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Archiv "Nutzen und Risiko des Mammografie-Screenings: Randomisiert kontrollierte Studien gefordert" (06.06.2008)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 236. Juni 2008 421

M E D I Z I N

kritische Diskussion zur Lebensqualität der unnötig beun- ruhigten Frauen und ihrer Angehörigen erfolgt nicht. Dies wäre aber für eine angemessene Diskussion der Nutzen- Schaden-Relation unerlässlich.

Insgesamt erscheint die Nutzen-Schaden-Diskussion nicht ausgewogen. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0421a

Prof. Dr. rer. nat. Karl-Heinz Jöckel Dr. med. Barbara Hoffmann

Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Medizinische Fakultät Universität Duisburg-Essen Hufelandstraße 55, 45147 Essen E-Mail: k-h.joeckel@uk-essen.de Prof. Dr. med. Andreas Stang, MPH Sektion Klinische Epidemiologie

Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik

Medizinische Fakultät

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Magdeburger Straße 8, 06097 Halle (Saale)

Stadienbezogene Letalitätsraten

Der Artikel von Becker und Junkermann zu Nutzen und Risiko des Mammografie-Screenings führt zum Heft- aufmacher mit dem Titel „Mammografie: Screening senkt Brustkrebsmortalität um 35 %“. Diese Aussage, die auch eine der drei Kernaussagen der Autoren Becker und Junkermann ist, ist in zweifacher Hinsicht irre- führend:

1.) Die Autoren sprechen nicht über Mortalität im Sinne der üblichen epidemiologischen Maßzahl von spezifischer Sterbewahrscheinlichkeit in definierten Bevölkerungsgruppen, sondern sie sprechen über Leta- lität, das heißt über die bedingte Wahrscheinlichkeit, bei gestellter Diagnose und (normalerweise) daraus folgen- der Behandlung in einem Beobachtungszeitraum zu ver- sterben (1)

2.) Die Autoren versuchen durch den Bezug auf Morta- lität/Letalität als Effektgröße das Problem der Vorverlage- rung des Diagnosezeitpunktes durch ein Screening ge- genüber einer nicht gescreenten Vergleichsgruppe (der so- genannten „lead-time-bias“) zu umgehen. Sie schreiben:

„Die Mortalität ist die einzig unverzerrt quantifizierbare Zielgröße für Untersuchungen zur Wirksamkeit von Früherkennungsmaßnahmen“. Allerdings ist die von ih- nen betrachtete Letalität nach Diagnosestellung beim Brustkrebs in seinen verschiedenen Auftrittsformen ab- hängig vom Tumorstadium (gemäß Tumorklassifikation der WHO) bei Stellung der Diagnose. Die Fallverteilung in gescreenten Populationen selektiert aber zugunsten niedrigerer, prognostisch günstigerer Stadien und langsa- merer Verläufe gegenüber nicht gescreenten Populatio- nen. Die Betrachtung der Mortalität/Letalität nach Dia- gnoseeintritt eliminiert nicht den „lead-time-bias“. Um dieses zu erreichen, müssten die Autoren stadienbezogene Letalitätsraten für ein definiertes Zeitfenster präsentieren und diskutieren. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0421b

Prof. Dr. med. Friedrich Wilhelm Schwartz Direktor des Instituts für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung MHH

30623 Hannover

E-Mail: Epidemiologie@mh-hannover.de

Randomisiert kontrollierte Studien gefordert Die Autoren versuchen darzulegen, warum die Bewertung des Mammografie-Screenings aus epidemiologischer Sicht und nicht aufgrund randomisiert kontrollierter Stu- dien (RCTs) erfolgen sollte. Aber gerade weil dies nicht möglich ist, sind hierzu nach internationalem Standard RCTs gefordert. Und für das Mammografie-Screening gibt es RCTs sowie einen hochwertigen Cochrane Review von unabhängigen Autoren (1).

In epidemiologischen Analysen wird der Nutzen von Screening aus folgenden Gründen überschätzt (2):

1.) Personen, die am Screening teilnehmen, unterschei- den sich von Personen, die nicht teilnehmen. Sie sind von vornherein gesünder, kommen aus höheren Bildungs- schichten und haben daher eine bessere Lebensprognose auch für die Erkrankung, auf die gescreent wird.

2.) Durch Screening werden eher gutartige, langsam wachsende Tumore diagnostiziert.

3.) Frühere Diagnose bedeutet oft nur Verlängerung der Lebenszeit mit Brustkrebs, aber nicht bessere Prognose.

4.) Mit Screening werden Brustkrebserkrankungen diagnostiziert, die ohne niemals aufgetreten wären (Über- diagnosen). Es ist daher obsolet, gescreente Frauen, bei denen Brustkrebs diagnostiziert wurde, als Bezugs- größe und zum Vergleich zwischen Screening- und Nicht- Screeninggruppen zu benutzen. Es verwundert daher nicht, dass der Cochrane Review den Nutzen des Mam- mografiescreenings deutlich geringer und den Schaden deutlich höher bewertet als Becker und Junkermann (1, 3).

Die Autoren argumentieren, dass die Schadenshöhe durch Brustkrebs berücksichtigt werden sollte. In derarti- ge Berechnungen müssten dann aber auch die Überdia- gnosen mit einfließen sowie die Gesamtkrebssterblichkeit und die Gesamtmortalität. Diese verbessern sich durch Screening nicht (1, 3). Die schlechte Sensitivität des Mammografie-Screenings in den deutschen Pilotprojek- ten wird nicht erwähnt (3). Diese reduziert den Nutzen des Screenings. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0421c

LITERATUR

1. Gotzsche P, Nielsen M: Screening for breast cancer with mammography.

Cochrane Database of Systematic Reviews 2006, Issue 4.

2. Sackett DL, Haynes RB, Guyett GH, Tugwell P: Clinical epidemiology. A basic science for clinical medicine. 2ndedition. Little, Brown and Com- pany. Boston, Toronto, London 1991.

3. Mühlhauser I: Ist Vorbeugen besser als Heilen? Dtsch Arztebl 2007; 104:

A 1805–7.

Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser Universität Hamburg

MIN Fakultät, Fachwissenschaft Gesundheit Marthin-Luther-King Platz 6, 20146 Hamburg E-Mail: ingrid_muehlhauser@uni-hamburg.de

Schlusswort

Bei unserem Beitrag ging es um drei Dinge:

1.) Der Effekt der Früherkennung beim Mammakarzi- nom sollte aus Sicht der eingeladenen Frauen in Katego- rien effektiverer Behandlung und dadurch verlängerter Überlebenszeiten dargestellt werden, während der wis- senschaftliche Nachweis der Wirksamkeit durch die Be- obachtung der Mortalität zu erfolgen hat.

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422 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 236. Juni 2008

M E D I Z I N

2.) Der Versuch, den Effekt von Screening verständlich darzustellen, hat bei einigen Autoren nicht nur zu geänder- ten Formulierungen, sondern zu einer substanziellen Ver- änderung und Verfälschung der Aussage geführt.

3.) Wird in der Diskussion um Screening außer acht ge- lassen, dass bei der Abwägung von Nutzen und Nachteilen einer Teilnahme unterschiedliche Risikokonzepte eine Rolle spielen, die sich darin unterscheiden, ob sie die Schadenshöhe im Falle des Eintritts eines unerwünschten Ereignisses berücksichtigen (Beispiel Versicherungen) oder nicht (Beispiel Epidemiologie).

Der Leserbrief von Mühlhauser wiederholt die allge- mein bekannten und von uns erläuterten Gründe, warum der Effekt von Screening wissenschaftlich nur mit rando- misierten epidemiologischen Studien mit der Zielgröße Mortalität nachgewiesen werden kann (1–3).

Dem Beitrag von Beise kann in seiner Allgemeinheit nicht widersprochen werden. Wir haben in unserem Arti- kel allerdings darauf hingewiesen, dass die Wirkung des Screenings intrinsisch ein bedingter Effekt ist: Wenn eine unerkannte Krebskrankheit vorliegt, dann kann es vorteil- haft sein, sie durch Screening möglichst früh zu erkennen und zu behandeln (3). Unser Lösungsvorschlag ist, den Nutzen des Screenings bei eintretender Erkrankung in absoluten Häufigkeiten darzustellen, ganz im Sinne von Beise. Der Hinweis auf Versicherungen hat nichts mit be- dingten Wahrscheinlichkeiten, sondern damit zu tun, dass

„Risiko“ unterschiedlich definiert wird: in der Epidemio- logie ohne und bei Versicherungen mit Einbeziehung der Schadenshöhe.

Weymayr lässt außer acht, dass die von uns gewählte Darstellung eine rechnerische Umsetzung der Ergebnisse der randomisierten Studien mit Zielgröße Mortalität in ab- solute Überlebenshäufigkeiten ist, also Nettoeffekte er- gibt. Überdiagnose ist davon nicht abzuziehen, weil man an lebenslang subklinisch bleibender Krankheit nicht stirbt.

Der Leserbrief des ebm geht konform mit unserer In- tention einer möglichst zutreffenden und umfassenden In- formation. Als „Schadenshöhe“ im Falle einer Krebser- krankung lediglich die Möglichkeit eines tödlichen Ver- laufs anzusehen, greift zu kurz: Unseres Erachtens sind hierzu auch Therapiefolgen sowie deren Einfluss auf die Lebensqualität zu rechnen. Die Erkrankungswahrschein- lichkeit sollte als eine durch Screening unbeeinflussbare Größe kommuniziert werden.

Abholz verteilt die Mortalitätsreduktion durch eine frühe Erkennung einer bereits eingetretenen Erkrankung auch auf Personen, die nicht erkrankt sind, folglich auch nicht unter Sterberisiko stehen. Dies haben wir in dem Ar- tikel kritisiert. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit ist re- lativ klein (etwa 5 %), aber wenn eine Erkrankung vor- liegt, sterben innerhalb von 10 Jahren ohne Screening 31 und mit Screeningangebot 23 beziehungsweise Scree- ningteilnahme 20 von Hundert Frauen an der Erkrankung.

Der Einwand von Jöckel et al. bezieht sich auf den Titel der Arbeit und die gewählte Skalierung der angegebenen Maßzahlen. Der Titel ist aus dem Begutachtungsprozess entstanden und hieß ursprünglich „Risikokommunikation beim Mammografie-Screening“. Gegen die Verwendung

des Begriffes des „Schadens“ wurde von epidemiologi- schen Kollegen der Einwand erhoben, er sei nicht emoti- onsfrei, sodass im Artikel durchgängig von „nachteiligen Effekten“ die Rede ist, die dem Nutzen gegenüber gestellt werden. Zur Skalierung der jeweiligen Maßgrößen haben wir für die Inzidenz wegen der kleinen Fallzahlen die in der Epidemiologie übliche Darstellung pro 100 000 ge- wählt (5) und für die höheren Ereignishäufigkeiten im Screening die dort übliche Darstellung pro 1 000 (4). Der Nutzen vermiedener Todesfälle wurde in Tabelle 1 unten auf pro 1 000 umgerechnet und im Text auf gleicher Skala den nachteiligen Effekten „Brustkrebsoperation bei be- nignem Befund“ und „Überdiagnose“ gegenübergestellt sowie darauf hingewiesen, dass der weitaus häufigste nachteilige Effekt ein falsch positiver Befund ist. Dessen zahlenmäßige Größe wurde in der Tabelle 2 ebenfalls auf- geführt. Die Autoren des Leserbriefes geben die Zahlen auf der größeren Skala an, wodurch sie nicht ausgewoge- ner, sondern eben nur größer werden. Auf den Aspekt der Lebensqualität im Zusammenhang mit falsch-positiven Befunden wurde bereits mehrfach an anderer Stelle kri- tisch eingegangen (1, 2). Der Fokus lag im vorliegenden Artikel auf der korrekten Interpretation der Studienergeb- nisse.

Schwarz hat mit seiner ersten Feststellung recht: Es war unsere Intention, den bedingten Charakter einer Morta- litätsaussage beim Screening herauszuarbeiten und rech- nerisch in eine Aussage zur Letalität zu übersetzen. Da al- so nicht empirische Beobachtungen zugrunde gelegt wer- den spielt der ansonsten tatsächlich zu beachtende „lead- time-bias“ (1–3) hier keine Rolle. Bei der Stadienselekti- on handelt es sich um den „length bias“, der wiederum bei der Aussage zur Effektivität eines Angebots von Mammo- grafie-Screening im Unterschied zur tatsächlichen Teil- nahme keine Rolle spielt. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0422

LITERATUR

1. Becker N: Screening aus epidemiologischer Sicht. Radiologe 2002; 42:

592–600.

2. Becker N: Die Rolle der epidemiologischen Qualitätsparameter im Mam- mographie-Screening. Radiologe 2006; 46: 984–992.

3. Morrison AS: Screening in Chronic Disease. Second edition. Monographs in Epidemiology and Biostatistics, Volume 19. Oxford University Press, New York, Oxford 1992.

4. Perry N, Broeders M, de Wolf C, Törnberg S, Holland R, von Karsa L, Put- haar E (eds.): European guidelines for quality assurance in breast cancer screening and diagnosis – Fourth Edition. Luxembourg: Office for Official Publications of the European Communities 2006.

5. Robert-Koch-Institut und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (GEKID) (Hrsg.): Krebs in Deutschland 2003–2004. Häufigkeiten und Trends. Berlin 2008.

Prof. Dr. rer. nat. Nikolaus Becker

Deutsches Krebsforschungszentrum, Abteilung Krebsepidemiologie Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg

E-Mail: n.becker@dkfz.de

Dr. med. Hans Junkermann

Universitätsfrauenklinik, Sektion Senologische Diagnostik Voßstraße 9, 69115 Heidelberg

Interessenkonflikt

Die Autoren aller Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

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