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Gegenstand der vorliegenden Arbeit war die Untersuchung, ob und in welchem Ausmaß Verhaltensrelevanz – operationalisiert über den affektiven Gehalt von Wörtern – die Auswahl von Reizen in einer Situation beeinflusst, die eine Überlastung für unser

Aufmerksamkeitssystem bedeutet. Als experimentelles Paradigma für diese

Überlastungssituation wurde der sogenannte Attentional Blink (AB) verwendet. Im Kern der Untersuchung stand die Frage, ob affektive Reizparameter eine modulierende Wirkung auf den AB ausüben können. Insbesondere sollte die Hypothese einer fazilitierten Erkennung für hocherregende deutsche Verben im Vergleich zu affektiv neutralen (niedrigerregenden) Verben überprüft werden, wenn diese im RSVP-Paradigma jeweils als T2-Reiz fungieren.

Rating-Vorstudie

Basierend auf den Konstrukten dimensionaler Emotionstheorien (z.B. Lang, 1979) wurde zur Auswahl adäquater Reize für das AB-Experiment zunächst ein großer Pool von Verben auf den Dimensionen Valenz und Arousal eingestuft. Die dimensionale Beurteilung von affektiven Wörtern geht ursprünglich auf ein Modell von Osgood, Suci und Tannenbaum (1957) zurück. Mit Hilfe faktorenanalytischer Verfahren konnten sie zeigen, dass Probanden bei der semantischen Beurteilung von Wörtern als Ordnungskriterien vor allem die

Dimensionen affektive Qualität (Valenz: angenehm oder unangenehm), Intensität (Arousal:

erregend oder ruhig) und in geringerem Maße Dominanz einsetzen. Jedes Objekt, jedes Ereignis und auch jedes Wort lässt sich auf Basis seiner spezifischen Qualitäts- und Intensitäts-Koordinaten somit innerhalb eines affektiven Raumes einordnen, der durch die Achsen Valenz und Arousal aufgespannt wird.

Nach Bradley (1994) können nun sowohl affektive Kategorien als auch spezifische

emotionale Zustände auf Basis ihrer Lokalisation im affektiven Raum differenziert und sogar definiert werden. Pereira (2000) zum Beispiel ließ Probanden akustisch dargebotene verbale Äußerungen, die mit unterschiedlicher emotionaler Färbung gesprochen wurden, auf den Dimensionen Arousal, Valenz und Macht (Dominanz) einstufen. Die Autorin demonstrierte, dass das dimensionale Konzept von Emotion nützlich ist, um die Emotionen Freude, Trauer sowie „kalte“ und „heiße“ Wut eindeutig voneinander zu differenzieren. Alle Emotionen unterschieden sich auf jeder der drei Dimensionen signifikant von den anderen Emotionen.

Ziel der hier berichteten Rating-Studie war es weniger, spezifische Emotionen oder emotionale Zustände, die mit bestimmten Wörtern assoziiert sind, zu differenzieren, sondern die Verteilung eines großen Pools von deutschen Verben innerhalb des affektiven Raumes zu

explorieren. Auf Basis dieser Vereilung sollten dann Reize ausgewählt werden, die eine möglichst große Distanz hinsichtlich ihrer Valenz- und Arousal-Paramater aufwiesen – jene Parameter, die während des AB-Experimentes als unabhängige Variablen manipuliert werden sollten. Diese Vorstudie erschien sinnvoll, da es im Unterschied zu Bildreizen oder

akustischem Material bei affektiven Wortreizen noch an standardisiertem Reizmaterial mangelt.

In Anlehnung an die Studien von Lang und Bradley (z.B. Bradley & Lang, 2000) zeigte sich zunächst, dass sich verbales Material in einem durch die Dimensionen Arousal und Valenz aufgespannten Raum ähnlich abbilden lässt wie piktoriale Reize oder auch akustisches Material. Es ließ sich eine bumerang-artige Verteilung mit drei Clustern von Reizen

identifizieren: ruhige neutrale, erregende angenehme und erregende unangenehme Wörter.

Außerdem ließ sich eine statistisch signifikante Beziehung zwischen den Parametern Valenz und Arousal nachweisen, die mit einer quadratischen Regressionsgleichung sinnvoll

modelliert werden konnte. In Anbetracht der Daten hat es den Anschein, dass die Zuweisung einer emotionalen Qualität an einen Reiz als angenehm oder unangenehm in den meisten Fällen mit einer Zuweisung von Arousal einhergeht.

Die gefundene Verteilung liefert in den Augen verschiedener Autoren (z.B. Bradley &

Lang, 2000) ein Indiz für das Zugrundeliegen einer bi-motivationalen Struktur, die von einem defensiven und appetitiven System gebildet wird, welche jeweils im Erregungsgrad variieren können. Man nimmt an, dass die beiden motivationalen Systeme der Valenz-Dimension verschiedene physiologische Substrate in Form von weitverteilten Netzwerken besitzen (Keil, 2000). Die Arousal-Dimension dagegen wird nicht durch ein eigenes System repräsentiert, sondern beschreibt den Grad der Aktivierung des defensiven und appetitiven Systems beziehungsweise die Koaktivierung beider Systeme.

Neben den Selbstbericht-Daten der Rating-Studien legen auch differentielle

Aktivierungsmuster bei peripher-physiologischen Messungen das Vorhandensein von zwei motivationalen Systemen nahe (z.B. Lang, Greenwald, Bradley, & Hamm, 1993). So variiert die faziale Elektromyogramm (EMG)-Aktivität des Corrugator- und des Zygomatik-Muskels beim Betrachten von affektiven Bildern in Abhängigkeit von Unterschieden auf der Valenz-Dimension (Bradley, 1994): Die Corrugator-Aktivität verstärkt sich, je unangenehmer ein Stimulus beurteilt wird; die Zygomatik-Aktivität dagegen erhöht sich, je angenehmer ein Reiz eingestuft wird. Andererseits lassen sich Parameter wie beispielsweise Veränderungen der

Hautleitfähigkeit identifizieren, die unabhängig von der Valenz mit dem Arousal-Grad piktorialer Reize variieren (Bradley, 1994).

Auch bei den hier verwendeten Wort-Stimuli würde eine Erfassung

peripher-physiologischer Maße während des Betrachtens der Wörter zusätzliche Erkenntnis zu den Rating-Daten liefern. Es ließe sich Licht in die Frage bringen, ob auch die Verarbeitung von Sprache die Aktivität des von Lang (1979) postulierten appetitiven oder defensiven Systems involviert. Da das Lesen von Wörtern im Vergleich zum Betrachten von Bildern oder dem Hören von Geräuschen vermutlich weniger starke Reaktionen auslöst, müssten hier allerdings besonders sensitive Verfahren eingesetzt werden.

Behaviorales AB-Experiment

Für das behaviorale und elektrophysiologische AB-Experiment sollten auf Basis der Rating-Vorstudie solche Verben ausgewählt werden, die innerhalb des affektiven Raumes auf der Arousal-Dimension maximal voneinander entfernt lagen und sich den Valenz-Kategorien neutral, angenehm und unangenehm eindeutig zuordnen ließen. Schlussendlich wurden im AB-Experiment drei Sets von Verben verwendet: (1) hocherregende angenehme, (2) hocherregende unangenehme und (3) ruhige neutrale Wörter. Die Ergebnisse eines SAM-Ratings, das im Anschluss an das AB-Experiment durchgeführt wurde, demonstrieren, dass die Verben hinsichtlich ihrer Valenz und ihres Arousals tatsächlich entsprechend ihrer Kategorienzugehörigkeit wahrgenommen wurden.

Die Auswahl der Reize ermöglichte die Untersuchung der Frage, ob Verhaltensrelevanz im Sinne von hohen Rating-Scores auf der Arousal-Dimension zu einem Vorteil bei der

Erkennung von Reizen führt, wenn diese in einem Setting präsentiert werden, welches die Grenzen unserer Aufmerksamkeitskapazität überschreitet.

Im behavioralen AB-Experiment zeigte sich zunächst wie erwartet und entsprechend einer effektiven experimentellen Aufmerksamkeitsmanipulation, dass es im Unterschied zum T1-Reiz, der mit hoher Wahrscheinlichkeit identifiziert werden konnte, bei der Erkennung des Reizes zu einem gravierenden Verarbeitungsdefizit kommt. Eine reduzierte

T2-Identifikationsgenauigkeit machte sich gemäß des in der Literatur berichteten Musters des AB (z.B. Raymond et al., 1992) besonders im kürzesten T1-T2-Intervall (230 ms SOA)

bemerkbar. Hier fiel der mittlere Prozentsatz korrekt identifizierter T2-Reize auf nahezu 42 % ab. Eine bessere Wiedergabeleistung zeigte sich mit im Mittel etwa 77 % richtig

wiedergegebener Stimuli im mittleren T1-T2-Lag (460 ms SOA); im langen Lag (690 ms SOA) war die Identifikationsgenauigkeit mit etwa 89 % nahezu unbeeinträchtigt.

Trotz des allgemeinen Rückgangs der T2-Identifikationsgenauigkeit zeigte sich bei kurzen SOAs eine Modulation der Verhaltensleistung durch affektive Reizparameter: Die

Identifikationsgenauigkeit für affektiv erregende T2-Verben (angenehme und unangenehme Stimuli) war im kürzesten Lag um fast 15 Prozent höher als für affektiv neutrale

(niedrigerregende) T2-Stimuli. Die hier berichteten Daten deuten daraufhin, dass erregende und somit motivational signifikante Objekte resistenter gegenüber Situationen sind, in denen die rasche Aufeinanderfolge von zu beachtenden Reizen zur Überlastung unseres

Aufmerksamkeitssystems führt. Diese Ergebnisse stehen zum einen in Einklang mit einer Arbeit von Shapiro, Caldwell und Sorensen (1997). Diese Autoren demonstrierten eine signifikante Reduktion des AB, wenn als T2-Reiz der eigene Name der Versuchsperson verwendet wurde. Ähnlich wie affektiv gefärbte Wörter repräsentiert der eigene Name der Versuchsperson möglicherweise einen Reiz mit hoher Verhaltensrelevanz, welcher auch dann voll verarbeitet wird, wenn die Aufmerksamkeitsressourcen einer hohen Beanspruchung unterliegen.

Der Befund einer Leistungserhöhung sowohl bei unangenehmen als auch bei angenehmen Wörtern stellt zum anderen eine Replikation und Erweiterung der Ergebnisse von Anderson und Phelps (2001) dar, die bei gesunden Versuchspersonen eine Fazilitation für aversive Reize im Vergleich zu neutralen Reizen demonstrieren konnten. Durch die Erweiterung der AB-Modifikation auch auf angenehme Reize liegt der Schluss nahe, dass der

ausschlaggebende Faktor für eine fazilitierte Verarbeitung nicht die Valenz-Dimension sondern ein hoher Erregungsgrad ist.

Die Debatte, welche der Eigenschaften eines Stimulus – seine emotionale Qualität als angenehmer beziehungsweise unangenehmer Reiz oder aber sein Erregungspotential – einen signifikanten Einfluss auf perzeptuelle und kognitive Prozesse ausübt, reicht lange zurück.

Matlin und Stang stellten 1978 im „Pollyanna-Prinzip“ fest, dass die menschliche Kognition, insbesondere Gedächtnisprozesse, von einer Verzerrung zugunsten angenehmer Reize geprägt sei (Matlin & Stang, 1978). In der Folgezeit konnten eine Vielzahl von Studien bei Aufgaben zur freien Wiedergabe oder zum Wiedererkennen von verbalen Stimuli (z.B. Bock & Klinger, 1986) und Bildreizen (z.B. Bradley, 1992) im Unterschied zum Pollyanna-Prinzip allerdings eine generelle Fazilitation für erregendes (angenehmes und unangenehmes) Material

demonstrieren. Unabhängig von der Valenz variierte die zum Gedächtnisleistung in Abhängigkeit vom gerateten Arousal-Wert des Stimulus.

Auch auf perzeptueller Ebene ließ sich ein Arousal-Effekt mit Hilfe von

elektrophysiologischen Methoden mehrfach nachweisen: Es konnte für erregendes Material einerseits eine Amplifikation bereits bei frühen ERP-Komponenten wie der P1 und N1 gezeigt werden (z.B. Junghöfer, Bradley, Elbert, & Lang, 2000). Andererseits wiesen zum Beispiel Mini, Palomba und Angrilli (1996) eine verstärkte Positivierung für erregende Reize auch in späteren Zeitbereichen ab 300 ms nach

Eine Bestätigung für das Vorliegen eines echten Arousal-Effekts in den hier berichteten AB-Daten würde nichtsdestotrotz nur eine parametrisierte Untersuchung liefern, die den Arousal-Wert der affektiven Reize systematisch variieren und auch affektive Stimuli mit sehr geringem Erregungsniveau mit einschließen würde. Ein generelles Problem bei der

Verwendung emotionaler Reize liegt allerdings in der fast unumgänglichen Konfundierung der beiden Dimensionen Valenz und Arousal. Wie die Daten der Rating-Vorstudie

demonstrieren, scheint die Zuweisung von emotionaler Valenz an ein Objekt in den meisten Fällen mit einer Zuweisung von Erregung einherzugehen. Mit Hilfe der Rating-Ergebnisse ließen sich nur sehr wenige Stimuli identifizieren, die gleichermaßen als niedrigerregend und eindeutig angenehm oder unangenehm eingestuft wurden. Im Bereich der negativen,

niedrigerregenden Reize handelte es sich hier um Wörter wie „leiden“, „schämen“ oder

„sterben“ .

Beim Vergleich der Identifikationsgenauigkeit innerhalb der Kategorie affektiver Stimuli offenbarte sich ein leichter Vorteil für unangenehme Verben im Vergleich zu angenehmen Verben. Diese Überlegenheit von aversiven Reizen auf Verhaltensebene spiegelt sich allerdings in den subjektiven SAM-Ratings wider und korrespondiert mit einem im Mittel geringfügig höher gerateten Arousal-Wert der unangenehmen Stimuli im Vergleich zu den angenehmen. Dies kann als weiteres Indiz dafür gelten, dass die behaviorale Fazilitation in der Tat Variationen auf der Arousal-Dimension reflektiert.

Die Verbesserung der Erkennung von T2-Reizen mit steigendem Arousal-Gehalt im frühen Lag hatte indes keinen Einfluss auf die (Post-Trial)-Wiedergabe der T1-Reize. Dieser Befund lässt sich als Evidenz gegen eine Redistribution von Ressourcen vom T1- auf den T2-Reiz interpretieren, wenn der Reiz affektive Qualität besitzt. Die Fazilitation bei der T2-Erkennung erfolgt demnach nicht auf Kosten der T1-Identifikation. Anderson und Phelps (2000) bemerken zu diesem Punkt, dass affektive Wörter nicht zu einer Umverteilung von

Verarbeitungskapazitäten führen würden, sondern „weniger abhängig von einer limitierten Ressource“ seien (p. 2788).

Das vorliegende Fehlen einer affektiven Modulation bei längeren T1-T2-Distanzen legt zwei Erklärungsansätze nahe: (1) Möglicherweise kann eine Arousal-Fazilitation bei diesen Lags, in denen wieder ausreichend Ressourcen für die T2-Verarbeitung zur Verfügung stehen, aufgrund eines Deckeneffekts überhaupt nicht mehr zum Tragen kommen. Die Prozessierung und KZG-Konsolidierung des T1-Reizes kann im mittleren und langen Lag abgeschlossen werden, bevor der T2-Reiz präsentiert wird, so dass ein Verarbeitungskonflikt weitgehend ausbleibt. Die vergleichsweise geringen Leistungsunterschiede aufgrund des

Arousal-Gehaltes eines Reizes schlagen sich möglicherweise in dieser „leichten“ Aufgabenbedingung dann aber nicht mehr auf der Output-Ebene nieder. (2) Andererseits kann nicht

ausgeschlossen werden, dass eine fazilitierte Verarbeitung für erregende Reize in der Tat nur in Konfliktsituationen auftritt, in denen wie in der Lag 1-Bedingung mehrere Reize um Verarbeitung konkurrieren, da unsere Aufmerksamkeitskapazität überschritten ist.

In Bezug auf methodische Aspekte ist zu erwähnen, dass die gefundenen Effekte nicht auf systematische Kategorienunterschiede hinsichtlich nicht-affektiver, linguistischer

Reizparameter zurückgeführt werden können. Sowohl die Buchstaben- und Silbenanzahl als auch die Wortfrequenz und die Anzahl der Affixierungen wurden über die affektiven

Kategorien hinweg annähernd konstant gehalten.

Eine sinnvolle Ergänzung in Bezug auf die linguistischen Aspekte des experimentellen Designs wäre indes eine Replikation der Studie mit Reizen anderer Wortklassen. Um eine Generalisierung der Befunde auf andere Wortklassen zu ermöglichen, könnten statt Verben beispielsweise affektive Adjektive oder wie bei Anderson und Phelps (2001) affektive Substantive verwendet werden.

Um außerdem auszuschließen, dass die berichteten Effekte auf systematischen Unterschieden zwischen den Wortkategorien hinsichtlich visueller Features (z.B. der Buchstabengröße) beruhen, könnte folgendes Design verwendet werden: Aus allen

verwendeten Wörtern werden Pseudowörtern gebildet: Die Buchstaben jedes Wortes werden dabei zu aussprechbaren aber sinnlosen Nichtwörtern zusammengestellt (z.B. „morden“ wird zu „dromen“, „jubeln“ zu „lebjun“). Würden sich mit diesem Design keine Unterschiede zwischen den Wortkategorien zeigen, deutete dies daraufhin, dass die berichtete Modulation

in der Tat durch Unterschiede aufgrund der affektiven Reizeigenschaften und nicht durch Unterschiede aufgrund elementarer visueller Features hervorgerufen wird.

Wie oben dargestellt, konnten verschiedene Autoren (z.B. Vogel et al., 1998) den AB-Wirkungsmechanismus mittels Priming- und EEG-Studien auf zeitlich eher späten, postperzeptuellen und kognitiv höheren Ebenen in der Verarbeitungskette lokalisieren.

Unberührt von der Frage, ob diese späten Prozesse zum AB führen, weil sie aufgrund ihres seriellen Charakters kapazitätsbeschränkt sind (vergleiche Chun & Potter, 1995) oder weil beim Abruf die falschen Items ausgewählt werden (vergleiche Shapiro et al., 1994), legt die vorliegende erfolgreiche Affektmodulation des AB folgenden Schluss nahe: Auch späte (aber weiterhin unbewusste) Prozesse wie die KZG-Konsolidierung reagieren sensibel gegenüber affektiven Reizparametern, wobei affektiv erregende Stimuli fazilitiert verarbeitet werden. In Anbetracht des psychophysiologischen Befundes, dass Teilaspekte der Verarbeitung

affektiven Materials bereits auf frühen sensorischen Stufen amplifiziert werden (Keil, 2000), sind hier zwei Möglichkeiten denkbar: (1) Die frühe sensorische Amplifikation wird

propagiert bis auf spätere Stufen; (2) bei der späten Fazilitation handelt es sich um ein

unabhängiges Phänomen, das sich zur frühen Verstärkung affektiven Materials hinzuaddieren lässt.

Die zugrunde liegenden Prozesse der Affektmodulation liegen weitgehend im Unklaren.

Prinzipiell lässt sich eine fazilitierte Verarbeitung von affektiven Reizen im AB-Paradigma sowohl mit der (1) interferenztheoretischen (Shapiro et al., 1994) als auch mit der (2) Flaschenhals-Perspektive (Chun & Potter, 1995) erklären.

(1) Ähnlich wie Salienz (Shapiro et al., 1997) – welche als Konzept allerdings schwer fassbar ist – könnte Affekt zu einer stärkeren Gewichtung des T2-Items im visuellen Kurzzeitgedächtnis (VKZG) führen. Das affektive Item verfügt möglicherweise per se über ein hohes Gewicht und ist dadurch weniger abhängig von begrenzten Ressourcen. Dadurch sinkt die Anfälligkeit für Interferenz durch andere hochgewichtete RSVP-Items im VKZG, gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich der T2-Reiz aus dem VKZG abgerufen wird. Nach Treismans Konzept des permanenten Primings (Treisman, 1964) ist bei affektiven Items ähnlich wie bei sehr salienten Reizen (wie der eigene Name der

Versuchsperson) auch ein verringerter Schwellenwert denkbar, der überschritten werden muss, damit das Item die Stufe des Bewusstseins erreicht. Durch die leichtere Aktivierbarkeit wird der Reiz auch hier weniger anfällig für Interferenz durch andere Items.

(2) Basierend auf Chun und Potters Modell (Chun & Potter, 1995) lassen sich folgende hypothetische Mechanismen der affektiven AB-Modulation ins Feld führen: Wie oben dargestellt, wird nach dieser Theorie von allen Items des RSVP-Stromes zunächst eine kurzlebige Repräsentation erzeugt, anhand derer sich basale Features zur Target-Erkennung identifizieren lassen. Diese Stufe-1-Repräsentation wird allerdings rasch durch nachfolgende Items überschrieben, wenn keine Aufmerksamkeit auf sie gelenkt und das Item als erkanntes Target zur KZG-Konsolidierung ausgewählt wird. Affektive T2-Reize besitzen

möglicherweise bereits auf dieser elementaren Stufe eine stabilere Repräsentation oder einen höheren Aktivierungsgrad als neutrale Stimuli. Dies wiederum bewirkt, dass sie die

Wartephase, die durch den relativ zeitintensiven Transfer des T1-Reizes ins KZG (Stufe-2-Verarbeitung) entsteht, schadlos überstehen. Dadurch können sie selbst das KZG erreichen und nach dem Trial wiedergegeben werden. Affektive T2-Reize sind im Vergleich zu

neutralen T2-Stimuli aufgrund ihrer stabileren Repräsentation demnach resistenter gegenüber einem zeitlich bedingten Spurenzerfall oder dem Überschreiben durch die nachfolgenden Reize des RSVP-Stromes – Phänomene, welche durch die Prozessierungsverzögerung aufgrund der T1-Konsolidierung entstehen und nach Chun und Potter (1995) letztlich ursächlich für das Wiedergabedefizit beim AB sind.

Auch mit den oben erläuterten Annahmen kognitiver Netzwerkmodelle der

Wissensrepräsentation (z.B. Anderson & Bower, 1973) und den Postulaten von neuronal-basierten Aufmerksamkeitstheorien (z.B. Desimone & Duncan, 1995) erscheinen diese Hypothesen vereinbar: Affektive Reize besitzen möglicherweise deshalb eine stabilere Repräsentation, weil sie über ein effizienteres Netzwerk verfügen, das womöglich weiter verzweigt ist oder eine höhere Verknüpfungsdichte aufweist. So sind zusätzliche

Verbindungen beispielsweise zur Amygdala denkbar. Nach Desimones Modell (Desimone &

Duncan, 1995) wird Aufmerksamkeit durch eine kompetitive Interaktion von

Stimulusrepräsentationen vermittelt. Sowohl bottom-up- als auch top-down-Prozesse determinieren hierbei den „Gewinner“ des Wettstreites und bestimmen, welchem Reiz Aufmerksamkeit gewidmet wird. Bei der „Wettbewerbsverzerrung“ zugunsten affektiver Reize kann als bottom-up-Einfluss die per se stärkere Repräsentation des Netzwerkes angeführt werden. Als top-down-Einflüsse sind Signale von Strukturen der Amygdala oder des präfrontalen Kortex (Desimone & Duncan, 1995) denkbar, die eine Verstärkung der Verarbeitung bei Vorliegen von motivational signifikantem Reizmaterial initiieren.

Angesichts des spekulativen Charakters der obigen Darstellung können letztlich aber nur bildgebende Verfahren oder elektrophysiologische Messungen Aufschluss über die

Dynamiken beim AB und seiner Modulation geben.

Elektrophysiologisches AB-Experiment

Trotz ihres Pilotcharakters verdeutlichen die Ergebnisse des EEG-Experiments zunächst, dass eine elektrophysiologische Untersuchung von Aufmerksamkeitsphänomenen innerhalb eines RSVP-Designs prinzipiell möglich und sinnvoll ist. Die Aufzeichnung von Steady-State-Reaktionen (SSRs) erscheint angesichts des repetitiven Charakters der RSVP-Stimulation als Methode der Wahl – insbesondere der Zeitverlauf von Amplituden-Variationen der SSR ermöglicht Erkenntnisse über die Dynamiken des AB. Als aufschlussreich erscheint es außerdem, Verhaltensdaten mit elektrophysiologischen Reaktionen in Beziehung zu setzen.

Ein potentielles elektrophysiologisches Substrat des T2-Verarbeitungsdefizits im ersten Lag lässt sich erkennen, wenn man in den über Versuchspersonen gemittelten Zeitverlauf der SSR-Amplitude (siehe Abbildung 14) Markierungen für die Onsets der Zielreize setzt: Nach Präsentation des T1-Reizes kommt es zu einem Einbruch der SSR-Amplitude, welche erst nach 300 bis 400 ms wieder auf ihr Ausgangsniveau zurückkehrt. Die Präsentation des T2-Reizes nun erfolgt genau innerhalb dieser Periode einer reduzierten SSR.

Die Annahme, dass Variationen der SSR als Indikator „für Fluktuationen von transienten Zuständen des zentralen Nervensystems wie etwa Aufmerksamkeit“ (Keil, 2000, p. 29) gelten können, ermöglicht folgende – auch hier eher spekulative – Interpretation des AB: Der T2-Reiz trifft bereits bei seiner Präsentation auf ein physiologisches System, das sich in einem aufgrund der T1-Prozessierung weitgehend okkupierten Zustand befindet, in welchem keine weiteren Ressourcen – weder für die Erzeugung einer SSR, noch für die Verarbeitung des T2 – verfügbar sind. Erst nach Verarbeitung des T1 kann das Gehirn wieder eine SSR aufbauen und neue Reize adäquat verarbeiten.

Das Auftreten des Effekts vor allem an posterioren Elektroden wie Poz lässt vermuten, dass bereits relativ frühe sensorische Prozesse der T2-Verarbeitung von einem

Ressourcenmangel betroffen sein könnten. Hinsichtlich der Generatoren der SSR konnten Müller, Teder und Hillyard (1997) für 6.0 und 11.9-Hz-SSVEFs (steady-state visual evoked magnetic fields) Dipole im posterioren Occipitalkortex identifizieren. Ein Einbruch der SSR deutet somit auf eine Störung auf einer recht frühen Verarbeitungsstufe innerhalb der

visuellen Verarbeitungsbahn hin. Dies würde gegen die von verschiedenen Autoren (z.B.

Vogel et al., 1998) vertretene Hypothese sprechen, dass frühe Verarbeitungsschritte der Reizenkodierung völlig unbeeinträchtigt sind und der Ressourcenkonflikt ausschließlich auf späteren Verarbeitungsebenen erfolgt – wie etwa auf der Ebene frontaler Prozesse des

Vogel et al., 1998) vertretene Hypothese sprechen, dass frühe Verarbeitungsschritte der Reizenkodierung völlig unbeeinträchtigt sind und der Ressourcenkonflikt ausschließlich auf späteren Verarbeitungsebenen erfolgt – wie etwa auf der Ebene frontaler Prozesse des