ie Lyme-Borreliose ist in al- len gemäßigten Zonen der Erde – mit zum Teil erhebli- chen regionalen Unterschieden – ver- breitet. Ende 1997 ist es gelungen, das gesamte Genom von Borrelia burg- dorferi zu sequenzieren.
Eine saisonale Häufung der Bor- relien-Infektionen ist im Frühling und Sommer zu beobachten, der Erkran- kungsgipfel der Frühformen tritt in
den Sommermonaten, der Spätfor- men in den Wintermonaten auf.
Die europäische Lyme-Borrelio- se unterscheidet sich hinsichtlich Er- regerspezies und Vektoren von der amerikanischen Lyme-Borreliose.
Während die Infektion in den USA nahezu ausschließlich von Borrelia burgdorferi sensu stricto verursacht wird und aufgrund der Erregerhomo- genität bereits ein wirksamer Impf- stoff entwickelt werden konnte, sind bei der europäischen Lyme-Borrelio- se zwei weitere Genospezies, Borrelia garinii und Borrelia afzelii, zu berück-
sichtigen. Die drei Genospezies wer- den unter dem Begriff Borrelia burg- dorferi sensu lato zusammengefaßt.
Die Unterschiede in der klinischen Manifestation der Borreliose in den USA und in Europa können zum Teil durch einen gewissen Organotropis- mus der verschiedenen Genospezies erklärt werden. Die Acrodermatitis chronica atrophicans ist beispielswei- se in den USA unbekannt. In der
Häufigkeit und im Spektrum der Neu- roborreliosen finden sich ebenfalls große Unterschiede.
Vektoren der amerikanischen Lyme-Borreliose sind an der Ostküste der USA Ixodes dammini (scapularis) und an der Westküste Ixodes pacifi- cus. Nach Zeckenstich durch Ixodes ricinus, den Überträger der europäi- schen Borreliose, gelangen die Erre- ger rascher in die Hämolymphe als bei den amerikanischen Arten. Angaben über die Latenzzeit zwischen Stich und Infektion sind daher nur für die regionalen Verhältnisse gültig. In Eu-
ropa muß bereits sieben Stunden nach dem Zeckenstich mit einer Infektion gerechnet werden.
Der Übertritt der Borrelien von der Zecke in den Wirt ist von einer veränderten Expression von Ober- flächenantigenen von Osp A zu Osp C begleitet. Der in den USA derzeit geprüfte Impfstoff führt zu einer gegen Osp A gerichteten Antikörper- reaktion. Borrelien, die nach dem Stich in den Körper gelangen, werden durch die Antikörper lysiert (Prof.
Ulf Goebel, Berlin).
In den USA rechnet man jährlich mit etwa 17 500 Neuerkrankungen.
Für Deutschland werden – dank der Einführung der Meldepflicht für die Erkrankung – in Zukunft genauere Daten über die Epidemiologie der Ly- me-Borreliose zur Verfügung stehen.
Zu beachten ist neben der Melde- pflicht auch eine epidemiologische Erhebung, die von der Charité in Zu- sammenarbeit mit der Firma Grü- nenthal durchgeführt wird. Der ent- sprechende Fragebogen kann von der Firma per Fax oder Telefon angefor- dert werden.
Pathognomonische Hautveränderungen
Die Diagnose der Borrelienin- fektion beruht primär auf der sorgfäl- tigen Expositionsanamnese und der klinischen Diagnose einer aktuellen oder anamnestisch eruierbaren pa- thognomonischen Hautveränderung.
In der Früphase der Borreliose sind Erythema migrans und Lymphadeno- sis cutis benigna (Lymphozytom) be- weisend.
Nach Prof. Wolfram Sterry (Ber- lin) sind auch juxtaartikuläre Knöt- chen zum kutanen Erscheinungsbild der Lyme-Borreliose zu rechnen. Hi- stopathologisch unterscheiden sich die Knötchen von den Rheumakno- ten durch das Fehlen einer fibrinoiden Nekrose und das Vorliegen eines dich- ten lymphozytären Infiltrates.
Die in der chronischen Phase ma- nifest werdende Acrodermatitis chro- nica atrophicans bietet in der An- fangsphase ein plaqueförmiges Bild.
Die schweren atrophischen Störun- gen treten erst nach langem Krank- heitsverlauf auf. Als Komplikationen A-1587
P O L I T I K MEDIZINREPORT
Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 25, 19. Juni 1998 (27) Tabelle 1
Klinik der Lyme-Borreliose
Inkub.-Zeit Haut Nerven- Bewegungs- sonstige system apparat
Stadium Tage bis Erythema Kopf- subfebrile
I Wochen migrans schmerzen Temperaturen
Stadium Wochen Lympho- Meningo- Arthralgien, Karditis,
II bis zytom poly- Myalgien, Rhythmus-
Monate neuritis Arthritis störungen,
Lymphome, Chorioiditis Stadium Monate Acro- Enzephalo- Arthritis, Kardio- III bis Jahre dermatitis myelitis Bursitis, myopathie,
chronica Polyneuro- Tenosyno- Vaskulitis atrophicans pathie vitis,
Myositis
Lyme-Borreliose
Infektion kann sich auf vielfältige Weise äußern
Beteiligung an epidemiologischer Studie erwünscht
D
sind Plattenepithelkarzinome und maligne Lymphome im Herdbereich zu bedenken. Einzelbeobachtungen einer Regression der Lymphome (im- mer vom B-Zell-Typ) nach Antibioti- katherapie geben Hinweise auf eine infektgetriggerte Pathogenese in Analogie zu den MALT-Lymphomen des Magens.
Antikörperprävalenz variiert regional
Die Labordiagnose trägt in der Frühphase der Lyme-Borreliose nur bedingt zur Klärung des Krankheits- bildes bei, da sechs Wochen und mehr vergehen können, bis sich nach der In- fektion eine IgM-Antikörperantwort einstellt, die wiederum auch nach er- folgreicher Therapie über Monate oder bis zu einem Jahr persistieren kann. Bei Nachweis einer IgG-Anti- körper-Reaktion ist an eine früher durchgemachte Infektion zu denken.
Die Antikörperprävalenz variiert re- gional und nach individueller Exposi- tion.
Bei den Spätformen der Borre- liose ist nur in seltenen Fällen kein re- levanter IgG-Titer nachzuweisen. Bei Neuroborreliose ist der intrathekale Nachweis einer spezifischen Antikör- perantwort und eines entzündlichen Zellbildes im Liquor von zentraler
Bedeutung. Dr. Eva Schielke (Berlin) verwies darauf, daß es dank der Ent- wicklung atraumatischer Punktions- nadeln nur noch sehr selten zu dem von den Patienten als sehr unange- nehm empfundenen, durch Nachlau- fen von Liquor aus dem Stichkanal bedingten postpunktionellen Syn- drom kommt.
Die Suchtests ELISA und Im- munfluoreszenztest sollten bei positi- vem Befund durch Immunoblot be- stätigt werden. Dr. Susanne Priem (Berlin) verwies auf die Möglichkeit, eine Borrelieninfektion durch Poly- merasekettenreaktion (PCR) an Li- quor, Urin, Gelenkflüssigkeit und Synoviabiopsien zu bestätigen. Als Routinemethode ist die PCR jedoch nicht in die Diagnostik der Lyme-Bor- reliose eingeführt, und es bedarf eines hohen Standards, um zu zuverlässigen Aussagen zu kommen. Unverzichtbar ist die gemeinsame Erörterung der In- terpretation von Laborergebnissen durch die klinischen Mikrobiologen und Kliniker.
Der direkte Erregernachweis durch Kultur ist aus Hautbiopsien und anderem Material grundsätzlich in allen Phasen der Lyme-Borreliose möglich. Die Kultur stellt jedoch ho- he Ansprüche an die Qualität des Untersuchungsmaterials (sofortige Übermittlung in das Labor), Erfah- rung des Untersuchers und die Kul-
turmedien. Die Generationszeit von Borrelien wird mit 16 bis mehr als 20 Stunden angegeben, die Erreger- dichte ist trotz der ausgeprägten Ent- zündungserscheinungen sehr gering.
Mit Silberimprägnation kann es ge- lingen, Borrelien im Gewebe nachzu- weisen.
Für persistierende Beschwerden und Rezidive ist in den meisten Fällen eine Erregerpersistenz in schwer zu- gänglichen Bereichen, unter anderem im kollagenen Bindegewebe und in Fibroblasten, verantwortlich. In der wissenschaftlichen Diskussion stehen nach Angabe von Goebel derzeit Dauerformen von Borrelia burgdor- feri, die ebenfalls für Therapieversa- gen und Rezidive verantwortlich sein könnten.
Aus der Fülle der durch Bor- relieninfektionen verursachten Be- schwerden (Tabelle 1) wird nach Prof. Dr. Uwe Pleyer (Berlin) den Augenmanifestationen zu wenig Be- achtung geschenkt. Die okulare Sym- ptomatik kann das gesamte Spek- trum entzündlicher Reaktionen am Auge umfassen. Patienten, die über Augenbeschwerden klagen und/oder Entzündungszeichen am Auge auf- weisen, sollten in fachärztliche Be- handlung überwiesen werden. Schiel- ke erinnerte unter anderem daran, daß eine doppelseitige Fazialisparese ausschließlich bei Borreliose beob- achtet wird.
Die Borreliose ist grundsätzlich in allen Stadien ausheilbar. In 90 Pro- zent der Fälle ist die Standardtherapie erfolgreich (Tabelle 2). Es gibt jedoch Fälle von Lyme-Borreliose, die erst durch eine wiederholte Antibiotika- therapie ausgeheilt werden. Dr. An- dreas Krause (Berlin) wies darauf hin, daß sich der volle klinische Erfolg ei- ner Antibiotikatherapie bei Borrelio- se sehr oft erst lange nach Beendigung der Behandlung einstellt.
Verlaufsparameter sollten frühe- stens nach zwei Monaten geprüft wer- den. Die Heilung kann bis zu einem Jahr dauern. Als interessante Alter- native bei hartnäckigen Formen der Borreliose wird die parenterale The- rapie mit einem Drittgenerations-Ce- phalosporin, gefolgt von einem Kur- sus des gut gewebegängigen Doxycyc- lin, derzeit in Berlin mit Erfolg einge- setzt. Dr. Elisabeth Gabler-Sandberger A-1588
P O L I T I K MEDIZINREPORT
(28) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 25, 19. Juni 1998 Tabelle 2
Antibiotische Therapie der Lyme-Borreliose
Medikament Dosierung/die Behandlungsdauer
Stadium I Doxycyclin 2 × 100 mg 2 Wochen
(2 – 5 mg/kg KG)
Amoxicillin 3 × 500 mg 2 Wochen
(50 mg/kg KG)
unkompliziertes Doxycyclin 2 × 100 mg 4 – 6 Wochen
Stadium II (2 – 5 mg/kg KG)
unkomplizierte Arthritis, Acrodermatitis
Amoxicillin 3 × 500 mg 4 – 6 Wochen (50 mg/kg KG)
Stadium II mit Ceftriaxon 1 × 2 g (50 mg/kg KG) 2 – 4 Wochen Organ- Cefotaxim 3 × 2 g (100 mg/kg KG)
manifestationen, Penicillin G 4 × 5 Mio E
Stadium III (500 000 E/kg KG)