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Archiv "Nutzen und Risiko des Mammografie-Screenings: Mortalitätsreduktion zu hoch gerechnet" (06.06.2008)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 236. Juni 2008 419

M E D I Z I N

Alltagsrisiken falsch eingeschätzt

Bedingte Wahrscheinlichkeiten versus absolute Häufig- keiten: Worum geht es wirklich?

Aus der psychologischen Forschung wissen wir, dass die Art der Darstellung von Sachverhalten Denken und Handeln der Betroffenen bestimmt. Sachverhalte werden, je nachdem, ob als potenzieller Gewinn oder als möglicher Verlust ausgedrückt, von den Menschen unterschiedlich bewertet. Und das ist der Kern der Diskussion: Wer die Kontrolle über die Darstellung der Studienergebnisse hat, schafft die entscheidende Voraussetzung über die Akzep- tanz des Screeningprogramms.

Die Autoren wenden sich gegen die Darstellung des Screeningnutzens mittels absoluter Häufigkeiten und pro- pagieren eine Darstellung durch bedingte Wahrscheinlich- keiten. Sie postulieren, die Bevölkerung sei im Umgang mit bedingten Wahrscheinlichkeiten geübt, da im Alltag permanent Risiken zu bewerten seien (Gebäudeversiche- rung).

Ich teile diese Ansicht nicht. Zahlreiche sozialpsycho- logische Studien zeigen, dass die meisten Menschen All- tagsrisiken in der Regel falsch einschätzen. Gigerenzer (1) hat in einer Anzahl von Studien nachgewiesen, dass so- wohl Laien als auch Fachleute nicht in der Lage waren, richtige Schlüsse aus bedingten Wahrscheinlichkeiten zu ziehen. Das Argument der Autoren die allgemeine Akzep- tanz einer Gebäudeversicherung sei Ausdruck des Verste- hens bedingter Wahrscheinlichkeiten ist demgegenüber eher flach. Im übrigen ist es gute wissenschaftlicher Pra- xis, Studienergebnisse in Häufigkeiten auszudrücken.

Kein kritischer Arzt wird sich bei Arzneimittelstudien auf die relative Risikoreduktion verlassen, sondern den tatsächlichen Nutzen und potenziellen Schaden anhand der Häufigkeiten NNT (number needed to treat) und NNH (number needed to harm) betrachten. Warum sollte das bei Screeninguntersuchungen nicht ebenfalls selbstverständ- lich sein? DOI: 10.3238/arztebl.2008.0419a LITERATUR

1. Gigerenzer G: Das Einmaleins der Skepsis. Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken. Bvt Berliner Taschenbuch Verlag 2004.

Dr. med. Reinhard Beise Brunnenstraße 21, 85570 Ottenhofen E-Mail: Beise@mail.biosign.de

Mortalitätsreduktion zu hoch gerechnet

Becker und Junkermann erwähnen 10 % Überdiagnosen als möglichen Schaden des Mammografiescreenings. Sie gehen damit erfreulich weit über das derzeit gültige Mam-

mografie-Merkblatt des Gemeinsamen Bundesausschus- ses hinaus, das zwar Frauen informieren soll, diesen gra- vierendsten Schaden der Früherkennung aber nicht er- wähnt.

Die Autoren berücksichtigen jedoch die Überdiagno- sen nur unzureichend, wenn sie schreiben: Ohne Scree- ning sterben von 100 an Brustkrebs erkrankten Frauen 31, mit Screening 20, was eine Reduktion um 35 % ergibt.

1.) Bei 10 % Überdiagnosen wären von 100 mit Mam- mografie gefunden Tumoren 10 Tumore nicht auffällig geworden. Die 20 Todesfälle beziehen sich also auf 90 po- tenziell tödliche Tumore, die die Autoren aber 100 ohne Screening auffällig gewordenen Tumoren gegenüberstel- len. Hochgerechnet auf 100 mit Mammografie gefunde- nen potenziell tödlichen Tumoren ergeben sich demnach 22 Todesfälle und daher eine Reduktion um 29 %.

2.) Die Autoren nennen den Wert von 10 % Überdia- gnosen, die sie der Arbeit von Zackrisson et al. entnehmen (1). Zackrisson et al. betrachten die kumulative Inzidenz 15 Jahre nach Beendigung der Malmö-Studie. Direkt nach Beendigung der Studie sind es dagegen 24 %. Zahl et. al.

ermittelt sogar 30 % (2). 10 % Überdiagnosen erscheinen auch deswegen zu niedrig, weil allein In-situ-Karzinome zu 13 % Überdiagnosen führen (3). Bei 20 % Überdiagno- sen kämen auf 100 mit Mammografie gefundene po- tenziell tödliche Tumoren 25 Todesfälle, was eine Morta- litätsreduktion gegenüber Nicht-Screenen von 20 % ergibt. Bei 30 % Überdiagnosen wären es 28 Todesfälle, also eine Reduktion um 10 %. Diese Unsicherheit sollte ebenso kommuniziert werden wie das Phänomen der Überdiagnosen an sich. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0419b

LITERATUR

1. Zackrisson S, Andersson I, Janzon L et al.: Rate of over-diagnosis of breast cancer 15 years after end of Malmö mammographic screening trial: follow-up study. BMJ 2006; 332: 689–92.

2. Zahl PH, Strand BH, Mæhlen J: Incidence of breast cancer in Norway and Sweden during introduction of nationwide screening: prospective cohort study. BMJ 2004; 328: 921–4.

3. Koch K, Weymayr Ch: Kritik der Krebsfrüherkennung. Der Onkologe 2008; 14: 181–8.

Dr. rer. nat. Christian Weymayr Schaeferstraße 22, 44623 Herne E-Mail: Christian.Weymayr@web.de

Abwägungs- und Entscheidungsprozess

Die Autoren legen dar, dass sich möglicherweise „nicht wenige Frauen“ für die Teilnahme entscheiden, weil sie die geringe Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens (Tod durch Brustkrebs) sozusagen mit der Schadenshöhe, wel- che der Tod darstellt, in einem versicherungsmathemati- schen Sinne multiplizieren.

Es trifft sicher zu, dass „nicht wenige“ Frauen sich für die Teilnahme entscheiden würden, auch wenn sie wüs- sten, dass für eine gesunde Frau die Wahrscheinlichkeit gering ist, den Krebstod mit Hilfe der Früherkennung zu zu dem Beitrag

Nutzen und Risiko des Mammografie-Screenings

Betrachtungen aus epidemiologischer Sicht

von Prof. Dr. rer. nat. Nikolaus Becker, Prof. Dr. med. Hans Junkermann in Heft 08/2008

DISKUSSION

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vermeiden. Genau dieser Sachverhalt wird den Frauen in den im deutschsprachigen Raum üblichen Informations- materialien jedoch vorenthalten, sodass sie die entspre- chenden Abwägungsprozesse gar nicht erst durchführen können. Die Wahrscheinlichkeit für katastrophische Schä- den wie Überdiagnose mit Übertherapie ist ebenfalls gering, muss aber selbstverständlich ebenfalls Teil des Abwägungs- und Entscheidungsprozesses sein.

Empirisch ist gut belegt, dass Entscheidungen von der Art und dem Umfang der Information abhängen. Die Dar- stellung des Interventionseffektes allein als relatives Risi- ko weckt einen unrealistisch positiven Eindruck (1). Pati- enten fühlen sich mit absoluten Zahlen und absoluten Ri- siken gut informiert (2). Die unterschiedliche Darstellung identischer Sachverhalte – im Sinne von „halbvoll“ versus

„halbleer“ – kann Patienten zu gegensätzlichen Entschei- dungen bringen. Daraus kann unseres Erachtens nur fol- gen: Die Abwägung von Nutzenwahrscheinlichkeiten und Schadensrisiken ist jeder einzelnen Frau aufgrund umfas- sender, ergebnisoffener Informationen zu überlassen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, den Frauen verständliche Informationen vorzuenthalten, wie es bislang der Fall ist.

Dazu zählen zumindest folgende Punkte: das Risiko von Brustkrebs in ihrer Altersgruppe, die Wahrscheinlichkeit den Krebstod durch Früherkennung zu vermeiden, die Rate falsch-positiver und falsch-negativer Befunde, die Gefahr der Überdiagnose mit der Konsequenz der Über- therapie (3). DOI: 10.3238/arztebl.2008.0420a

LITERATUR

1. Covey J: A Meta-analysis of the Effects of Presenting Treatment Benefits in Different Formats. Med Decis Making 2007; 27: 638–54.

2. Koch K, Scheibler F: Einstellungen und Informationsstand zur Früherken- nung: Informiert und doch getäuscht? In: Böcken J, Braun B, Amhof R:

Gesundheitsmonitor 2007. Verlag Bertelsmann Stiftung 2007.

3. Koch K, Weymayr C: Kritik der Krebsfrüherkennung. Der Onkologe 2008;

14: 181–8.

David Klemperer

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V.

– Fachbereich Patienteninformation und Patientenbeteiligung – Hochschule Regensburg

Seybothstraße 2, 93053 Regensburg

Internet: http://www.ebm-netzwerk.de/fachbereiche/fb_patienteninformation.htm/

E-Mail: david.klemperer@soz.fh-regensburg.de

Partizipative Entscheidungsfindung

Frauen fragen sich, was sie von Screeningteilnahme ha- ben. International wird dies mit „Verhinderte Todesfälle bezogen auf Teilnehmerzahl“ beantwortet. Komisch ist daher, dass die Autoren Mühlhauser/Höldke unterstellen, sie würden künstliche Bezugsgrößen herstellen.

Sicherlich fragen Frauen auch, was ihre Therapiechan- ce im Falle einer Tumorentdeckung sei. Die Autoren be- antworten diese Frage: In 10 Jahren sterben am Mamma- karzinom im Screening entdeckter 100 Erkrankter nicht 31, sondern 20 – also 11 weniger – abgerundet 1 Frau von 10 Erkrankten auf 10 Jahre weniger. Wer ist davon nicht beeindruckt?

Nur könnte man die von den Autoren bearbeitete The- rapiefrage präziser beantworten – nämlich wenn der Be- fund vorliegt, weil das Stadium entscheidend für weitaus größere/kleinere Chancen ist.

Der Nutzen der Screeningteilnahme (nicht einer mögli- cherweise späteren Therapie) lässt sich aus Tabelle l be- stimmen: Von 100 000 Frauen sterben an Mamma- karzinom nicht 155 (Nicht-Teilnehmer), sondern 101 der Screeningteilnehmer in 10 Folgejahren – also 54/100 000 über 10 Jahre weniger. Abgerundet sind dies 1 von 2000 über 10 Jahre. Will da noch Jede teilnehmen?

In dieser Diskrepanz der Darstellung – international üb- liche versus Becker/Junkermann – steckt das gesamte Pro- blem unseres Umgangs mit partizipativer Entscheidungs- findung.

Wollen wir dieses Konzept aus reiner „political correc- tness“ befreien, dann müssen wir den Frauen sagen, wel- chen individuellen Nutzen – und im Artikel zu Teilen aus- gespart – auch Schaden sie mittels Screeningteilnahme zu erwarten haben. Auch um die Gefahr geringerer Teilnah- meraten.

Dass die Gesellschaft hohe Beteiligung wünscht, um hohen Public-health-Nutzen zu erreichen, ist eine andere, auch berechtigte Sache. Wir Ärzte müssen uns entschei- den, auf welcher Seite wir (eher) stehen.

DOI: 10.3238/arztebl.2008.0420b Prof. Dr. med. Heinz-Harald Abholz

Leiter der Abteilung für Allgemeinmedizin Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstraße 5, 40225 Düsseldorf E-Mail: Abholz@med.uni-duesseldorf.de

Diskussion der Nutzen-Schaden-Diskussion

Der Übersichtsartikel von Becker und Junkermann be- leuchtet ein gesundheitspolitisch sehr wichtiges Thema.

Bereits der Titel stellt allerdings ein Problem dar, weil er den Nutzen mit dem Risiko und nicht mit dem Schaden kontrastiert. Hier wird der Eindruck vermittelt, als ob dem Nutzen des Mammografiescreenings nur ein (statisti- sches) Risiko gegenüberstünde. Dies ist nicht der Fall, vielmehr handelt es sich sowohl beim Nutzen als auch beim Risiko um statistische Hochrechnungen eines erwar- teten Nutzens und Schadens. Wir halten die vorgelegte Nutzen-Schaden-Abwägung aber auch aus mehreren an- deren Gründen nicht für ausgewogen:

Die Autoren illustrieren den Nutzen anhand von 100 000 fiktiv beobachteten Frauen, die sich dem 2-jährlichen Screening 10-mal unterziehen; der Schaden wird jedoch anhand einer Gruppe von nur 1 000 Frauen dargestellt. Pro 100 000 Frauen, bei denen 540 Brustkrebstodesfälle ver- mieden würden, wären folgende Schäden zu erwarten:

>22 300 bis 36 300 Frauen mit falschpositiver Mam- mografie

>500 Frauen mit Überdiagnose Brustkrebs

>6 300 Frauen mit falschpositiver Indikation für eine Brustbiopsie

>circa 500 Frauen mit gutartigem Befund bei einer Brustoperation

>10 bis 240 strahleninduzierte Brustkrebsfälle.

Somit wird jede dritte Frau, die über 20 Jahre (Alter 50 bis 69 Jahre) jedes zweite Jahr zum Screening geht, unnötig beunruhigt, ein erheblicher Anteil der Frauen auf- grund falsch positiver Befunde beziehungsweise Überdia- gnosen invasiv abgeklärt oder behandelt, und eine nicht unerhebliche Anzahl von Brustkrebsfällen induziert. Eine

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kritische Diskussion zur Lebensqualität der unnötig beun- ruhigten Frauen und ihrer Angehörigen erfolgt nicht. Dies wäre aber für eine angemessene Diskussion der Nutzen- Schaden-Relation unerlässlich.

Insgesamt erscheint die Nutzen-Schaden-Diskussion nicht ausgewogen. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0421a

Prof. Dr. rer. nat. Karl-Heinz Jöckel Dr. med. Barbara Hoffmann

Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Medizinische Fakultät Universität Duisburg-Essen Hufelandstraße 55, 45147 Essen E-Mail: k-h.joeckel@uk-essen.de Prof. Dr. med. Andreas Stang, MPH Sektion Klinische Epidemiologie

Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik

Medizinische Fakultät

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Magdeburger Straße 8, 06097 Halle (Saale)

Stadienbezogene Letalitätsraten

Der Artikel von Becker und Junkermann zu Nutzen und Risiko des Mammografie-Screenings führt zum Heft- aufmacher mit dem Titel „Mammografie: Screening senkt Brustkrebsmortalität um 35 %“. Diese Aussage, die auch eine der drei Kernaussagen der Autoren Becker und Junkermann ist, ist in zweifacher Hinsicht irre- führend:

1.) Die Autoren sprechen nicht über Mortalität im Sinne der üblichen epidemiologischen Maßzahl von spezifischer Sterbewahrscheinlichkeit in definierten Bevölkerungsgruppen, sondern sie sprechen über Leta- lität, das heißt über die bedingte Wahrscheinlichkeit, bei gestellter Diagnose und (normalerweise) daraus folgen- der Behandlung in einem Beobachtungszeitraum zu ver- sterben (1)

2.) Die Autoren versuchen durch den Bezug auf Morta- lität/Letalität als Effektgröße das Problem der Vorverlage- rung des Diagnosezeitpunktes durch ein Screening ge- genüber einer nicht gescreenten Vergleichsgruppe (der so- genannten „lead-time-bias“) zu umgehen. Sie schreiben:

„Die Mortalität ist die einzig unverzerrt quantifizierbare Zielgröße für Untersuchungen zur Wirksamkeit von Früherkennungsmaßnahmen“. Allerdings ist die von ih- nen betrachtete Letalität nach Diagnosestellung beim Brustkrebs in seinen verschiedenen Auftrittsformen ab- hängig vom Tumorstadium (gemäß Tumorklassifikation der WHO) bei Stellung der Diagnose. Die Fallverteilung in gescreenten Populationen selektiert aber zugunsten niedrigerer, prognostisch günstigerer Stadien und langsa- merer Verläufe gegenüber nicht gescreenten Populatio- nen. Die Betrachtung der Mortalität/Letalität nach Dia- gnoseeintritt eliminiert nicht den „lead-time-bias“. Um dieses zu erreichen, müssten die Autoren stadienbezogene Letalitätsraten für ein definiertes Zeitfenster präsentieren und diskutieren. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0421b

Prof. Dr. med. Friedrich Wilhelm Schwartz Direktor des Instituts für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung MHH

30623 Hannover

E-Mail: Epidemiologie@mh-hannover.de

Randomisiert kontrollierte Studien gefordert

Die Autoren versuchen darzulegen, warum die Bewertung des Mammografie-Screenings aus epidemiologischer Sicht und nicht aufgrund randomisiert kontrollierter Stu- dien (RCTs) erfolgen sollte. Aber gerade weil dies nicht möglich ist, sind hierzu nach internationalem Standard RCTs gefordert. Und für das Mammografie-Screening gibt es RCTs sowie einen hochwertigen Cochrane Review von unabhängigen Autoren (1).

In epidemiologischen Analysen wird der Nutzen von Screening aus folgenden Gründen überschätzt (2):

1.) Personen, die am Screening teilnehmen, unterschei- den sich von Personen, die nicht teilnehmen. Sie sind von vornherein gesünder, kommen aus höheren Bildungs- schichten und haben daher eine bessere Lebensprognose auch für die Erkrankung, auf die gescreent wird.

2.) Durch Screening werden eher gutartige, langsam wachsende Tumore diagnostiziert.

3.) Frühere Diagnose bedeutet oft nur Verlängerung der Lebenszeit mit Brustkrebs, aber nicht bessere Prognose.

4.) Mit Screening werden Brustkrebserkrankungen diagnostiziert, die ohne niemals aufgetreten wären (Über- diagnosen). Es ist daher obsolet, gescreente Frauen, bei denen Brustkrebs diagnostiziert wurde, als Bezugs- größe und zum Vergleich zwischen Screening- und Nicht- Screeninggruppen zu benutzen. Es verwundert daher nicht, dass der Cochrane Review den Nutzen des Mam- mografiescreenings deutlich geringer und den Schaden deutlich höher bewertet als Becker und Junkermann (1, 3).

Die Autoren argumentieren, dass die Schadenshöhe durch Brustkrebs berücksichtigt werden sollte. In derarti- ge Berechnungen müssten dann aber auch die Überdia- gnosen mit einfließen sowie die Gesamtkrebssterblichkeit und die Gesamtmortalität. Diese verbessern sich durch Screening nicht (1, 3). Die schlechte Sensitivität des Mammografie-Screenings in den deutschen Pilotprojek- ten wird nicht erwähnt (3). Diese reduziert den Nutzen des Screenings. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0421c

LITERATUR

1. Gotzsche P, Nielsen M: Screening for breast cancer with mammography.

Cochrane Database of Systematic Reviews 2006, Issue 4.

2. Sackett DL, Haynes RB, Guyett GH, Tugwell P: Clinical epidemiology. A basic science for clinical medicine. 2ndedition. Little, Brown and Com- pany. Boston, Toronto, London 1991.

3. Mühlhauser I: Ist Vorbeugen besser als Heilen? Dtsch Arztebl 2007; 104:

A 1805–7.

Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser Universität Hamburg

MIN Fakultät, Fachwissenschaft Gesundheit Marthin-Luther-King Platz 6, 20146 Hamburg E-Mail: ingrid_muehlhauser@uni-hamburg.de

Schlusswort

Bei unserem Beitrag ging es um drei Dinge:

1.) Der Effekt der Früherkennung beim Mammakarzi- nom sollte aus Sicht der eingeladenen Frauen in Katego- rien effektiverer Behandlung und dadurch verlängerter Überlebenszeiten dargestellt werden, während der wis- senschaftliche Nachweis der Wirksamkeit durch die Be- obachtung der Mortalität zu erfolgen hat.

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2.) Der Versuch, den Effekt von Screening verständlich darzustellen, hat bei einigen Autoren nicht nur zu geänder- ten Formulierungen, sondern zu einer substanziellen Ver- änderung und Verfälschung der Aussage geführt.

3.) Wird in der Diskussion um Screening außer acht ge- lassen, dass bei der Abwägung von Nutzen und Nachteilen einer Teilnahme unterschiedliche Risikokonzepte eine Rolle spielen, die sich darin unterscheiden, ob sie die Schadenshöhe im Falle des Eintritts eines unerwünschten Ereignisses berücksichtigen (Beispiel Versicherungen) oder nicht (Beispiel Epidemiologie).

Der Leserbrief von Mühlhauser wiederholt die allge- mein bekannten und von uns erläuterten Gründe, warum der Effekt von Screening wissenschaftlich nur mit rando- misierten epidemiologischen Studien mit der Zielgröße Mortalität nachgewiesen werden kann (1–3).

Dem Beitrag von Beise kann in seiner Allgemeinheit nicht widersprochen werden. Wir haben in unserem Arti- kel allerdings darauf hingewiesen, dass die Wirkung des Screenings intrinsisch ein bedingter Effekt ist: Wenn eine unerkannte Krebskrankheit vorliegt, dann kann es vorteil- haft sein, sie durch Screening möglichst früh zu erkennen und zu behandeln (3). Unser Lösungsvorschlag ist, den Nutzen des Screenings bei eintretender Erkrankung in absoluten Häufigkeiten darzustellen, ganz im Sinne von Beise. Der Hinweis auf Versicherungen hat nichts mit be- dingten Wahrscheinlichkeiten, sondern damit zu tun, dass

„Risiko“ unterschiedlich definiert wird: in der Epidemio- logie ohne und bei Versicherungen mit Einbeziehung der Schadenshöhe.

Weymayr lässt außer acht, dass die von uns gewählte Darstellung eine rechnerische Umsetzung der Ergebnisse der randomisierten Studien mit Zielgröße Mortalität in ab- solute Überlebenshäufigkeiten ist, also Nettoeffekte er- gibt. Überdiagnose ist davon nicht abzuziehen, weil man an lebenslang subklinisch bleibender Krankheit nicht stirbt.

Der Leserbrief des ebm geht konform mit unserer In- tention einer möglichst zutreffenden und umfassenden In- formation. Als „Schadenshöhe“ im Falle einer Krebser- krankung lediglich die Möglichkeit eines tödlichen Ver- laufs anzusehen, greift zu kurz: Unseres Erachtens sind hierzu auch Therapiefolgen sowie deren Einfluss auf die Lebensqualität zu rechnen. Die Erkrankungswahrschein- lichkeit sollte als eine durch Screening unbeeinflussbare Größe kommuniziert werden.

Abholz verteilt die Mortalitätsreduktion durch eine frühe Erkennung einer bereits eingetretenen Erkrankung auch auf Personen, die nicht erkrankt sind, folglich auch nicht unter Sterberisiko stehen. Dies haben wir in dem Ar- tikel kritisiert. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit ist re- lativ klein (etwa 5 %), aber wenn eine Erkrankung vor- liegt, sterben innerhalb von 10 Jahren ohne Screening 31 und mit Screeningangebot 23 beziehungsweise Scree- ningteilnahme 20 von Hundert Frauen an der Erkrankung.

Der Einwand von Jöckel et al. bezieht sich auf den Titel der Arbeit und die gewählte Skalierung der angegebenen Maßzahlen. Der Titel ist aus dem Begutachtungsprozess entstanden und hieß ursprünglich „Risikokommunikation beim Mammografie-Screening“. Gegen die Verwendung

des Begriffes des „Schadens“ wurde von epidemiologi- schen Kollegen der Einwand erhoben, er sei nicht emoti- onsfrei, sodass im Artikel durchgängig von „nachteiligen Effekten“ die Rede ist, die dem Nutzen gegenüber gestellt werden. Zur Skalierung der jeweiligen Maßgrößen haben wir für die Inzidenz wegen der kleinen Fallzahlen die in der Epidemiologie übliche Darstellung pro 100 000 ge- wählt (5) und für die höheren Ereignishäufigkeiten im Screening die dort übliche Darstellung pro 1 000 (4). Der Nutzen vermiedener Todesfälle wurde in Tabelle 1 unten auf pro 1 000 umgerechnet und im Text auf gleicher Skala den nachteiligen Effekten „Brustkrebsoperation bei be- nignem Befund“ und „Überdiagnose“ gegenübergestellt sowie darauf hingewiesen, dass der weitaus häufigste nachteilige Effekt ein falsch positiver Befund ist. Dessen zahlenmäßige Größe wurde in der Tabelle 2 ebenfalls auf- geführt. Die Autoren des Leserbriefes geben die Zahlen auf der größeren Skala an, wodurch sie nicht ausgewoge- ner, sondern eben nur größer werden. Auf den Aspekt der Lebensqualität im Zusammenhang mit falsch-positiven Befunden wurde bereits mehrfach an anderer Stelle kri- tisch eingegangen (1, 2). Der Fokus lag im vorliegenden Artikel auf der korrekten Interpretation der Studienergeb- nisse.

Schwarz hat mit seiner ersten Feststellung recht: Es war unsere Intention, den bedingten Charakter einer Morta- litätsaussage beim Screening herauszuarbeiten und rech- nerisch in eine Aussage zur Letalität zu übersetzen. Da al- so nicht empirische Beobachtungen zugrunde gelegt wer- den spielt der ansonsten tatsächlich zu beachtende „lead- time-bias“ (1–3) hier keine Rolle. Bei der Stadienselekti- on handelt es sich um den „length bias“, der wiederum bei der Aussage zur Effektivität eines Angebots von Mammo- grafie-Screening im Unterschied zur tatsächlichen Teil- nahme keine Rolle spielt. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0422

LITERATUR

1. Becker N: Screening aus epidemiologischer Sicht. Radiologe 2002; 42:

592–600.

2. Becker N: Die Rolle der epidemiologischen Qualitätsparameter im Mam- mographie-Screening. Radiologe 2006; 46: 984–992.

3. Morrison AS: Screening in Chronic Disease. Second edition. Monographs in Epidemiology and Biostatistics, Volume 19. Oxford University Press, New York, Oxford 1992.

4. Perry N, Broeders M, de Wolf C, Törnberg S, Holland R, von Karsa L, Put- haar E (eds.): European guidelines for quality assurance in breast cancer screening and diagnosis – Fourth Edition. Luxembourg: Office for Official Publications of the European Communities 2006.

5. Robert-Koch-Institut und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (GEKID) (Hrsg.): Krebs in Deutschland 2003–2004. Häufigkeiten und Trends. Berlin 2008.

Prof. Dr. rer. nat. Nikolaus Becker

Deutsches Krebsforschungszentrum, Abteilung Krebsepidemiologie Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg

E-Mail: n.becker@dkfz.de

Dr. med. Hans Junkermann

Universitätsfrauenklinik, Sektion Senologische Diagnostik Voßstraße 9, 69115 Heidelberg

Interessenkonflikt

Die Autoren aller Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

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