A 780 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 18|
2. Mai 2014120. INTERNISTENKONGRESS IN WIESBADEN
Forschung erreicht den Patienten
Die Hochschulmedizin ist die Basis für medizinische Innovationen, verantwortlich für die Lehre und zugleich „letzte Instanz“ bei der Versorgung schwer zu behandelnder Patienten. Internisten sehen ihre Aufgaben durch Finanzierungslücken bedroht.
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enn es einen Fortschritt ge- ben soll für Patienten bei der Diagnostik, Prophylaxe oder Thera- pie ist eines gefordert: Grundlagen- forschung mit Schnittstellen zur Klinik. Die Translationsforschung zu fördern – strukturell, personell und finanziell – ist eine der großen Herausforderungen der Inneren Me- dizin. Unter dem Leitthema des Jah- reskongresses „Forschung wird zu Medizin“ der Deutschen Gesell- schaft für Innere Medizin machte Präsident Prof. Dr. med. Michael P.Manns von der Medizinischen Hochschule Hannover am 26. April in Wiesbaden deutlich: „Es ist mehr denn je erforderlich, bei den Proble- men, die die großen Volkskrankhei- ten wie Diabetes, Herz-Kreislauf- Leiden, Krebs oder Infektions- krankheiten verursachen, den Transfer von Wissen in die Praxis noch besser zu fördern.“ In Bezug auf Arzneimittel und Biomedizin- technik sei die akademische Medi- zin mit ihren Schwerpunkten an den Universitäten Ausgangspunkt medi- zinischer Innovationen, indem sie Krankheitsursachen, pathophysio- logische Zusammenhänge und Me- chanismen molekular entschlüssele.
Neue Forschungsprinzipien
Dabei habe sich das klassische Her - angehen an die Medizin in organ- spezifischen Krankheitsentitäten ver- ändert hin zur Erforschung von pathophysiologischen Grundprinzi- pien, zum Beispiel der molekularen Basis der Entzündungsprozesse.Die fachübergreifende Anwendung von Antagonisten von Entzündungs- mediatoren bei chronisch-entzünd- lichen Darmerkrankungen und in der Rheumatologie sei ein Beispiel.
Am Ende der Entwicklung neuer Substanzen und Verfahren durch Unternehmen müsse die akademi- sche Medizin wieder stehen: bei der
Durchführung klinischer Studien, auf dem Weg zur Zulassung und für die Optimierung der Anwendung und das frühzeitige Erkennen von Risiken. „Natürlich ist die Zusam- menarbeit von akademischer Medi- zin und pharmazeutischer Industrie sensibel zu betrachten“, sagte Manns in seiner Festrede. Es müss- ten Strukturen geschaffen werden in Deutschland, die eine Unabhän- gigkeit der akademischen Medizin gewährleisten und eine „Kooperati- on mit der Industrie auf Augenhö- he“ erlauben. Interessenkonflikte müssten offenbart und Kooperatio- nen von der „Universitätsmedizin als Kunde“ getrennt werden.
Exemplarisch dafür, wie For- schung den Patienten erreicht, seien die Entwicklung zielgerichteter Substanzen in der Onkologie und die Therapie der Hepatitis C, deren auslösendes Virus erst 1989 ent- deckt worden ist. Die Kombination aus Interferonen mit Ribavirin sei mehr als zehn Jahre Standard gewe- sen: mit einer Heilungsrate von cir- ca 50 Prozent, einem Jahr Therapie- dauer und signifikanten Nebenwir- kungen. Die Forschung habe nun zur Entwicklung direkt antiviraler Medikamente geführt, die an den drei Schlüsselstellen des Lebens - zyklus des Virus angreifen: der Protease, der Polymerase und dem NS5A-Protein. Die Heilungsraten mit den teilweise schon zugelasse- nen Substanzen lägen über 80 Pro- zent bei deutlich verkürzter Thera- piedauer und besserem Nebenwir- kungsprofil. „Die Entwicklungen sind bahnbrechend“, sagte Manns.
Erstmals werde eine chronische Virusinfektion heilbar. Zugleich er- forderten Kosten von 20 000 Euro pro Monat eine Diskussion, welche Pa- tienten die Therapie erhalten sollten.
Die Universitätskliniken seien über ihre Forschungsaufgaben hin -
aus Häuser der Supramaximalver- sorgung: „Sie sind die letzte Instanz, sie können schwere Fälle nicht ab- weisen.“ Es müsse daher eine Lö- sung für die Unterfinanzierung der Universitätsmedizin mit einem Defi- zit von 161 Millionen Euro gefunden werden, inklusive der Universitäts- ambulanzen, die für Forschung und Lehre unentbehrlich seien und Lü- cken in der ambulanten Versorgung schließen. Die Rolle der Universi- tätsambulanzen, die auch der trans- lationalen Forschung dienten, müsse neu definiert werden. Eine Reduk - tion hochschulmedizinischer Stand- orte sei schon angesichts des Ärzte- mangels keine Lösung. Der Berufs- verband Deutscher Internisten schätzt diesen bis 2017 auf 30 000.
Fehlentwicklungen in der EU
Die Ärzteschaft sieht ihre Kompe- tenz und Berufsfreiheit bedroht durch Bestrebungen der europä - ischen Union, von privatwirtschaft- lichen Normierungskommissionen Maßstäbe für ärztliches Handeln entwickeln zu lassen, um Standards innerhalb der EU zu harmonisieren.„Wir sagen ,Ja‘ zu gemeinsamen Rahmenbedingungen für die Förde- rung von Innovation und Forschung oder für die Mobilität von Patienten und Ärzten, aber ,Nein‘ zu den Be- strebungen der EU, sich in die origi- nären nationalen Zuständigkeiten für die Organisation des Gesundheits- systems einzumischen – und in einen solch sensiblen Bereich wie die Arzt- Patienten-Beziehung“, sagte die Präsidentin der Ärztekammer Nie- dersachsen und Vizepräsidentin der Bundesärztekammer Dr. med. Marti- na Wenker beim Internistenkongress.
Die mit Normierungen beauftragten Institutionen seien weder fachlich kompetent, noch für diese Aufga- ben demokratisch legitimiert.
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Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze