Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 16|
22. April 2011 A 915FAMILI
ÄRES MAMMA- UND OVARIALKARZINOMGendefekte als Biomarker für neues Therapieprinzip
Erste Erfahrungen mit dem Wirkstoff Olaparib, der speziell für die
Behandlung von Frauen mit BRCA-Mutationen gerichtet ist. Der Gendefekt wird bislang lediglich zur Diagnose und Prognose herangezogen.
D
ie Kenntnis von Mutationen in den Tumorsupressorgenen BRCA1/2 hat sich bisher nicht auf die Auswahl der Krebsbehandlung bei familiären Formen von Mam- ma- und/oder Ovarialkarzinomen ausgewirkt. Das könnte sich in Zu- kunft ändern. Zwei Phase-II-Studi- en bei fortgeschrittenen Formen beider Karzinome legen nahe, dass die genetische Mutation, die beiden Erkrankungen gemeinsam ist, eine bessere Basis für eine zielgerichtete Therapie sein dürfte als der organi- sche Ursprung der Karzinome. In beiden Studien wurde Olaparib ge- prüft, ein orales „kleines Molekül“, das die Reparatur von Einzelstrang- brüchen der DNS verhindert.Der Wirkstoff Olaparib fungiert als Inhibitor der Poly-ADP-Ribo - se- Polyme rase (PARP). Dieses En- zym unterstützt die DNA-Repara - tur und fördert dadurch auch die Reparatur von (erwünschten) DNA- Schäden bei Krebszellen, die durch eine Chemotherapie entstehen. Ola- parib hemmt die PARP und kann damit die zytotoxische Wirkung ei- ner Chemotherapie auf Krebszellen verstärken, unter anderem, indem es die Apoptose der Krebszellen fördert. Die Entwickler von Olapa- rib nennen das Prinzip „syntheti- sche Letalität“.
In Phase-I-Studien bei BRCA1/2- Trägerinnen mit therapierefraktären Karzinomen wurde eine Antitumor- wirkung bei täglichen Dosen von mehr als 100 mg zweimal täglich Olaparib beobachtet. Inzwischen liegen zwei Phase-II-Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit des oralen Wirkstoffs in einer niedrigen (100 mg bid) und der maximal to- lerablen Dosis (400 mg bid) bei
Mutationsträgerinnen mit rezidivier- tem Ovarialkarzinom und fortge- schrittenem Brustkrebs vor. Primä- res Zielkriterium war die objektive Ansprechrate.
In die Brustkrebsstudie (1) gin- gen zwei Kohorten von je 27 Pa- tientinnen ein, darunter ein hoher Prozentsatz mit dreifach negativen Karzinomen. Im Mittel waren die Frauen vorher mit drei verschiede- nen Chemotherapieschemata be- handelt worden. Etwa die Hälfte durchliefen alle sechs geplanten Olaparib-Zyklen.
Relativ gute Verträglichkeit für ein Krebsmedikament
Elf Patientinnen (41 Prozent) spra- chen auf die hohe und sechs (22 Pro- zent) auf die niedrige Dosis Olapa- rid an. Unter der hohen Dosierung wurde eine Komplettremission und in zehn Fällen eine partielle Re - mission (niedrige Dosierung: keine Komplett-, sechs partielle Remissio- nen) objektiviert. In jeweils zwölf Fällen resultierte eine stabile Er- krankung, eine Progression wurde in vier beziehungsweise neun Fällen (hohe beziehungsweise niedrige Do- sierung) publiziert. Das mittlere pro- gressionsfreie Intervall lag bei 5,7 beziehungsweise 3,8 Monaten.Auch in der Ovarialkarzinom- studie (2) mit 57 massiv vorbehan- delten Patientinnen bewirkte die höhere Dosierung eine höhere An- sprechrate: elf von 33 Patientinnen (33 Prozent) gegenüber drei von 24 (13 Prozent). In zwei Fällen wird bei der Maximaldosierung eine Kom - plettremission berichtet, zu partiel- lem Ansprechen kam es in neun Fäl- len (27 Prozent, niedrige Dosierung 13 Prozent, n = 3). Eine Progression
trat in zehn (30 Prozent) bezie- hungsweise 14 (58 Prozent) Fällen ein. Das durchschnittliche progres- sionsfreie Überleben lag bei 5,8 be- ziehungsweise 1,9 Monaten.
In beiden Studien zeigte sich nach Angaben der Autoren eine re- lativ gute Verträglichkeit mit mil- den bis moderaten Nebenwirkun- gen: Am häufigsten wurden Nausea und Fatigue dokumentiert, Anämien waren überwiegend von Grad 1 bis 2; unter der hohen Dosierung bei elf Prozent der Patientinnen von Grad 3 bis 4. Neutropenien (Grad 3 bis 4) sind nur bei der höheren Dosierung in der Ovarialkarzinom- studie zu neun Prozent dokumen- tiert. Elf beziehungsweise zehn Pa- tientinnen starben während dieser Studie. Eine weitere Patientin starb an einer Kombination von Progres- sion und einer medikationsbeding- ten intestinalen Perforation, eine weitere an einem Sekundärmali- gnom.
Für die Autoren stützen diese Daten die Hypothese, nach der BRCA1/2-Mutationen als prädiktive Biomarker für das Ansprechen auf eine PARP-Inhibition anzusehen sind. Spekulativ eröffne sich zusätz- lich die Möglichkeit, das Prinzip der synthetischen DNS-Reparatur-Hem- mung auch erfolgreich einzusetzen bei weiteren epigenetischen Genver- lusten, die sich auf die homologe Rekombination auswirkten. ■
Dr. rer. nat. Renate Leinmüller
LITERATUR
1. Tutt A et al.: www.thelancet.com. Published online July 6, 2010. Doi: 10.1016/
S0140-6736(10)60892-6.
2. Audeh M et al.: www.thelancet.com. Pub - lished online July 6, 2010. Doi: 10.1016/
S0140-6736(10)60893-8.