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Archiv "Kindergesundheit: Kooperation zum Wohl der Kinder" (25.05.2007)

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A1446 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 21⏐⏐25. Mai 2007

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as 1907 gegründete erste For- schungsinstitut für präventive Pädiatrie, das Kaiserin-Auguste-Vic- toria-Haus in Berlin, hatte als einzi- ges Ziel, die Säuglingssterblichkeit zu senken. 210 von 1 000 Säuglingen starben damals – heute, hundert Jah- re später, sind es weniger als fünf.

Auch die Sterblichkeit von Kindern zwischen einem und 15 Jahren ver- minderte sich um den Faktor 65. Ein großer Teil der Kinder wuchs ohne Eltern auf. Denn etwa 25 Prozent der Frauen starben zwischen dem 20. und 45. Lebensjahr. Bei den Männern war die Sterblichkeit noch höher.

Für Infektionskrankheiten wie Tuber- kulose, Poliomyelitis, Scharlach, Diphtherie, Gonorrhö, Syphilis, Gas- troenteritis, Meningitis oder Wund- starrkrampf gab es keine wirksame Behandlung. Darauf wies Rudolf Henke, Vorstandsmitglied der Bun- desärztekammer (BÄK), beim 110.

Deutschen Ärztetag in Münster hin.

Die gesundheitliche Situation von Kindern und Jugendlichen in Indus- triestaaten habe sich in den vergan- genen hundert Jahren gewaltig ver- bessert, sagte Henke. Allerdings:

„Wir sind nach Kräften dabei, sie wieder zu verschlechtern.“ Denn nicht allen Schichten der Bevölke- rung würden die gleichen Chancen eingeräumt.

Benachteiligt sind vor allem sozi- al Schwache und Migranten. Der so- ziale Status und der Bildungsstand der Eltern entscheiden mit über die Gesundheit ihrer Kinder. Das belegt auch der Kinder- und Jugendgesund- heitsheitssurvey (KIGGS) des Robert- Koch-Instituts (RKI), eine bundes- weite repräsentative Bevölkerungs- studie über Heranwachsende bis 17 Jahre. Die KIGGS-Ergebnisse zeigen, dass der Gesundheitszustand bei den meisten Kindern gut bis sehr gut ist – Heranwachsende aus sozial schwa- chen Familien und Migrantenfamili- en weisen jedoch in durchweg allen Bereichen von Gesundheit und Le- bensqualität die schlechtesten Ergeb- nisse auf (siehe Kasten „Armut ist ungesund“). Henke forderte die Po- litik auf, Konsequenzen aus der KIGGS-Studie zu ziehen: eine Kin- der- und Familienpolitik auch für die schwächsten Familien zu betreiben, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, Ganztagsschulen auszubauen, um Lern- und Verhaltensdefizite auszu- gleichen, Migrantenkindern eine ge-

zielte Förderung vom Kindergarten- alter an anzubieten.

Mit der besonderen Situation ver- nachlässigter und misshandelter Kin- der befasste sich Prof. Dr. med. Diet- rich Niethammer, Generalsekretär der Deutschen Akademie für Kin- der- und Jugendmedizin e.V. Fünf Prozent aller Kinder wüchsen in Deutschland in sogenannten Hochri- sikofamilien auf, wo für die Kinder aufgrund der psychosozialen Bedin- gungen ein hohes Risiko bestehe, gra- vierend vernachlässigt zu werden.

„Das sind rund 30 000 Kinder in je- dem Geburtsjahrgang“, betonte Niet- hammer. Die Grenzen von Vernach- lässigung, Misshandlung und Miss- brauch verliefen oft fließend. Gewalt werde in diesem sozialen Milieu nicht nur von Erwachsenen an Kin- dern ausgeübt, sondern immer häufi- ger auch zwischen Heranwachsen- den. Dieses Phänomen mache inzwi- schen einen beträchtlichen Anteil der

„neuen Morbidität“ aus. Damit ist die Zunahme von Störungsbildern ge- meint, die mit soziogenen Faktoren zusammenhängen, wie kognitive und sozial-emotionale Störungen. Für die neue Morbidität hat auch die KIGGS- Studie Hinweise gefunden: Mehr als jedes fünfte Kind zwischen sieben und 17 Jahren zeige Anzeichen für psychische Auffälligkeiten.

Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch bewirkten, dass die seelischen und körperlichen Grund- bedürfnisse der Kinder nicht oder nur unzureichend befriedigt würden.

„Das ist im eigentlichen Sinn als so- ziale Benachteiligung zu verstehen“, sagte Niethammer, „nicht die sozio- ökonomische Situation.“ Bei den Müttern äußere sich der Problem- druck tendenziell eher in Depressi- vität mit der Folge von Vernachlässi- gung, bei den Vätern in einer aggres- siven Reaktion, gefolgt von Miss-

KINDERGESUNDHEIT

Kooperation zum Wohl der Kinder

Die Delegierten sprachen sich für bessere Prävention und Versorgung von sozial benachteiligten Kindern und Migrantenkindern aus. Gegen Vernachlässigung und Misshandlung fordern sie verbindliche Früherkennungsuntersuchungen.

TOP III Kindergesundheit in Deutschland

„Wir sind nach Kräften dabei, die Gesundheit der Kin- der wieder zu ver- schlechtern.“ – Rudolf Henke

„In Hochrisiko- familien wachsen in jedem Geburts- jahrgang rund 30 000 Kinder auf.“

– Dietrich Niethammer

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handlungen. Die Probleme der in diesem Sinne sozial Benachteiligten würden häufig generationenüber- greifend weitergegeben.

Neben gesellschaftspolitischen Lö- sungen forderte Niethammer ärztli- ches Handeln: Sozialmedizinische Aspekte müssten in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung besser ver- ankert werden. Kinder- und Jugend- ärzte sollten auf die neue Morbidität reagieren und sich entsprechend fortbilden. Da Kinder aus Hochrisi- kofamilien nur durch aufsuchende und nachsorgende soziale Dienste erreicht werden könnten, müssten Gesundheits-, Jugend- und Sozial- ämtern für diesen Bereich wieder mehr Geld zugeteilt werden. Kinder- und Jugendärzte sollten in Koopera- tionsmodellen zwischen Geburtskli- niken, Jugendhilfe, Gesundheitsäm- tern und Sozialpädiatrischen Zentren zur Prävention von Vernachlässi- gung und Misshandlung mitwirken.

Sozialpädiatrische Zentren schließ- lich sollten flächendeckend ausge- baut werden.

Familienmedizinischer Ansatz

Auch die Hausärzte versorgen Kinder und Jugendliche. Darauf wies Dr.

med. Cornelia Goesmann, Vizepräsi- dentin der BÄK, hin. In Niedersach- sen beispielsweise behandelten sie ebenso viele über sechsjährige Pa- tienten wie die Kinderärzte. Kinder und Jugendliche ab zehn Jahren wür- den sogar überwiegend von Hausärz- ten versorgt. Besondere Bedeutung habe der familienmedizinische An-

satz der Hausärzte: Sie kennen die Eltern, die Beziehungsgeflechte, die Sorgen und Konflikte der Kinder.

„Die Aufgaben der Hausärzte heute erstrecken sich von der Schwanger- schaftskonfliktberatung über Ge- sundheitserziehung, Ernährungsbe- ratung bis zur Suchtprävention“, sagte Goesmann.

Die Hausärztin warb für ein Kon- zept der aufsuchenden Gesundheits- fürsorge bei sozial Schwachen und Hochrisikofamilien. Neben dem öf- fentlichen Gesundheitsdienst seien hier besonders die Hausärzte gefor- dert. In Regionen mit vorausseh- barem ärztlichem Nachwuchsman- gel könnten gut qualifizierte Medi- zinische Fachangestellte die Praxis- inhaber durch Beratungsangebote und Hausbesuche entlasten. Bei An- zeichen auf Kindesmisshandlung oder -vernachlässigung sollten Haus- ärzte mit den Jugendämtern koope- rieren. Goesmann wies schließlich auf die Bedeutung von Fortbildun- gen zum Thema häusliche Gewalt hin. Dies sei wichtig für alle Ärzte, die in der Patientenversorgung und

im ärztlichen Notdienst damit kon- frontiert würden. Ein Antrag zur Auf- nahme eines Fortbildungsmoduls

„häusliche Gewalt“ in die 80 Stun- den umfassenden Kurse der psycho- somatischen Grundversorgung wurde von den Delegierten angenommen.

Die Erweiterung der psychoso- matischen Grundversorgung war auch dem Kinder- und Jugendpsy- chiater Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort, Universitäts- klink Hamburg-Eppendorf, ein An- liegen. Um Misshandlung und Ver-

nachlässigung zu begegnen, brau- che man Strukturen, an denen alle ärztlichen Berufsgruppen gemein- sam beteiligt seien. In seiner Klinik suchten „Kinderärzte jeden Tag er- neut nach Lösungen zusammen mit Kinderpsychiatern“.

Gegen Konkurrenzgerangel

Wie Schulte-Markwort sprachen sich viele Delegierte gegen Konkurrenz- gerangel, zum Beispiel zwischen Haus- und Kinderärzten, aus – auch als Reaktion auf die Rede von Prof.

Dr. med. Detlef Kunze, Bayern. Der Kinderarzt hatte Goesmanns Hervor- hebung der Rolle des Hausarztes in der Versorgung von Kindern kriti- siert. „Der Kinder- und Jugendarzt ist der Hausarzt der Kinder“, erklärte er.

„Kooperation zum Wohl der Kinder ist gewünscht“, konterte Dr. med. Jür- gen Fleischmann, Rheinland-Pfalz.

Die alten Gräben sollten nicht wieder aufgeworfen werden.

Weniger kontrovers verlief die weitere Diskussion der Delegierten.

Übereinstimmend forderten sie eine frühe Intervention und die Prävention

von Kindesmisshandlung und -ver- nachlässigung. Dazu müsse ein Sys- tem verbindlicher Früherkennungs- untersuchungen (U1 bis U9) geschaf- fen werden. Die große Mehrheit stimmte einem Antrag des Vorstands der BÄK zu. Darin wird die Bundes- regierung aufgefordert, ein gesetzlich verankertes Meldewesen zu schaffen, in dessen Rahmen im Konsens mit den Eltern die Teilnahme an den Us bescheinigt wird. Gleichzeitig soll- ten Vertreter der Jugendhilfe und des öffentlichen Gesundheitsdienstes in

„Die Hausärzte kennen die Eltern, die Beziehungsge- flechte, die Sorgen und Konflikte der Kinder.“ – Cornelia Goesmann

„Kooperation zum Wohlder Kinder ist gewünscht.“ – Jürgen Fleischmann

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A1450 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 21⏐⏐25. Mai 2007

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die Lage versetzt werden, säumige Eltern zu erinnern beziehungsweise die Familien ausfindig zu machen, die sich der Teilnahme an der Vorsor- ge entziehen.

Keine Screeningstellen

Weitergehende Anträge, mit denen zentrale Screeningstellen zur Über- prüfung der Teilnahme an Früherken- nungsuntersuchungen gefordert wur- den, fanden keine Mehrheit. Dafür hatte sich unter anderem der Präsi- dent der Ärztekammer des Saarlands, Sanitätsrat Dr. Franz Gadomski, aus- gesprochen. Das Saarland hat als ers- tes Bundesland eine Screeningstelle eingerichtet. Eltern sind dort ver- pflichtet, mit Kindern zwischen ei- nem halben und fünfeinhalb Jahren an den Us teilzunehmen. Ein Daten- abgleich zwischen den Einwohner- meldeämtern und den Kinderärzten ermöglicht die Kontrolle. „Das Screening-Programm belastet vor allem das Vertrauensverhältnis zwi- schen Arzt und Eltern“, kritisierte Dr.

med. Anne Bunte, Westfalen-Lippe.

Besser seien Bonus-Systeme. „Wir wollen keine Gesundheitspolizei

sein“, stimmte Dr. med. Klaus Uwe Josten, Nordrhein, zu.

Die Mehrheit der Delegierten be- fürwortete deshalb einen Antrag von Martin Bolay, Gisbert Voigt und Det- lef Kunze. Darin werden ebenfalls verpflichtende Vorsorgeuntersuchun- gen gefordert. Ergänzend heißt es aber: „Der 110. Deutsche Ärztetag lehnt Regelungen entschieden ab, die den betreuenden Arzt zu einer Mel- dung durchgeführter Vorsorgeunter- suchungen verpflichten.“ Der Nach-

weis einer durchgeführten Vorsorge sei Aufgabe der Eltern beziehungs- weise der Sorgeberechtigten.

Gleichzeitig forderten die Dele- gierten eine Überarbeitung und Er- weiterung der Früherkennungsunter- suchungen. Ein Entschließungsan- trag bayerischer Delegierter wies darauf hin, dass die Us in den letzten 30 Jahren „nur geringfügig den ak- tuellen medizinisch/psychologisch- wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Früherkennung von Gesundheits- risiken und Krankheit“ angepasst worden seien. Sie müssten zudem um die frühzeitige und sichere Diagnos- tik von Verwahrlosung und Miss- brauch ergänzt werden. Außerdem seien die Abstände zwischen den Terminen von der U7 an so groß, dass „ein rechtzeitiges Erkennen von Risiken nur eingeschränkt möglich sei“. In dem mit großer Mehrheit befürworteten Antrag wird der Ge- meinsame Bundesausschuss aufge- fordert, die ihm vorliegenden The- men zu Früherkennungsuntersuchun- gen „schnellstmöglichst positiv zu

entscheiden“. I

Petra Bühring

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ie Krankenschwestern in der Bielefelder Klinik haben kein gutes Gefühl. Susanne Meyer*, die gerade ihr erstes Kind entbunden hat, freut sich zwar darauf, wieder nach Hause zu kommen. Doch die alleinerziehende Mutter sorgt sich auch, ob sie zurechtkommen wird.

Ihre Eltern leben rund 500 Kilome- ter entfernt, Freunde hat sie kaum, schon gar keine, die ihr mit dem Kind eine Hilfe wären. Kein Wun-

der, dass sie nervös und unsicher auf die Krankenschwestern wirkt.

Sie sprechen Susanne Meyer an.

Die ist froh über das Angebot, den psychosozialen Dienst der Klinik einzuschalten, und nach einer Lö- sung zu suchen. Sie wird zügig ge- funden: Im Rahmen des sozialen Frühwarnsystems (FWS), das in Bielefeld existiert, vermittelt der Kinderschutzbund Susanne Meyer eine ehrenamtlich tätige Patin. Sie wird der jungen Mutter an zwei Nachmittagen pro Woche mit Rat

und Tat zur Seite stehen. Vier Mona- te später hat sich die Hilfe einge- spielt. Susanne Meyer hat mittler- weile über eine Stillgruppe Kontakt zu anderen Müttern gefunden. Ihr Kind entwickelt sich gut. Dennoch möchte sie, dass ihre Patin einmal die Woche vorbeischaut.

Ein gutes Netz ist mehr als

„Telefonlisten-Prävention“

Das Bielefelder Modell ist eines von sechs, die im Rahmen des Projekts

„Aufbau und Weiterentwicklung lo-

SOZIALE FRÜHWARNSYSTEME

Handeln statt grübeln

Manche Familien brauchen frühzeitig Hilfe, damit die Kinder nicht vernachlässigt oder misshandelt werden. Welche – darauf gibt es in NRW bereits mehr als 40 Antworten.

„Kinderärzte su- chen bei uns jeden Tag erneut nach Lösungen zusam- men mit Kinder- psychiatern. “ – Michael Schulte- Markwort

* Name geändert

Foto:ISA

Referenzen

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