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Archiv "Solingen: Entdeckte Moderne" (25.02.2011)

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m Zerbrechen seiner geistigen Kontinuität wird Deutschland noch lange zu tragen haben“, schrieb der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, 1953 an den Schrift- steller Alfred Döblin. Er meinte da- mit die durch den Nationalsozialis- mus unterbrochenen kulturellen Traditionen. Von ihnen waren ne- ben der Elite des Denkens alle Be- reiche des modernen Kulturschaf- fens betroffen. Gefühle der Bedeu- tungs- beziehungsweise Wertlosig- keit ihrer Person und ihrer Werke haben viele Maler, Literaten, Mu- siker, ja Kulturschaffende in allen Bereichen während der Diktatur des Nationalsozia lismus er- fahren und durchlitten. Einen Höhepunkt stellte die Aktion

„Entartete Kunst“ dar.

Das gesamte Kunstschaffen des frühen 20. Jahrhunderts mit seinen neuen Formenspra- chen war den Nazis ein Dorn im Auge. Von den Diffamie- rungen missliebiger „verfem-

ter“ Kunst, ihrer Vernichtung und ihrem versuchten Ausverkauf war neben den „Vätern“ der Moderne, die bis 1933 bereits arriviert waren, in noch härterer Weise die nachfol- gende, jüngere Generation der Mo- derne betroffen. Öffentlich diskre- ditiert, arbeiteten sie zumeist im Verborgenen, in innerer Emigrati- on. Manchmal gab es als letzten Ausweg nur das Exil, um der Ver- nichtung in Konzentrationslagern zu entfliehen. Davon waren vor al- lem jüdische und links orientier- te Künstler und

Künstlerinnen be- troffen. Einschließ-

lich ihrer Leistungen zwischen den Kriegen wurde man erst in den letz- ten Jahrzehnten auf außergewöhnli- che Arbeiten aufmerksam, die die Gräuel, das Erlebte und Erlittene dieser unseligen Zeit thematisieren.

Da sie als Nachgeborene noch keine anerkannten Namen hatten, gerieten sie auch nach dem Zweiten Welt- krieg ins Abseits, nicht zuletzt durch die Situation Deutschlands als Front- staat zweier ideologischer Weltan- schauungen.

Angeregt durch die Nachlassent- deckung des bis dahin völlig unbe- kannten Malers Valentin Nagel (1891 in Germersheim bis 1942 in München), begann sich der Kunstan - tiquar Dr. Gerhard Schneider aus Olpe/Biggesee Mitte der 1980er Jahre intensiv der „Wieder“-Entde- ckung solcher Maler zu widmen.

Mit dem Erwerb nahezu des gesam- ten Nagel-Nachlasses legte er den Grundstock einer in der Folge sys -

tematisch aufgebauten Sammlung von künstle- rischen Leistungen, die die Nationalsozialisten versucht hatten auszu-

radieren. ►

SOLINGEN

Entdeckte Moderne

Das „Zentrum für verfolgte Künste“ im Solinger Kunstmuseum zeigt mehr als 300 Exponate des 20.

Jahrhunderts aus der Sammlung Gerhard Schneider.

Georg Netzband:

„Der Sieger“, 1939

Robert Schabbon:

„Kniender männlicher Akt in Landschaft“, 1921 Carl Rabus:

„Zwei Freunde“, 1937

K U L T U R

Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 8

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25. Februar 2011 A 403

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A 404 Deutsches Ärzteblatt

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25. Februar 2011 Der Schwerpunkt der Sammlung

liegt auf Werken „expressiver Ge- genständlichkeit“. Die Bilder- sammlung spiegelt die Zeit vom Aufbruch in die Moderne um 1910 bis hin zu den Folgen der Teilung Deutschlands und der Kritik an der Wohlstandsgesellschaft wider. Ihr Dokumentationscharakter über so viele Dekaden darf als einzigartig eingestuft werden. Der Kontakt mit Museumsdirektor Dr. Rolf Jesse- witsch führte ab 1999 zu Präsenta- tionen der Sammlung Gerhard Schneider im Solinger Kunstmu- seum (zurzeit noch „Museum Ba- den“). Es folgten zahlreiche Aus- stellungen in Deutschland, Öster- reich und Belgien. Um diese einzig- artige Kollektion des Sammlers in ihrem Fortbestand zu sichern und zusammenzuhalten, wurde im Jahr 2004 die „Bürgerstiftung für ver- femte Künste mit der Sammlung Gerhard Schneider, Solingen“ ge- gründet. Der übereignete Teil der Sammlung hat im jüngst errichteten

„Zentrum für verfolgte Künste“ im Solinger Kunstmuseum eine feste Bleibe gefunden. Ebenso trifft man dort auf wechselnde Leihgaben aus Schneiders weit umfangreicherem Fundus.

Nach ihrer Übernahme durch die Stiftung der Else-Lasker-Schüler- Gesellschaft kam im Jahr 2008 die von dem Journalisten Jürgen Serke zusammengetragene Literatur- sammlung „Die verbrannten Dich- ter“ als Dauerleihgabe hinzu. Das

„Zentrum für verfolgte Künste“ ist eine bundesweit einzigartige Ein- richtung zur Aufarbeitung und Prä- sentation der durch viele Verwer- fungen geprägten Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die Samm-

lung Gerhard Schneider, die inzwi- schen auf mehr als 2 500 Werke von mehr als 400 Künstlern und Künst- lerinnen angewachsen ist und als ei- ne der profiliertesten zur verfemten Kunst in Deutschland gilt, würdigt neben den großen Namen wie Bar- lach, Kollwitz, Pechstein oder Fe- lixmüller insbesondere die bislang zu Unrecht übersehenen oder auch bewusst übergangenen Künstler.

Es ist Schneiders vorrangiges An- liegen, ihre Leistung für sich spre- chen zu lassen. Längere Zeit wurde die Arbeit mit der Sammlung aus- schließlich durch private Initiativen getragen; ab 2005 stellte der Land- schaftsverband Rheinland ein An - lagevermögen von zwei Millionen Euro zur Verfügung. Vor kurzem

wurde zwischen diesem und der Stadt Solingen ein Netzwerkprojekt vereinbart, das die Präsentation und den Unterhalt der Stiftung bis zum 31. Dezember 2025 sichert. Eine Mitgliedschaft in der Fördergesell- schaft „Zentrum für verfemte Küns- te, Solingen e.V.“ bietet die Mög- lichkeit, die Auseinandersetzung mit der jüngeren Kulturgeschichte aktiv zu fördern.

Das Solinger Kunstmuseum zeigt in seiner aktuellen Ausstellung

„Entdeckte Moderne“ mehr als 300 Exponate, überwiegend Neuerwer- bungen, die in den letzten Jahren in die Kunstsammlung Gerhard Schnei- der kamen. Neben großartiger Ma- lerei und Grafik findet man auch er- schütternde Dokumente der Zeitge- schichte, zum Beispiel die Grafik- folgen von Fritz Lederer (1878–

1949) und Leo Haas (1901–1983), die ihre furchtbaren Erlebnisse in den Konzentrationslagern wieder- geben. Andererseits hat beispiels- weise Carl Rabus (1898–1983) als ein aus Deutschland Emigrierter im französischen Saint Cyprien auch unmenschliches Lagerleben erfah- ren müssen, das er in Zeichnungen und einer Linolschnittfolge fest- hielt. Welche malerische Potenz ihm zu eigen war, zeigt sein Ge- mälde „Zwei Freunde“, das ihn und seinen Malerfreund Ernst Vo- genauer darstellt. Unter stärksten Repressalien auf sein künstleri- sches Wirken schied der 1899 ge- borene Maler Florenz Robert Schabbon 1934 freiwillig aus dem Leben. Sein „Kniender männlicher Akt in Landschaft“, fast lebens- groß in gelb-roter Farbsymphonie gemalt, steht stellvertretend für viele Werke, die Gerhard Schnei- der aus dem Dunkel der Geschich- te holen konnte. Georg Netzband (1900–1984) blieb trotz Überwa- chungsmaßnahmen als „engagiert beobachtender Chronist der Zeit- geschichte auf Posten“. 1939, drei Monate vor dem vom Zaun gebro- chenen Zweiten Weltkrieg, malte er prophetisch vorausahnend den Tod in Generalsuniform als „Der Sieger“ in heroischer Pose, auf ei- nem Leichenberg stehend, mit Blick auf das zerstörte Berlin. ■

Dr. med. Stephanie Krannich Die Ausstellung „Entdeckte Moderne“ ist bis zum

27. März im „Zentrum für verfolgte Künste“ im Solinger Kunst museum, Wuppertaler Straße 160, 42653 Solingen zu sehen. Öffnungszeiten: diens- tags bis sonntags 10–17 Uhr, ganzjährig. Telefon:

0212 25814–11, Internet: www.kunstmuseum- solingen.de, www.verfemte-kunst.de, www.ent deckte-moderne.de, www.exil-archiv.de.

Zur Ausstellungsbegleitung und Vertiefung in die Thematik empfiehlt sich der Katalog:

„Entdeckte Moderne. Werke aus der Sammlung Gerhard Schneider“, 532 Seiten, neun illus - trierte Beiträge, 536 Abbildungen auf Tafeln, An- hang mit 353 Kurzviten und 233 Abbildungen, Preis: 39 Euro, zu beziehen über „Kunstmuseum Solingen“.

INFORMATIONEN

Valentin Nagel:

„Italienischer Offi- zier“, um 1928/32

Fotos: Sammlung Schneider

K U L T U R

Referenzen

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