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Archiv "Bevormundung oder Mündigkeit in den 80er Jahren der sozial-liberalen Koalition?: Anmerkungen zur Diskussion über Selbstbeteiligungsmodelle" (13.11.1980)

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Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

DEUTSCHE S ÄRZTEBLATT

Heft 46 vom 13. November 1980

Bevormundung oder Mündigkeit in den 80er Jahren der

sozial-liberalen Koalition?

Anmerkungen zur Diskussion über Selbstbeteiligungsmodelle

Gerd lversen

Nachdem mit der Bundestagswahl die Bestätigung einer alten Koalition hinter uns liegt, könnte es in den nächsten vier Jahren auf dem ge- sundheitspolitischen Sektor des weiten sozialpolitischen Feldes ziemlich spannend werden: Weithin vernehmlich hat der freidemokrati- sche Partner zu erkennen gegeben (1), daß er Selbstbeteiligungsmodel- le nicht nur befürwortet, sondern für fällig hält. Daß profilierte Sprecher der Ärzteschaft aufgrund ihrer Sach- kenntnis am Anfang der 80er Jahre die Selbstbeteiligungsdiskussion wiederbelebt haben, obwohl sie po- litisch tot zu sein schien, ist kein Zufall. Allerdings: Sehr ermutigend war der Auftakt beim 83. Deutschen Ärztetag in Berlin nicht; sogar die dort — mit dem „Blauen Papier" — geforderten Modellewurden von der Presse polemisch perhorresziert!

Sollten sich die Verfasser der „Ge- sundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzte- schaft" — mit der Ärztetagsmehrheit

— nach einer überwiegend misera- blen öffentlichen Resonanz nun be- klommen fragen, ob es nicht minde- stens politisch unklug war, in den Text des „Blauen Papiers" Begriffe wie Eigenverantwortung oder gar Selbstbeteiligung aufzunehmen? — Das doch wohl nicht! Denn weder alle Publizisten hatten die Empfeh- lung, Selbstbeteiligungsmodelle zu

(1) Auf seinem Wahlparteitag in Freiburg. sie- he DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 29/1980, Seite 1819, und Heft 34/1980. 2015 ff.

erproben, mißverstanden, noch gar alle Politiker; und folglich kam die Diskussion erneut in Gang. Das war an der Zeit.

Die Wirklichkeit

Wer die Wirklichkeit — mit ihren Be- lastungen und Schmerzen, mit ihren Strapazen und Frustrationen — scheut, kann sich ihr eine Zeitlang entziehen; insbesondere in einer für ihn sorgenden, ihm immer wieder helfenden Gemeinschaft. Er kann in frühere Entwicklungsstadien regre- dieren, um heute dem wirklich Schweren, morgen vielleicht schon kleineren unvorhergesehenen Schwierigkeiten möglichst schmerz- los abzuhelfen. Die ganz selbstver- ständliche Beanspruchung und un- kritische Gewährung der Hilfe und des Schutzes anderer mindert aber nicht nur die Entfaltung seiner eige- nen Kräfte und neuen Möglichkei- ten, sondern (ver-)führt zweifellos zunehmend, anfangs vielleicht kaum merklich, dann deutlicher zu einer infantilen Anspruchshaltung! Für diese Fehlentwicklung gibt es in ei- nem sozialen Schonklima zahllose Beweise: Von kurzschlüssigen Ru- fen nach staatlicher Hilfe bis zum Rückzug in den Alkohol- oder Dro- genmißbrauch; von undifferenzier- ten Gleichheitsparolen bis zu Mitbe- stimmungs- (nicht Mitverantwor- tungs-)Forderungen bei gleichzeiti- ger Diffamierung des „Leistungs- denkens".

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Aufsätze ·Notizen

Bevormundung oder Mündigkeit

Symptome ...

... solcher Art kennzeichnen nicht Fortschritt, sondern Mangel an gründlichem Denken und Wirklich- keitssinn. Diesen aber gilt es zu för- dern, wenn wir- jeder einzelne und seine bzw. unsere Gesellschaft - den realen Aufgaben gewachsen sein und bleiben wollen. Mit dem Wirklichkeitssinn wächst die Urteils- fähigkeit und schließlich die Verant- wortungsfreude des einzelnen.

Wo Kinder mit gewachsener Wahl- und Entscheidungsfähigkeit einen wichtigen Entwicklungsschritt voll- zogen haben, empfinden sie die neue Leistung mit erkennbarer Ge- nugtuung im Sinne eines neuen

"Lustgewinns" (2)! Die damit ver-

bundene Freude stimuliert als Ver- antwortungsfreude den einzelnen Jugendlichen zu aufmerksamerem Wahrnehmen seiner Entscheidungs-

freiheit.

Das ursprüngliche, unreflektierte, noch weitgehend undifferenzierte Verlangen nach Lustgewinn soll mit wachsender Einsicht in die Wirklich- keit durch ein realistischeres Lust- streben abgelöst werden.

Mit diesem mühsamen Reifungspro- zeß wächst ganz langsam die Bereit- schaft zur Übernahme von Verant- wortung: Wird diese dem heran- wachsenden Kind und Jugendlichen in wachsendem Maße zugestanden, so wird das als Anerkennung emp- funden, mit tiefer Befriedigung und Freude! - Ein wahrhaft wichtiger Reifungsschritt I

Verantwortungsfreude

Zweifellos ist Lust ein Stimulans - Lebensfreude ist gleichzusetzen mit einem Lebenselixier. Im Sinne der vollen Entfaltung der eigenen Lei- stungsfähigkeit und schöpferischen Fähigkeiten gilt es darum, Freude als entscheidenden Reifungsimpuls zu erkennen!

(2) Das ist sogar an lern· und entwicklungsfä- higen Tieren zu beobachten. wie jeder Hunde·

freund weiß'

"Als Selbstbeteiligungsmaßnahmen bieten sich an: Eine Beteiligung an den Kosten für Arznei- und Heilmittel; an den Kosten für Krankenhauspfle- ge, solange voller Lohnausgleich stattfindet; an den Kosten für Kurauf- enthalte; für die Kreise, für die nach ihrer Einkommenshöhe auch eine Be- teiligung an den Arztkosten in Frage kommt, ist diese von den Kranken- kassen festzusetzen und einzuziehen, es sei denn. daß für diese Kreise ein echtes Kostenerstattungssystem in Frage käme."

Prof. Dr. med. Ernst Fromm als Präsident

des Deutschen Ärztetages 1958

"Die überzeugendste und klarste Art

ist das Kostenerstattungssystem mit Selbstbehalt"

Hartmannbund am 18. Januar 1960

in der Godesberger Stadthalle

"Wenn die individuellen Entschei-

dungen in der Weit von heute und morgen vom einzelnen noch mehr Mündigkeit und Reife fordern, müs- sen wir sie fördern. Das gilt nicht zu- letzt im Zusammenhang mit besonde- ren Belastungen - wie Krankheiten oder Unglücksfällen ...

Was für Versicherungen der verschie- densten Art selbstverständlich ist. gilt allerdings bei Erörterungen über die gesetzliche Krankenversicherung als Tabu. Wer an ein solches Tabu rührt, stößt nicht nur auf schweigende Ab- lehnung; er riskiert Angriffe von vie- len Seiten.

Mündigkeit findet in einem Sozial- staat nicht gerade ein gedeihliches Klima, - darf aber nicht noch weiter beeinträchtigt, sondern muß geför- dert werden.- Wenn lebenslange so- ziale Sicherheit- als Zukunftsverhei- ßung- mit einer schrittweisen sozial- staatlichen Entmündigung verbun- den sein würde, dürften sich die da- von Betroffenen schließlich wohl wehren. Indessen sollten wir schon jetzt über die damit verbundenen Un- wägbarkeiten und ebenso über Mög- lichkeiten der Abhilfe offener spre-

..,. So gesehen muß Verantwor- tungsfreude als Entwicklungsimpuls gelten, dessen Blockierung ausge- sprochen widersinnig wäre.

Wenn schon jedes Kind "selber ma-

chen" möchte, was ihm jetzt gerade

oder endlich möglich ist, dürfen wir

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

chen. Dabei darf es keine tagespoliti-

schen Tabus geben!"

Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt H. 8- August 1980

"Das Dogma, immer unfänglichere

Sozialdienste für immer mehr Men- schen für immer intimere Lebensnöte bereitzustellen, beherrscht die Innen- politik unseres Landes derart, daß die These immer noch als tabu gilt, ein Weniger des sozialstaatliehen Lei- stungsangebots könnte ein Mehr an sozialer Sicherheit für die tatsächlich Bedürftigen und Gefährdeten be- deuten.

Zur Diskussion stelle· ich also, ob nicht eine rigorose Reduktion der So- zialleistungen und Sozialdienste für die gesetzlich hineingezwungenen oder angelockten Ober- und Mittel- schichten eine schnelle Sanierung der Sozialversicherung und eine zü- gige Hebung der Sozialchancen der unterbemittelten Bevölkerungsgrup- pen zur Folge haben könnte."

Prof. Dr. med. H. Baier. Konstanz.

in einem Festvortrag am 14. Oktober 1979 anläßlich des Deutschen Apothekertages in Berlin

"Die niedergelassenen Ärzte fühlen sich bei der schwierigen Aufgabe, den Patienten die vom Gesetzgeber durch das KVKG veranlaßten restrikti- ven Maßnahmen zu verdeutlichen, al- leingelassen.

~ Der niedergelassene Arzt muß häufig unberechtigte Ansprüche des Patienten, die nicht selten durch

"Wahlversprechen" der Politiker aus-

gelöst wurden. abwehren.

~ Durch Risikozuschläge der Versi- cherten bei gesundheitsgefährden- dem Verhalten, das von der Solidar- gemeinschaft nicht mitgetragen wer- den kann, muß gesundheitsbewuß- tes Verhalten gefördert werden. Der Mißbrauch der Solidargemeinschaft kann damit eingeschränkt werden."

Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands:

Gesundheits- und berufspolitische Aussagen und Zielvorstellungen- Juni 1980

Entsprechendes dem ausgewachse- nen Individuum doch nicht vorent- halten: Selber-Machen, mindestens aber Selbst-Mitverantworten vermit- telt ein Gefühl von Freiheit und Un- abhängigkeit, von Urteilsfähigkeit und eigener Kraft! Das alles sollte so weit wie irgend möglich in den 80er

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Jahren dem "mündigen Bürger" zu- erkannt werden: Wahlmöglichkeit, Entscheidungsfreiheit und -fähig- keit, Verantwortungsfreude!

Dann sollten wir dazu auch im Klar- text sagen, was wir meinen; etwa so, wie Prof. Ulrich Kanzow, als er in Berlin zur Diskussion sprach: .. Es ist doch absoluter Unsinn und abwe- gig, vom ,mündigen Bürger' zu spre- chen, ihm alle möglichen Rechte in seiner persönlichen Lebensgestal- tung zuzuweisen, ihm auch zu ge- statten, beim Auto eine Teilkasko- ader auch eine Vollkaskoversiche- rung abzuschließen, wie immer er will, aber in seinem persönlichsten Bereich, nämlich der Gesundheit, wird gesagt: Da bist du unmündig, dir wird alles verordnet, da wird von uns vorgeschrieben, was für dich richtig sei!"

ln diesem Zusammenhang ergänzte U. Kanzow, daß es natürlich genau- so falsch sei, .. von ,sozialer Demon- tage' zu sprechen. Ich glaube viel- mehr, daß das System nur dann überhaupt vor der sozialen Demon- tage geschützt werden kann, d. h.

vor der absoluten Reglementierung mit Zuweisung von Rechten und An- sprüchen auch für den Versicherten, wenn man wieder ein Regulativ und eine Regulation einführt".- Das Re- gulativ könnte u. U. ebe'n Selbstbe- teiligung heißen und wäre doch min- destens in Modellen auf seine Wirk- samkeit zu prüfen.

Selbstbeteiligungsmodelle

ln dreierlei Hinsicht müßten uns Selbstbeteiligungsmodelle einer Klärung näherbringen:

..,. Der Wert einer monetär-psycholo- gischen .. Denkhilfe" in bezug auf verursachte Kosten im Krankheits- fall ließe sich testen!

..,. Die Chance, auf diese Weise eine Stärkung der Verantwortungsfreude des einzelnen zu erreichen, ließe sich beurteilen!

..,. Wir wüßten, ob sich auf diesem Weg im Laute der 80er Jahre - bei

der noch immer beunruhigenden Kostenexpansion im Gesundheits- wesen - unter Umständen eine Trendwende erreichen ließe!

Mitverantwortung

Verantwortungsbereitschaft im Sin- ne der Übernahme von Mitverant- wortung ist jedenfalls unverzichtbar -sowohl in bezug auf

..,. die Erhaltung der Leistungsfä- higkeit unseres Gesundheitssiche- rungssystems wie auch

..,. bezüglich der Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit des einzelnen (Betroffenen oder Be- günstigten).

Daß Entscheidungsfähigkeit lernbar und Verantwortungsbereitschaft übungsfähig ist, steht außer Zweifel; ebenso aber, daß es ein lernförderli-

ches "Klima" gibt und ein abträgli- ches.- Wo sozialstaatliche Fürsorge

in "overprotection" ausartet, wird

das Lernklima in bezugauf eine Ent- wicklung der Mitverantwortung des einzelnen beeinträchtigt, das An- spruchsdenken gefördert - unter Umständen bis zu unsozialen Aus- wüchsen!

Risiken

So können bei uns ohne Nachteil Risiken z. B. mutwillig gesteigert werden, etwa durch

..,. den täglichen Konsum von 3G--40 Zigaretten,

..,. unmäßigen Verbrauch von kon- zentrierten Alkoholika oder Drogen ..,. Rücksichtslosigkeit im Straßen- verkehr mit Unfallfolgen (3)

..,. Maßlosigkeiten bei besonders gefährlichen Sportarten (4).

Der eigentlich fällige Risikozuschlag aber wird den Versicherungsprä- mien aller Mitglieder der Solidarge- meinschaft angelastet. Ist das viel- leicht noch sozial? -Während das

Aufsätze ·Notizen

Bevormundung oder Mündigkeit

Beanspruchen eines größeren Kom- forts im Krankenhaus selbstver- ständlich der Begünstigte zahlt, kann der Drachensegelflieger, der passionierte Amateurboxer, der lei- denschaftliche Zigarettenraucher die kostenträchtigen Folgen seines

"Genusses'·' den anderen anlasten.

Soll das auch dann weiter so blei- ben, wenn mit gewachsenen und noch wachsenden medizinischen Möglichkeiten in der Untallheilkun- de, der Prothetik, der Intensivmedi- zin die volle Finanzierbarkeit aller denkbaren Leistungen immer schwieriger oder schon bald un- möglich wird?- Dürfen wir über ei- ne Alternative nicht mehr laut nach- denken, ohne die primitivsten Ver- dächtigungen - über Selbstbeteili- gungsmodelle (5) nicht einmal dis-

kutieren? [>

(3) Hier nimmt die Versichertengemeinschaft gegebenenfalls die Haftpflichtversicherer in Anspruch.

(4) Wäre nicht mindestens bei selbstverschul- deten Freizeitunfällen Erwachsener eine 30 bis 50prozentige Beteiligung erwägenswert?

(5) Anmerkung

1. Das Wahltarif-Modell bietet dem Versicher- ten unterschiedliche Beitragssätze abhängig von der Höhe der Eigenzahlungen an. Bei ei- nem Wahltarif ohne Selbstbeteiligung wird das bisherige Sachleistungsprinzip der GKV beibehalten. Wahltarife mit Selbstbeteiligung basieren auf dem Prinzip des Kostenerstat- tungssystems.

2. Das Pflichtselbstbeteiligungsmodell unter- scheidet sich vom Wahltarifmodell durch Ver- pflichtung aller Versicherten zu einer Selbst- beteiligung. Diese kann prozentual gestaffelt werden oder der Höhe nach absolut nach so- zialen Gesichtspunkten: Kostenerstattungs- system.

3. Das Splitting-Modell kombiniert Sachlei- stungs- und Kostenerstattungssystem. Dabei erfolgt die Trennung nach sozialen Gesichts- punkten. nicht nach Risiken. Personengrup- pen oberhalb einer bestimmten Einkommens- grenze wären zum Kostenerstattungssystem mit Selbstbeteiligung verpflichtet: diese hätte von einer bestimmten Grenze an einen Sok- kelbetrag und proportional dem Einkommen gesteigerte Beträge bis zu einer Höchst- grenze.

4. Das Gebühren-Modell ermöglicht- bei Er- haltung des Sachleistungsprinzips und der Pflichtversicherung auf der jetzigen Basis - die Inanspruchnahme bestimmter Leistungen oder medizinischer Leistungsträger nur mit einer besonderen Gebühr. Damit wäre eine .. Feinsteuerung" des Inanspruchnahmever- haltens möglich. weil z. B. die Primärinan- spruchnahme von Allgemeinärzten von der Gebühr freigestellt werden könnte.

5. Das Beitragsrückerstattungs-Modell würde bei einer bestimmten Dauer von Schadensfrei- heit eine Rückzahlung von Pflichtbeiträgen an den Versicherten ermöglichen. Hier läge die Selbstbeteiligung in dem Verzicht auf Bei- tragsrückerstattungbei Inanspruchnahme me- dizinischer Leistungen.

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Heft

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vom

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November

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Aufsätze • Notizen

Bevormundung oder Mündigkeit

Das haben übereinstimmend der Deutsche Ärztetag in Berlin und der freidemokratische Wahlparteitag in Freiburg klar verneint! Trotz kurz- schlüssiger Fehldeutungen in der Presse hat ebenso wie der Präsident des Deutschen Ärztetages, K. Vil- mar, der stellvertretende Vorsitzen- de des Sozialpolitischen Ausschus- ses der FDP, Dr. J. Gursky, die Dis- kussion durch konstruktive Beiträge angereichert (6); zweifellos beide nach Abstimmung mit ihren Kolle- gen und Parteifreunden aus gesund- heits- und sozialpolitischer Verant- wortung und Sorge um unser Ge- sundheitssicherungssystem. — An das Interview des DÄ mit dem stell- vertretenden Vorsitzenden der FDP- Bundestagsfraktion, Dieter J. Cro- nenberg, sei ebenfalls erinnert (7)!

Sorglos

Dagegen geben sich manche Publi- zisten und Politiker in dieser aktuel- len Diskussion so ahnungs- wie sorglos. Und ihre Pose wirkt ganz echt. Darum wird es jetzt der kleine, aber agile Koalitionspartner sehr schwer haben, wenn er seiner Befür- wortung von Selbstbeteiligungsmo- dellen bald konkrete Konsequenzen folgen lassen und zu seinen Ankün- digungen stehen will. Das wird den Liberalen nicht nur durch sozialde- mokratische Wortführer erschwert, sondern auch durch eine falsch orientierte „Öffentlichkeit".

Lieschen Müller muß wie die große Familie Jedermann ja glauben, was Deutschlands Millionenmagazin sei- nen Lesern — unter der Parole „Hör zu" (!) — weismachen wollte:

Die in Berlin vom Ärztetag diskutier- te Einführung von „Wahltarifen" sei vermutlich nur deshalb so schnell vom Podium gewesen, „weil bei die- sem Verfahren der Patient überdeut- lich gemerkt hätte, wer da mehr Geld von ihm haben will. Nicht die Kassen, sondern die Ärzte selber .. ."

Will mit einer so einfältigen Unter- stellung ein sonst vielleicht phanta- siebegabter Journalist seine gut-

gläubige HÖR-ZU-Familie (8) ähn- lich irreführen wie manche Gewerk- schaftsfunktionäre ihre Mitglieder mit der Behauptung von einer dro- henden sozialen Demontage? — Wohl kaum!

Egon — so des Verfassers Vorname — kann sich nur Gründe für die Emp- fehlung von Selbstbeteiligungsmo-

(6) Gursky in einem Interview mit dem DEUT- SCHEN ARZTEBLATT (Heft 34/80, Seite 2017, 21. August 80): „Als Kassenarzt erlebe ich, daß das Anspruchsdenken, die Erwartungshaltung und der Versuch, sich zu ‚bereichern' oder zumindest zu ‚verbessern', zur Kostenbela- stung aller in der Solidargemeinschaft führen.

Deshalb müssen Versuche gestartet werden, um die Eigenverantwortlichkeit des einzelnen zu stärken, ihn zu gesundheitsbewußteren Verhaltensweisen zu ermuntern, ja zu erzie- hen ... Ein Erfolg eines Heilverfahrens er- scheint mir nur dann, ja besonders dann gesi- chert, wenn der Patient entsprechend moti- viert ist, indem er etwa bei einem vierwöchi- gen Kuraufenthalt eine Woche seines Jahres- urlaubs für dieses Heilverfahren opfert. Das ist auch ein Selbstbeteiligungsbeitrag, eine ideelle Eigenleistung!"

(7) Dieter J. Cronenberg, Stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion in einem Interview mit dem DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATT: „Die Gesundheits- und Sozialpolitiker der FDP haben auf dem Freiburger Wahlpar- teitag 1980 allergrößten Wert darauf gelegt, daß nunmehr konkret Modellversuche ver- langt werden. Und wir gehen davon aus, daß wir uns mit dieser Rückenstärkung, entspre- chendes Wahlergebnis vorausgesetzt, auch durchsetzen werden. Dies wird um so leichter sein, je stärker die FDP ist, und dies wird um so leichter sein, je mehr der Koalitionspartner einsehen muß, daß wirksame Maßnahmen zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen uner- läßlich sind ... Wir wünschen, daß der mündi- ge Bürger, wo auch immer, mit einem Höchst- maß an Eigenverantwortlichkeit möglichst vie- le Lebensbereiche gestaltet. Dies trifft ganz besonders auch für sein Verhalten im Bereich seiner Gesundheit zu ... Die Begründung für unsere Forderung ist in der zu erwartenden unterschiedlichen, veränderten Verhaltens- weise des einzelnen Versicherten zu suchen.

Und diese Änderungen in der Verhaltensweise dürften bei nicht wenigen Bürgern mögli- cherweise auch einen gesundheitsfördernden Effekt haben ... Es ist durchaus zumutbar, daß der Patient für ersparte Verpflegungsko- sten einen bestimmten Eigenbeitrag für die Tage des Aufenthalts im Krankenhaus leistet—

ein unkomplizierter, praktikabler und wirksa- mer Beitrag zur Kostensenkung! Wir wollen mehr Freiheit für den im Gesundheitswesen Tätigen, aber auch mehr Möglichkeiten für den Patienten, selbstverantwortlich zu han- deln. Schließlich geht es uns um die Erhaltung der Pflichtkassen, Ersatzkassen und Privatver- sicherungen, eben unseres gegliederten Ver- sicherungssystems."

(8) siehe Familien-Journal Medizin in HÖR- ZU-Heft 38/80

(9) „Wer in die Sprechstunde seines Doktors kommt, sollte zwei Scheine mitbringen: Einen von seiner Kasse und einen von seinem Kon- to", empfahl der im Nachforschen nachlässige Egon; daß dergleichen nicht gemeint war, hat- ten KV- und Kammerkenner — wie Weinhold und Vilmar — längst klargestellt!

dellen denken, die (einen diskus- sions- oder schreibfreudigen Mann wie) ihn — etwa in der Position eines

„Ärztefunktionärs" — selbst zu sol- chen Vorschlägen motivieren könn- ten: „Denn Ärzte möchten von ihren Patienten auch Bares sehen", hieß es folglich unter der Überschrift

„Gehst Du zum Arzt — nimm Bargeld mit (9)!"

Motive

Auf Vermutungen ist niemand ange- wiesen, wenn es um die Klärung der Motive für eine Empfehlung von Selbstbeteiligungsmodellen geht.

Sie lassen sich erfragen.

Auch wenn die FDP jetzt mit dem Realisieren konkreter Konsequen- zen aus ihren positiven Ankündigun- gen zögern wollte, wären wir auf va- ge Interpretationen des Unterschie- des zwischen Wahlaussage und Wirklichkeit durchaus nicht ange- wiesen. Wir könnten oder sollten nicht nur, wir müßten fragen!

Ein Hinweis auf den ebenso großen wie hinderlichen Koalitionspartner SPD könnte uns als Antwort nicht genügen: Ein erklärtes Ziel für die sozial-liberale Koalition in der ersten Hälfte der 80er Jahre gehört in das Koalitionsabkommen! Das darf durch eventuelle Angst vor der eige- nen Courage nicht blockiert werden!

Auch wenn mit Selbstbeteiligungs- modellen einstweilen keine Kosten einzusparen wären, würde uns die Klärung der oben skizzierten Fra- genkomplexe mindestens einen Schritt weiterbringen. —Statt ideolo- gisch zu polemisieren, sollten wir sie so beharrlich wie sachlich weiter diskutieren. — Verantwortungsbe- wußte Gesundheits- und Sozialpoli- tiker sind danach zur Prüfung von Selbstbeteiligungsmodellen in der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet!

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Gerd Iversen Internist — Psychotherapie Bismarckallee 8

2360 Bad Segeberg

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