A 1418 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 25|
24. Juni 2011PHARMAVERBAND
Schluss mit den Grabenkämpfen
Auf seiner Jahreshauptversammlung forderte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie die Beteiligten im Gesundheitswesen dazu auf, gemeinsam nachhaltige Reformideen zu entwickeln.
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ie forschende Pharmaindus- trie in Deutschland sieht sich gegenüber ihren Wettbewerbern aus dem europäischen Ausland im Nachteil. Während in nahezu allen europäischen Ländern die For- schungs- und Entwicklungsaufwen- dungen der Unternehmen steuerlich gefördert würden, gebe es für standortgebundene Unternehmen in Deutsch land keine entsprechenden Abschreibungsmöglichkeiten, kriti- sierte Dr. med. vet. Bernd Wegener, Vorsitzender des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), auf der Jahreshauptversammlung des Verbandes Anfang Juni in Frankfurt am Main.Die Bundesregierung müsse ihr Versprechen endlich einlösen, For- schungs- und Entwicklungsaufwen- dungen auch in Deutschland steuer- lich absetzbar zu machen. „Dies wäre eine entscheidende Weichen- stellung, um das Unternehmertum in diesem Land dauerhaft zu ver- bessern und einer weiteren Verlage- rung in Drittstaaten vorzubeugen“, erklärte Wegener. Der Tierarzt war am Vortag von den 250 Mitgliedern des BPI in seinem Amt bestätigt worden.
Tunnelblick der Kassen
Der Verband, der in Frankfurt sein 60-jähriges Bestehen feierte, nahm das Jubiläum auch zum Anlass, nachhaltige Reformen für das Ge- sundheitswesen einzufordern. Die Beteiligten müssten ihre Graben- kämpfe beenden und zu einer Ge- sprächskultur finden, „die sich aus- dehnt über die Krankenkassen, die Ärzteschaft, die Krankenhäuser bis hin zur Industrie“, forderte Wege- ner. Die letzten Monate seien dage- gen ein Armutszeugnis für Zusam- menarbeit und konstruktive Tätig- keit gewesen.
Mehr Entgegenkommen forderte Wegener insbesondere von den Krankenkassen. Deren „Tunnel- blick“ auf die Zusatzbeiträge behin- dere die Gesprächsfähigkeit über eine gute Arzneimittelversorgung.
Hierzu gehöre auch, „dass für Arz- neimittel, bei denen Preise verhan- delt worden sind, keine zusätzli- chen Wirtschaftlichkeitsprüfungen mehr stattfinden“. Grundsätzlich entfallen sollten Wirtschaftlichkeits - prüfungen bei Schmerztherapeutika und Arzneimitteln gegen seltene Er- krankungen. Ferner müss ten Preis- erhöhungen bei erheblichen Roh- stoffpreissteigerungen trotz des Preis - moratoriums zulässig sein, sagte der BPI-Vorsitzende mit Blick auf das geplante Versorgungsgesetz.
Nach Ansicht von Franz Knieps, dem ehemaligen Geschäftsführer des AOK-Bundesverbandes und Exabteilungsleiter im Bundesge- sundheitsministerium (BMG), ist ein erster Schritt hin zu einer verän- derten Gesprächskultur bereits ge- tan. Während die Hersteller früher nur Zulieferer von Informationen gewesen seien, seien sie künftig ein akzeptierter Verhandlungspartner, wenn es um die Preisfestlegung für neue Arzneimittel gehe, sagte Knieps.
Die frühere Bundesgesundheits- ministerin Andrea Fischer glaubt indes, dass sich die Auseinanderset- zungen um die Erstattungsbeiträge in den nächsten ein bis eineinhalb Jahren noch zuspitzen werden. Die Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen geht außerdem davon aus, dass die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln langfristig nach europäischen Regeln erfolgen wird.
Der Pharmazeut Prof. Dr. Theo- dor Dingermann vom Institut für Pharmazeutische Biologie der Uni- versität Frankfurt am Main bedau-
erte in diesem Zusammenhang, dass Arzneimittelinnovationen zum Buhmann bei den Diskussionen über die Kosten im Gesundheits - wesen geworden seien. In seinem Festvortrag hatte er zuvor auf die aus seiner Sicht hervorragenden Behandlungsmöglichkeiten durch moderne Schlüsseltechnologien wie die molekulare Diagnostik hinge- wiesen.
Zusatznutzen: Fristen zu kurz
„Die molekulare Diagnostik wird einen Paradigmenwechsel einleiten, weg von der Behandlung von Krankheiten hin zur Therapie kran- ker Menschen“, erklärte Dinger- mann. Die möglichen Fortschritte auf diesem Gebiet stünden aller- dings im Widerspruch zur Vor- schrift des Arzneimittelmarktneu- ordnungsgesetzes (AMNOG), den Zusatznutzen innovativer Arznei- mittel innerhalb eines Jahres bele- gen zu müssen. „Solche Weiterent- wicklungen brauchen Zeit. Durch die Regelungen des AMNOG ver- lieren wir dagegen unter Umstän- den hervorragende Medikamente, von denen wir noch nicht wissen, wie sie langfristig wirken.“
Als weitere Reformbaustelle be- zeichnete der BPI-Vorsitzende We- gener den Gemeinsamen Bundes- ausschuss. Dieser sei ein „Gremium vergangener Zeiten“, das in seinen Entscheidungen und seiner Zusam- mensetzung transparenter werden müsse. „Was wir für den Gemeinsa- men Bundesausschuss brauchen, ist ein wissenschaftlicher Beirat unter besonderer Einbeziehung der wis- senschaftlichen Fachgesellschaften, um die Legitimation der Entschei- dungen zu fördern“, forderte Wege- ner. Erforderlich sei ferner die Fach- aufsicht durch das BMG. ■ Petra Spielberg