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Archiv "Tropenmedizin heute — Herausforderung an eine globale Medizin: Die Lobby fehlt" (10.05.1990)

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AS FORUM

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Zwei provokante Thesen

. . . Einige kritische Bemerkun- gen zu Randthemen, wie Reisemedi- zin oder Tropensoziologie, seien mir gestattet. „Die Wurzel allen Übels in der Dritten Welt liegt in der wahnsinni- gen Bevölkerungsexplosion." Die Tro- penländer werden ihre Gesundheits- und sonstigen Probleme niemals in den Griff kriegen, solange sie nicht in der Lage sind, ihre Bevölkerung drastisch zu reduzieren! Da helfen auch ihre Schuldzuweisungen an die Adresse der sogenannten Ersten Welt nichts.

Seit 1969 habe ich jahrelang in den Tropen als Arzt gearbeitet, und auch heute noch unternehme ich all-

Die Lobby fehlt

Der Artikel von Herrn Prof.

Diesfeld als Betrachtung aus dem Arbeitskreis interdisziplinärer tro- penmedizinischer Forschung weist der Tropenmedizin heute und für die Zukunft gewichtige Aufgaben zu.

Die Tropenmedizin als institu- tionalisiertes Fachgebiet in den ge- mäßigten Zonen mit ihren histori- schen Wurzeln in der Kolonialzeit hat heute wie auch damals ihre gro- ßen Aufgaben. Große wirtschaftliche und soziale Entwicklungen in den warmen Ländern sind nur denkbar, wenn auch die tropenhygienischen und epidemischen Probleme zu lö- sen sind. Der gigantische Bau des Panamakanals war erst durchführ-

jährlich eine Fernreise dorthin. Die- se Bemerkung sei mir gestattet, um mich als zu diesem Thema kompe- tent und mitspracheberechtigt zu le- gitimieren.

Meine zweite provokante These lautet: „Die gefährlichste Tropen- krankheit stellt heute die wachsende Kriminalität dar." Diese richtet sich nicht nur gegen Touristen, sondern vor allem auch gegen die eigenen Landsleute. Ich selbst bin in neuerer Zeit zweimal auf offener Straße am.

hellen Tag überfallen, zusammenge- schlagen und ausgeraubt worden (auf Jamaika und in Zaire).

Gegen die meisten Tropen- krankheiten gibt es heute mehr oder weniger gute Schutzmaßnahmen, wie schützt man sich vor Kriminalität?

Zu Hause bleiben — ist auch kei- ne Lösung.

Dr. med. Reinhold Spyra, Bring- häuserstraße 24, 3593 Edertal 2

bar, nachdem der Vektor des Gelb- fiebervirus erkannt und beherrsch- bar wurde.

Bei großen Aufgaben in den warmen Ländern fehlt es der Tro- penmedizin hierzulande jedoch an der Lobby. Unbequem, gelegentlich als Ballast empfunden, zeitaufwen- dig, kommerziell nicht bedeutsam, weil kein Geld mit ihr zu verdienen ist, findet sie leider nicht immer die Förderung durch Krankenhausträger und in den Krankenhäusern.

Erfüllen auch die Universitäten.

und Medizinischen Hochschulen ih- re Aufgaben in diesem Bereich? Me- dizinstudenten aus den warmen Län- dern haben Mühe, die notwendigen Kenntnisse zu erwerben für die spä- tere Arbeit in ihren Heimatländern.

Das Problem der Tropenmedi- zin ist eng mit dem der klinischen In- fektiologie zu sehen. In dem Zeital- ter der Antibiotikatherapie hat sich

längst, mehr unbewußt als bewußt, der ärztliche Blick auf vereinfachte Zusammenhänge eingeengt, in de- nen der Wirt mit seinen vielfältigen dominierenden Reaktionen keinen Platz hat, aber Keimzahlen und An- tibiotikakonzentrationen das Gesetz beherrschen. Der Schrei nach dem allwirksamen, potentesten, foren- sisch sichersten Antibiotikum, dem Alleskiller, ist überall gegenwärtig.

Nicht gefragt ist Verständnis der ge- rade ablaufenden Erreger-Wirtsbe- ziehung, die nicht immer ein Anti- biotikum verlangt. Antibiotikakosten in Höhe von 100 DM pro Tag und mehr sind hierzulande nicht selten, in den warmen Ländern nicht er- schwinglich, auch bei uns überhäufig überflüssig bei mehr Kenntnis von natürlichen Infektionsabläufen und Bekenntnis zur unbequemen Ver- antwortung. Der Rückgang an Inter- esse an infektiologischen Fragestel- lungen ist nicht ohne Auswirkung auf das Schwesterfach, die Tropen- medizin.

Unsere universitäre Infektiolo- gie beschneidet sich selbst um das Studium der tropischen Infektionen und geht vielleicht damit an dem be- deutendsten Anteil der menschli- chen Infektionen überhaupt vorbei, inklusive der biologisch interessante- sten mit höchst entwickelten Wech- selspielen zwischen Erreger, Wirt und häufig Zwischenwirten.

Ein bei uns kleines Fachgebiet tut sich schwer, sich die nötige Lobby zu beschaffen. Es ergeht ihm eben wie vielen anderen kleinen Proble- men und Gruppen in der Demokra- tie, wie den Kriegerwitwen, sie war- ten vergeblich auf ihre Fürsprecher.

Tropenmedizin und Infektiolo- gie, einst mächtige Giganten des Fachgebietes Medizin, sind derzeit im Schatten der Medizin angesiedelt.

Studenten, befragt, wer denn diese beiden Fächer an ihren Universitä- ten unterrichtet, antworten meist mit einem Achselzucken und nennen al- lenfalls das Fach Hygiene.

Tropenmedizin und Infektiolo- gie haben um sich einen Nimbus des Außergewöhnlichen, des Besonde- ren, die, wie ihre Krankheiten selbst, die Betroffenen meist aus blauem Himmel überfallen. Die Infektions- krankheit selbst folgt meist nicht ein-

Tropenmedizin heute —

Herausforderung an eine globale Medizin

Zu dem Beitrag von Prof. Dr. med. Hans Jochen Diesfeld in Heft 3/1990

Dt. Ärztebl. 87, Heft 19, 10. Mai 1990 (35) A-1519

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fachen Kausalitätsverhältnissen. Sie ist nicht eben einfach Folge der qua- litativen und quantitativen Merkma- le des Erregers. Das Gesetz wie: viel Arterienstenose gleich viel krank, wenig Arterienstenose gleich weni- ger krank, hat hier keine Gültigkeit.

Hier beginnt die Infektiologie unbe- quem zu werden. In der Tropenme- dizin kommt der notwendige Um- gang mit einer Vielzahl von hier meist unbekannten Erregern hinzu, bei seltenster Konfrontation in unse- ren Breiten.

Organisatorische und strukturel- le Verbesserungen sind anzustreben in der Grundlagenforschung, in der klinischen Forschung und in der Lehre. Da ist zu hören von der Uni- Niersität, wo der Unterricht in Tro- penkrankheiten gemacht wird von demjenigen, der so gut wie kaum je eine behandelt, vom Unterricht in Infektionskrankheiten vorzugsweise dort, wo es keine Patienten gibt, nämlich in der Hygiene. Zu hören ist von dem Krankenhaus, in dem der Tropenmediziner nicht einmal ein Hinsweisschild erhält auf seine Tä- tigkeit, ja von einem Krankenhaus, in dem dem Tropenmediziner die Ein- richtung einer kleinen Tropenmedi- zinischen Ambulanz verwehrt wird durch den Krankenhausträger. Es läßt sich eben alles Unbeliebte ganz einfach vom Halse halten.

Gibt es Folgen? Zu hören ist von einem geschwollenen Hoden bei Mumps, der operiert wird, da nicht an Mumps gedacht wird, zu hören ist von einem Patienten mit Meningitis, der zu Fuß in ein Krankenhaus kommt mit Kopfschmerz und Fieber, bei kleiner Pleozytose mit Penicillin- derivaten und Penicillin behandelt wird, in ein Koma bei tuberkulöser Meningitis verfällt und nach vielen Monaten erst als Krüppel entlassen werden kann. Da wird erzählt von ei- nem schwerst darniederliegenden Patienten mit einer Streptokokken- sepsis. Das Penicillin wird deswegen nicht gegeben, weil es dem Patienten zu schlecht geht. Ein höher potentes Antibiotikum muß herbei: das fal- sche, nämlich der sogenannte Alles- killer, der aber nicht alles kann, wird eingesetzt. Der Patient verstirbt. In wieder einem anderen Krankenhaus wird eine 80jährige Patientin nicht

lumbalpunktiert, weil sie angeblich noch zu wach ist und keine Meningi- tis haben könne. Sie verstirbt an ei- ner Pneumokokken-Meningitis.

Über die unnötigen Malaria-Toten berichten die Zeitungen alljährlich.

Sind das alles nur Episoden des Alltags in Klinik und Praxis, oder ha- ben wir sie als Symptome zu verste- hen? — Tropenmedizin und Infektio- logie bedürfen dringend einer weit intensiveren Zuwendung, beide ste- hen an, zu Entwicklungsgebieten in der Bundesrepublik zu werden. Es wird höchste Zeit. Der Einsatz der Verantwortlichen ist gefordert!

Dr. med. Heinz Vollnberg, Alter Kirchweg 18, 4900 Herford

Unverhältnismäßig großer Einfluß

Es sei ergänzt, daß die Tropen- medizin im weiteren Sinne, oder bes- ser, die Medizin in den Tropen, ge- messen an der Größe des Fachs und den zur Verfügung stehenden Mit- teln, bis in die jüngste Vergangenheit auf die westliche Medizin einen un- verhältnismäßig großen Einfluß aus- geübt hat.

Ein Beispel unter vielen ist dafür das in Ostafrika Ende der 50er Jahre von einem Chirurgen erstmalig be- schriebene und heute nach ihm be- nannte Burkitt-Lymphom, eine Ent- deckung, die in der Folgezeit die Entwicklung der Onkologie und auch benachbarter Disziplinen ent- scheidend beeinflußte (1). Es ist da- her in unserem eigenen Interesse, daß wir selber kontinuierlich und in der Zukunft wieder in verstärktem Maße in den Tropen ärztlich tätig sind ungeachtet ökonomisch oft un- stabiler Verhältnisse. Unterlassen wir dies, so fügen wir unserer eige- nen Medizin schweren Schaden zu.

PD Dr. med. R. Schmauz, Insti- tut für Pathologie, Kreiskranken- haus, 5270 Gummersbach.

(1) Burkitt's lymphoma: a human cancer model. Hrsg. G. M. Lenoir, G. T. O'Conor, C. L.

M. Olweny, IARC Scientific Publications No. 60, International Agency for Research an Cancer, Lyon 1985.

Schlußwort

Dem Kollegen Vollenberg ist zu- zustimmen. Es ist in den vergange- nen Jahren im scheinbaren Vollbe- sitz der antibiotischen Macht nicht nur die Tropenmedizin, sondern auch die Infektiologie insbesondere in der Lehre auf der Strecke geblie- ben. Dies führt in der Tat zu unver- antwortlichen Defiziten im ärzt- lichen Handeln. Das gleiche gilt für so wesentliche Fächer der Gesund- heitslehre wie Ernährungslehre, Prä- ventivmedizin oder Sozialmedizin und Epidemiologie. Der Ruf nach ei- ner „School of Public Health", jüngst im DA aufgegriffen, und nach einer bevölkerungsbezogenen Gesund- heitsforschung, wird immer dringen- der.

Daß unsere westliche Medizin von den wissenschaftlichen und praktischen Erkenntnissen der Me- dizin in den Tropen profitiert, be- trifft nicht nur das Fach Onkologie, wie Kollege Schmauz am Beispiel des Burkitt-Lymphoms aufzeigt.

Orale Rehydrierung bei Säuglings- durchfällen oder die Renaissance des Bruststillens sind weitere Bei- spiele, ebenso wie gesundheitspoliti- sche Initiativen aus der Dritten Welt zu einer verbesserten Primären Gesundheitspflege. Die internatio- nale Diskussion um Prioritäten in der Gesundheits- und medizinischen Forschung, die bisher an der Bun- desrepublik Deutschland weitge- hend vorbeigeht und bestenfalls aus Kostengründen geführt wird, ver- danken wir den Entwicklungslän- dern.

Herrn Kollegen Spyra ist wirk- lich zu raten, nicht in die Tropen zu reisen, nur so kann er der Bevölke- rungsexplosion oder der Kriminalität entgehen. Diese von ihm in die Kate- gorie der Tropenkrankheiten verwie- senen Probleme haben Ursachen, die, wie so viele andere Gesundheits- probleme im weiteren Sinn des Wor- tes, nicht mit medizinischen Maß- nahmen zu lösen sind.

Prof. Dr. med.

Klaus Jochen, Diesfeld A-1520 (36) Dt. Ärztebl. 87, Heft 19, 10. Mai 1990

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