TH MEN DER ZEIT
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Arbeitslosigkeit war für Ärzte jahrzehntelang ein so gut wie nicht bekanntes Phänomen; die Nachfra- ge nach Ärzten überstieg viele Jahre das Angebot. Das hat sich radikal geändert. Die Bundesärztekammer schätzt, daß zur Zeit etwa 15 000 Ärztinnen und Ärzte arbeitslos sind;
Tendenz: steigend. Die Steigerungs- rate dürfte, gleichfalls nach Schät- zungen der Bundesärztekammer, bei 20 Prozent jährlich liegen. Be- troffen von Arbeitslosigkeit sind vornehmlich Berufsanfänger.
Neue Berufsfelder
Angesichts der sich eintrüben- den Berufsaussichten hat die Bun- desärztekammer Ende 1987 eine Ar- beitsgruppe eingerichtet, die neue Berufsfelder für Arztinnen und Ärz- te erkunden und sich generell mit dem Problem der ärztlichen Arbeits- losigkeit auseinandersetzen soll.
Vorsitzender des Arbeitskreises ist Dr. med. Frank Ulrich Montgome- ry, der auch auf dem kommenden Deutschen Ärztetag, der im Mai in Berlin stattfindet, zu dem Thema re- ferieren wird.
Der Arbeitskreis beschreibt sei- ne Aufgaben so:
„Die Zahl arbeitsloser Ärztin- nen und Ärzte, vornehmlich Berufs- anfänger, nimmt vehement zu. In Anbetracht des kaum lösbaren Pro- blems der Massenarbeitslosigkeit bei Ärzten sollen systematisch neue Möglichkeiten ärztlicher Tätigkeit untersucht werden. Zur Bewälti- gung der Problematik soll sich die Arbeit auf drei Lösungsansätze kon- zentrieren:
• Eröffnung neuer Berufsfel- der für Ärztinnen und Ärzte
• Stärkere Nutzung und Aus- weitung bereits existierender ärzt- licher Berufswege neben Klinik und Praxis
• Rückgewinnung primär ärzt- licher Tätigkeitsfelder, die zuneh-
mend von nicht-ärztlichen Berufs- gruppen besetzt werden.
Die Arbeitsergebnisse sollen in Projekte zur Linderung der ärzt- lichen Arbeitslosigkeit einmünden und zur Darstellung der Berufsmög- lichkeiten des Arztes mit seinen ak- tuellen Wandlungen auf allen Ebe- nen beruflicher Entscheidungen füh- ren. "
In diesem Sinne sind im letzten Jahr eine Reihe von Aktivitäten ein- geleitet und abgeschlossen worden, so zum Beispiel ein Kursus „Medizi- nischer Fachjournalist" und ein EDV-Kursus, beide gefördert von der Zentralstelle für Arbeitsvermitt- lung der Bundesanstalt für Arbeit.
Auf dem Ärztetag wird im einzelnen über die getroffenen und geplanten Maßnahmen zu berichten sein.
Wo steckt Bedarf?
Gleichwohl wird niemand er- warten, daß große Scharen junger Ärzte Aufgaben in neuen Berufsfel- dern finden werden. Ärzte werden vielmehr auch in Zukunft im wesent- lichen in den klassischen ärztlichen Tätigkeitsbereichen tätig sein. Diese gilt es zu halten und zu erweitern. In diesem Sinne hat die Arbeitsge- meinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) in einer Untersuchung die ärztlichen Berufsfelder auf neue und ausbaufähige Wege untersucht. Die AWMF stellt eine zunehmende Nachfrage nach betreuungsintensi- ven ärztlichen Leistungen aufgrund der zunehmenden Anzahl älterer Menschen fest. Das werde zu stei- genden Arztzahlen im Bereich der Allgemeinmedizin führen. Weiteren Bedarf sieht die Arbeitsgemein- schaft auf den Gebieten Rehabilita- tion, Geriatrie und Geronto-Psych- iatrie. Die dadurch entstehenden zusätzlichen Ausgaben müßten am Bedarf der Bevölkerung orientiert und dürften nicht am Grundsatz der
Beitragsstabilität gemessen werden.
Sie setzt sich ferner für eine Förde- rung der epidemiologischen For- schung ein; sie wendet sich schließ- lich dagegen, ärztliche Tätigkeiten, wie Labormedizin, Humangenetik, bildgebende Verfahren in den na- turwissenschaftlich-technischen Be- reich „abdriften" zu lassen. Ein Stu- diengang public health könne Ärz- ten zu Management-Qualifikationen verhelfen und sie in Führungsposi- tionen auch außerhalb des engeren ärztlichen Bereiches bringen. Im üb- rigen empfiehlt die AWMF, genau- ere Daten über die bestehenden Weiterbildungsstellen zu ermitteln.
Fehlende Daten behinderten eine vorausschauende Planung.
Potential „Überstunden"
Potential an neuen Stellen ent- halten jedenfalls Krankenhäuser, wenn die zahlreichen abgeleisteten Überstunden in Arbeitsplätze umge- setzt würden. Nach Angaben der Bundesärztekammer-Arbeitsgruppe könnten bei korrekter Umwandlung der tatsächlich an Krankenhäusern abgeleisteten Überstunden rund 10 000 neue Planstellen für Ärzte kostenneutral geschaffen werden.
In diesem Zusammenhang stellt die Arbeitsgruppe auch fest: es sei ein Skandal, daß die überholten An- haltszahlen zur Ermittlung des Per- sonalbedarfs an Krankenhäusern seit 1969 nicht neu gefaßt wurden;
sie verweist auf den Sachverständi- genrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. Der hatte in seinem Jahresgutachten 1988 festge- stellt, die aufgrund der Anhaltszah- len von 1969 ermittelte Arzt-Betten- Relation liege weit unter dem Durchschnitt vergleichbarer Staa- ten. Nötig wären demnach neue Empfehlungen zur Errechnung des ärztlichen Personalbedarfs an Kran- kenhäusern.
Die Deutsche Krankenhausge- sellschaft und die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversiche- rung sind aufgerufen, endlich ans Werk zu gehen! RO/NJ
• Zum gleichen Thema der Beitrag auf den folgenden Seiten.
Arbeitsmarkt für Ärzte:
Neue und ausbaufähige Wege
Dt. Ärztebl. 86, Heft 7, 16. Februar 1989 (19) A-367