Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer gibt bekannt:
Leitsätze zur Verordnung oraler Kontrazeptiva
Auf den neuesten Erkenntnisstand hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer die „Leitsätze zur Verordnung oraler Ovu- lationshemmer" gebracht, deren erste Fassung unter dieser Über- schrift erstmals 1970 (DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, Heft 29 vom 18.
Juli 1970, Seite 2267 f.) veröffentlicht worden war. Die neuen Leit- sätze wurden am 29. August 1975 vom Vorstand der Bundesärzte-
kammer in Köln verabschiedet.
Die „Leitsätze zur Verordnung oraler Kontrazeptiva" tragen der flie- ßenden Entwicklung auf diesem sowohl medizinisch-wissenschaft- lich als auch gesundheitspolitisch wichtigen Gebiet durch ebenso wohlabgewogene wie eindringliche Hinweise Rechnung. Während die Leitsätze 1970 sich auf die Kapitel „Vor Behandlungsbeginn",
„Unter der Behandlung", „Kontraindikationen" und „Besondere Überwachung" beschränkten, enthalten die überarbeiteten Leitsät- ze jetzt auch die exakte Angabe der „Gründe, die während der An- wendung zum sofortigen Absetzen der Pille zwingen", sowie — be- sonders aktuell — „Empfehlungen für die Verordnung von Ovula- tionshemmern an Jugendliche". Schließlich enthalten die neuen Leitsätze auch Hinweise auf „Vorhersehbare Versager der Ovula- tionshemmer", wie überhaupt die Erinnerung daran, daß orale Ovu- lationshemmer nicht die einzigen Kontrazeptiva sind, sowie die Mahnung, daß die Beratung über die geeigneten Methoden zur Empfängnisverhütung in jedem Fall individuell erfolgen muß.
Nachstehend der Wortlaut der Bekanntmachung der Bundesärzte- kammer:
DEUTSCHES
ARZTEBLATT Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
Leitsätze
zur Verordnung oraler Kontrazeptiva
ÜBERSICHTSAUFSÄTZE:
EKG-Repetitorium Die Stellung der Aspirationszytologie bei der Frühdiagnose des Mammakarzinoms Differentialdiagnose der Frühgeburt
Sklerosierungsbehandlung des Hämorrhoidalleidens
DIAGNOSTIK IN KÜRZE:
Pathologische EEG-Veränderungen Schmerzen
in der Herzgegend
NOTIZEN:
Vorsicht
bei Insektenstrips
„1. Hormone sind hochwirksame Substanzen, die nur auf ärztliche Verordnung und unter ärztlicher Kontrolle genommen werden soll- ten.
2. Die ärztliche Verordnung erfor- dert ein sorgfältiges Abwägen der in Kauf zu nehmenden Nebenwir- kungen gegen den erwünschten Ef-
fekt. Dies gilt in besonderem Maße für die Anwendung von hormonel- len Kontrazeptiva bei gesunden Frauen und bei Minderjährigen.
3. Vor der Verordnung oraler Kon- trazeptiva sollte stets bedacht wer- den, daß Ovulationshemmer nicht die einzigen Kontrazeptiva sind.
Die Beratung über die .geeigneten
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 37 vom 11. September 1975 2521
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Orale Kontrazeptiva
Methoden zur Empfängnisverhü- tung muß in jedem Fall individuell erfolgen.
4. Der gegenwärtige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse veranlaßt die Bundesärztekammer zu folgenden Empfehlungen, die bei der Verordnung eingehalten werden sollten:
A) Vor Behandlungsbeginn
[> Ausschuß der Kontraindikatio-
nen durch eine gründliche Anam- nese und allgemeine ärztliche Un- tersuchung
[> Palpationskontrolle der Unter-
leibsorgane mit Spiegeleinstellung der Portio und zytologischer Ab- strichkontrolle
[> Abtastung der Mammae
[> Kontrolle des Urins auf Zucker
[> Blutdruckmessung
B) Unter der Behandlung
[> In halbjährlichen Abständen
Palpationskontrolle der Unterleibs- organe mit Spiegeleinstellung der Portio sowie
Abstastung der Mammae Urinuntersuchung auf Zucker Blutdruckkontrolle
[> In jährlichen Abständen:
Zytologische Abstrichkontrolle Leberfunktionstest bei Verdacht auf Leberschaden
C) Als Kontraindikationen gelten:
~ Vorangegangene Thromboem- bolien
~ Sichelzellanämie
~ hormonabhängige Tumoren
~ Gravidität
~ bestehender Leberschaden
~ akute Leberinfekte
~ Schwangerschaftsikterus in der Anamnese
~ familiäre, angeborene oder er- worbene Störungen der Gallen- sekretion - wie der Dubin- Johnson und das Rotorsyndrom
D) Besondere ObenNachung erfordern:
~ Thrombophlebitis in der Ana- mnese
~ stark ausgeprägte Varikosis
~ Epilepsie
~ Otosklerose
~ Fibromyome des Uterus
~ Hypertonie mit Herzerkrankun- gen
~ Diabetes
~ Tetanie
~ Porphyrie
E) Gründe, die
während der Anwendung zum sofortigen Absetzen der Pille zwingen:
e
Auftreten von ungewohnten starken Kopfschmerzene
akute Sehstörungene
epileptische Reaktionene
akute thrombo-embolische Symptomee
Auftreten eines Ikteruse
stärkerer Blutdruckanstiege
erkennbares Wachstum von Myomene
längere Immobilisierung (z. B.nach Unfällen, vor und nach größeren Operationen, bei an- deren längerwährenden Erkran- kungen)
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F) Empfehlungen für die Verordnung von Ovulationshemmern an Jugendliche
[> Vielfach wird ein abgeschlosse-
nes Längenwachstum gefordert.
Zwar sprechen neue Erkenntnisse dafür, daß mit den in Ovulations- hemmern enthaltenen Hormonmen- gen das Längenwachstum nicht gebremst werden kann. Trotzdem gibt es einen Gesichtspunkt, der für die Einhaltung dieser Forde- rung spricht: Mit Abschluß des Längenwachstums, das nach Tan- ner durchschnittlich mit 151/2 Jah- ren erreicht ist, wäre ein Minimum an körperlicher und seelischer Rei- fe verbunden.
[> Der Zyklus sollte weitgehend
normal sein. Zykluslabile junge Mädchen werden häufiger von dem Ovarsuppressionsyndrom betroffen (längerwährende Amenorrhoe nach dem Absetzen der Ovulationshem- mer). Die Ovarialfunktion sollte, wenn möglich, durch einmonatige Basaltemperaturmessung kontrol- liert werden.
[> Die Aufklärungspflicht ist zu be-
achten: Bei jungen Mädchen wie- gen Nebenwirkungen und Risiken schwerer als bei Erwachsenen.
[> 2-Phasen-Präparate sind zu be-
vorzugen, weil nach ihrer Anwen- dung das Ovarsuppressionsyndrom seltener ist als nach Kombinations- präparaten.
[> Falls mit einer zuverlässigen An-
wendung gerechnet werden kann, sollte an die Verordnung der Mini- Pille gedacht werden, weil diese nicht in den Regulationsmechanis- mus des Zyklus eingreift.
[> Auf die Notwendigkeit von Ein-
nahmepausen nach sechsmonati- ger Anwendung muß hingewiesen werden. An der Länge des Blu- tungsintervalles erkennt man zy- kluslabile Patientinnen, die zum Ovarsuppressionsyndrom neigen.
Für die Pille-Pause muß eine ande- re kontrazeptive Methode empfoh- len werden.
G) Vorhersehbare Versager der Ovulationshemmer
..,.. Eine medikamentöse Beein- trächtigung der kontrazeptiven Zu- verlässigkeit ist bei gleichzeitiger Anwendung des Tuberkulosemit- tels Rifampicin beschrieben wor- den.
..,.. Der gleiche Effekt ist bei Dauer- behandlung epileptischer Reaktio- nen mit Barbituraten und Diphenyl- hydantoinen anzunehmen.
..,.. ln diesen Fällen muß auf andere kontrazeptive Methoden ausgewi- chen werden.
5. Die Bundesärztekammer beob- achtet sorgfältig die weitere Ent- wicklung der mediz'inischen For- schung auf dem Gebiet der hormo- nellen Kontrazeptiva. Sie wird praktisch wichtige Folgerungen aus neuen Erkenntnissen bekannt- geben."
ECHO
Zu: .,Die Reisekrankheit - ein Alarmsignal" von Dr. med. Hans Scherer in Heft 29/1975, Seite 2111.
Reisekrankheit
.,Augen auf bei Reisekrank- heit", diesen Rat gibt der Me- diziner Dr. Hans Scherer von der Universität München in der jüngsten Ausgabe des DEUTSCHEN ÄRZTEBLAT- TES. Nach seiner Ansicht ist durch Schließen der Augen die Gefahr des Übelwerdens größer als bei offenen Augen. Der Mediziner unterstreicht, auf Grund neuer Forschungs- ergebnisse müßten viele weitverbreitete Meinungen über das Entstehen und die Verhütung von Übelkeit im Auto, im Flugzeug oder auf einem Schiff revidiert wer- den ... " (Kölnische Rund- schau, nach dpa)
EKG-Repetitorium
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ
XXII. Beispiele zum Thema Belastungs-EKG
Gisbert Kober und Hans-Jürgen Becker
Aus dem Zentrum der Inneren Medizin, Abteilung für Kardiologie (Leiter: Professor Dr. med. Martin Kaltenbach),
Klinikum der Universität Frankfurt am Main
Die theoretischen Ausführungen zu den in dieser Folge abgebildeten EKG-Beispielen wurden in der vor- angegangenen Folge 21 dieses Re- petitoriums abgedruckt. Hier wer- den typische Beispiele von Ischä- miereaktionen bei der unkompli- zierten Angina pectoris (Angina pectoris ohne durchgemachten Herzinfarkt) und der komplizierten Angina pectoris (nach überstande- nem Herzinfarkt) gezeigt. Außer- dem werden Beispiele zu den unter Belastung auftretenden nicht pa- thologischen EKG-Veränderungen abgebildet. Soweit von Interesse, werden die Befunde von Ruhe- und Belastungs-EKG zu den Befunden der Koronarangiographie und Ven- trikulographie in Beziehung ge- setzt.
Während Belastung erfolgt die EKG-Registrierung über Elektroden, die mit einem Gürtel an der Brust- wand befestigt sind (Ableitungs- schema nach Rosenkranz). Die auf diese Weise registrierten Ableitun- gen sind zur Abgrenzung gegen die übliche Registriertechnik durch ein B gekennzeichnet. Ihre Form kann geringfügig von der der nor- malen Ableitungen abweichen in- folge etwas unterschiedlicher Elek- trodenlage.
0
Beispiel 1 (Darstellung 62): Esch, G., 53 Jahre, männlich. Typische Angina pectoris ohne lnfarktana-
mnese. Im Ruhe-EKG kein sicher krankhafter Befund. Im Stehen vor Belastung uncharakteristische T- Abflachung ohne sichere patholo- gische Zuordnung. Zunehmende Angina pectoris während der Be- lastungsuntersuchung mit gleich- zeitig beginnender ST-Senkung, die besonders in der Erholungs- phase (siehe Schattierung 1 Minute nach Belastung) mit Maximum in V4 deutlich zu erkennen ist und die als sicheres Zeichen einer Myokard- ischämie und damit einer Koro- narinsuffizienz gewertet werden darf. Angiographischer Nachweis einer stenosierenden Koronarskle- rose mit vorwiegendem Befall des proximalen Ramus interventricula- ris anterior (Rai 80%ige Stenose).
Gutes Kontraktionsverhalten des linken Ventrikels (LV), hier abgebil- det in rechts vorderer Schrägpro- jektion (RAO).
Gesamtbeurteilung: Diagnose: Ko- ronare Herzerkrankung durch Anamnese, Belastungs-EKG und Koronaragramm gesichert. Die gute Funktion des linken Ventrikels im Angiogramm deckt sich mit dem fehlenden Infarktereignis in der Anamnese und dem normalen Euhe-EKG. Von seiten der Vorbe- funde und des Ergebnisses der an- giographischen Untersuchung Indi- kation zur Überbrückung der Ste- nose im Rai mit einem aortako- ronaren Venenbypass zur Beseiti- gung der Belastungs-Ischämie der