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Herleitung der Hypothesen

I. EINLEITUNG

I.2 Herleitung der Hypothesen

Im Kern dieser Studie sollte die Modulation des AB durch affektive Reizparameter stehen.

Dies sollte anhand der Identifikation emotional erregender Stimuli innerhalb der AB-Periode untersucht werden. Verwendet werden sollte hierfür verbales Material in Form von deutschen affektiven und neutralen Wörtern. Im Unterschied zur Erforschung der Wahrnehmung von affektiven Bildern hat die psychophysiologische und behaviorale Untersuchung der

Verarbeitung von affektiven Wörter jedoch noch nicht in ähnlicher Weise zu standardisiertem Reizmaterial geführt.

(1) Als erstes sollte daher eine explorative Rating-Studie mit großer Stichprobe durchgeführt werden, um eine Grundlage für die Auswahl adäquater Reize für das AB-Experiment zu schaffen.

(2) Als zweites sollte auf behavioraler Ebene der Befund einer fazilitierten Erkennung negativer Wörter in der AB-Periode (Anderson & Phelps, 2001) repliziert und erweitert werden: Speziell sollte untersucht werden, ob sich eine Fazilitation generell für emotional erregendes Material – also negative UND positive Wörter – finden lässt, oder ob die Leistungssteigerung nur bei aversivem Material auftritt. Hierzu sollte eine analoge

Aufgabenstellung zu der Studie von Anderson verwendet werden mit der Ausnahme, dass statt englischen Substantiven deutsche Verben zum Einsatz kommen sollten. Die Validität der Materialselektion aus der Vorstudie sollte überprüft werden, indem die Teilnehmer im

Anschluss an das AB-Experiment die Verben auf den Dimensionen Valenz und Arousal einstuften.

(3) Als dritten und – nach der Erhebung von Verhaltensdaten wissenschaftlich logischen – nächsten Schritt erbot es sich, auf elektrophysiologischer Ebene Pilot-Daten zu gewinnen, die Aufschluss über neurophysiologische Substrate der Mechanismen beim AB und seiner

affektiven Modulation geben könnten. Hierfür sollten mittels eines hochauflösenden 128-Kanal-EEG-Systems die elektrokortikalen Antworten einer kleinen Stichprobe von Versuchspersonen aufgezeichnet werden, während diese das Experiment zur affektiven Modulation des AB durchführten.

I.2.1 Rating-Vorstudie

Für eine valide Variation affektiver Parameter im laborexperimentellen Setting können insbesondere die Konzepte dimensionaler Emotionstheorien herangezogen werden. Im Bereich der affektiven Neurowissenschaften hat unter anderem die Theorie von Peter J. Lang (1979) große Bedeutung erlangt, die im folgenden kurz dargestellt werden soll: In

Abgrenzung zu den Theorien distinkter Basisemotionen werden Emotionen im

dimensionstheoretischen Ansatz als evolutionär adaptive Handlungsdispositionen definiert, welche auf zwei Dimensionen variieren können: Erregungsgrad (Arousal) und Valenz.

Während die Valenz-Dimension die Richtung der Aktivierung (angenehm versus unangenehm) beschreibt, beziehungsweise zwei unterschiedliche affektive Systeme

(appetitives und aversives System) umfasst, bezeichnet die Arousal-Dimension das Ausmaß der Aktivierung eines oder beider Systeme.

Viele Forschergruppen, die Emotion im obigen Sinne als dimensionales Konstrukt verstehen, verwendeten für ihre Untersuchungen ein normiertes Set von Bildern: das International Affective Picture System IAPS (P.J. Lang, M. M. Bradley, & B.N. Cuthbert, 1997a). Die IAPS-Bilder umfassen eine Vielzahl emotionaler Objekte und Ereignisse wie Kinder, Erotika, verstümmelte Menschen, Leichen und Landschaften. Es konnte gezeigt werden, dass die IAPS-Bilder auf reliable Weise eine Reihe von peripher-physiologischen, zentralnervösen, behavioralen und kognitiven Reaktionen bei den Betrachtern auslösen (Bradley & Lang, 2000).

Studien mit semantischen Differentialen ergaben schon früh, dass aus faktorenanalytischer Sicht vor allem oben erwähnte zwei Dimensionen die Beurteilungen der Probanden

bestimmen: affektive Valenz und Arousal (Bradley, 1994). Die IAPS-Bilder lassen sich somit in einen zweidimensionalen affektiven Raum einordnen. Sie zeigen dabei eine bumerang-artige Verteilung mit drei Clustern: neutral ruhige Bilder, erregend angenehme und erregend unangenehme Bilder (Bradley & Lang, 2000). Das Vorhandensein von Arousal scheint an die Zuweisung von Valenz gebunden zu sein; nur wenige Bilder lassen sich beispielsweise in den Quadranten unangenehm ruhig einordnen.

Bradley und Lang (2000) vermuten in dieser Verteilung das Zugrundeliegen einer bi-motivationalen Struktur, die ein defensives und appetitives Motivationssystem umfasst, die jeweils im Erregungsniveau variieren können.

(1) Das Ziel der hier berichteten Rating-Untersuchung war es, Wörter zu identifizieren, die eindeutig den Kategorien angenehm hocherregend, unangenehm hocherregend und neutral niedrigerregend zugeordnet werden können.

(2) Desweiteren wird in Anlehnung an die Studien von Lang und Bradley (z.B. Bradley &

Lang, 2000) prediziert, dass sich verbales Material in einem durch die Dimensionen Arousal und Valenz aufgespannten Raum ähnlich abbilden lässt wie piktoriale Reize oder auch akustisches Material.

I.2.2 Behaviorale Attentional-Blink-Studie

Befunde zur affektiven Modulation des AB könnten aus verschiedenen Gründen als

aufschlussreich angesehen werden: Nur wenn der Organismus motivational bedeutsame Reize in seiner Umwelt schnell detektieren, identifizieren und auch evaluieren kann, ist adaptives und erfolgreiches Verhalten möglich (Niedenthal & Kitayama, 1994). Die Prozesse, die dieser Fähigkeit zur raschen Wahrnehmung affektiv bedeutsamer Reize zugrunde liegen, sind

möglicherweise evolutionär geformt und im menschlichen Gehirn biologisch „vorverdrahtet“

– beispielsweise in Strukturen wie der Amygdala und ihren Verknüpfungen zu sensorischen Regionen (siehe z.B. LeDoux, 2000).

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass motivational relevantes Material in der Lage ist, Aufmerksamkeit an sich zu ziehen und damit einen Zustand motivierter Aufmerksamkeit zu evozieren. Dieser kann unabhängig von volitionalen Aspekten wie beispielsweise der laborexperimentellen Instruktion erzeugt werden, in Bezug auf das Verhalten aber mit ihnen interagieren (Niedenthal & Kitayama, 1994): Emotional signifikante Stimuli – auch

linguistische Reize – können Aufmerksamkeitsprozesse amplifizieren und zu einer

verbesserten Performanz zum Beispiel bei lexikalischen Entscheidungsaufgaben (Williamson, Harpur, & Hare, 1991) oder Worterkennungsaufgaben (Kitayama & Howard, 1994) führen. In einer Übersichtsarbeit zu emotionalen Einflüssen auf die Wahrnehmung stellen Kitayama und Howard (in: Niedenthal & Kitayama, 1994) fest, dass die amplifizierende Wirkung von Affekt (und im engeren Sinne von Arousal) auf kognitive und psychische Prozesse im Kern vieler etablierter psychologischer Theorien wie der Lerntheorie von Hull und Spence, dem Yerkes-Dodson-Gesetz oder auch dem Modell sozialer Fazilitation von Zajonc steht.

Aus elektrophysiologischen Studien ist zudem bekannt, dass emotionales Material bereits auf frühen perzeptuellen Stufen fazilitiert verarbeitet wird. So zeigten im Halbfeld

präsentierte emotional erregende Bilder im Vergleich zu neutralen Bildern eine stärkere Ausprägung der ERP-Komponenten N1 und P1 (Keil, 2000).

Eine Variation des AB-Verarbeitungsdefizits in Abhängigkeit vom affektiven Gehalt eines Wortes würde nun bedeuten, dass motivational relevantes Material auch höhere

postperzeptuelle Prozesse, die für den AB verantwortlich sind, beeinflussen kann: Höhere Prozesse könnten mit dem Zugang zum Arbeitsgedächtnis oder der Konsolidierung des Reizes im KZG korrespondieren. Beides sind notwendige Bedingungen für ein bewusstes Reizerleben und die spätere Wiedergabe.

(1a) Ausgehend von Befunden aus RSVP-Studien mit einzelnen Targets (z.B. Lawrence, 1971) wird erwartet, dass der T1-Reiz mit hoher Wahrscheinlichkeit identifiziert werden kann. Entsprechend der Literatur zum AB (z.B. Raymond, Shapiro, & Arnell, 1995) wird hypostasiert, dass es nach der T1-Identifikation aber zu einem Ressourcenkonflikt kommt, der mit der Identifikation des T2-Reizes interferiert und sich in einer Reduktion der

Identifikationsgenauigkeit von T2-Wörtern widerspiegelt.

(1b) Zudem sollten sich bei der Wiedergabe der durchweg neutralen T1-Wörter keine Bedingungsunterschiede hinsichtlich der affektiven Valenz oder der zeitlichen Distanz des nachfolgenden T2-Reizes finden lassen. Bedingungsunterschiede wären hier lediglich aufgrund einer Redistribution von Ressourcen zu erwarten, die eintritt, wenn ein affektiver T2-Reiz Ressourcen an sich zieht, die dem T1-Reiz dann nicht mehr zugänglich sind. Dies wird nicht prediziert.

(2) Für die T2-Wörter werden insgesamt deutlich geringere Wiedergabeleistungen

erwartet. Je kürzer die zeitliche Distanz zwischen T1 und T2 ist, desto weniger Wörter sollten identifiziert werden. Die Wiedergabeleistung sollte von Lag 1 (SOA 230 ms, siehe unter B.2 Methoden) bis Lag 3 (SOA 690 ms, siehe unter B.2 Methoden) zunehmen. Diese Hypothese erscheint kongruent mit dem in der Literatur berichteten typischen AB-Muster, das von einem maximalen Abfall der Wiedergabeleistung bei etwa 200 bis 300 ms post-T1-Onset und einer Erholung der Identifikationsgenauigkeit bei 400 bis 600 ms post-T1-Onset ausgeht (Raymond et al., 1992) .

(3) Basierend auf den Befunden von Anderson und Phelps (2001) wird hinsichtlich der affektiven Valenz der T2-Verben prediziert, dass während der AB-Periode die

Identifikationsgenauigkeit sowohl bei angenehmen als auch bei unangenehmen Wörtern höher als bei neutralen Wörtern ist. Die affektive Modulation im Sinne eines Arousal-Effekts sollte allerdings nur innerhalb des frühen Zeitfensters des AB zum Tragen kommen, da hier die Verarbeitungsressourcen für die T2-Identifikation aufgrund der T1-Prozessierung am stärksten eingeschränkt sind und eine Amplifikation durch das affektive Arousal eines Wortes potentiell die größte Wirkung zeigen kann. Im Sinne eines Deckeneffekts sollte sich die affektive Fazilitation umso weniger in der Wiedergabeleistung niederschlagen, je mehr Ressourcen zur Verfügung stehen. Dies tritt bei längeren T1-T2-Lags ein, wenn genügend Zeit war, den T1-Reiz im Arbeitsgedächtnis zu konsolidieren.

(4) Für das Rating im Anschluss an das AB-Experiment wird folgendes als Hypothese formuliert: Im Sinne einer validen Affekt-Manipulation wird erwartet, dass die aufgrund der Vorstudie als hocherregend angenehm, niedrigerregend neutral und hocherregend

unangenehm klassifizierten Reize von den einzelnen Versuchspersonen tatsächlich entsprechend ihrer jeweiligen Kategorie wahrgenommen werden. Hieraus ließe sich schließen, dass sich die Versuchspersonen entsprechend des Langschen Modells verhalten (Lang, 1979) und es während des AB-Experiments zu einer erfolgreichen Arousal-Induktion gekommen ist.

In einem durch die Dimensionen Arousal und Valenz aufgespannten Raum sollten sich die Verben zudem als eine bumerang-artige Verteilung mit drei scharf abgegrenzten Clustern abbilden lassen. Dies würde ebenfalls für eine valide Materialselektion sprechen.

I.2.3 Studie zur Elektrophysiologie des Attentional Blink und seiner Modulation

In Anbetracht des repetitiven Charakters der RSVP-Stimulation erschien es angebracht, die Analyse der EEG-Daten nicht mittels der traditionellen ereigniskorrelierten Potentiale

sondern mit Hilfe der sogenannten State-Signale durchzuführen. Die visuelle Steady-State-Reaktion (SSR) beim Menschen wird durch einen visuellen Stimulus hervorgerufen, der mit einer fixen Frequenz kontinuierlich wiederholt wird (Regan, 1989). Mit Hilfe eines EEG-Systems kann die SSR kann als kontinuierliche Hirnantwort an der Schädeloberfläche aufgezeichnet werden. Sie besitzt eine annähernd sinusoidale Wellenform mit derselben Grundfrequenz wie der antreibende Stimulus (Regan, 1989).

Es konnte gezeigt werden, dass räumlich-selektive Aufmerksamkeit die Amplitude der SSR modulieren kann (z.B. Belmonte, 1998). Müller, Teder-Sälejärvi und Hillyard (1998) zeichneten SSR-Potentiale auf, während die Versuchspersonen ihre Aufmerksamkeit nach einem Hinweisreiz von einem Ort zum anderen bewegten, um dort Farb-Wechsel von flackernden Leuchtdioden zu detektieren. Die Autoren demonstrierten, dass es eine enge zeitliche Beziehung zwischen der Detektionsleistung am neu beachteten Ort und dem Zeitverlauf der SSR-Amplitude in der Frequenzdomäne gibt. Dieser Zeitverlauf reflektiert nach den Autoren den Aufbau einer kortikalen Fazilitation.

Die Sensitivität des SSR-Zeitverlaufs gegenüber Aufmerksamkeitsdynamiken und Fazilitationsphänomenen lässt erwarten, dass sich auch diejenigen hirnphysiologischen Prozesse, die beim AB und seiner Modulation wirksam werden, im Zeitverlauf der SSR-Amplitude abbilden lassen. Angesichts des Pilot-Charakter der vorliegenden SSR-Studie zum

AB werden keine spezifischen Hypothesen über die Art dieser SSR-Modulation formuliert.

Vielmehr sollten die Daten rein deskriptiven Charakter haben und demonstrieren, dass es überhaupt möglich ist, Aufmerksamkeitsphänomene in einem RSVP-Paradigma mittels elektrokortikaler Reaktionen und im speziellen mittels der SSR zu untersuchen.