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Archiv "Forschungsbetrug: Fachjournale in der Kritik" (03.02.2006)

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K

aum haben sich die medialen Wo- gen um den koreanischen Stamm- zellforscher Woo Suk Hwang ge- legt, wird die Reihe der Forschungs- skandale um einen weiteren peinli- chen Fall erweitert: Eine im Oktober in „Lancet“ (2005; 366: 1359–1366) pu- blizierte Fall-Kontroll-Studie, wonach nichtsteroidale Antiphlogistika eine pro- tektive Wirkung vor Kopf-

Hals-Tumoren haben sollen, ist eine freie Erfindung des norwegischen Wissenschaft- lers Jon Sudbø aus Oslo. Der Betrug des renommierten Krebsforschers flog unter anderem deshalb auf, weil bei nahezu hundert Patien- ten derselbe Geburtstag an- gegeben worden war.

Konfrontiert mit der Lü- ge, hat Sudbø durch seinen Anwalt weitere Manipula- tionen zugegeben. Sie be- treffen Publikationen im

„New England Journal of Medicine“ und im „Journal of Clinical Oncology“. Die Studien passierten die Gut- achter-Verfahren vielleicht auch, weil der Autor in der Vergangenheit bereits 38 Studien in internationalen Journalen publiziert hatte, die nachträglich alle über- prüft werden sollen. Übri-

gens: Auch dem Deutschen Ärzteblatt war Sudbøs Lancet-Publikation eine Online-Meldung wert.

Wie sehr der „nachlässige“ Umgang mit Daten in der Forschung verbreitet ist, zeigte Brian Martinson in einer US- Studie, wonach bei einer anonymen Be- fragung jeder dritte Forscher angegeben hatte, mehr oder minder unredlich zu ar- beiten (DÄ, Heft 26/2005). Es wundert daher nicht, wenn die Öffentlichkeit

dem Wert von Forschungsergebnissen mit Skepsis und Zweifel begegnet und sich zahlreiche Fragen stellt: Wie gelingt es Hwang, Sudbø und „alii“, die For- schergemeinde über Jahre mit „Wissen- schaftsmärchen“ in Staunen zu verset- zen, ohne dass jemand Verdacht schöpft?

Wie können „spektakuläre“ Forschungs- ergebnisse die strengen (?) Hürden der

Gutachterverfahren bei den führenden Wissenschaftsjournalen Science, Nature, Lancet, New England Journal of Medi- cine et cetera passieren? Das sind vier Nennungen von weltweit circa 25 000 Titeln, die das Peer-Review-Verfahren anwenden.

Dabei prüfen die Gutachter, ob Studi- en originell und neu sind, in der Argu- mentation plausibel und stimmig.So wer- den von 10 000 Arbeiten, die jährlich bei

„Science“ eingereicht werden, nur acht Prozent zur Publikation angenommen.

Viele Kommentatoren äußern allerdings den Verdacht, dass angesichts des immer härter werdenden Konkurrenzkampfes die Prüfung durch die „Peers“ versagt.

Den renommierten Journalen wird vor- geworfen, sie blickten mehr auf die Auf- lage denn auf wissenschaftliche Qualität, was die Veröffentlichung von geschön- ten Studien und „spektakulären“ For- schungsergebnissen begünstige.

Meist trifft die Redaktion eine grobe Vorauswahl

Obwohl die Begutachtung wissenschaft- licher Arbeiten überall ähnlich gehand- habt wird, gibt es auch Unterschiede. Bei

„Nature“ trifft die Redaktion die Ent- scheidung, welche Publikationen an zwei bis drei externe Gutachter verschickt werden. Dabei berücksichtigt sie neben wissenschaftlichen auch verkaufsstrate- gische Kriterien. Die Aufgabe der Gut- achter ist es dann, die Bedeutung einer Arbeit einzuschätzen, auf technische oder interpretatorische Mängel hinzu- weisen und Ergänzungen anzuregen.

Das letzte Wort liegt bei der Redaktion – zum Beispiel, wenn die Gutachter unter- schiedlicher Ansicht sind.

Auch bei „Science“ trifft der Redak- teur eine Vorauswahl. Die Entschei- dung, welche Arbeiten begutachtet werden sollen, hat das Magazin aller- dings an ein unabhängiges „Board of Reviewing Editors“ delegiert, dem etwa 130 internationale Forscher an- gehören. Eine Arbeit wird normaler- weise an drei Personen dieses Aus- schusses geschickt. Nur wenn alle drei sie für neu und bedeutungsvoll halten, wird sie an externe Gutachter weiterge- leitet. Diese können sich dann darauf konzentrieren, die technischen Aspekte M E D I Z I N R E P O R T

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A234 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 5⏐⏐3. Februar 2006

Forschungsbetrug

Fachjournale in der Kritik

Über die Stärken und Schwächen des „Peer-Review“-Verfahrens der internationalen Wissenschaftsmagazine

Satire mit einem Schuss Realität: Einige Forschungser- gebnisse werden einfach „aus dem Hut gezaubert“.

Foto:mauritius images

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zu beurteilen. Wie alle Gutachter in der Wissenschaftspublizistik arbeiten die Mitglieder anonym und ohne Entgelt.

So soll ein Höchstmaß an Unabhängig- keit im Urteil erreicht werden.

Peer Review sei allerdings nicht dar- auf angelegt und nicht geeignet, Fäl- schungen ausfindig zu machen, erklärt Science-Chefredakteur Donald Kenne- dy: Wissenschaft gründe auf Vertrauen in die Echtheit und Gültigkeit von Er- gebnissen – und das sollte auch in Zu- kunft so sein. Sonst müsste man die Me- thoden einer Untersuchungskommissi- on anwenden oder vor einer Veröffent- lichung abwarten, bis Dritte das Ergeb- nis in ihrem Labor bestätigen könnten.

So soll bei „Science“ vorerst nur eine neuartige Software eingesetzt werden, die Doppelungen und Stückelungen bei der Bildbearbeitung aufspüren kann.

Denn Digitalfotografien, die in der Wis- senschaft Standard sind, eignen sich be- sonders gut zur Manipulation. Deshalb sollen die Autoren verpflichtet werden, explizit darauf hinzuweisen, in welcher Weise sie Bilder bearbeitet haben.

Aus der deutschen Wissenschafts- szene werden weitergehende Forderun- gen laut: Prof. Dr. Ulrike Beisiegel, Sprecherin des Ombudsgremiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft für wissenschaftliches Fehlverhalten, schlägt vor, dass Fachjournale bei Meldungen über Durchbrüche ein eigens geschaffe- nes Gutachtergremium einsetzen soll- ten. Und Prof. Dr. med. Christian Haass (LMU München), der zum „Board of Reviewing Editors“ von „Science“ ge- hört, empfiehlt, die Überforderung von Gutachtern zu thematisieren. Überar- beitete Gutachter delegierten häufig die Überprüfung an weniger erfahrene Mitarbeiter.

Die Idee, die Namen von Gutachtern grundsätzlich öffentlich zu machen, um sie so zu größerer Sorgfalt zu zwingen, findet hingegen nur geteiltes Echo: Die Arbeiten bekannter und einflussreicher Wissenschaftler könnten nur dann streng beurteilt werden, wenn die Gut- achter keine Nachteile und Rachegelü- ste zu fürchten hätten, so das Gegenar- gument.Trotzdem sehen Forscher Mög- lichkeiten, die Transparenz des Peer Reviews zu verbessern.

So schlägt der Zoologe Prof. Dr. De- nis Duboule (Universität Genf) vor – er

gehört ebenfalls dem „Board of Re- viewing Editors“ von „Science“ an –, je- der Mitautor einer Publikation solle darlegen, worin sein spezifischer Bei- trag bestanden habe. „Nature“ prakti- ziere dies bereits auf freiwilliger Basis.

Außerdem würde es Duboule begrü- ßen, wenn sich neben dem Erstautor auch die Mitautoren schriftlich zum In- halt und zu den Schlussfolgerungen ei- ner Arbeit bekennen müssten. „Wenn man damit rechnen muss, für das Fehl- verhalten anderer geradestehen zu müssen, wächst der Druck, den Kolle- gen genauer auf die Finger zu schauen“, so der Zoologe in der Neuen Zürcher Zeitung (16. 1.)

Auch das Deutsche Ärzteblatt er- achtet Peer Review – trotz bekannter

Schwächen – als ein sehr nützliches Be- wertungsinstrument, das vorerst unver- zichtbar bleibt. Wie Priv.-Doz. Dr. med.

Christopher Baethge, Leiter der medi- zinisch-wissenschaftlichen Redaktion des Deutschen Ärzteblattes, betont, werden alle Manuskripte der Rubrik

„Medizin“ von unabhängigen Exper- ten beurteilt. „Normalerweise wird ein Manuskript zwei Gutachtern vorge- legt“, so Baethge: „Unsere Regularien folgen damit den ,Uniform Require- ments for Manuscripts Submitted to Biomedical Journals‘ vom Oktober 2005.“ Dr. med. Vera Zylka-Menhorn M E D I Z I N R E P O R T

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A236 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 5⏐⏐3. Februar 2006

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ine aktuelle US-Studie nährt die Dis- kussion um die Rolle des PSA-Scree- nings: Danach hat die Tatsache, ob ein Prostatakarzinom durch die Reihen- untersuchung diagnostiziert wurde oder nicht, keinen Einfluss auf die Sterblich- keit der Patienten. John Concato von der Yale-Universität in New Haven und Mit- arbeiter sind in einer „Nested“-Fall- Kontroll-Studie der Frage nachgegan- gen, ob eine Frühdiagnose des Prosta- takarzinoms mittels PSA die Über- lebenschancen verbessert (Archives of Internal Medicine 2006; 166: 38–43).

Bei einer „Nested“-Studie stammen Fälle und Kontrollen aus der gleichen Kohorte, was die Wahrscheinlichkeit er- höht, dass sich beide Gruppen in mög- lichst vielen Punkten ähnlich sind. Dies wiederum erhöht deutlich die Glaub- würdigkeit der Ergebnisse von Fall- Kontroll-Studien, die mit vielen Fehler- möglichkeiten behaftet sind. Concato wählte die Kohorte von 72 000 US-Ve- teranen, die zwischen 1991 und 1995 an einer von zehn Kliniken in Neuengland behandelt wurden. Sie konnten 501 Ve- teranen ermitteln, die bis 1999 an ei- nem Prostatakarzinom gestorben wa-

ren. Diesen Patienten wurde eine gleich große Gruppe von Personen gegen- übergestellt, die ebenfalls an einem Prostatakarzinom erkrankt waren und die gleiche Behandlung erhalten hat- ten, die aber noch am Leben waren.

Concato ging jetzt davon aus, dass bei den verstorbenen Patienten selte- ner ein PSA-Test durchgeführt worden war. Dies war aber keineswegs der Fall.

Der Anteil der gescreenten Patienten betrug 14 Prozent unter den Verstor- benen und 13 Prozent in der Kon- trollgruppe.

Daraus schließen die Autoren, dass ein Überlebensvorteil durch das Scree- ning nicht gesichert sei und fordern die Ärzte auf, die Patienten über die Zwei- fel am Wert des PSA-Tests zu informie- ren. Ob dies ein realistischer Vorschlag ist, darf bezweifelt werden, denn die meisten Patienten halten den Test für intuitiv richtig und lassen ihn durch- führen, wenn man ihn vorschlägt.

Weitere Erkenntnisse könnte die lau- fende „European Randomized study of Screening for Prostate Cancer“ bringen, deren Endergebnisse aber erst in einigen Jahren vorliegen werden. Rüdiger Meyer

PSA-Screening

Studie findet keinen Überlebensvorteil

Prognose des Prostatakarzinoms hängt nicht vom PSA-Test ab.

Das Deutsche Ärzteblatt hat zum Thema „Forschungsbe- trug“ ein Internet-Forum eingerichtet: www.aerzteblatt.de/

foren.

Referenzen

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