Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 41½½12. Oktober 2001 AA2605
S E I T E E I N S
S
eeigel gehören nicht unbedingt zu den Lebewesen, von denen man sich bahnbrechende medizinische Entdeckungen versprechen würde.Doch in diesem Jahr stehen diese Organismen hinter dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie, den der US-Forscher Leland H. Hartwell so- wie die Briten Timothy Hunt und Paul M. Nurse erhalten. Die drei haben in Hefepilzen und Seeigeln Grundelemente der molekularen Maschinerie identifiziert, mit der Zellen ihre Teilung steuern – dem Phänomen, aus dem aus einer Eizelle nach und nach ein menschlicher Kör- per mit 100 Billionen Zellen entsteht.
Die Adressen der drei Forscher geben bereits einen Hinweis, wo der Bezug zwischen Seeigel und Medizin liegt: Hartwell ist Präsident des Fred Hutchinson Cancer Research Cen- ters in Seattle, Nurse und Hunt arbei- ten beim Imperial Cancer Research Fund in London. „Wir wissen heute,
dass die Regulationsprinzipien der Zellteilung, die die drei entdeckt ha- ben, in den meisten Tumoren außer Kraft gesetzt sind“, sagt Dr. Cornelia Dietrich von der Universität Mainz.
Die Folge ist: Zellen teilen sich, ob- wohl sie es nicht sollten.
Normalerweise ist der Prozess der Zellteilung streng reguliert. Kurz nachdem eine Zelle aus einer Teilung hervorgegangen ist, startet der Zyklus mit einer Wachstumsphase. Wenn die Zelle eine bestimmte Schwelle über- schritten hat, beginnt sie ihr Erbgut zu verdoppeln. Schließlich folgt vor der eigentlichen Teilung eine dritte Phase der Qualitätskontrolle. Um Details über diesen Kreislauf herauszufin- den, hatte Leland Hartwell Anfang der 70er-Jahre erste Hefestämme iso- liert, in denen solche Gene defekt wa- ren, die die Zellteilung regulieren. Bis heute hat er mehr als 100 derartiger Gene identifiziert. Abkömmlinge dieser Gene tun auch in den Zellen
von Pflanzen, Tieren und Menschen ihren Dienst. Paul Nurse klärte in ei- ner anderen Hefe die Funktion eini- ger der von Hartwell identifizierten Gene auf. Er konzentrierte sich auf die cyclinabhängigen Kinasen (CDK).
Diese Schlüsselmoleküle wachen über Anfang, Dauer und Ende jeder der Phasen im Leben einer Zelle.
Nurse fand heraus, dass diese Mo- leküle normalerweise inaktiv in ei- nem Ruhezustand verharren, aber zu bestimmten Zeiten aktiviert werden und dann eine Zeit lang Kaskaden neuer Stoffwechselprozesse in Gang setzen können. Der dritte Forscher, Tim Hunt, entdeckte in den frühen 80er-Jahren in Seeigeln das erste Mo- lekül, das die ruhenden CDKs aus ihrem Schlaf erwecken kann: Zellen beginnen in bestimmten Phasen diese Cycline herzustellen, die sich an die CDKs anheften und sie aktivieren.
Danach werden die Cycline wieder
zerstört. Klaus Koch
Frauengesundheit
Allmählich im Blick D
ie Frauengesundheit war langeZeit kaum beachtet. „Das war kein böser Wille“, meint Dr. med.
Astrid Bühren, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, „son- dern einfach das Ergebnis einer männlich dominierten Blickweise im Gesundheitswesen.“ Tatsächlich wird erst seit wenigen Jahren disku- tiert, dass Frauen und Männer an un- terschiedlichen Krankheiten mit un- terschiedlichen Symptomen und Verläufen leiden, verschieden auf Medikamente und Therapien reagie- ren sowie ein anderes Verständnis von Krankheit und Gesundheit ha- ben. Dies wird auch den Ärztinnen und Ärzten erst allmählich bewusst.
1996 gab das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend erstmals einen Bericht über die gesundheitliche Situation von Frauen in Auftrag. Seitdem ge- winnt das Thema an Aufmerksam- keit. Jetzt liegt der Frauengesund- heitsbericht vor. „Er widmet sich hauptsächlich psychosozialen Aspek- ten. Klinisch tätige Ärztinnen wa- ren leider nicht beteiligt“, bedauert Bühren.
Doch auch in der Praxis soll sich künftig einiges ändern. „Wir werden eine ‚Koordinierungsstelle Frauen- gesundheit‘ einrichten“, kündigte die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr.
Christiane Bergmann, vor wenigen Tagen an. Diese soll vorhandene Strukturen vernetzen und Impulse in die Gesundheitspolitik transpor-
tieren. Noch in diesem Jahr wird sie dem „Arbeitskreis Frauengesund- heit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V.“ (AKF), Bre- men, angegliedert und drei Jahre lang vom Ministerium finanziert.
„Dies ist eine positive Antwort auf die Forderung des 103. Deut- schen Ärztetages, geschlechtsdiffe- rente Konzepte zu fördern“, erklärt Bühren und fügt hinzu: „Bei einzel- nen Landesärztekammern, Kassen- ärztlichen Vereinigungen und Ver- bänden gibt es bereits Ansätze für eine geschlechtssensible Versor- gung.“ Diese müssten nun gebün- delt und auch in die Qualitäts- sicherung und in die ärztliche Weiter- und Fortbildung integriert werden. Dr. med. Eva A. Richter