, wenn derselbe Stimulus nicht beachtet wird. In Termini der Spotlight-Metapher werden nur diejenigen neuronalen Antworten im visuellen Kortex verstärkt, die innerhalb des Lichtkegels liegen; Stimuli außerhalb des Spotlights werden zwar nicht inhibiert, aber auch nicht amplifiziert (Müller & Keil, 2002). Diese modulatorische Wirkung von selektiver Aufmerksamkeit auf der Ebene einzelner Zellen konnte in nahezu allen Regionen der visuellen Verarbeitungshierarchie nachgewiesen werden (Moran & Desimone, 1985).

Aufmerksamkeitsselektion durch Synchronisierung nach Müller und Keil (2002)

Im Hinblick auf die Konzeptualisierung von Stimulusrepräsentationen als Netzwerke bemerken Müller und Keil (2002) jedoch, dass Amplifikation auf Einzelzellebene nicht das einzige neuronale Substrat selektiver Aufmerksamkeit darstellen kann. Sie schlagen als weiteren Wirkungsmechanismus vor, dass Neurone, welche auf denselben Stimulus reagieren, bei Zuwendung von Aufmerksamkeit ihre Aktivität millisekundengenau synchronisieren.

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Dadurch wird das Signal des beachteten Stimulus verstärkt und der Stimulus kann bevorzugt verarbeitet werden.

Diese aufmerksamkeitsabhängige Synchronisierung neuronaler Netzwerkaktivität konnten die Autoren (Müller & Keil, 2002) mit Hilfe induzierter Gammaband-Reaktionen im

menschlichen EEG in einem Frequenzbereich von 40 - 50 Hz sowie 55 - 70 Hz nachweisen, wenn die Versuchspersonen Aufmerksamkeit auf die Farbe von Schachbrettmustern richteten.

Selektive Aufmerksamkeit in Raum und Zeit

So wie sich selektive Aufmerksamkeit nach dem Wirkungszeitpunkt (early-selection versus late-selection), der Modalität (visuelle versus auditorische Aufmerksamkeit) oder dem Selektionskriterium (räumlich- versus feature-basierte Aufmerksamkeit) klassifizieren lässt, kann eine Unterscheidung auch hinsichtlich zweier weiterer Dimensionen getroffen werden:

Selektive Aufmerksamkeit hilft uns bei der Auswahl von Reizen aus der Flut von

Informationen, die uns unter anderem über das visuelle System in jedem einzelnen Moment entgegenströmen. Die Auswahl von visuellen Informationen kann dabei (a) willentlich erfolgen, beispielsweise aufgrund der Aufgabeninstruktion innerhalb eines

laborexperimentellen Settings (Driver, 2001). Sie kann aber auch (b) motivational begründet sein – dann, wenn Aspekte der Umwelt eine hohe persönliche Relevanz besitzen und die Aufmerksamkeit ohne willentliche Steuerung „an sich ziehen“ (P.J. Lang, M.M. Bradley, &

B.N. Cuthbert, 1997b).

Die Allokation von Aufmerksamkeit, sei sie nun volitionaler (Driver, 2001) oder motivationaler (Lang et al. 1997b) Natur, kann aus experimenteller Sicht hierbei unter (1) statisch-räumlichen Gesichtspunkten betrachtet werden: Was passiert zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einem Reiz oder seinem ereigniskorrelierten Potential, wenn er aufgrund seiner räumlichen Position oder eines bestimmten Features beachtet oder nicht beachtet wird?

Selektive Aufmerksamkeit kann aber auch hinsichtlich (2) zeitlich-dynamischer Aspekte untersucht werden (Vogel, Luck, & Shapiro, 1998). So wie visuelle Aufmerksamkeit im Sinne der Spotlight-Metapher räumlich ungleichmäßig verteilt sein kann, kann sie auch zeitlichen Schwankungen unterliegen.

Weitaus der größte Teil aller Studien zur visuellen selektiven Aufmerksamkeit hat sich mit dem statischen Aspekt von Aufmerksamkeit beschäftigt. Erst in jüngeren Jahren wurden Versuche unternommen, die Wirkungsweise und die Dynamik von Aufmerksamkeit über die Zeit hinweg systematisch zu beleuchten. Im Laborexperiment werden Target- und Distraktor- Stimuli nunmehr nicht simultan an verschiedenen Orten präsentiert – wie zum Beispiel bei

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der visuellen Suchaufgabe, sondern die Reize erscheinen als Kette hintereinander an derselben Position innerhalb des Gesichtsfeldes.

Kontrovers wird diskutiert, inwieweit dieselben oder distinkte

Aufmerksamkeitsmechanismen an beiden Arten der Reizselektion beteiligt sind. Indizien, dass es Selektionsmechanismen gibt, die bei der statisch-räumlichen Aufmerksamkeit zum Tragen kommen, dem Wirken der Aufmerksamkeit über die Zeit aber nicht zugänglich sind, kommen aus elektrophysiologischen Untersuchungen, die sich Techniken ereigniskorrelierter Potentiale (EKP) bedienen (Vogel et al., 1998). EKP-Studien zur visuell-räumlichen

Aufmerksamkeit (für einen Überblick siehe Luck, 1998) konnten zeigen, dass diese Form der Aufmerksamkeit bereits Verarbeitungsprozesse 80 - 100 Millisekunden (ms) nach Stimulus- Onset beeinflusst. Bestimmte Komponenten der gemittelten Potentiale wie die P1-

Komponente, die in der Regel 70 bis 100 ms nach Reiz-Onset einsetzt, sind für beachtete Stimuli stärker ausgeprägt als für nicht-beachtete Stimuli. Und auch bei der feature-basierten Aufmerksamkeit wird – trotz unterschiedlichen EKP-Konfigurationen als jenen bei der räumlich-basierten Aufmerksamkeit – von einer frühen Auswahl ausgegangen (Hillyard &

Münte, 1984).

Diesem frühen Wirken der räumlich- und feature-basierten Aufmerksamkeit stehen an späterer Stelle dieser Arbeit ausführlich diskutierte EKP-Befunde von Vogel, Luck und Shapiro (Vogel et al., 1998) gegenüber, die zeigen, dass zeitlich-basierte Aufmerksamkeit ausschließlich spätere und damit kognitiv höhere Prozesse moduliert.

I.1.3 Das Paradigma der Rapid Serial Visual Presentation

Viele Forscher haben sich zur Untersuchung der zeitlichen Domäne von Aufmerksamkeit eines laborexperimentellen Paradigmas bedient, das unter dem Namen „Rapid Serial Visual Presentation“ (RSVP) in die Literatur eingegangen ist. Bei dieser Versuchsanordnung wird dem Probanden eine Reihe von Reizen in schneller Abfolge am selben Ort präsentiert. Als Stimuli werden typischerweise Buchstaben und Zahlen verwendet, aber auch komplexere Reize wie Wörter oder Bilder kommen zum Einsatz. Die Darbietungsgeschwindigkeit reicht in den verschiedenen Studien von 6 bis 20 Items pro Sekunde; bei Wörtern liegt die

Präsentationsrate angesichts der höheren Aufgabenschwierigkeit meist nur zwischen 7 und 12 Hz (Raymond, Shapiro, & Arnell, 1992).

In die Kette von Reizen sind nun ein oder zwei Zielreize (Targets) eingebettet, die sich auf eine bestimmte Art und Weise von den übrigen (Nontarget)-Reizen unterscheiden. In

Analogie zu räumlich-visuellen Suchaufgaben fungieren die Nontargets als Distraktoren.

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Beispielsweise erscheint zu einem zufälligen Zeitpunkt ein schwarzer Buchstabe innerhalb einer Reihe von weißen Distraktor-Buchstaben.

Als differenzierendes Kriterium kommen einfache visuelle Features wie Farbe und

Helligkeit des Reizes oder Großbuchstaben versus Kleinbuchstaben in Betracht; möglich sind aber auch Aufgaben mit eher kategorialen Target-Kriterien wie die Erkennung von ungeraden Zahlen unter geraden Zahlen oder von Tier-Namen unter anderen Substantiven.

Weiter lassen sich RSVP-Aufgaben danach klassifizieren, wie viele Targets in den

Distraktor-Strom eingebettet sind (single-target versus multiple-targets-Aufgaben). In Studien mit multiple-targets-Aufgaben wird der erste Target-Reiz in der Regel als T1 und der zweite Target-Reiz als T2 bezeichnet. Außerdem wird üblicherweise die Anzahl der Distraktor-Reize zwischen T1 und T2, beziehungsweise die Position, an welcher der T2-Reiz hinter dem T1- Reiz folgt, über Durchgänge hinweg frei randomisiert. Dieser Abstand zwischen T1 und T2 hat unter der Bezeichnung „T1-T2-Lag“ Eingang in die Literatur gefunden.

Eine dritte Unterscheidung zwischen RSVP-Studien betrifft die Art der Aufgabenstellung für die Versuchspersonen: Die Targets müssen von den Versuchspersonen entweder voll identifiziert werden („Geben Sie den rot geschriebenen Buchstaben wieder.“) oder bloß detektiert werden („War in der Buchstaben-Reihe ein rotes X vorhanden?“).

RSVP-Studien mit single-target-Aufgaben konnten zeigen, dass das visuelle System selbst bei hohen Präsentationsraten in der Lage ist, Stimuli wie Buchstaben oder Wörter zu

identifizieren (z.B. Lawrence, 1971).

I.1.4 Der Attentional Blink

Anhand von single-target-Studien wurde geschätzt, dass das menschliche Gehirn nach dem Offset eines Zielreizes 100 ms für dessen Identifikation benötigt (Raymond et al., 1992). Dies ließe vermuten, dass nach Abschluss des Erkennungsprozesses perzeptuelle und attentionale Ressourcen für die Identifikation eines zweiten Targets wieder in vollem Umfang zur Verfügung stünden. Multiple-Target-Aufgaben, bei denen zwei oder mehr Zielreize in den Distraktor-Strom eingestreut werden, widerlegen jedoch diese plausibel erscheinende Annahme. Der Kernbefund aller multiple-targets-Studien weist vielmehr darauf hin, dass es nach erfolgreicher Identifikation eines ersten Targets (T1) zu einem Defizit bei der

Identifikation oder Detektion eines zweiten Targets (T2) kommt, wenn beide in zeitlicher Nähe zueinander präsentiert werden.

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Die klassische Studie von Raymond, Shapiro und Arnell (1992) Im Jahre 1992 führten Raymond, Shapiro und Arnell (1992) den Begriff des Attentional Blink (AB) erstmals in die Literatur ein. In ihrer Studie verwendeten sie als Reize

Buchstaben, die mit einer Rate von 11.1 Items pro Sekunde dargeboten wurden. Sie zeigten, dass innerhalb eines Intervalls zwischen 180 und 270 ms nach einem zu identifizierenden Zielreiz weitere Buchstaben nur selten wiedergegeben werden konnten. Mit Hilfe von drei weiteren Teilexperimenten gelangten sie anschließend zu folgenden Schlussfolgerungen:

(1) Das Verarbeitungsdefizit resultiert nicht aus limitierten Gedächtnisressourcen oder spezifischen Reaktionserfordernissen. Auch wenn die Versuchspersonen einen zweiten Zielreiz nicht voll identifizieren sondern lediglich detektieren mussten, fand sich eine

defizitäre Performanz für Items zwischen 180 und 450 ms nach dem ersten Target (Raymond et al., 1992).

(2) Das Defizit ist attentionaler und nicht sensorischer Natur: Es resultiert nach den Autoren (Raymond et al., 1992) aus einer spezifischen Aufmerksamkeitssuppression infolge der Identifikation des ersten Targets und nicht aus der Beeinträchtigung elementarer

sensorischer Prozesse. Eine Kontrollgruppe, die den ersten Zielreiz ignorieren und lediglich das zweite Target detektieren sollte, zeigte keinen Rückgang der Detektionsrate. Die

Reduktion der Performanz in der Experimentalgruppe kann daher nicht auf niedrigstufigen und passiven visuellen Maskierungsprozessen beruhen, die durch die Präsentation des ersten weißen Zielreizes hervorgerufen werden.

(3) Die Aufmerksamkeitssuppression wird nicht durch die Präsentation des ersten Zielreizes per se oder die RSVP-Prozedur allein erzeugt, sondern hängt vom ersten

Posttarget-Ereignis ab. Wenn für mindestens 160 ms kein visueller Input nach dem Target- Offset dargeboten wird, d.h. wenn auf T1 ein leerer Bildschirm folgt, zeigte sich kein Rückgang der Detektionsraten (Raymond et al., 1992).

Raymond et al. (1992) sehen in diesen Befunden eine Analogie zu den Prozessen, die das Augenblinzeln begleiten: Während des Lidschlusses beim Augenblinzeln kommt es für 150 ms zu einer Unterdrückung visueller Informationen. Außerdem wird ein Augenblinzeln typischerweise initiiert, nachdem aus einer visuellen Szene Informationen extrahiert wurden.

Analog dazu wird der etwa 270 ms andauernde AB eingeleitet, nachdem ein Target detektiert wurde.

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Das typische Muster des Attentional Blink

Trotz bis heute ungelöster Kontroversen hinsichtlich der theoretischen Erklärung des AB haben im Anschluss an die ersten Experimente von Raymond et al. (1992) zahlreiche Studien gezeigt, dass es sich beim AB um ein sehr robustes Phänomen handelt, das bei den meisten Versuchspersonen reliabel auftritt. Als prototypisches AB-Muster lässt sich aus den diversen Arbeiten mittlerweile folgendes extrahieren: Bei der typischen Präsentationsrate von 10 Items pro Sekunde findet sich ein maximaler Rückgang der Wiedergabeleistung auf Werte von bis zu 20 %, wenn zwischen T1 und T2 ein oder zwei Distraktoren präsentiert werden (Stimulus Onset Asynchrony [SOA] zwischen 200 und 300 ms). In den darauffolgenden Lags erholt sich die Identifikationsgenauigkeit langsam und ab fünf intervenierenden Items (SOA von 600 ms) ist die Leistung in der Regel auf das Ausgangsniveau von etwa 80 bis 90 % zurückgekehrt. Kein oder nur ein geringes Wiedergabedefizit zeigt sich, wenn der T2-Reiz unmittelbar auf den T1-Reiz folgt (SOA von 100 ms).

Abbildung 1: Typisches Muster des Attentional Blink. Die Wiedergabeleistung (y-Achse) ist als Funktion der zeitlichen Distanz zwischen T1 und T2 (x-Achse) dargestellt (nach Chun & Potter, 1995).

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I.1.5 Modelle des Attentional Blink

Das Gemeinsame aller Erklärungsansätze zum AB stellt die Annahme dar, dass ein oder mehrere Aspekte bei der Verarbeitung des T1-Reizes eine limitierte Ressource beanspruchen, die daraufhin für die Verarbeitung des T2-Reizes nicht oder nicht mehr in vollem Umfang zur Verfügung steht (McLaughlin, Shore, & Klein, 2001). Unterscheiden lassen sich die Modelle nach McLaughlin hinsichtlich der Art dieser zugrunde liegenden Verarbeitungsbeschränkung.

Im folgenden sollen zunächst zwei Modelle vorgestellt werden, die sich innerhalb der Erklärungsansätze zum AB in die Klasse der Interferenz-Theorien einordnen lassen: Das 1992 publizierte Inhibitions-Modell wurde von Jane E. Raymond, Kimron L. Shapiro und Karen M.

Arnell zur Erläuterung ihrer oben beschriebenen Daten entworfen (Raymond et al., 1992).

Eine von denselben Autoren vorgenommene Revision dieser Theorie stellt das 1994

vorgestellte Similarity-Modell dar, das als zweites diskutiert werden soll (Shapiro, Raymond,

& Arnell, 1994).

Anschließend sollen zwei Erklärungsansätze zur Sprache kommen, die sich in die Familie der Flaschenhals-Theorien einordnen lassen: Das Two-Stage-Modell von Marvin M. Chun und Mary C. Potter (1995), das bis heute zur Erklärung vor allem der elektrophysiologischen AB-Befunde herangezogen wird, und das Modell von Pierre Joilcoeur (1998), das eine Erweiterung der Theorie von Chun und Potter darstellt.

Interferenz-Theorien

Das Inhibitions-Modell: Die Aufmerksamkeit schließt das Tor Ausgehend von ihren oben dargestellten Befunden schlagen Raymond und Mitarbeiter (1992) folgende Kette von Ereignissen vor, die zum AB führen: Während der Stimulation mit Reizen innerhalb eines RSVP-Paradigmas wird das target-definierende Merkmal von T1 (beispielsweise die Farbe) präattentiv im sensorischen Speicher detektiert. Die Detektion initiiert eine episodenhafte Reaktion des Aufmerksamkeitssystems, um die Identifikation des Targets zu erleichtern: Aufmerksamkeit wird auf das Target im sensorischen Speicher gelenkt.

Wenn nun ein neuer Reiz unmittelbar nach dem Target und vor dem Ende der geschilderten Aufmerksamkeitsepisode dargeboten wird, befinden sich im sensorischen Speicher neben den Target-Features auch Features dieses Posttarget-Items zur Auswahl (Raymond et al., 1992). Der Identifikationsmechanismus erhält verwirrende Informationen, die zu fehlerhaften Verknüpfungen von Buchstabenfarben mit Buchstabennamen führen können. Um weitere Konfusion zu vermeiden, wird schließlich ein Inhibitionsprozess

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eingeleitet: Neue Items erhalten keinen Zugang mehr in den sensorischen Speicher und werden nicht verarbeitet; das „Attentional Gate“ (Raymond et al., 1992, p. 858) wird geschlossen. Während der etwa 450 ms andauernden Periode des geschlossenen Tores versucht das System, aus dem sensorischen Speicher die richtige Farbe mit dem richtigen Buchstabennamen zu verknüpfen. Folgerichtig verzögert sich der Beginn einer neuer Aufmerksamkeitsepisode merklich. Liegt dagegen keine Interferenz vor (wenn statt einem Posttarget-Item ein leerer Bildschirm auf das Target folgt und die Target-Identifikation ohne Interferenz von nachfolgenden Stimuli abgeschlossen wird), kann eine neue

Aufmerksamkeitsepisode rasch initiiert werden.

Das Similarity-Modell: Entscheidend ist die Gewichtung

Entscheidend für die Verwerfung des ursprünglichen Attentional-Gate-Modells (Raymond et al., 1992) waren zwei Befunde, die Shapiro, Raymond und Arnell im Jahre 1994 vorstellten (Shapiro et al., 1994). Sie demonstrierten zum einen, dass auch eine bloße T1-

Detektionsaufgabe anstelle der schwierigeren T1-Identifikation zu einem AB führt. Zum anderen zeigten sie, dass auch ein einfaches Punkt-Muster als T1+1-Reiz (der Reiz, der unmittelbar auf T1 folgt) die Verarbeitung nachfolgender Reize beeinträchtigt – wenn auch in abgeschwächter Form. In beiden Fällen, so die Autoren, sei eine

Aufmerksamkeitssuppression zur Vermeidung von Verknüpfungsfehlern (zwischen Features des T1- und des T1+1-Reizes) als Erklärung inadäquat.

Shapiro und Mitarbeiter (1994) postulieren stattdessen folgende Kette von Ereignissen, die zur Manifestation eines AB führen: (1) Zunächst werden in einer frühen und parallelen Phase der visuellen Informationsverarbeitung Repräsentationen aller Items im visuellen Feld

erzeugt. (2) Anschließend werden diese Repräsentationen mit internen Schablonen des T1- und T2-Reizes verglichen. (3) Diejenigen Items, die den Schablonen annähernd entsprechen, werden für den Eintritt ins visuelle Kurzzeitgedächtnis (VKZG) ausgewählt, welches

begrenzte Kapazität besitzt.

Eine entscheidende Determinante für den VKZG-Zugang von Distraktor-Items ist also deren Ähnlichkeit zu den Target-Schablonen. Daneben bestimmt auch die zeitliche

Kontiguität zum Zielreiz den Zugang ins VKZG. Im RSVP-Strom erhalten nach Shapiro et al.

(1994) vier Items Einlass ins VKZG: Das erste Target T1, das Item, das unmittelbar auf T1 folgt (T1+1), das zweite Target T2 und der darauffolgende Reiz T2+1.

Wesentlich innerhalb des VKZG ist nach den Autoren (Shapiro et al., 1994) folgender Aspekt: Items, die Zugang zum VKZG erhalten haben, sind mit spezifischen Gewichten

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versehen, deren Summe von fixer und damit beschränkter Kapazität ist. Diese Gewichte bestimmen die Wahrscheinlichkeit des Abrufs aus dem VKZG nach Ende des Trials. Die Gewichtung ist wiederum abhängig vom Grad der Übereinstimmung mit den Target-

Schablonen und der Reihenfolge des Eintritts ins VKZG – Items, die früher eintreten, erhalten ein höheres Gewicht als Items, die später eintreten, da aufgrund der Kapazitätsbeschränkung für sie nur noch wenig Ressourcen (Gewichte) zur Verfügung stehen. T2-Fehler treten auf probabilistische Weise dann auf, wenn das falsche Item aus dem VKZG abgerufen wird.

Es hat sich in der Tat gezeigt, dass T2-Fehler in der Regel nicht das Ergebnis von

zufälligem Raten sind, sondern meist aus denjenigen Items des RSVP-Stromes bestehen, die etwa zur selben Zeit wie der T2-Reiz dargeboten wurden (Maki, Couture, Frigen, & Lien, 1997).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der AB laut dem Similarity-Modell aufgrund von Konkurrenz durch andere hochgewichtete Items im VKZG zur Zeit des Abrufs entsteht (Shapiro et al., 1994). Bei kurzen Intertarget-Intervallen befinden sich T1 und T1+1 zur Zeit der T2-Präsentation noch im VKZG-Speicher und beanspruchen Gewichte oder Ressourcen, die dem T2 somit nicht zugänglich sind. Bei längeren Lags kann sich die Wiedergabeleistung erholen, da genügend Zeit vorhanden war, den T1- und den T1+1-Reiz aus dem VKZG zu entfernen und möglicherweise in ein anderes System wie das des Kurzzeitgedächtnisses zu transferieren.

Während das Inhibitions-Modell (Raymond et al., 1992) also von einem kompletten Herunterfahren des Verarbeitungssystems (d.h. einem Verschluss des VKZG) ausgeht, beschreibt das Similarity-Modell (Shapiro et al., 1994) die Problematik als Konkurrenz von Items, die um den Abruf aus dem VKZG wettstreiten. Damit kann das erste Modell der Familie der early-selection-Theorien zugeordnet werden, wohingegen das Similarity-Modell mehr den late-selection-Ansätzen in der Aufmerksamkeitsliteratur entspricht.

Wenn auch nicht explizit formuliert, ist der entscheidende Faktor für die Erzeugung des AB aber auch beim Inhibitions-Modell die Ähnlichkeit von Items (Raymond et al., 1992).

Doch während im Inhibitions-Modell die Ähnlichkeit zwischen T1 und T1+1 wesentlich ist, ist es im Similarity-Modell (Shapiro et al., 1994) die Ähnlichkeit zwischen T2 und allen anderen Items, die Zugang zum VKZG erhalten haben (nämlich T1, T1 + 1und T2 +1). Der T2-Reiz an sich spielt im Inhibitions-Modell nur eine passive Rolle, während seine

Eigenschaften im Similarity-Modell wesentlich für die Entstehung des Verarbeitungsdefizits sind.

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Flaschenhalstheorien

Das Two-Stage-Modell von Chun und Potter: Es gibt einen Flaschenhals

Im Jahre 1995 veröffentlichten Chun und Potter mehrere Experimente, die unter anderem den Einfluss der Diskriminierbarkeit zwischen Targets und Distraktoren zum Gegenstand hatten (Chun & Potter, 1995). Die Diskriminierbarkeit wurde dadurch variiert, dass die Distraktoren im Vergleich zu den Buchstaben-Targets entweder aus leicht unterscheidbaren Items (Symbole) oder aus schwer unterscheidbaren Items (Zahlen) bestanden. Es zeigte sich zum einen, dass auch kategorial definierte Targets (Buchstaben unter Zahlen oder Symbolen) einen AB hervorriefen. Zum anderen demonstrierten die Autoren, dass sowohl eine Erhöhung der lokalen Diskriminierbarkeit (durch Manipulation derjenigen Items, die direkt auf die Targets folgten) als auch eine Erhöhung der globalen Diskriminierbarkeit (durch

Manipulation aller Disktraktoren) das Ausmaß des AB signifikant reduzierte.

Chun und Potter (1995) postulieren zwei Stufen, mit deren Hilfe sie ihre Befunde und das AB-Phänomen erklären: (1) „Rapid Detection“: Jedes Item des RSVP-Stroms wird zunächst präattentiv auf einer ersten Stufe dergestalt verarbeitet, dass eine kurzlebige konzeptuelle Repräsentation entsteht, anhand derer jene Features analysiert werden können, die für die Target-Detektion relevant sind. Diese initialen Repräsentationen der sogenannten Stufe 1 sind allerdings äußerst anfällig für visuelle Interferenz und werden rasch durch nachfolgende Items des RSVP-Stroms überschrieben und somit vergessen. (2) „Capacity-limited processing“: Für die spätere Wiedergabe und Identifikation ist es notwendig, dass Stufe-1-Repräsentationen in eine stabilere Form überführt werden. Dies geschieht durch serielle Konsolidierung im verbalen Kurzzeitgedächtnis. Die Konsolidierung wird durch eine vorübergehende

Aufmerksamkeitsreaktion initiiert, wenn auf Stufe 1 ein potentielles Target detektiert wird.

Chun und Potter gehen davon aus, dass die zeitliche Auflösung dieses

Aufmerksamkeitsprozesses so geartet ist, dass zusammen mit dem Target-Reiz (T1 oder T2) parallel auch das unmittelbar darauffolgende Item (T1+1 oder T2+1) auf Stufe 2 verarbeitet wird.

Entscheidend ist nun aber, dass auf Stufe 2 maximal zwei Items gleichzeitig verarbeitet werden können (Chun & Potter, 1995). Wenn der T2-Reiz dargeboten wird, während die Stufe 2 noch mit T1 und T1+1 beschäftigt ist, wird T2 zwar vom Stufe-1-Mechanismus analysiert, die Stufe-2-Konsolidierung verzögert sich aber. T2 läuft dadurch Gefahr, durch auf ihn folgende Items überschrieben und damit vergessen zu werden. Die Zeit, in der die

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Aufmerksamkeitsressourcen mit der T1-Verarbeitung beschäftigt sind, wurde von Duncan, Ward und Shapiro (1994) auch als „attentional dwell time“ umschrieben.

Auch im Two-Stage-Modell (Chun & Potter, 1995) nimmt das Item, das unmittelbar auf T1 folgt, einen besonderen Platz ein. Erst die Notwendigkeit für den Stufe-2-

Verarbeitungsmechanismus, zwischen beiden Items zu diskriminieren, führt zu einer Prozessierungs-Verzögerung und einem möglichen Überschreiben des T2-Reizes. Je größer die Unterscheidbarkeit zwischen T1 und dem T1+1-Item, desto schneller kann die Stufe-2- Verarbeitung erfolgen und desto früher steht der Verarbeitungsmechanismus wieder zur Verfügung. Somit ist auch das Chun-Modell in der Lage, den Befund zu erklären, dass ein leicht zu diskriminierender leerer Bildschirm anstelle des T1+1 Items zu einer Reduktion des AB führt. Auch die Tatsache, dass der T2-Reiz in der Regel richtig wiedergegeben werden kann, wenn er direkt auf den T1-Reiz folgt, wird anhand des Two-Stage-Modells dadurch erklärbar, dass die Ressourcen auf Stufe 2 genau für die Verarbeitung von zwei Items ausreichen.

Das Central-Interference-Modell: Es kommt zu zentraler Interferenz

Pierre Jolicoeur (1998) demonstrierte in einer Serie von Experimenten, dass relativ späte Verarbeitungsprozesse, wie beispielsweise die Reaktionsauswahl, das Ausmaß und die Dauer des AB modulieren können. In einer Modifikation des klassischen AB-Paradigmas verglich Jolicoeur die Leistung von Versuchspersonen, die auf den T1-Reiz sofort und so schnell wie möglich – on-line noch während der RSVP-Stimulation – reagieren sollten („speeded task“) mit Probanden, bei denen die T1-Reaktion entsprechend des traditionellen Designs verzögert und ohne Zeitdruck nach jedem Trial erfolgte („unspeeded task“). Die Reaktion auf den T2- Reiz sollte ohne Zeitdruck nach jedem Trial durchgeführt werden. Es zeigte sich zum einen, dass der AB bei der speeded task größer ausfiel als bei der unspeeded task, und zum anderen, dass kürzere Reaktionszeiten innerhalb der speeded-task-Bedingung mit einem geringeren und kürzeren AB-Defizit einhergingen als längere Reaktionszeiten.

Ähnlich wie das Two-Stage-Modell postuliert Jolicoeur (1998), dass der AB aus einer defizitären Konsolidierung des T2-Stimulus im Kurzzeitgedächtnis (KZG) resultiert. Im Kern der Theorie steht die Annahme, dass bestimmte kognitive Prozesse „zentrale Mechanismen“

benötigen (p. 1028). Diese Mechanismen sind kapazitätsbeschränkt und können daher manche Verarbeitungsschritte nur seriell vornehmen. Die KZG-Konsolidierung des T2-Reizes nun

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beansprucht genau diese zentralen Mechanismen. Alle Prozesse, die ebenfalls zentrale Mechanismen benötigen und diese vor dem Onset des T2-Reizes auch beanspruchen, interferieren somit mit der T2-Konsoliderung und verzögern sie. Jolicoeur spricht bei mehreren Operationen, die gleichzeitig zentrale Mechanismen beanspruchen, von „zentraler Interferenz“ (p. 1027).

In einer Generalisierung von Chun und Potters Modell (1995) nimmt Jolicoeur (1998) an, dass die T2-Konsolidierung nicht nur durch die T1-Konsolidierung, sondern auch durch Prozesse wie Abruf aus dem Langzeitgedächtnis, mentale Rotation, task-switching oder eben die Reaktionsauswahl verzögert werden kann. Je länger der Aufschub, desto größer die Gefahr, dass die Repräsentation des T2-Reizes verloren geht oder zerfällt.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Modelle

Vergleicht man das Similarity-Modell von Shapiro und Mitarbeitern (1994) mit den Flaschenhals-Theorien von Chun und Potter (1995) sowie Jolicoeur (1998), so lassen sich sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede zwischen beiden theoretischen Perspektiven konstatieren. Beide Perspektiven lassen sich einer late-selection-Position zuordnen, da sie davon ausgehen, dass alle Items innerhalb des RSVP-Stroms bis zu einem gewissen Grad verarbeitet werden und Ressourcenknappheit erst auf einer späteren und weitergehenderen Stufe der Verarbeitung existiert. Bei beiden Theorien resultiert das Phänomen des AB direkt aus diesen Kapazitätsbeschränkungen höherer kognitiver Prozesse. Unterschiedlich ist jedoch der zugrundeliegende Mechanismus: Während laut Similarity-Modell die T2-

Wiedergabeleistung durch Konkurrenz von Items im visuellen KZG reduziert wird,

postulieren sowohl Chun und Potter als auch Jolicoeur eine Kapazitätsbeschränkung aufgrund des seriellen Charakters einer späteren Verarbeitungsstufe, die für die KZG-Konsolidierung der Items verantwortlich ist. Zu einem bestimmten Zeitpunkt können dort lediglich ein oder zwei Items (T1 und T1+1) verarbeitet werden, wodurch T2 verloren geht.

Wenn man das visuelle Kurzzeitgedächtnis nach dem Similarity-Modell (Shapiro et al., 1994) und die Stufe 2 nach dem Two-Stage-Modell (Chun & Potter, 1995) gleichsetzt mit dem Konzept eines Arbeitsgedächtnisses, offenbart sich der Kernunterschied zwischen den Theorien: Während beim Similarity-Modell T1 und T2 beide das Arbeitsgedächtnis erreichen und Fehler lediglich aus dem Abruf des falschen Items resultieren, gelangt der T2-Reiz im Two-Stage-Modell erst gar nicht ins Arbeitsgedächtnis, da der Transferprozess mit der T1- Verarbeitung okkupiert ist. Verkürzt formuliert betrifft der Unterschied zwischen beiden

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theoretischen Perspektiven die Kontroverse: Konkurrenz um KZG-Zugang versus Konkurrenz um KZG-Abruf.

Von der konzeptuellen Seite her betrachtet, schließt das Similarity-Modell (Shapiro et al., 1994) in seinen Erklärungsansatz damit Aspekte ein, die erst während der Abrufprozesse nach jedem Trial zum Tragen kommen. Die Aussagen in Chun und Potters (1995) sowie Jolicoeurs (1998) Modell demgegenüber zielen ausschließlich auf die Online-Verarbeitung der Items in Echtzeit ab (Larkin, n.d.).

Trotz der geschilderten Unterschiede liegt angesichts der substantiellen Ähnlichkeit aller AB-Modelle generell die Vermutung nahe, dass die verschiedenen Autoren identische Prozesse lediglich mit anderen Namen versehen. Auch eine Entscheidung für oder gegen eines der Modelle auf Basis seiner Voraussagekraft für konkrete Befunde fällt schwer. Zum einen können bestimmte Ergebnisse durch alle Modelle erklärt werden: Die Tatsache, dass ein leerer Bildschirm als T+1-Reiz den AB reduziert, erklärt das Similarity-Modell (Shapiro et al., 1994) über die Unähnlichkeit dieses Reizes und der somit verringerten Konkurrenz im KZG; das Two-Stage-Modell (Chun & Potter, 1995) schreibt den Befund dagegen einer beschleunigten T1-Verarbeitung auf Stufe 2 zu. Zum anderen liegen hinsichtlich bestimmter Eigenschaften des AB, die zwischen den Modellen dissoziieren könnten, widersprüchliche Befunde vor. Shapiro et al. (1994) oder auch McLaughlin et al. (2001) finden keine Variation des AB in Abhängigkeit der T1-Schwierigkeit, während Chun und Potter (1995) von einer Reduktion des Verarbeitungsdefizits bei höherer Distraktor-Diskriminierbarkeit und damit geringerer Schwierigkeit bei der T1-Verarbeitung berichten.

Vor allem im Hinblick auf die theoretische Einbettung der hier berichteten Befunde erscheint es daher angemessen, sich auf diejenigen Aspekte und Eigenschaften des AB zu konzentrieren, die allen Modellen gemeinsam sind und – wenn auch auf verschiedene Art und Weise – aus ihnen prediziert werden können. Im wesentlichen handelt es sich bei diesem gemeinsamen Aspekt um die zeitliche Lokalisierung der AB-Wirkungsmechanismen auf späte und kognitiv höhere Ebenen in der Verarbeitungskette.

Wichtig erscheint nun aber die Frage, woher direkte Evidenz für solch einen späten postperzeptuellen Wirkungszeitpunkt des AB und eine late-selection kommen könnten. Wie lässt sich demonstrieren, dass beim AB in der Tat die high-level-Verarbeitung und nicht frühe sensorische Prozesse einer Kapazitätsbeschränkung im Sinne eines Flaschenhalses

unterliegen? In den letzten Jahren zeigte sich, dass zur Beantwortung dieser Fragen besonders

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zwei Forschungsrichtungen substantielle Beiträge leisten konnten: Studien mit ereigniskorrelierten Potentialen und Priming-Studien.

I.1.6 Evidenzen für eine späte Auswahl beim Attentional Blink ERP-Studien

Vogel, Luck und Shapiro (1998) untersuchten EKP-Wellenformen, die von T2-Stimuli innerhalb des AB hervorgerufen wurden. Es wird allgemein angenommen, dass bestimmte Halbwellen oder Komponenten der gemittelten EKPs mit bestimmten perzeptuellen und kognitiven Verarbeitungsschritten assoziiert sind (Elbert, Junghöfer, Rockstroh, & Roth, 2001): So reflektieren die frühen positiven und negativen Halbwellen (P1 und N1) Prozesse sensorischer Verarbeitung, während spätere Komponenten wie die N400 oder P300 mit höheren Prozessen wie der semantischen Analyse (N400) oder der Auffrischung des Arbeitsgedächtnisses (P300) in Zusammenhang gebracht werden.

Vogel und Mitarbeiter (1998) konnten in einem RSVP-Experiment mit Buchstabenreizen zunächst zeigen, dass trotz der auf Verhaltensebene beobachtbaren Beeinträchtigung bei der T2-Verarbeitung frühe EKP-Komponenten wie die erste negative und positive Halbwelle (P1 und N1), die in einem Zeitbereich zwischen 70 und 200 ms auftreten, nicht unterdrückt oder verändert werden. Die Autoren schließen daraus, dass es innerhalb des AB nicht zu einer Unterdrückung früher sensorischer Prozesse kommt.

Ein überraschenderes Ergebnis offenbarte sich indes bei der Untersuchung der N400- Komponente. Diese negative Halbwelle, die eine maximale Amplitude etwa 400 ms nach Stimulus-Onset hat, wird typischerweise ausgelöst, wenn ein Wort semantisch von einem zuvor etablierten Bedeutungszusammenhang abweicht (Elbert et al., 2001). Zur Untersuchung dieser Komponente verwendeten die Autoren (Vogel et al., 1998) als T2-Reize Wörter, die mehr oder weniger in semantischer Relation zu einem vor jedem Trial dargebotenen Kontext- Wort standen. Es zeigte sich, dass auch die N400-Komponente während der AB-Periode nicht unterdrückt wird. Daraus folgern die Autoren, dass die Verarbeitung des T2-Wortes auch die Bedeutungsextraktion mit einschließt. Der AB spiegele somit einen postperzeptuellen Verlust von Information wider, der erst nach vollständiger Stimulusidentifikation und Worterkennung einsetze und möglicherweise mit Prozessen des Arbeitsgedächtnisses zusammenhänge.

Direkte Evidenz für diese Rolle des Arbeitsgedächtnisses gewannen Vogel und Mitarbeiter (1998) schließlich aus der Untersuchung der P300-Komponente. Die Amplitude dieser

positiven Komponente, die einen Peak zwischen 400 und 600 ms nach Stimulus-Onset hat,

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wird moduliert durch die subjektive Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Reizen einer aufgabendefinierten Kategorie (Elbert et al., 2001): Reize einer seltenen Kategorie rufen eine stärkere P300 hervor als Reize einer häufigen Kategorie. Interpretiert wird diese Modulation als eine Auffrischung von Informationen im Arbeitsgedächtnis (Elbert et al., 2001).

Vogel und Mitarbeiter (1998) demonstrierten nun mit Hilfe eines einfachen Buchstaben- RSVP-Designs, dass die P300-Komponente für Reize innerhalb des AB komplett unterdrückt wird – mit einer maximalen Suppression um 400 ms. Sie sehen darin einen Indiz dafür, dass der AB postperzeptuell auf derjenigen Verarbeitungsstufe entsteht, mittels derer im

Arbeitsgedächtnis eine stabile Repräsentation des Stimulus erzeugt und damit eine bewusste Wahrnehmung möglich wird. In Einklang steht dieser Befund einer unterdrückten P3-

Komponente somit mit dem Two-Stage-Modell (Chun & Potter, 1995), nach dem das T2-Item überhaupt nicht die Stufe des Arbeitsgedächtnisses erreicht.

Priming-Studien

Rolke, Heil, Streb und Henninghausen (2001) konnten auf elektrophysiologischer Ebene zeigen, dass Wörter innerhalb des AB weiterhin in der Lage sind, als Priming-Stimuli für nachfolgende Reize zu agieren. Den Versuchspersonen wurden drei zu identifizierende weiße Target-Wörter innerhalb eines mit 12 Hz dargebotenen RSVP-Stromes aus schwarzen

Distraktor-Wörtern präsentiert. Parallel dazu wurden ereigniskorrelierte Potentiale aufgezeichnet. Die Autoren variierten die semantische Assoziation zwischen dem Prime- Stimulus (zweites Target) und dem Probe-Stimulus (drittes Target) systematisch: zum Beispiel „rope – cake“ als nicht assoziiert, „bread – cake“ als schwach assoziiert und „pie – cake“ als stark assoziiert. Der Prime-Stimulus wurde jeweils innerhalb des AB des ersten Targets (SOA von 250 ms) dargeboten, während der Probe-Reiz außerhalb der AB-Periode beider Targets präsentiert wurde.

Es zeigte sich im Sinne des AB-Paradigmas eine Beeinträchtigung in der

Identifikationsgenauigkeit für den Prime-Stimulus (Rolke et al., 2001). Außerdem konnten die Autoren den Befund von Vogel et al. (1998) replizieren, dass nicht-berichtete Targets innerhalb des AB keine P300-Komponente hervorrufen. Trotz der P300-Unterdrückung zeigte sich allerdings auch bei nicht identifizierten Prime-Stimuli ein N400-Priming-Effekt für den nachfolgenden Probe-Reiz. Diese Effekt beschreibt den Umstand, dass die N400-Amplitude des Probe-Wortes in Abhängigkeit des zuvor etablierten semantischen Kontextes variiert: Das Potential wird abgeschwächt, wenn das Probe-Wort durch einen vorher dargebotenen

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semantisch assoziierten Stimulus geprimt wurde. Je stärker die Assoziation zwischen Prime und Probe, desto stärker die Abschwächung.

Auch diese elektrophysiologischen Befunde (Rolke et al., 2001) sprechen also im Sinne eines late-selection-Modells des AB dafür, dass die Zielwörter innerhalb der AB-Periode semantisch analysiert werden, wodurch ihre Wortbedeutungen – zumindest für eine kurze Zeit – aktiviert werden. Mechanismen wie die „automatic spread of activation“ (Collins & Loftus, 1975), die zur Erklärung von Priming-Effekten herangezogen werden, sind nach Rolke und Mitarbeitern also resistent gegenüber dem Verarbeitungsdefizit.

Kritisch lässt sich feststellen, dass Rolke et al. (2001) auf Verhaltensebene keine Priming- Effekte der nicht-identifizierten Prime-Stimuli nachweisen konnten. Vielmehr zeigte sich in der Wiedergabeleistung sogar eine negative Beziehung zwischen der Assoziationsstärke des nicht-identifizierten Primes und des nachfolgenden Probe-Stimulus.

I.1.7 Modulation des Attentional Blink Salienz-Modulation durch Namen

Ein weiteres Argument für late-selection-Mechanismen beim AB lieferten Shapiro, Caldwell und Sorensen im Jahre 1997. Sie demonstrierten eine Modulation des AB, wenn als T2-Reiz ein salienter oder intrinsisch bedeutungshaltiger Stimulus wie etwa der eigene Namen der Versuchsperson verwendet wurde (Shapiro, Caldwell, & Sorensen, 1997). Mit einer Präsentationsrate von 13,3 Hz wurde den Probanden ein Strom von schwarzen Distraktor-Items präsentiert, in dem sie einen weißen T1-Reiz identifizieren und die Anwesenheit eines vorher definierten T2-Wortes detektieren sollten. Es zeigte sich das

übliche AB-Muster, wenn als T2 ein normales Substantiv dargeboten wurde. Eine signifikante Abschwächung des AB-Effektes trat ein, wenn der Name einer anderen Person präsentiert wurde. Zur vollständigen Nivellierung des Verarbeitungsdefizits kam es, wenn als zweiter Target-Reiz der eigene Name fungierte.

In diesen Befunden (Shapiro et al., 1997) wird eine Analogie zu einem auditorischen Phänomen bei dichotischen Beschattungsaufgaben augenfällig, das Moray 1959 als Cocktailparty-Effekt beschrieb (Moray, 1959). Normalerweise werden bei dichotischen Beschattungsaufgaben Informationen des unbeschatteten Ohres unterdrückt. Moray konnte aber zeigen, dass dies nicht gilt, wenn der eigene Name des Probanden auf dem

unbeschatteten Ohr dargeboten wird. Wie auf einer Cocktailparty mit vielen parallelen Konversationen sticht die Erwähnung des eigenen Namens hervor. Shapiro und Mitarbeiter (1997) interpretierten ihre Ergebnisse demnach als visuellen Cocktailparty-Effekt.

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Für dessen Erklärung greifen die Autoren (Shapiro et al., 1997) auf Treismans (1964) dämpfungstheoretische Begründungen der Befunde bei dichotischen Beschattungsaufgaben zurück. Da dieser Ansatz auch für die eigenen Hypothesen hohe Relevanz besitzt, soll er im folgenden näher erläutert werden: Nach Treisman (1964) sind alle Wörter innerhalb eines

„mentalen Wörterbuches“ als Knoten repräsentiert. Jedes Wort besitzt einen bestimmten Schwellenwert, der überschritten werden muss, damit das Wort die Ebene des Bewusstseins erreicht und wiedergegeben werden kann. Für Informationen des nicht-beschatteten Ohres besteht in der Regel eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Knoten über den

Schwellenwert hinaus aktivieren. Sehr saliente und persönlich bedeutsame Wörter besitzen nun aber einen geringeren Schwellenwert – diese Wörter befinden sich quasi im Zustand eines permanenten Primings. Bei niedriger Schwelle kann der Knoten wiederum auch bei Nicht-Beschattung ein ausreichend hohes Erregungsniveau erreichen, so dass das Wort bewusst wahrgenommen wird. Im Sinne interferenztheoretischer Überlegungen ist nach Shapiro et al. (Shapiro et al., 1997) der eigene Name als T2-Reiz im Vergleich zu traditionellen AB-Stimuli durch seine niedrigere Schwelle und leichtere Aktivierbarkeit dadurch weniger anfällig für Interferenz durch andere Items.

Affektive Modulation durch negative Wörter

In einer im Jahre 2001 veröffentlichen Studie konnten Anderson und Phelps (2001) erstmals zeigen, dass auch der affektive Gehalt des T2-Wortes einen Einfluss auf die Ausprägung des AB haben kann.

Mit einer Geschwindigkeit von 7.7 Items pro Sekunde präsentierten die Autoren (Anderson

& Phelps, 2001) eine Kette von schwarzen Distraktor-Wörtern, in denen die

Versuchspersonen zwei grüne Zielwörter identifizieren sollten. Während die T1-Reize aus einem Pool von neutralen Wörtern wie „broom“ oder „distance“ rekrutiert wurden, wurden als T2-Stimuli sowohl neutrale als auch aversive, negativ valente Wörter wie „rape“ oder

„bastard“ verwendet. Linguistische Parameter wie Wortlänge und Wortfrequenz wurden für die neutrale und affektive Liste konstant gehalten. Als Distraktoren kamen ebenfalls neutrale Wörter zum Einsatz.

Gesunde Versuchspersonen zeigten nun bei der T2-Identifikation eine verbesserte Wiedergabeleistung, wenn als zweiter Zielreiz ein negatives Wort verwendet wurde (Anderson & Phelps, 2001). Diese Fazilitation äußerte sich in einer über alle sieben Lag- Bedingungen gemittelten Erhöhung der Identifikationsgenauigkeit von 61.5 % bei neutralen

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Wörtern auf 79.8 % bei negativen Wörtern. Am stärksten offenbarte sich die affektive Modulation indes in den kurzen T1-T2-Intervallen (SOAs von 130 bis 390 ms).

Im Unterschied zu den neurologisch gesunden Versuchspersonen ließen fünf Patienten mit epilepsie-bedingter Resektion der linken Amygdala die verbesserte Wahrnehmung bei

emotionaler Salienz des Zielwortes missen (Anderson & Phelps, 2001). Auch bei einem Patienten mit bilateraler Amygdala-Läsion war keine Affektmodulation zu finden; eine normale Performanzsteigerung zeigte sich dagegen bei fünf Patienten mit Resektion der rechten Amygdala.

Wie eine Rating-Untersuchung der Stimuli auf den Dimensionen Valenz und Arousal verdeutlichte, waren die Patienten mit bilateraler oder linker Amygdala-Läsion durchaus in der Lage, den affektiven Gehalt der Reize zu verstehen – die Beeinträchtigung bezieht sich nach Anderson und Phelps (2001) daher ausschließlich auf eine Fazilitation bei der

perzeptuellen Enkodierung emotional geladener Stimuli.

Mögliche neuronale Grundlagen der affektiven Modulation

Anderson und Phelps (2001) Befunde liefern einen Indiz dafür, dass die Amygdala eine zentrale Rolle bei der perzeptuellen Enkodierung emotional salienter linguistischer Reize und somit auch bei der Modulation des AB durch affektive Reize spielt.

In den Augen der Autoren moduliert die Amygdala die Effizienz der perzeptuellen Enkodierung und im Falle linguistischer Stimuli die Effizienz der Wortverarbeitung dergestalt, dass die Sensitivität des Wahrnehmungssystems gegenüber motivational

signifikanten Ereignissen erhöht wird (Anderson & Phelps, 2001). Dadurch sind diese für den Organismus bedeutsamen Reize nicht mehr abhängig von limitierten

Aufmerksamkeitsressourcen, um die Stufe bewussten Erlebens zu erlangen. In Bezug auf die neuronalen Grundlagen dieser Sensitivitätssteigerung nennen die Autoren zwei potentielle Mechanismen neuronaler Plastizität: (1) Modulation der kortikalen Aktivierungsschwellen;

(2) Veränderung der rezeptiven Felder subkortikaler sowie primärer und sekundärer kortikaler Regionen.

Anatomisch fußen diese Hypothesen zur perzeptuell-modulatorischen Rolle der Amygdala auf tierexperimentellen Befunden zu den Projektionen der Amygdala (siehe z.B. LeDoux, 2000): So besitzt sie wichtige Verbindungen zu den primären und höheren sensorischen Regionen wie der visuellen ventralen Verarbeitungsbahn; außerdem weist sie Verknüpfungen zur Hippocampus-Formation auf (LeDoux, 2000). Dadurch können Einflüsse der Amygdala

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sowohl auf die perzeptuelle Sensitivität gegenüber eintreffenden Informationen als auch auf die Konsolidierung dieser Stimuli wirksam werden.

I.1.8 Zusammenfassung

Führt man sich die dargestellten Befunde als Ganzes vor Augen, drängt sich die Frage auf, ob der Begriff des Attentional Blink das Wesen des Phänomens noch adäquat beschreibt oder vielmehr, wie Larkin (n.d.) es formulierte, ein Oxymoron darstellt. Denn in der Tat scheint es nach der Detektion des ersten Targets nicht zu einem Herunterfahren des

Aufmerksamkeitssystems und einer Quasi-Blindheit gegenüber weiteren Reizen zu kommen – dies wurde anfänglich von Raymond et al. (1992) angenommen. Vor allem

elektrophysiologische Studien (z.B. Vogel et al., 1998) weisen vielmehr daraufhin, dass Reize innerhalb der AB-Periode einer durchaus elaborierten Analyse unterzogen werden, die

sämtliche perzeptuellen Objektcharakteristika, einige semantischen Eigenschaften und – wie Anderson und Phelps (2001) zeigen konnten – auch affektive Parameter mit einschließt.

Dadurch ist eine Modulation des AB durch Veränderung nicht nur der Wahrnehmungsqualität sondern auch der Bedeutungseigenschaft und der emotionalen Qualität der Stimuli prinzipiell möglich und einer Untersuchung zugänglich. Die Möglichkeit der Modulation verdeutlicht, dass der AB nicht als Alles-oder-Nichts-Phänomen betrachtet werden sollte, sondern graduell in Abhängigkeit verschiedenster Parameter variieren kann.

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I.2 Herleitung der Hypothesen

Im Kern dieser Studie sollte die Modulation des AB durch affektive Reizparameter stehen.

Dies sollte anhand der Identifikation emotional erregender Stimuli innerhalb der AB-Periode untersucht werden. Verwendet werden sollte hierfür verbales Material in Form von deutschen affektiven und neutralen Wörtern. Im Unterschied zur Erforschung der Wahrnehmung von affektiven Bildern hat die psychophysiologische und behaviorale Untersuchung der

Verarbeitung von affektiven Wörter jedoch noch nicht in ähnlicher Weise zu standardisiertem Reizmaterial geführt.

(1) Als erstes sollte daher eine explorative Rating-Studie mit großer Stichprobe durchgeführt werden, um eine Grundlage für die Auswahl adäquater Reize für das AB- Experiment zu schaffen.

(2) Als zweites sollte auf behavioraler Ebene der Befund einer fazilitierten Erkennung negativer Wörter in der AB-Periode (Anderson & Phelps, 2001) repliziert und erweitert werden: Speziell sollte untersucht werden, ob sich eine Fazilitation generell für emotional erregendes Material – also negative UND positive Wörter – finden lässt, oder ob die Leistungssteigerung nur bei aversivem Material auftritt. Hierzu sollte eine analoge

Aufgabenstellung zu der Studie von Anderson verwendet werden mit der Ausnahme, dass statt englischen Substantiven deutsche Verben zum Einsatz kommen sollten. Die Validität der Materialselektion aus der Vorstudie sollte überprüft werden, indem die Teilnehmer im

Anschluss an das AB-Experiment die Verben auf den Dimensionen Valenz und Arousal einstuften.

(3) Als dritten und – nach der Erhebung von Verhaltensdaten wissenschaftlich logischen – nächsten Schritt erbot es sich, auf elektrophysiologischer Ebene Pilot-Daten zu gewinnen, die Aufschluss über neurophysiologische Substrate der Mechanismen beim AB und seiner

affektiven Modulation geben könnten. Hierfür sollten mittels eines hochauflösenden 128- Kanal-EEG-Systems die elektrokortikalen Antworten einer kleinen Stichprobe von Versuchspersonen aufgezeichnet werden, während diese das Experiment zur affektiven Modulation des AB durchführten.

I.2.1 Rating-Vorstudie

Für eine valide Variation affektiver Parameter im laborexperimentellen Setting können insbesondere die Konzepte dimensionaler Emotionstheorien herangezogen werden. Im Bereich der affektiven Neurowissenschaften hat unter anderem die Theorie von Peter J. Lang (1979) große Bedeutung erlangt, die im folgenden kurz dargestellt werden soll: In

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Abgrenzung zu den Theorien distinkter Basisemotionen werden Emotionen im

dimensionstheoretischen Ansatz als evolutionär adaptive Handlungsdispositionen definiert, welche auf zwei Dimensionen variieren können: Erregungsgrad (Arousal) und Valenz.

Während die Valenz-Dimension die Richtung der Aktivierung (angenehm versus unangenehm) beschreibt, beziehungsweise zwei unterschiedliche affektive Systeme

(appetitives und aversives System) umfasst, bezeichnet die Arousal-Dimension das Ausmaß der Aktivierung eines oder beider Systeme.

Viele Forschergruppen, die Emotion im obigen Sinne als dimensionales Konstrukt verstehen, verwendeten für ihre Untersuchungen ein normiertes Set von Bildern: das International Affective Picture System IAPS (P.J. Lang, M. M. Bradley, & B.N. Cuthbert, 1997a). Die IAPS-Bilder umfassen eine Vielzahl emotionaler Objekte und Ereignisse wie Kinder, Erotika, verstümmelte Menschen, Leichen und Landschaften. Es konnte gezeigt werden, dass die IAPS-Bilder auf reliable Weise eine Reihe von peripher-physiologischen, zentralnervösen, behavioralen und kognitiven Reaktionen bei den Betrachtern auslösen (Bradley & Lang, 2000).

Studien mit semantischen Differentialen ergaben schon früh, dass aus faktorenanalytischer Sicht vor allem oben erwähnte zwei Dimensionen die Beurteilungen der Probanden

bestimmen: affektive Valenz und Arousal (Bradley, 1994). Die IAPS-Bilder lassen sich somit in einen zweidimensionalen affektiven Raum einordnen. Sie zeigen dabei eine bumerang- artige Verteilung mit drei Clustern: neutral ruhige Bilder, erregend angenehme und erregend unangenehme Bilder (Bradley & Lang, 2000). Das Vorhandensein von Arousal scheint an die Zuweisung von Valenz gebunden zu sein; nur wenige Bilder lassen sich beispielsweise in den Quadranten unangenehm ruhig einordnen.

Bradley und Lang (2000) vermuten in dieser Verteilung das Zugrundeliegen einer bi- motivationalen Struktur, die ein defensives und appetitives Motivationssystem umfasst, die jeweils im Erregungsniveau variieren können.

(1) Das Ziel der hier berichteten Rating-Untersuchung war es, Wörter zu identifizieren, die eindeutig den Kategorien angenehm hocherregend, unangenehm hocherregend und neutral niedrigerregend zugeordnet werden können.

(2) Desweiteren wird in Anlehnung an die Studien von Lang und Bradley (z.B. Bradley &

Lang, 2000) prediziert, dass sich verbales Material in einem durch die Dimensionen Arousal und Valenz aufgespannten Raum ähnlich abbilden lässt wie piktoriale Reize oder auch akustisches Material.

(30)

I.2.2 Behaviorale Attentional-Blink-Studie

Befunde zur affektiven Modulation des AB könnten aus verschiedenen Gründen als

aufschlussreich angesehen werden: Nur wenn der Organismus motivational bedeutsame Reize in seiner Umwelt schnell detektieren, identifizieren und auch evaluieren kann, ist adaptives und erfolgreiches Verhalten möglich (Niedenthal & Kitayama, 1994). Die Prozesse, die dieser Fähigkeit zur raschen Wahrnehmung affektiv bedeutsamer Reize zugrunde liegen, sind

möglicherweise evolutionär geformt und im menschlichen Gehirn biologisch „vorverdrahtet“

– beispielsweise in Strukturen wie der Amygdala und ihren Verknüpfungen zu sensorischen Regionen (siehe z.B. LeDoux, 2000).

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass motivational relevantes Material in der Lage ist, Aufmerksamkeit an sich zu ziehen und damit einen Zustand motivierter Aufmerksamkeit zu evozieren. Dieser kann unabhängig von volitionalen Aspekten wie beispielsweise der laborexperimentellen Instruktion erzeugt werden, in Bezug auf das Verhalten aber mit ihnen interagieren (Niedenthal & Kitayama, 1994): Emotional signifikante Stimuli – auch

linguistische Reize – können Aufmerksamkeitsprozesse amplifizieren und zu einer

verbesserten Performanz zum Beispiel bei lexikalischen Entscheidungsaufgaben (Williamson, Harpur, & Hare, 1991) oder Worterkennungsaufgaben (Kitayama & Howard, 1994) führen. In einer Übersichtsarbeit zu emotionalen Einflüssen auf die Wahrnehmung stellen Kitayama und Howard (in: Niedenthal & Kitayama, 1994) fest, dass die amplifizierende Wirkung von Affekt (und im engeren Sinne von Arousal) auf kognitive und psychische Prozesse im Kern vieler etablierter psychologischer Theorien wie der Lerntheorie von Hull und Spence, dem Yerkes-Dodson-Gesetz oder auch dem Modell sozialer Fazilitation von Zajonc steht.

Aus elektrophysiologischen Studien ist zudem bekannt, dass emotionales Material bereits auf frühen perzeptuellen Stufen fazilitiert verarbeitet wird. So zeigten im Halbfeld

präsentierte emotional erregende Bilder im Vergleich zu neutralen Bildern eine stärkere Ausprägung der ERP-Komponenten N1 und P1 (Keil, 2000).

Eine Variation des AB-Verarbeitungsdefizits in Abhängigkeit vom affektiven Gehalt eines Wortes würde nun bedeuten, dass motivational relevantes Material auch höhere

postperzeptuelle Prozesse, die für den AB verantwortlich sind, beeinflussen kann: Höhere Prozesse könnten mit dem Zugang zum Arbeitsgedächtnis oder der Konsolidierung des Reizes im KZG korrespondieren. Beides sind notwendige Bedingungen für ein bewusstes Reizerleben und die spätere Wiedergabe.

Referenzen

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