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Archiv "Alkoholismusforschung: Psychisch unauffällige Risikopersonen aus suchtkranken Familien in Expositionsstudien" (31.01.1997)

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D

as Risiko von männlichen Personen, bei denen ein El- ternteil, in der Regel der Va- ter, alkoholkrank ist, selbst an Alkoholismus zu erkranken, ist um das 3- bis 5fache erhöht. Dies macht diesen Personenkreis zu einer wichti- gen Zielgruppe von Forschungsein- richtungen, die sich für Ätiologiemo- delle zur Entstehung von Alkoholis- mus interessieren. Inzwischen gibt es eine beachtliche Zahl einschlägiger Studien, deren methodisches Grund- muster darin besteht, Risikoproban- den, also Söhne von Alkoholkranken, die selbst bereits im Erwachsenenal- ter stehen, jedoch (noch) keinerlei Zeichen eines Alkoholismus aufwei- sen, mit gleichaltrigen Personen ohne eine Suchtkrankheit in der Familie zu vergleichen. Bei diesen Vergleichen findet ein breites Spektrum von Merkmalen aus dem biologischen (im einzelnen Neurophysiologie, Psycho- physiologie und Biochemie) und psy- chologischen Bereich (Persönlich- keitsdiagnostik, Leistungstest) Be- rücksichtigung.

Am interessantesten erscheinen im Rahmen der hier skizzierten Studi- en Untersuchungen, die eine Alko- holexposition einbeziehen und zu er- klären versuchen, ob Risikoproban- den und eine Kontrollgruppe auf Äthanolapplikation unterschiedlich reagieren. Bei diesen Studien wird ja jenes Agens mit einbezogen, das beim Vollbild einer Alkoholkrankheit das Krankheitsgeschehen zentral be- stimmt.

Alkoholexpositionsstudien

In Tabelle 1sind in Anlehnung an eine Literatursammlung (4) Alkohol- expositionsstudien bei Söhnen von Alkoholkranken zusammengestellt, die bis 1990 zur Veröffentlichung ka- men. Anhand der Merkmale, deren Verlauf nach Gabe von Alkohol bei der Risikogruppe im Vergleich zu Söhnen ohne Alkoholkrankheit in

der Familie untersucht wurde, läßt sich die Gesamtheit der publizierten Studien drei Teilgruppen zuordnen.

Die Zielmerkmale beziehen sich auf den klinischen Befund, biochemische Parameter und den physiologischen Bereich. Die applizierten Alkohol- mengen schwankten zwischen den einzelnen Studien und führten zu (maximalen) Blutalkoholspiegeln zwischen etwa 0,5 und etwas mehr als 1 Promille.

Bei den Untersuchungen im kli- nisch orientierten Bereich ging es um das Ausmaß von auftretender Intoxi- kation und Standataxie. Dabei wurde in den Publikationen der Terminus

„Intoxikation“ für Selbstschilderun- gen der Probanden über Gefühle ei- ner Euphorisierung, sedierende Ef- fekte oder anderes verwendet. Tabelle 1 zeigt, daß bei vier der insgesamt zwölf Untersuchungen Söhne von Alkoholkranken im geringeren Maße von alkoholbedingten Intoxikations-

erscheinungen berichteten als die Kontrollgruppe. In fünf Studien gab es jedoch keinerlei Gruppenunter- schiede, und drei Studien kamen zu dem bemerkenswerten Ergebnis ei- ner stärkeren Auslösung von Intoxi- kationserlebnissen durch Alkohol bei den Risikoprobanden.

Im Unterschied zum Intoxikati- onsbegriff bezieht sich in den ein- schlägigen Publikationen die Stand- ataxie auf eine beobachtbare Größe.

Dabei wurden unter Alkohol auftre- tende Körperschwankungen zum Teil apparativ erfaßt. Sechs Studien be- schäftigten sich mit probandenspezifi- schen Effekten des Alkohols auf diese Zielsymptomatik. Die Ergebnisse sind, wie Tabelle 1zeigt, ähnlich un- einheitlich wie für die Intoxikations- untersuchungen.

Im Bereich der Biochemie ging es in zehn Untersuchungen um die wichtige Frage, ob gleich große Men- gen von Äthanol (adjustiert bezüglich des Körpergewichts) bei Söhnen von Alkoholkranken im Vergleich zu männlichen Personen ohne familiäre Suchtbelastung zu unterschiedlichen Blutalkoholkonzentrationen führen.

Die Resultate sind eindeutig – in einer eindrucksvollen Weise. In keiner ein- zigen Studie traten gruppenspezifi- sche Unterschiede in der Höhe der Blutalkoholspiegel in Erscheinung.

Nicht ganz so einheitlich sind die Stu- dien, die verschiedene Parameter des Alkoholmetabolismus einbezogen, während die beiden Untersuchungen an Enzymen des Katecholaminstoff- wechsels in dem Ergebnis fehlender Unterschiede zwischen Risiko- und Kontrollprobanden übereinstimm- ten. – Ein klares Bild liefern auch die sieben Studien, in denen Hormonbe- stimmungen durchgeführt wurden.

Mit einer Ausnahme weisen sie dar- auf hin, daß Alkoholgabe bei Söhnen von Alkoholkranken eine geringere Ausschüttung diverser Streßhormone nach sich zieht.

Was schließlich den physiologi- schen Merkmalsbereich anbelangt, so

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M E D I Z I N ZUR FORTBILDUNG

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 5, 31. Januar 1997 (43)

Alkoholismusforschung

Psychisch unauffällige Risikopersonen aus suchtkranken Familien in Expositionsstudien

Robert Olbrich Fred Rist

Die neuere Literatur über die Alkoholis- musforschung enthält eine ganze Reihe von Untersuchungen, in denen es um die Frage geht, ob männliche, klinisch unauffällige Personen aus Familien mit einer Alkoholkrankheit auf eine Appli- kation von Äthanol anders reagieren als Personen ohne familiäre Suchtbela- stung. Dabei wurden diverse klinische, biochemische und physiologische Merk- male in die Untersuchung von Alkohol- effekten einbezogen. Von derartigen Forschungsansätzen erhofft man sich Aufschlüsse über Entstehungsmechanis- men von süchtigem Verhalten.

Abteilung für Evaluative Psychiatrie (Leiter:

Prof. Dr. med. Dr. phil. Robert Olbrich), Ar- beitsgruppe Neuropsychophysiologie/Sucht (Leiter: Prof. Dr. rer. soc. Fred Rist) des Zentral- instituts für Seelische Gesundheit, Mannheim

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führten hier sowohl Studien, die neu- rophysiologische Parameter unter- suchten, wie auch jene mit einer Fo- kussierung auf Aspekte der Motorik zu uneinheitlichen Ergebnissen: Zum Teil gab es keine Unterschiede; es gab aber auch Studien mit geringeren und wiederum andere mit größeren Auf- fälligkeiten in der Risikogruppe. Psy- chophysiologische Merkmale waren der Gegenstand der Untersuchung in zwei Publikationen. In beiden wurde darüber berichtet, daß eine Gabe von Äthanol bei Söhnen von Alkohol- kranken eine stärkere Aktivierung von Parametern des autonomen Ner- vensystems (ANS) auslöste als bei Personen mit einer unauffälligen Suchtanamnese.

Alkoholgabe in Verbindung mit Streßexposition

Während den bisher dargestell- ten Studien Laborversuche zugrunde lagen, bei denen die Gabe von Ätha- nol die wesentliche experimentelle Variable war, behandeln wir nunmehr eine Gruppe von Untersuchungen, in denen eine weitere experimentelle Größe, nämlich eine Streßexposition, in den Versuchsablauf einbezogen wurde. In diesen Untersuchungs- ansätzen geht es um die Frage, ob et- wa durch elektrische Schmerzreize ausgelöste Streßreaktionen, wie sie über Aktivierungsmaße des au- tonomen Nervensystems oder neurohormonale Parameter er- faßbar sind, durch Äthanolga- be veränderbar sind und ob Al- kohol derartige Reaktionen bei familiär belasteten Risikopro- banden stärker (oder aber auch weniger stark) dämpft. Für Modelle zur Entwicklung von süchtigem Verhalten erschei- nen die hier skizzierten Studien von hoher Relevanz.

Zur Illustration des Ab- laufs derartiger Untersuchun- gen kann die folgende Studie (2) dienen. Zwölf Männer mit Alkoholkrankheiten in der Fa- milienanamnese und eine gleich große Zahl männlicher Personen mit einem unauffälli- gen familiären Hintergrund

nahmen an der Untersuchung teil. Bei der Rekrutierung beider Gruppen wurde ein Screening Test eingesetzt, um Personen mit auffälligem Alko- holkonsum von der Studie auszu- schließen. Jeder Proband unterzog

sich an zwei verschiedenen Tagen ei- nem Laborexperiment. An einem der beiden Untersuchungstage wurde zu Beginn der Sitzung Alkohol gegeben, der bei den Probanden einen mittle- ren Blutalkoholspiegel von 0,9 Pro- mille herbeiführte. Im Verlauf einer Sitzung wurden insgesamt sechs elek-

trische Schmerzreize (im Bereich des rechten Ellenbogens) appliziert. Je- der Schmerzreiz wurde durch einen Countdown von zehn bis eins an- gekündigt. Während des gesamten Experiments erfolgte zur Erfassung

von Streßreaktionen eine fortlaufen- de Registrierung kardiovaskulärer (Herzrate, Fingerpulsvolumenampli- tude) und elektrodermaler Parameter des ANS sowie von Aktionspotentia- len des Musculus frontalis.

Die Grafik zeigt die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchung. Der linke Teil der Grafikbe- zieht sich auf die Resul- tate für die Herzraten.

Vergleicht man bei der Gruppe ohne Alkoholis- mus in der Famili- enanamnese das Aus- maß der Streßreaktion an den beiden Untersu- chungstagen (im einzel- nen mit und ohne Alko- hol), so werden kaum Unterschiede erkennbar.

Ganz anders stellt sich die Situation für die Risi- kogruppe dar. Hier führt Alkohol zu einer dras- tischen und statistisch signifikanten Dämpfung aufkommender Streß- reaktionen. Ein analo- ges Befundmuster eines

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M E D I Z I N ZUR FORTBILDUNG

(44) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 5, 31. Januar 1997 Tabelle 1

Alkoholexpositionsstudien bei Söhnen von Alkoholkranken

Untersuchte Merkmale Studien Söhne von

insgesamt Alkoholkranken

! Klinischer Befund

– Intoxikation 12 4 5 3

– Standataxie 6 2 3 1

! Biochemie

– Blutalkoholspiegel 10 0 10 0

– Alkoholmetabolismus (Elimination, 4 0 2 2

Acetaldehyd mit Flushing)

– Enzyme (MAO, DBH) 2 0 2 0

– Hormone (ACTH, Cortison, Prolaktin, Adrenalin) 7 6 1 0

! Physiologie

– Neurophysiologie (EGG, Evozierte Potentiale) 4 2 1 1

– Psychophysiologie (ANS-Parameter) 2 0 0 2

– Motorik (EMG, Sensomotorische Tests) 3 1 1 1

12 10 8 6 4 2 0

50

40

30

20

10

0

FH+ FH- FH+ FH-

Anstieg der Herzrate (bpm) Anstieg der Muskelspannung (µV)

Kein Alkohol Alkohol

Kein Alkohol Alkohol Grafik

Alkoholgabe in Verbindung mit Streßexposition (2). FH+ ist die Gruppe mit einer positiven Familienanamnese bezüglich Alkoholismus.

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gruppenspezifischen Dämpfungsef- fektes ergab diese Studie auch für weitere verwendete Streßindikato- ren. Für das Ausmaß der Muskel- anspannung im M. frontalis ist dies im rechten Teil der Grafikdargestellt.

In Tabelle 2sind alle einschlägi- gen Studien mit einer Verwendung von Alkohol- und Streßexpositions- techniken zusammengestellt, die bis- lang vorliegen. Neben Angaben über die Autoren gibt die Tabelle Aus- kunft über die Art der eingesetzten Stressoren und der erfaßten Streßre- aktionen. Wegen unzulänglicher psy- chophysiologischer Meßmethoden sollte die Untersuchung (5) mit größ- ter Zurückhaltung bewertet werden.

Die Ergebnisse der übrigen psycho- physiologischen Studien stimmen in hohem Maß überein. Sie lassen sich dahingehend zusammenfassen, daß Söhne von Alkoholkranken in den durchgeführten Laborexperimenten bei Alkoholgabe diese dazu benut-

zen, aufkommende Streßreaktionen zu dämpfen. Söhne ohne Alkoholis- muserkrankung in der Familienanam- nese zeigten dieses „Potential“ nicht.

Diese Unterschiede können kaum im Sinne bereits eingetretener Konditio- nierungsprozesse bei den Söhnen von Alkoholkranken erklärt werden, da hinsichtlich des Alkoholkonsums in den durchgeführten Untersuchungen keine Unterschiede zwischen Risiko- und Kontrollgruppen vorlagen. In der in Tabelle 2 aufgeführten Arbeit (7) wurden zur Erfassung von Streßreak- tionen nicht autonome Parameter, sondern die hormonelle Ausschüt- tung von Adrenalin herangezogen.

Aus der Publikation geht nicht ein- deutig hervor, ob auch hier gruppen- spezifische Dämpfungsphänomene beobachtet wurden. – In einer eige- nen, noch laufenden Untersuchung, die vom Bundesministerium für For- schung und Technologie gefördert wird, finden autonome und neurohor-

monale Parameter Verwendung. Für beide Parameterbereiche ergaben sich in einer Zwischenauswertung Streßdämpfungseffekte, die inner- halb einer Gruppe von 34 Risikopro- banden bemerkenswerterweise nur das männliche, nicht aber das weibli- che Geschlecht betrafen.

Schlußfolgerungen

Bei den im ersten Teil unserer Li- teraturübersicht dargestellten Unter- suchungen ging es um die Frage, wie weit eine Gabe von Alkohol unter- schiedliche Veränderungen bei Söh- nen mit einem alkoholkranken El- ternteil und männlichen Personen oh- ne auffällige Familienanamnese her- beiführt. Einem derartigen Untersu- chungsansatz liegt die Überlegung zu- grunde, daß ein Vorliegen gruppen- spezifischer Unterschiede in einem untersuchten Merkmalsbereich wich- tige, hypothesengenerierende Hin- weise über die Art der Mechanismen liefern könnte, die an der Ausbildung einer Alkoholkrankheit beteiligt sind.

Wie wir sahen, ergab sich für die mei- sten der Zielmerkmale, die Gegen- stand von Alkoholexpositionsstudien gewesen sind, kein einheitliches Bild.

Allein für die sogenannten Streßhor- mone besteht zwischen den durchge- führten Studien eine übereinstim- mende Befundlage, derzufolge eine Gabe von Alkohol von Risikoproban- den mit einer vergleichsweise gerin- gen Hormonausschüttung beantwor- tet wird. Als ein sehr eindeutiges Er- gebnis der einschlägigen Literatur bleibt auch festzuhalten, daß die An- nahme, süchtiges Verhalten könne sich entwickeln, weil bei der betref- fenden Person Alkoholzufuhr ver- gleichsweise geringe Blutspiegel nach sich zieht, nicht haltbar ist.

Der zweite Teil unserer Litera- turübersicht behandelte Studien, in denen in einem komplexeren Ver- suchsaufbau Alkohol in Verbindung mit Streßexperimenten gegeben wur- de. In enger Übereinstimmung erlau- ben diese Untersuchungen die Aussa- ge, daß männliche Personen mit ei- nem alkoholkranken Elternteil, die selbst keinerlei Suchtauffälligkeiten zeigen, bei einer Applikation von Al- kohol diesen offenbar zur Dämpfung

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M E D I Z I N ZUR FORTBILDUNG

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 5, 31. Januar 1997 (45) Tabelle 2

Alkoholgabe in Verbindung mit Streßexposition

Studie Zahl der Stressoren Streßreaktionen Probanden

Finn et al. 24 FH+ Elektrische ! Kardiovaskuläre Aktivität (1987) 12 FH– Schmerzreize – Herzrate

– Fingerpulsvolumen Finn et al. 12 FH+ Elektrische ! Kardiovaskuläre Aktivität (1990) 12 FH– Schmerzreize – Herzrate

– Fingerpulsvolumen

! Elektrodermale Aktivität

! Elektromyographische Aktivität Levenson et al. 62 FH+ Elektrische ! Kardiovaskuläre Aktivität (1987) 64 FH– Schmerzreize – Herzrate

Halten einer – Fingerpulsvolumen Rede – Pulstransitzeit

! Elektrodermale Aktivität Sayette et al. 71 FH+ Halten einer ! Kardiovaskuläre Aktivität

(1994) 71 FH– Rede – Herzrate (über

– Fingerpulsvolumen) – Blutdruck

Stewart et al. 27 FH+ Elektrische ! Kardiovaskuläre Aktivität (1992) 30 FH– Schmerzreize – Herzrate

– Fingerpulsvolumen Swartz et al. 17 FH Videospiel ! Adrenalin

(1987) 12 FH–

FH+: positive Familienanamnese bezüglich Alkoholismus, einschlägige Studien bei Söhnen von Alkoholkranken

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von Streßreaktionen (insbesondere neurovegetativer Art) einsetzen kön- nen. Dem Personenkreis selbst sind die hier angesprochenen intrapsychi- schen Abläufe sicherlich nicht be- wußt. Mit diesen aus unserer Sicht bedeutsamen Befunden erfährt die sogenannte „Spannungs-Reduktions- Hypothese“ des Alkoholismus, einem Ätiologiekonzept mit langer Traditi- on, eine eindrucksvolle Stützung.

Das in diesem Aufsatz dargestell- te, neuere Arbeitsfeld innerhalb der Alkoholismusforschung hat unseres Erachtens nicht nur theoretische, son- dern vor allem auch praktische Rele- vanz. Zum einen eröffnet es gute Aus- sichten, daß psychobiologische Mar- ker zur Verfügung gestellt werden können, anhand derer sich feststellen läßt, ob bei einer Person (auch unab- hängig von einer familiären Bela- stung) ein erhöhtes Risiko zur Sucht- entwicklung angenommen werden muß. Darüber hinaus ergeben sich in-

teressante Anwendungsmöglichkei- ten auch in bezug auf den Alkohol- kranken selbst. So könnte während einer stationären Behandlung über ei- ne psychophysiologische Labordia- gnostik geklärt werden, ob bei einem Patienten Alkohol (neurovegetative) Streßreaktionen in ausgeprägtem Maße dämpft. Ein derartiger Befund hätte für eine individuell angelegte Therapieplanung Konsequenzen.

Diese wären nicht in Behandlungsfäl- len indiziert, in denen andere Mecha- nismen einer Suchtentwicklung anzu- nehmen sind.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-231–234 [Heft 5]

Literatur

1. Finn PR, Pihl RO: Men at high risk for alco- holism: The effect of alcohol on cardiovas- cular response to unavoidable shock. J.

Abn. Psychol. 1987, 96: 230–236

2. Finn PR, Zeitouni NC, Pihl RO: Effects of alcohol on psychophysiological hyperreac-

tivity to nonaversive and aversive stimuli in men at high risk for alcoholism. J. Abn. Psy- chol. 1990; 99: 79–85

3. Levenson RW, Oyama ON, Meek PS: Grea- ter reinforcement from alcohol for those at risk: Parental risk, personality risk, and sex.

J. Abn. Psychol. 1987; 96: 242–253

4. Newlin DB, Thomson JB: Alcohol challen- ge with sons of alcoholics: A critical review and analysis. Psychol. bull. 1990; 108:

383–402

5. Sayette MA, Breslin F, Wilson T, Rosen- blum GD: Parental history of alcohol abuse and the effects of alcohol and expectations of intoxication on social stress. J. Stud. Alc.

1994; 55: 214–223

6. Stewart SH, Finn PR, Pihl RO: The effects of alcohol on the cardiovascular stress res- ponse in men at high risk for alcoholism: A dose response study. J. Stud. Alc. 1992; 53:

499–506

7. Swartz CM, Drews V, Cadoret R: Decreased epinephrine in familial alcoholism. Arch.

Gen. Psychiat. 1987; 44: 938–941 Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Dr. phil.

Robert Olbrich Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Postfach 12 21 20 68072 Mannheim

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ZUR FORTBILDUNG/FÜR SIE REFERIERT

(46) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 5, 31. Januar 1997 In den Jahren 1967 bis 1970 ha-

ben die Epidemiologen der Londoner Medizinischen Fakultät damit begon- nen, alle Bediensteten der britischen Zentralregierung medizinisch und so- zialmedizinisch zu beobachten – es waren zu Beginn 18 133 Männer (von Frauen ist in dem referierten Aufsatz nicht die Rede). Eine der Fragen war:

Was hat der Dienstgrad, und was hat ein nicht (unbedingt) mit dem Dienst- grad zusammenhängendes Merkmal, nämlich der Besitz eines Autos, mit der Sterblichkeit zu tun?

Zunächst wurden aus den jetzt mehr als 25 Jahre laufenden Beob- achtungen die Dienstränge der Un- tersuchungsobjekte ermittelt – ver- gleichbar mit unserem einfachen, mittleren, gehobenen und höheren Dienst. Für die Untersuchung der Mortalität in den Altersgruppen wurde der Auswärtige Dienst nicht berücksichtigt, da die Rangstufen dort ganz anders sind; außerdem die über Neunzigjährigen, weil man mit den wenigen keine fundierte Stati- stik machen kann. Nach vielfältigen statistischen Bereinigungen der er- mittelten Zahlen ergab sich, daß die

Angehörigen des einfachen Dienstes zwischen 40 und 64 Lebensjahren ein mehr als dreifaches Sterberisiko (3,12) aufwiesen als die des höheren Dienstes – die anderen Laufbahnen lagen dazwischen.

Nach dem normalen Pensionie- rungsalter sanken die Differenzen:

zwischen 65 und 69 Lebensjahren auf 1,73, zwischen 70 und 89 Jahren auf 1,86. Dies bedeutet, daß der Unter- schied in der Mortalitätsrate zwar sank, aber trotzdem bestehen blieb.

Die Autoren spekulieren, daß die unterschiedlichen Arbeitsbedingun- gen für die verschiedenen Sterbera- ten verantwortlich sein können. Bei den Autobesitzern aller Laufbahnen waren die Unterschiede geringer – auch im Altersverlauf: Die Nicht- Autobesitzer hatten ein Sterberisiko von jeweils 1,57, 1,37 und 1,34 in den drei Altersgruppen.

Die Interpretation der Ergeb- nisse durch die Autoren gibt Rätsel auf. Ist Autofahren weniger gefähr- lich als Nicht-Autofahren? Unter de- nen, die kein Auto haben, gab es vor der Pensionierung eine um 57 Pro- zent höhere Mortalität als bei den

Autobesitzern, später um 34 Pro- zent. Was die Laufbahnstufen be- trifft, so waren die Unterschiede weit höher: 212 und 86 Prozent vom un- tersten zum höchsten Dienstgrad.

Wer besitzt in den verschiedenen Laufbahnstufen ein Auto? Auch hierfür gibt es Zahlen, allerdings oh- ne große Differenzen: Das Risiko für Nicht-Autobesitzer ist in der ersten Altersgruppe zwischen dem einfa- chen und dem höheren Dienst 2,41 und sinkt nach der Pensionierung auf 1,83 und 1,77. Allerdings: Stellt man die absoluten Zahlen der Probanden einander gegenüber, dann ergibt sich, daß die Zahl der beobachteten Auto- oder Nicht-Autobesitzer nur zwei Drittel der Gesamtzahl umfaßt:

Daß weniger als die Hälfte der Be- diensteten von Whitehall Autobesit- zer seien, wäre erstaunlich. bt Marmot MG, Shipley MJ: Do socioeco- nomic factors in mortality persist after retirement? 25 years follow up of civil servants from the first Whitehall study.

Brit Med J 1996; 313: 1177–1180 Prof. M. G. Marmot, Department of Epi- demiology and Public Health, University College London Medical School, Lon- don WC1E 6BT, England

Pensionierung – (k)ein sozialmedizinischer Einschnitt

Referenzen

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