T H E M E N D E R Z E I T
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er Zeitpunkt, über die ungelös- ten Probleme der Transplan- tationsmedizin zu diskutieren, hätte von der Evangelischen Akademie in Loccum nicht besser gewählt werden können: In der Hoffnung, die Zahl der postmortalen Organspenden er- höhen zu können, hatte der Nationale Ethikrat (NE) kurz zuvor der Bun- desregierung empfohlen, ein Stufen- modell einzuführen, an dessen An- fang eine geregelte Aufklärung der Bevölkerung über die Möglichkeit zur Organspende stehen soll, am En- de aber eine Pflicht, sich zu erklären, wenn eine postmortale Organspende nicht gewünscht wird (DÄ, Heft 18/2007). Anderenfalls dürften Organe entnommen werden. Eine solche Re- gelung würde eine Änderung des Transplantationsgesetzes erfordern.
Zehn Jahre nach seinem Inkrafttreten stellt sich ohnehin für viele die Fra- ge: Bietet das Gesetz den richtigen Rahmen, um die definierten Ziele wie Verteilungsgerechtigkeit, Trans- parenz und Rechtssicherheit und gleichzeitig eine Zunahme der Or- ganspenden zu erreichen? Ist das Ge- setz dem medizinischen Fortschritt noch angemessen?
Der Grundkonflikt in der Trans- plantationsmedizin besteht darin, dass Körperteile eines Menschen aus-
schließlich zum Nutzen anderer ver- fügbar gemacht werden. Die Ärzte haben die Funktion von Vermittlern – eine für sie selbst und die Menschen, die sie behandeln, vergleichsweise neue, ungewohnte Rolle. Durch die rasch wachsenden Möglichkeiten der Biomedizin einerseits und ökonomi- sche Zwänge andererseits wird das ethische Fundament der Gesellschaft immer stärker strapaziert. „In kaum einem anderen Bereich der Medizin gibt es ein so komplexes und konflikt- trächtiges Beziehungsgefüge wie in der Transplantationsmedizin“, resü- mierte Prof. Dr. med. Jürgen Klemp- nauer von der Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie der Medizi- nischen Hochschule Hannover.
Widerspruchsregelung Ja oder Nein zur Organ- und Gewebe- spende – das ist die Kardinalfrage.
Die Antwort erfordere, sich mit der eigenen Sterblichkeit zu potenziell jeder Minute, nicht nur zu einem krankheitsbedingt absehbaren Zeit- punkt, auseinanderzusetzen sowie mit der Möglichkeit, den eigenen Körper nach dem Tod nicht zu Staub verfallen, sondern ihn zu einem Heil- mittel werden zu lassen, sagte Profes- sor em. Dr. phil. Jan Beckmann vom Institut für Philosophie der Fernuni- versität Hagen und Mitglied der Zentralen Stammzell-Ethik- kommission.
Obwohl die ethischen Grundkonflik- te überall vorhanden sind, wo trans- plantiert wird, fällt es den Deutschen offenbar besonders schwer, klar Stel- lung zu beziehen. Maximal jeder Fünfte hat Schätzungen zufolge einen Organspendeausweis. In Österreich, wo die Widerspruchsregelung gilt, haben sich lediglich 0,14 Prozent der Bevölkerung in ein entsprechendes Register eintragen lassen – die meis- ten Bürger wohl wissend, dass ihnen die Ärzte Organe entnehmen könn- ten, wenn kein Widerspruch vorliege, meint Prof. Dr. med. Gerhard Aigner vom österreichischen Bundesgesund- heitsministerium. Jeder bekannte Wi- derspruch zur Organentnahme werde berücksichtigt, unabhängig von einer Dokumentation im Register, sagte Aigner. Österreich habe circa 20 Or- ganspender pro Million Einwohner, womit der Bedarf an Organen an- nähernd gedeckt sei. Nach leichten, aber steten Steigerungen in den ver- gangenen drei Jahren waren 2006 im bundesdeutschen Durchschnitt 15,3 Spender pro Million Einwohner erreicht (2001 waren es 13,1). Öster- reich habe circa 20 Organspender pro Million Einwohner, womit der Be- darf an Organen annähernd gedeckt sei. Nach leichten, aber steten Steige- rungen in den vergangenen drei Jah- ren waren 2006 im bundesdeutschen Durchschnitt 15,3 Spender pro Milli- on Einwohner erreicht (2001waren es 13,1). „20 Organspender pro Million Einwohner – damit könnten wir zwar noch nicht die aktuelle Warteliste ab- bauen, aber über einen längeren Zeit- raum wäre auch bei uns vermutlich der Bedarf gedeckt“, sagte Privat- dozent Dr. med. Dietmar Mauer von der Deutschen Stiftung Organtrans- plantation (DSO) Region Mitte. Die- se Organspenderate zu erreichen, sei das nächste, konkrete Ziel der DSO Region Mitte. In der Frage, ob Ände- rungen des Transplantationsgesetzes im Sinne des Nationalen Ethikrats ORGANSPENDEN
Körperteile zum Wohl eines anderen
Die Kardinalprobleme der Organtransplantation sind ungelöst.
Das wurde auf einer Tagung in Loccum deutlich.
A1294 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 19⏐⏐11. Mai 2007
Foto:ddp
Maximal jeder fünfte Deutsche hat Schätzungen zufolge einen Organspende- ausweis.
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 19⏐⏐11. Mai 2007 A1295
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mehr Organe brächten und ethisch vertretbar seien, waren sich Ärzte und Medizinethiker uneins. DSO und auch Bundesärztekammer halten eine Gesetzesänderung so lange nicht für notwendig, wie die geltenden recht- lichen Möglichkeiten nicht ausge- schöpft sind.
Die Medizinethiker, Juristen, Ärz- te, Theologen, Seelsorger und Pati- entenvertreter stimmten allerdings in einem anderen Punkt überein: Die Bürger werden nicht so informiert, dass sie eine Entscheidung treffen können und wollen. „Bei einer Ver- anstaltung vor Kurzem äußerten die Besucher die gleichen Ängste wie bei der Diskussion um das Trans- plantationsgesetz vor mehr als zehn Jahren“, sagte Dr. rer. nat. Thomas Breidenbach von der Klinik für All- gemein-, Viszeral- und Transplanta- tionschirurgie in Augsburg.
Dass Breidenbachs Déjà-vu-Er- lebnis kein Einzelfall ist, belegt eine im vergangenen Jahr publizierte Stu- die der Universitätsklinik Mainz (1).
Unter 1 002 für die deutsche Bevöl- kerung repräsentativen Teilnehmern gaben 21 Prozent an, einen Organ- spendeausweis zu besitzen, und 90 Prozent befürworteten generell die Organspende. 77 Prozent entschie- den sich in einer fiktiven, aber realis- tischen Entscheidungssituation für die Organentnahme bei einem hirn- toten Angehörigen. Zugleich äußer- ten jeweils bis zu 50 Prozent der Be- fragten Zweifel, ob sich der Hirntod eines Menschen sicher feststellen lasse und Ärzte nicht vorschnell das Interesse an der medizinischen Be- handlung eines potenziellen Organ- spenders verlören.
Mindestvoraussetzungen Differenzierter zu informieren und offensiver als bisher auf Ängste der Bevölkerung einzugehen, war eine der Forderungen. Eine andere: Für Gespräche mit den Angehörigen über eine Organspende müssten grund- sätzlich Mindestvoraussetzungen ge- geben sein, wie eine ruhige Situation in separaten Räumen, auch zum Ab- schiednehmen vom Toten. Sinnvoll sei es, Schwestern, Pfleger und Kran- kenhausseelsorger zu beteiligen.
Häufig werden Kliniker in den Spagat gezwungen, wenn sie im
Bemühen um die Trauernden einer- seits und ökonomischen Zwängen andererseits den richtigen Zeitpunkt für das Gespräch über Organspen- de finden sollen. Denn für mögli- che Spender werden Intensivbetten blockiert. „Wir befürchten, dass Ärzte aus ökonomischen Gründen Beat- mung und Kreislaufstabilisierung bei eventuellen Spendern vor der Hirn- toddiagnostik verfrüht beenden, weil sie nicht absehen können, ob eine Zustimmung erteilt werden wird“, sagte Mauer. Gelegentlich werde das
Thema mit den Angehörigen deshalb vor dem diagnostiziertem Hirntod angesprochen – mit der Schwierig- keit, dass dieser möglicherweise dann doch nicht festgestellt wird.
Regenerative Medizin
Gemeinsame Aus- und Weiterbil- dungskonzepte an den Landesärzte- kammern für Koordinatoren der DSO, Klinikseelsorge, Pflegende und Ärzte müssten die Qualität der Ge- sprächsführung und alle Belange um die Organspende verbessern helfen, so die Forderung. Einige Ärzte regten an, dass Kollegen, die den Hirntod feststellten, ihre Qualifikation spezi- fisch nachweisen. Es ist zwar vorge- schrieben, dass die Ärzte über eine mehrjährige Erfahrung in der Inten- sivbehandlung von Patienten mit schweren Hirnschädigungen verfü- gen; auch in die Facharztweiterbil- dung Intensivmedizin ist das Thema Hirntod aufgenommen worden. Aber in der Praxis gebe es gelegentlich Un- sicherheiten dahingehend, die Ergeb- nisse von Hirntod-Untersuchungen im klinischen Kontext zu interpretie- ren, bemerken Krankenhausärzte.
Dass die Hürden möglichst bald überwunden werden müssten, um Pa- tienten neuartige Behandlungen an- bieten zu können, verdeutlichte Prof.
Dr. Ulrich Martin von den Leibniz Forschungslaboratorien für Biotech- nologie und künstliche Organe in Hannover. Das Zeitalter der regenera- tiven Medizin habe schon begonnen.
So sind bereits adulte Stammzellen in klinischer Erprobung, die den Herz- muskel nach einem Myokardinfarkt regenerieren helfen. Ebenfalls in kli- nischen Studien wird der Hepato- zytentransfer für Patienten mit aku- tem Leberversagen erprobt. Die He- patozyten stammen aus allogenen Spenderlebern, die für die Organ- transplantation nicht infrage kom- men. Zu der Frage, wann sie dafür ausscheiden, gibt es derzeit allerdings keine einheitlichen Kriterien.
Das Team um Martin, der auch an
der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover arbeitet, ent- wickelt Luftröhren, Blutgefäße sowie Gefäß- und Herzklappen auf der Ba- sis von in vitro vermehrten Zellen (Tissue Engineering). Das Prinzip:
Die Gerüstsubstanz, beispielsweise einer Herzklappe, stammt von Ver- storbenen und wird von Zellen be- freit. Diese Kollagenmatrix lassen die Forscher von Endothelzellen aus dem Blut des Patienten besiedeln. Das formgebende Stützgerüst und die Endothelzellen wachsen im Labor zu einer vollständigen Herzklappe her- an. Das Immunsystem des Empfän- gers stößt die Herzklappe nicht ab, da es keine Fremdantigene erkennt. Vor allem für herzkranke Kinder eignen sich solche Herzklappen, da sie aus den herkömmlich implantierten Herzklappen gewissermaßen heraus- wachsen und wieder neu operiert werden müssen. Die im Labor ge- züchteten Klappen aber wachsen mit.
Derzeit können die Wissen- schaftler aus Hannover mit den neu- en Bioimplantaten noch keine Kin- der in Deutschland behandeln, da die Geweberichtlinie noch nicht
verabschiedet ist. I
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
LITERATUR
1. Beutel M. E. et al.: Einstellungen zur post- mortalen Organspende – Ergebnisse einer Repräsentativerhebung der deutschen Bevölkerung, Z Gastroenterol 2006, 41:
1135–40.