Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 48|
29. November 2013 A 2315KOMMENTAR
Dr. Roland Kipke, Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Universität Tübingen
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ie mehrheitlich getroffene Ent- scheidung des 114. Deutschen Ärztetages 2011, ein Verbot der ärztli- chen Suizidassistenz in die (Muster-) Berufsordnung aufzunehmen, zog eine Diskussion über die Zulässigkeit eines solchen standesrechtlichen Verbots nach sich. Viele Kommentatoren mei- nen, die Entscheidung über einen as- sistierten Suizid müsse der autonomen Entscheidung des Patienten und der Gewissensfreiheit des Arztes überlas-sen bleiben. Das Verbot sei ein Rückfall in den Paternalismus. Nur eine Zulas- sung der Suizidassistenz werde dem ethischen Pluralismus der modernen Gesellschaft und dem liberalen Neutra- litätsgebot gerecht. – Doch diese Auf- fassung ist falsch.
Denn erstens ist die ärztliche Unter- stützung einer Selbsttötung nicht nur eine individuelle Angelegenheit. Viel- mehr ist mit der Teilnahme eines Arztes bei der Suizidassistenz die gesamte Ärzteschaft betroffen. Denn der Um- gang mit dem Lebensende betrifft die ärztliche Identität in ihrem Kern. Daran ändert sich auch nichts, wenn bei einer Zulassung kein Arzt zur Suizidassistenz verpflichtet wäre. Wohlgemerkt: Diese Argumentation ist nicht zu verwechseln mit der fragwürdigen Anrufung eines vermeintlich naturgegebenen ärztlichen Ethos. Es geht darum, dass die Ärzte- schaft sich darüber verständigen kann und muss, wie sie sich und was sie un- ter ärztlicher Hilfe verstehen will.
Zweitens stellt ein Verbot der ärztli- chen Suizidassistenz keine unzulässige Einschränkung der Patientenautonomie dar. Unbeschränkte Geltung hat die Pa- tientenautonomie nur als Abwehrrecht gegenüber medizinischen Eingriffen.
Eine Zulassung der ärztlichen Suizidas- sistenz würde hingegen ein Recht im Sinne der allgemeinen Handlungsfrei-
heit bedeuten. Die Handlungsfreiheit von Patienten ist jedoch auch sonst in der Medizin beschränkt.
Drittens ist es nicht so, dass allein mit dem Verbot Wertüberzeugungen, die nicht allgemein anerkannt sind, zur Grundlage verbindlicher Regelungen gemacht werden, während eine Zulas- sung dem liberalen Neutralitätsgebot entspräche. Denn auch die Befürworter einer Zulassung der Suizidassistenz ge- hen von partikulären Wertüberzeugun-
gen aus, die mindestens ebenso recht- fertigungsbedürftig sind. Diese zeigen sich unter anderem in der Forderung, die Zulässigkeit der Suizidassistenz auf schwerstkranke oder sterbende Men- schen zu beschränken. Menschen mit einem autonomen Suizidwunsch, die nicht in diese Kategorien fallen, soll die ärztliche Assistenz hingegen vorenthal- ten bleiben. Offensichtlich wird hierbei unterstellt, dass deren Leid und Lebens- bewertung keinen Suizid rechtfertigen.
Käme es tatsächlich nur auf die autono- me Entscheidung des Suizidwilligen an, müsste jeder autonome und nichtpsy- chopathologisch bedingte Wunsch nach Suizid(assistenz) für legitim und unter- stützenswert gehalten werden. Die lei- tenden Wertüberzeugungen manifestie- ren sich ebenso in der Ablehnung einer kommerziellen Suizidassistenz, die auch aufseiten der Befürworter ärztlicher Suizidassistenz fast einhellig ist. Denn dagegen lassen sich keine tragfähigen grundsätzlichen ethischen Argumente vorbringen, die nicht zugleich gegen die ärztliche Suizidassistenz sprechen.
Weder kann sich etwas Moralisches durch das Element der Vergütung in et- was Unmoralisches verkehren, noch würde eine Kommerzialisierung zwin- gend größere Missbrauchsrisiken mit sich bringen als eine nichtkommerzielle ärztliche Suizidassistenz.
Statt fälschlicherweise zu beanspru- chen, man würde normative Festlegun- gen frei von Wertvorstellungen treffen, sollten wir uns lieber offensiv mit der Frage auseinandersetzen, was eine gu- te Gesellschaft ausmacht und welche Rolle Ärzte darin spielen sollen. Es gibt gute Gründe dafür, die ärztliche Mitwirkung an der aktiven Tötung einer menschlichen Person nicht als Teil einer solchen Gesellschaft anzusehen. So ver- ständlich ein Suizidwunsch sein mag, so
deplatziert eine moralische Verurteilung von Suizidwilligen ist – die Suizidassis- tenz läuft einer fundamentalen Lebens- bejahung zuwider, die sich als wesent- liches Element einer guten, erstrebens- werten Gesellschaft ansehen lässt, ohne dass man der fragwürdigen Idee einer „Heiligkeit“ jedes menschlich- biologischen Lebens anhängen muss.
Die Kritik an dem berufsrechtlichen Verbot der Suizidassistenz kann aus mehreren Gründen nicht überzeugen.
Die Mitwirkung von Ärzten an Suiziden zuzulassen, ist kein unabweisbares Ge- bot einer liberalen Gesellschaftsord- nung. Die Zulassung dieser Praxis be- deutet vielmehr eine Anerkennung, die zu leisten kein Gemeinwesen und keine Ärzteschaft verpflichtet ist. Eine Ärzte- schaft darf darüber entscheiden, ob sie diese Anerkennung leisten will. Sie hat das Recht darüber zu bestimmen, was sie sein will. Dazu gehört das Recht, Handlungen aus dem ärztlichen Ethos auszuschließen, die den Kern des ärzt- lichen Selbstverständnisses betreffen.
Wenn hierbei kein Konsens erzielt wer- den kann, ist eine Mehrheitsentschei- dung möglich und legitim, wie bei an- deren demokratischen Entscheidungen auch. Es ist also durchaus gerechtfer- tigt, wenn sich eine organisierte Ärzte- schaft das Verbot der Suizidassistenz auferlegt.
SUIZIDASSISTENZ