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Deutsche Forschungsgemeinschaft und Krebsforschung

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Deutsche Forschungsgemeinschaft und Krebsforschung 1920–1970

(3)

Studien zur Geschichte der Deutschen

Forschungsgemeinschaft ---

herausgegeben von

Rüdiger vom Bruch, Ulrich Herbert und Patrick Wagner

Band 7

(4)

Franz Steiner Verlag Stuttgart 2011

Gabriele Moser

Deutsche

Forschungs gemeinschaft und Krebsforschung

1920–1970

(5)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-515-09791-8

Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenver- arbeitungsanlagen.

© 2011 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Redaktion: Jörg Später

Redaktionsassistenz: Silke Wehrle

Gedruckt auf säurefreiem, alterungs beständigem Papier.

Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Printed in Germany

Gedruckt mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Umschlagabbildung:

Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl

(6)

INHALT

Einleitung . . . 7 1. Vor der „Volkskrankheit“ – Forschungsförderung

und medizinische Wissenschaft in der Weimarer Republik . . . 12 1.1. Die Wahrnehmung des Krebsproblems. Ärzte, öffentliches

Gesundheitswesen und medizinische Wissenschaft

in den 1920er Jahren . . . 12 1.2. Die „Forschungsgemeinschaft“ in der Wissenschaftslandschaft

der Republik. Experimentalisierung der Medizin

und die Verankerung der Krebsforschung . . . 20 1.3. Infektiosität, Stoffwechsel und experimentelle Krebsforschung –

Themen der öffentlich geförderten Krebsforschung . . . 36 Zusammenfassung . . . 54 2. Machtkämpfe – Die Startphase

des Tumorforschungsprogramms 1934–1936 . . . 55 2.1. Medizinische Forschungsförderung und der Machtwechsel –

der Konflikt zwischen REM und DFG . . . 55 2.2. Die Ära Johannes Stark . . . 59 2.3. Max Borst und das „kleine“ und das „große“

Tumorforschungsprogramm . . . 71 [Frühfassung des Tumorforschungs programms, 24. Juli 1936] . . . 76 2.4. Forscher und Forschungsprojekte zwischen DFG-Einzelförderung

und Tumorforschungsprogramm . . . 88 [Arbeitsprogramm auf dem Gebiet der Tumorforschung,

1.12.1936–31.3.1937] . . . 102 Zusammenfassung . . . 105 3. „Gemeinschaftliche Lösungen“ – Die Gründung des RFR

und das DFG-Tumorforschungsprogramm 1937–1941/42 . . . 106 3.1. Förderung der Krebsforschung durch DFG und RFR –

Übergang und Abgrenzung . . . 106 3.2. Fortführung und Ausbau des Tumorforschungsprogramms

[Bewilligte Anträge aus dem Krebsprogramm 1937/38] . . . 123 3.3. Schwerpunkte der Krebsforschung zwischen 1937 und 1941/42 . . . 137 3.4 Die DFG-Tumorfarm I. Der Aufbau der „zentralen Zuchtanstalt

für Tumortiere“ in Berlin . . . 156 [Teilnehmer des Arbeitstreffens im Harnack-Haus,

21./22. Februar 1941] . . . 169

(7)

6 Inhalt

[Geförderte wissenschaftliche Krebsforschung von 1937/38

bis 1941/42] . . . 171

Zusammenfassung . . . 185

4. Krieg und Verbrechen – Der zweite RFR und die Krebsforschung im Zweiten Weltkrieg 1942/43–1945 . . . 187

4.1 Die Reorganisation des RFR 1942/43 und die Einführung des „Bevollmächtigten für Krebsforschung“ des RFR, Kurt Blome . . . 187

4.2. Das „Zentralinstitut für Krebserforschung e.V.“ in Posen als Camouflage. Die Doppelplanung von Krebsforschung und Biowaffenforschung am selben Ort . . . 204

4.3. Die DFG-Tumorfarm II. Die Verlegung von Berlin nach Posen . . . 217

[Vom Bevollmächtigten für Krebsforschung des RFR geförderte Forschungsprojekte (1943–1945)] . . . 230

[Vom Reichsforschungsrat unterstützte wissenschaftliche Krebsforschungsarbeiten (1942–1944)] . . . 234

Zusammenfassung . . . 237

5. Nach Hinterzarten – Traditionelle Einzelförderung und neue Strukturen der Forschungsförderung in der frühen Bundesrepublik . . . 239

5.1. Zwischen Kriegsende und Neubeginn. Entwicklungspfade, Kristallisationskerne und Institutionalisierung der Forschungsförderung 1945–1951 . . . 239

5.2. Vom „Hinterzartener Kreis“ zum DKFZ. Die DFG-Senatskommissionen für Krebsforschung und die strukturelle Wissenschaftsförderung (1950–1965) . . . 250

5.3. Einzelforschung in der Krebsforschung und das Schwerpunktprogramm Cancerologie, 1961–1969. Biografische und thematische Kontinuitäten und Diskontinuitäten . . . 262

[Bewilligte Krebsprojekte und bewilligte Sachbeihilfen 1949–1968] . . 264

[DFG-Schwerpunktprogramm „Krebsforschung“, innerhalb der chronologischen Folge alphabetische Nennung der Forschenden (1961–1968)] . . . 278

[DFG-Schwerpunktprogramm „Krebsforschung“, alphabetische Folge der Namen der Forschenden mit Anzahl der geförderten Projekte (1961–1968)] . . . 297

Zusammenfassung . . . 314

6. Schluss . . . 315

7. Quellen- und Literaturverzeichnis . . . 319

8. Anhang . . . 349

(8)

EINLEITUNG

Im September 1936 machte sich die amerikanische Pathologin Maud Slye, eine damals weltbekannte Koryphäe auf dem Gebiet der Erforschung und Züchtung von tumordisponierten Mäusen, auf den Weg zu einem Krebskongress nach Eu- ropa. Die Reise über den atlantischen Ozean weckte die Neugier einer Autorin, die Anfang des 21. Jahrhunderts an einem Buch über die Geschichte der Krebs- forschung arbeitete. Devra Davis, selbst Medizinerin und Krebsforscherin an der Universität von Pittsburgh und Mitglied der National Academy of Science, be- gann sich näher für diesen internationalen Forscherkongress in Brüssel zu inter- essieren. Die rund siebzig Jahre alten Tagungsbeiträge, die 1936 in sechs Sprachen publiziert worden waren, erstaunten die Wissenschaftlerin. Davis hatte erwartet, dass sie auf aus heutiger Perspektive grotesk anmutende Irrtümer und absurde Mutmaßungen stoßen würde. Zu ihrer Überraschung jedoch dokumentierte diese Veröffentlichung keine finstere Zeit der Krebsforschung, sondern zeugte von ei- nem Zeitabschnitt lebendiger und anregender Forschungsarbeit, der kometenhaft plötzlich aufgetaucht und ebenso schnell wieder verschwunden war.1

Nicht nur in den Vereinigten Staaten, aus denen im September 1936 außer Slye weitere 27 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen über den Atlantik nach Europa gereist waren2, ist wenig über diesen „Zweiten Internationalen Kongress für Krebsforschung und Krebsbekämpfung“ in Brüssel bekannt, den der große experimentelle Pathologe Isaac Berenblum noch im Rückblick von 1977 als den wichtigsten, jemals abgehaltenen Krebskongress bezeichnet hatte.3 Diese für die internationale Krebsforschung offenbar bedeutende Konferenz war auch von deutschen Wissenschaftlern gut besucht, denn insgesamt 65 Forscher, darunter fünf Frauen, waren unter der Leitung des Münchener Pathologen Max Borst als Delegation aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Brüssel gereist.

Dass die DFG für einige der Teilnehmer die Reise- und Unterkunftskosten über- nommen hatte, schlägt nicht nur den Bogen zur deutschen Wissenschaft in der NS-Zeit, die in dieser Arbeit einen großen Raum einnimmt, sondern auch zu den alltäglichen Aufgaben einer wissenschaftsfördernden Institution im 20. Jahrhun- dert. Die Geschichte der deutschen Krebs- oder Tumorforschung4 im 20. Jahrhun-

1 Davis, History, S. 23 (aus dem Amerikanischen übersetzt von der Verfasserin).

2 Darunter James Ewing, Clara Lynch, Albert Tannenbaum und Francis Carter Wood, vgl. die Liste der insgesamt 475 Teilnehmer, in Fraenkel (Hg.), Congrès, Bd. III, S. 7–31.

3 Berenblum, Cancer Research, S. 2.

4 Die Begriffe werden im Folgenden synonym verwandt, aber auch andere Bezeichnungen wie Geschwulstforschung oder Cancerologie benennen Forschungen auf demselben Gebiet der Suche nach Auslösungs- und Entstehungsbedingungen, der Erkennung und Definition des Typs, der Wachstums- und Therapiebedingungen der malignen (bösartigen) Neoplasie oder des Karzinoms. Anfang des 21. Jahrhunderts sind fast 200 verschiedene Krebserkrankungen

(9)

8 Einleitung

dert ist bislang in unterschiedlichen Themenzuschnitten erforscht worden. Aus der Perspektive der Förderung der Krebsforschung durch eine einzelne Institu- tion, in diesem Falle die „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“/„Deut- sche Forschungsgemeinschaft“, gibt es bislang jedoch keine historischen Untersu- chungen, obwohl sich einige wissenschaftliche Arbeiten auch auf Archivalien aus der Überlieferung der Notgemeinschaft/DFG stützen, die für den Bereich der Krebsforschung von Bedeutung sind.5

Die vorliegenden Arbeiten zur deutschen Wissenschaftsgeschichte der Krebs- und Tumorforschung stammen zum einen aus dem Umfeld der Geschichte der

„traditionellen“ Forschungsinstitutionen, die bereits in der ersten Hälfte des 20.

Jahrhunderts gegründet wurden6, oder sind auf die Einrichtung des „Deutschen Krebsforschungszentrums“ in Heidelberg in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun- derts orientiert.7 Nicht-institutionell ausgerichtete, fachlich-disziplinäre histori- sche Arbeiten zur Krebsforschung und zur Geschichte einzelner, für die Tumor- forschung wichtiger Wissenschaftszweige, zum Beispiel der Chemie und Biologie, der Serologie8 oder medizinischer Spezialdisziplinen wie der Pathologie oder zu Querschnittsbereichen wie der Virusforschung9 sind in der deutschen Medizin- und Wissenschaftsgeschichte seltener, als man aufgrund der heutigen Bedeutung des Themas „Krebs“ erwarten würde.10 Dagegen hat die deutsche Veröffentli- chung des Buches des US-amerikanischen Wissenschaftshistorikers Robert N.

Proctor The Nazi War on Cancer11 die Sichtweise der deutschen Krebsforschung und -bekämpfung während der NS-Zeit stark geprägt, wobei der Titel insgesamt

beschrieben. Vgl. Reitz, Chaos-Zellen, S. 7. Die Notwendigkeit des interdisziplinären wissen- schaftlichen Zugangs zum Krebsproblem erläutern verständlich Süss u. a., Krebs. Eine Über- sicht der historischen Entwicklung der Krebsforschung bei Wunderlich, Krebs.

5 Für die Krebsforschung: Steinwachs, Förderung. Zur NS-Medizin die Arbeiten von Klee, Auschwitz, und Klee, Medizin; für die Fächer Biologie, Chemie, und Biochemie vgl. die Arbeiten von Deichmann, Biologen; Deichmann, Flüchten; und Deichmann, Biochemie.

6 Eckart (Hg.), 100 Jahre; Hellmann-Mersch, Institutionen; Helvoort, Dispute; Hoeppner Sa- lazar, Krebsforschung; Neubert, Institut; Scheybal, Krebsforschung; vgl. auch die Literatur- angaben in den entsprechenden Kapiteln.

7 Wagner/Mauerberger, Krebsforschung; Mauerberger, Großforschung; sowie Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg/Ministry of Science, Israel (Hg.), Krebsforschung.

8 Schöche, Entwicklung, sei hier nur der Vollständigkeit halber aufgeführt, weil die Disserta- tion sich des im DFG-Tumorforschungsprogramm bedeutenden Feldes der serologischen Krebsdiagnostik widmet.

9 Vgl. jedoch die Untersuchungen von Helvoort, Viren; sowie von Creager/Gaudilliere, Plat- forms; und Lüdtke, Geschichte.

10 Eine umfassende, integrierte Darstellung von Forschungsentwicklung, Wissenschaftsförde- rung und Organisationen der Krebsbekämpfung hat der Krebsforscher Michael B. Shimkin vorgelegt. Shimkin, Cancer.

11 Proctor, War. Die deutsche Übersetzung erschien 2002 unter dem Titel „Blitzkrieg gegen den Krebs“. Der Originaltitel bezog sich auf das im US-amerikanischen Sprachgebrauch geläufige Bild des „War on Cancer“, der spätestens seit dem National Cancer Act von 1971 der Öffent- lichkeit vertraut war. Studer/Chubin, Cancer Mission, S. 75. In diesem „Krieg“ kam der ko- ordinierten Forschungsplanung große Bedeutung zu, deren Umfang mit dem „Manhattan- Projekt“ (Bau der Atombombe) und dem Apollo-Programm (Mondlandung) verglichen wurde. Vgl. Hohlfeld, Strategien, S. 192 f.

(10)

9

Einleitung

weniger auf die Forschung als auf die Krebsbekämpfung und ihre NS-spezifische Ausprägung eingeht. Der Eindruck der durchgängigen „Modernität“ der während der NS-Zeit eingeführten krebspräventiven Maßnahmen, besonders der Rauch- verbote oder der Lebensmittelüberwachung im Hinblick auf kanzerogene Zusatz- stoffe, ergibt sich in Proctors Darstellung, weil er einerseits die langjährigen deut- schen Präformierungen im Interventionsbereich des öffentlichen Gesundheitswe- sens ausblendete, andererseits aber auch die sich parallel in den Industriestaaten vollziehenden internationalen Entwicklungen nicht zur Kenntnis nahm. In die- sen dokumentierte sich die durchgreifende, veränderte Sichtweise auf Gesundheit und (chronische) Krankheit in den ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts.12 Das weltweite große Interesse an dem internationalen Krebskongress von 1936 unterstreicht dies nachdrücklich, denn auch statistisch betrachtet beginnt in die- sen Jahren der Krebstod die Todesursachen Tuberkulose und Infektionskrankhei- ten zu überrunden.

Dass die Bedeutung der wissenschaftlichen Erforschung der Krebskrankheit, die Suche nach Auslösemechanismen für eine Tumorerkrankung und die Frage nach der möglichen Prävention des Ausbruches einer bösartigen Geschwulster- krankung mit der verstärkten öffentlichen Wahrnehmung dieser Gesundheitsbe- drohung wächst, ist in vielen Ländern festzustellen, auch in Deutschland.13 In den ersten Jahren des NS-Regimes fiel die Lücke, die der von der rassistischen Politik ausgelöste Exodus deutscher Krebsforscher gerissen hatte, besonders auf, weil die Nachfrage nach Forschungsergebnissen auf diagnostischem Gebiet im- mer dringlicher formuliert wurde. Die Mitte der 1930er Jahre erfolgte Einrichtung eines Tumorforschungsprogramms, das durch die DFG finanziert wurde, bot da- her ein gutes Argument, gerade das Thema der „Krebsforschung im Förderungs- horizont der Notgemeinschaft/DFG“ zu untersuchen. Zur Geschichte dieser wichtigen öffentlichen, nichtstaatlichen Einrichtung der Forschungsförderung existieren einige weithin bekannte Darstellungen, die das Bild von der Notge- meinschaft/DFG eindringlich prägten. Die materialreiche Publikation von Kurt Zierold über Forschungsförderung in drei Epochen, der als wesentlicher Mitgestalter dieser Förderung bis in die 1960er Jahre hinein die Sichtweise der folgenden Ar- beiten ausgerichtet hat, stellt auch heute noch ein unverzichtbares Kompendium bei der Bearbeitung von Fragestellungen aus der Geschichte der Notgemein- schaft/DFG der fünf Dezennien seit 1920 dar.14 Die schmale Arbeit von Thomas Nipperdey und Ludwig Schmugge15 sowie die Publikation von Notker Hammer- stein16 basieren auf Zierolds Ausführungen und übernehmen weitestgehend seine

12 Zum demografischen Rahmen vgl. u. a. Bourdelais, Epidemics; und Riley, Life Expectancy.

13 Ende der 1920er Jahre verdoppelte sich beispielsweise der Umfang der 1903 gegründeten Zeitschrift für Krebsforschung, des wichtigsten deutschen Publikationsorgans, und im Januar 1933 wurde die Monatsschrift für Krebsbekämpfung gegründet. Gleichzeitig formierten sich in- ternational die Krebsforscher und Krebsbekämpfer zur „Union International Contre le Can- cer“, die ab 1936 ein eigenes internationales Journal herausgab.

14 Zierold, Forschungsförderung.

15 Nipperdey/Schmugge, Forschungsförderung.

16 Hammerstein, Forschungsgemeinschaft.

(11)

10 Einleitung

Bewertungen der historischen Entwicklung der deutschen Forschungsförderung.17 Für die Jahre der Weimarer Republik kann jetzt auf die lang erwartete Disserta- tion von Jochen Kirchhoff18 zugegriffen werden, und schließlich wird mit der Monografie von Sören Flachowsky ein neuer Maßstab gesetzt, der dem Anspruch an eine kritische und verlässliche Institutionengeschichte der Notgemeinschaft/

DFG und des – bisher von der Darstellung ausgesparten – Reichsforschungsrates gerecht wird.19 Was alle aufgeführten Werke jedoch teilen, ist der Umstand, dass sie sich kaum mit den verschiedenen Formen der finanziellen und materiellen Unterstützung wissenschaftlicher Arbeiten im Medizinbereich befassen.

Die Aufgabe, die Grundlinien der Forschungsförderung durch die Notge- meinschaft/DFG auf dem Gebiet der Krebsforschung zwischen 1920 und 1970 zu erarbeiten und darzustellen, wird daher durch die eigentümliche Lage zwischen dem zahlenmäßig relativ geringem Bestand an Sekundärliteratur mit stark vorge- prägten Sichtweisen in den beiden Feldern „nationalsozialistische Krebsfor- schung“ einerseits und der DFG-Geschichte andererseits kompliziert. Verbunden mit dieser Betrachtungsweise ist die sich zwar langsam wandelnde, aber immer noch weitverbreitete Vorstellung von einer den NS-Staat beherrschenden ausge- prägten Wissenschaftsfeindlichkeit. Mittlerweile liegt eine Reihe von Studien vor, darunter grundlegende Arbeiten aus der Forschergruppe zur „Geschichte der Kai- ser Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“20, die die Unhaltbarkeit dieser Auffassung aufzeigen. Es stellte sich im Laufe der historischen Forschungen zu verschiedenen naturwissenschaftlich-medizinischen Forschungssektoren heraus, dass „die Verbindungen zwischen NS-Ideologie und zeitgenössischer ‚seriöser‘

Wissenschaft enger waren, als es das tradierte Klischee vom wahnhaften national- sozialistischen Weltanschauungssyndrom aus Judenhass, dumpfem Germanen- kult und rückwärtsgewandtem Blut- und Bodenkult suggerierte“21, wie Lutz Ra- phael formulierte.

Auf dem Gebiet der Medizin wurde die Erforschung der NS-Zeit weitgehend dominiert durch die Erforschung der verbrecherischen humanexperimentellen medizinischen Forschungen; einige der bereits durch die Dokumentation der

17 Eine Ausnahme stellt der Aufsatz von Achim Thom über Wissenschaftslenkung im National- sozialismus dar, der besonders die Ergebnisse der Dissertation von Steinwachs zusammen- fasst. Vgl. Thom, Wissenschaftslenkung.

18 Kirchhoff, Notgemeinschaft.

19 Flachowsky, Notgemeinschaft.

20 Vgl. besonders zur Frage der Forschungslenkung im NS-Staat die Publikationen Maier, Rüs- tungsforschung; und Maier, Gemeinschaftsforschung; sowie Hachtmann, Erfolgsgeschichte;

und Hachtmann, Wissenschaftsmanagement.

21 Raphael, Ordnungsdenken, S. 7. Rüdiger vom Bruch bezeichnete in einem Interview zum Thema DFG im Nationalsozialismus die Behauptung der Wissenschaftsfeindlichkeit des Re- gimes als „Lebenslüge der deutschen Wissenschaft“, die oftmals von Zeitgenossen in die Welt gesetzt wurde. Müllges, Geister. In der Medizin wurde in den ersten Nachkriegsjahren Wis- senschaft und Humanität verklammert, wenn zum Beispiel ein Autor konstatierte, „daß die in Nürnberg verurteilten Ärzte den Weg der echten Wissenschaft – und sie allein bürgt für wahres Arzttum und reine Menschlichkeit – verließen und kriminell wurden“. Beck, Wissen- schaft, S. 202, Hervorhebung im Original.

(12)

11

Einleitung

Nürnberger Ärzteprozesse bekannt gewordenen Exzesse wurden durch öffentli- che Gelder von DFG und Reichsforschungsrat unterstützt.22 Dagegen ist die me- dizinische, nicht auf die Stützung von Kriegs- und Rüstungsforschung gerichtete, zivile Normalforschung bislang kaum in das Blickfeld wissenschaftlicher histori- scher Analyse gerückt.23 Am Beispiel der Krebsforschung, die zwar nur einen kleinen Themenausschnitt aus dem Gesamtgebiet der medizinischen Forschung darstellt, aber von einer starken wissenschaftlichen Dynamik und interdisziplinä- ren Arbeitsansätzen geprägt ist, lassen sich Strategien der Forschungsförderung durch die Notgemeinschaft/DFG rekonstruieren. Die umfassende zeitliche Ein- bindung über die Epochenmarken von 1933 und 1945 hinweg verhilft zu Einbli- cken in die „Wissenschaftslenkung“ des NS-Staates, ihre Vorgeschichte und ihre Nachwirkungen, ohne dabei die Forscher und Forscherinnen als bloße passive Objekte zu betrachten.

Die Kapiteleinteilung folgt einer forschungspolitisch bestimmten Struktur, die sich an den Repräsentanten der Notgemeinschaft/DFG-Forschungsförderung orientiert, die für die Krebsforschung sehr unterschiedliche Wirkungen entfalte- ten. Das erste Kapitel beschreibt die Jahre der Weimarer Republik, gegen deren Ende die Forschungsförderung auf dem Krebsgebiet anzusteigen begann, bevor infolge der Weltwirtschaftskrise die Gelder für die Forschungsförderung drastisch abgesenkt wurden. Die erste Phase unter nationalsozialistischer Herrschaft wurde von DFG-Präsident Johannes Stark geprägt, der sich jedoch für das Gebiet medi- zinischer Forschungsförderung wenig interessierte (Kapitel 2). Bereits mit der kommissarischen Amtsübernahme durch Rudolf Mentzel im Dezember 1936 hingegen setzte ein Aufschwung für die Tumorforschung ein, denn einerseits sorgte Mentzel für die Bewilligung großer Geldmittel, anderseits wurde mit der kontinuierlichen Zuständigkeit eines fachlich qualifizierten Referenten auch eine inhaltliche Kompetenz auf medizinischem Forschungsgebiet festgelegt, die den Anschub von Forschungsarbeiten ermöglichte (Kapitel 3). Die Krebsforschung in NS-Deutschland lief bis zur Gründung des zweiten Reichsforschungsrates (RFR) bzw. der Umorganisation des ersten Reichsforschungsrates 1942 in relativ ruhi- gen Bahnen, als mit dem Übergang in die Phase des „totalen Krieges“ 1942/43–

1945 zunehmende Probleme der Materialversorgung sowie Einberufungen zum Kriegsdienst die wissenschaftlichen Forschungsarbeiten behinderten (Kapitel 4).

Kapitel 5 schließlich ist einem kursorischen Überblick über die Forschungsförde- rung der DFG in der Bundesrepublik gewidmet, in der traditionelle Methoden der Forschungsförderung durch die Entwicklung neuer Lenkungselemente er- gänzt wurden.

22 Vgl. hierzu die grundlegenden Arbeiten von Ernst Klee, beginnend mit Klee, Euthanasie;

sowie Müller-Hill, Wissenschaft. Die umfangreichen Prozessdokumente sind faksimiliert leicht zugänglich in Dörner u. a. (Hg.), Ärzteprozess.

23 Zur ärztlichen Tätigkeit der NS-Zeit im Gesamten vgl. Kudlien, Fürsorge; den medizinischen Alltag im Krieg behandelt Süss, Volkskörper.

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1. VOR DER „VOLKSKRANKHEIT“ –

FORSCHUNGSFÖRDERUNG UND MEDIZINISCHE WISSENSCHAFT IN DER WEIMARER REPUBLIK

1.1. DIE WAHRNEHMUNG DES KREBSPROBLEMS.

ÄRZTE, ÖFFENTLICHES GESUNDHEITSWESEN

UND MEDIZINISCHE WISSENSCHAFT IN DEN 1920ER JAHREN Die Jahre der Weimarer Republik waren in politischer, gesellschaftlicher und kul- tureller Hinsicht von starken Spannungen gekennzeichnet1, die sich auch auf das Gebiet der medizinischen Forschung erstreckten. Sie resultierten nicht nur aus den (partei-)politischen Selbstverortungen, die innerhalb der Medizinerschaft nach dem Ende des Ersten Weltkrieges spürbar zunahmen, nachdem sich die berufliche Situation in Arztpraxen, Kliniken und Hochschulen verändert hatte2, sondern auch aus wissenschaftsinternen Entwicklungen. Was unter dem Schlag- wort einer „Krise der Medizin“ seit Mitte der 1920er Jahre breit diskutiert wurde3, stellte einerseits einen Reflex auf die zunehmende Bedeutung der beruflichen Tätigkeit des Mediziners als „Kassenarzt“ dar, der in den Jahren der Weimarer Republik zusätzlich unter der Sozial- und Gesundheitspolitik zu leiden hatte, solange in Ländern und auf Reichsebene in den entsprechenden Fachressorts so- zialdemokratisch orientierte Politiker die Gestaltungsrichtung beeinflussten. Die spezifische professionspolitische Grundierung des Ärztestandes wirkte sich an den Hochschulen zwar weniger aus, wurde aber dann wieder virulent, wenn die Vertreter der medizinischen Wissenschaft zur Zusammenarbeit in der sozialen Bekämpfung von Krankheiten motiviert werden sollten. Die Haltung der Ärzte- schaft wie der Universitätsmediziner zu Sozialhygiene und Gesundheitsfürsorge war in weiten Teilen wenn nicht eine ablehnende, so zumindest doch eine skep-

1 Vgl. besonders Peukert, Republik; und Longerich (Hg.), Republik.

2 Die Beiträge in Berg/Cooks (eds.), Medicine; besonders Labisch, Individualism; sowie in Ärztekammer Berlin (Hg.), Wert; besonders Hubenstorf, Landärzte und Schmiedebach, Standesideologie.

Der berühmte Münchener Pathologe und Krebsforscher Max Borst war zwar nicht parteipo- litisch aktiv, aber er war Mitglied des Freikorps Epp, das er politisch neutralisierte und als

„Akademikergruppe der Münchener Universität“ bezeichnete. Military Government of Ger- many, Fragebogen Max Borst, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, PA Max Borst, MK 43446. Zur kritischen historischen Einordnung vgl. jetzt Sauer, Freikorps.

3 Schlossmann, Krise, S. 55 f.; Klasen, Diskussion; sowie Hamel u. a., Enseignement. Die Au- toren konstatieren eine internationale, vierfache Krise: a) Crise scientifique, b) Crise profes- sionelle, c) Crise économique, d) Crise de confiance dans les relations entre le malade, le public et le médecin.

(14)

13

1.1. Die Wahrnehmung des Krebsproblems

tische, und generell wurde auf strikte Wahrung der ärztlichen Autorität gegenüber den Gesundheits- und Sozialpolitikern geachtet.

Auch die Einrichtung von Krebsfürsorgestellen, die Ende der 1920er Jahre als spezialistische Gesundheitsfürsorge von Kommunalärzten, Trägern des kommu- nalen Sozialwesens und Versicherungsverbänden mit der Begründung gefordert wurde, dass die Schwere und der ungünstige Ausgang der Krebserkrankung spezi- fische Probleme in der Behandlung und der Pflege mit sich bringe, wurde in die- ser Zeit aus professionspolitischen Gründen noch meistenteils abgelehnt.4 Zu- sätzlich belastete die ausschließlich individuelle Fokussierung auf den einzelnen Erkrankten die Entwicklung der Krebsstatistik, da die notwendige Zusammenar- beit zwischen praktischen Ärzten, kommunalen Fürsorgestellen, staatlichen Ein- richtungen und Forschern in Form einer Meldung der Erkrankungsziffern nicht zustande kam.5 Die negative Aufnahme der seit den 1920er Jahren eingeführten Meldepflicht, die aus sozialhygienischen Gründen für einige übertragbare Erkran- kungen, aber auch für Berufskrankheiten eingeführt worden war, setzte sich auf dem Gebiet der freiwilligen Meldung von Krebserkrankungen fort, so dass ein Kommentator etwas später gar von einem diesbezüglichen „Boykott“ der Ärzte sprach.6 Zwar beeinträchtigte der zähe Informationsfluss die fundierte epidemio- logische Aufarbeitung der Erkrankungsverhältnisse, aber unter dem Eindruck ei- ner allgemein steigenden Krebsmortalität beteiligte sich seit den 1920er Jahren immerhin das Reichsgesundheitsamt (RGA) auf staatlicher Ebene am Austausch der Daten mit dem Internationalen Gesundheitsamt und übernahm dessen Stan- dardisierung der Morbiditätsverzeichnisse für das Deutsche Reich.7

Von „Volkskrankheit Krebs“ wurde im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts kaum gesprochen, zumal Krebs in sozialmedizinischer Hinsicht für weniger rele- vant als Diabetes oder Tuberkulose betrachtet wurde. Diese Sichtweise erklärte sich aus der Berechnung der für die Allgemeinheit anfallenden Kosten, die aus dem Nichterbringen von Arbeitsleistung infolge der Erkrankung entstanden. An- ders als beispielsweise bei der Tuberkulose, die öfters auch jüngere Menschen

4 Preußisches Ministerium für Volkswohlfahrt (Hg.), Organisation. Geheimrat Pütter und Prof.

Dr. Blumenthal berichteten über die Berliner Verhältnisse; in der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass es wie bei den Geschlechtskrankheiten „ganz außerordentlich schwierig“

sei, von den Ärzten Erkrankungsmeldungen zu erhalten. Ebd., Aussprache (Klose), S. 29.

5 Andererseits lagen von privaten Lebensversicherungsgesellschaften zusammengetragene sta- tistische Daten bereits in großem Maßstab vor, vgl. Hoffman, Mortality; sowie Koller, Krebs- tod.

6 Simon, Mobilmachung, S. 401. Es wurden berufsethische Gründe gegen die Meldung ange- führt, aber auch materielle Gründe spielten eine Rolle, denn die praktischen Ärzte verloren dann zum Beispiel ihre Tuberkulosepatienten an die fachlich spezialisierte, kostenfreie Für- sorgestelle.

7 Vgl. hierzu Pohlen, Jahre. Die „Internationale Einteilung der Krankheiten und Todesursa- chen nach der Revision vom Jahre 1929“ ist abgedruckt in Pohlen (Bearb.), Auskunftsbuch, S. 321–331. Die Gruppe II wurde in vier Untergruppen gegliedert, wobei erstmals die Nr.

45–55 „Krebs und andere Neubildungen“ (S. 323) differenziert aufgelistet wurden. Emil Ro- esle, medizinalstatistischer Mitarbeiter des RGA, vertrat 1929 das Deutsche Reich auf der internationalen Länderkonferenz in Paris.

(15)

14 1. Vor der „Volkskrankheit“

befiel, die erst wenige Arbeitsjahre hinter sich gebracht hatten, lagen über fünfzig Prozent der Sterbefälle an Krebs in den Altersklassen über sechzig Jahren.8 Der Berliner Stadtoberschularzt Wolff, der derartige menschenökonomische Berech- nungen über Jahre hinweg publizierte, befand jedoch trotz der sozialmedizinisch geringen Relevanz die Krebsforschung für förderungswürdig, da jedem individu- ellen Leben ein Gewicht zukäme, das „sehr viel schwerer wiegt als in der Durch- schnittsberechnung des Statistikers“.9

Parallel zu der Suche nach wissenschaftlichen Erklärungsmustern der Krebs- entstehung und der Natur der Krebserkrankung wurden Forschungen auf dem Gebiet der Therapie betrieben, deren Generalziel darin bestand, „Heilmethoden zu finden, welche die Geschwulstzelle auf chemischem oder biologischem Wege abtöten, ohne das Leben des Tumorkranken zu gefährden“.10 Die therapeutischen Vorschläge für Krebserkrankungen legten zu dieser Zeit oft Zeugnis von der Fata- lität der gestellten Diagnose ab, galt doch die Therapie in der ersten Hälfte des 20.

Jahrhunderts als „Achillesferse der ganzen Krebsfrage“.11 Da die Heilmittelkont- rolle zu den offiziellen Aufgaben des RGA als der obersten Medizinalbehörde des Deutschen Reiches gehörte und die Nachprüfung der „endlose[n] Zahl neuer Krebsheilverfahren und -mittel“ selbst dann erfolgen sollte, „sofern sie einen Hauch Wahrscheinlichkeit einer Heilungsaussicht“ beanspruchen konnten12, fin- den sich in der Aktenüberlieferung des RGA zwischen wissenschaftlich fundier- ten Beiträgen auch zahlreiche Anpreisungsschreiben sehr fragwürdigen Inhalts.13 Unter diese Nachprüfungstätigkeit fielen nicht nur Therapeutika, sondern auch die ebenso zahlreichen Verfahren zur diagnostischen Sicherung einer Krebser- krankung, denen unter dem Gesichtspunkt der Frühdiagnose der Erkrankung, der einzigen Maßnahme, die die Heilungschancen real erhöhen konnte, eine beson- dere Bedeutung zugemessen wurde. Das RGA führte diese Arbeiten stets „in engster Fühlung“14 mit dem „Reichsausschuss für Krebsbekämpfung“ durch, so dass die spätere Zusammenarbeit zwischen der obersten Gesundheitsbehörde und dem Reichsausschuss bei der Konzeption des Tumorforschungsprogramms auf einem bewährten Verfahren basierte, das in den 1930er Jahren auf die Akteure DFG und Reichserziehungsministerium ausgedehnt wurde.

Auf eine weitere allgemeine Krisenerscheinung, die in der medizinischen Wissenschaft vieler Länder anzutreffen sei, wies der Präsident des RGA Carl Ha-

8 Wolff, Krebs, Sp. 286.

9 Wolff, Krebs, Sp. 296. Die nazistische Menschenökonomie sah diesen positiven Wert des individuellen Lebens nicht mehr. Zu lang wirkenden Tendenzen der „Verwissenschaftlichung ethischer Positionen“ vgl. Weingart u. a., Rasse, besonders Kapitel IV: Die Etablierung der Rassenhygiene in Wissenschaft, Sozial- und Gesundheitspolitik bis 1933, S. 188–366.

10 Schreiber, Reich, S. 219.

11 Strauss, Krebs, S. 1802.

12 Wiedel, Aufgaben, S. 31.

13 Unter anderem wurde Heilung der Krebserkrankung durch Gabe hoher Dosen von weißem Phosphor oder Kobragift versprochen, aber auch der Trank von „alaunfreiem Wasser“ oder Krähenfleischbrühe sollte die Gesundung einleiten, vgl. die Beispiele aus BArch, R 86, Nr.

2764, unp.

14 Wiedel, Aufgaben, S. 30.

(16)

15

1.1. Die Wahrnehmung des Krebsproblems

mel in einem Beitrag über die Situation des deutschen Ärztestandes 1931 hin.

Sein von der Hygieneorganisation des Völkerbundes publizierter Beitrag machte auf ein staatenübergreifendes Phänomen im medizinisch-ärztlichen Berufsfeld aufmerksam, indem Hamel den Blick von den ärztlichen Praktikern auf die Krise der medizinischen Wissenschaft erweiterte. Die zunehmende Entfernung der klini- schen Medizin von der „Heilkunde“ wurde als Folge einer weitgehenden Einbe- ziehung naturwissenschaftlicher Methodik in die medizinische Forschung, Diag- nostik und Therapie interpretiert. „Die neuen, aus den Naturwissenschaften über- nommenen Methoden wurden in die traditionelle klinische Medizin eingebracht, und verbesserten deren diagnostische und therapeutische Leistungs fähigkeit.“15 Die Kombination aus Spezialisierung und Rationalisierung wiederum führe dazu, dass zwar die einzelnen Krankheiten und die erkrankten Organe analysiert wür- den, der kranke Mensch im Gesamten jedoch aus dem Blickfeld entschwinde.

Diese Tatsache sei verantwortlich für eine zunehmende Skepsis der Bevölkerung gegenüber der sogenannten Schulmedizin und die parallel hierzu steigende Kon- junktur von Homöopathie und Naturheilkunde.

Das Nebeneinander von naturheilkundlichen und schulmedizinischen An- sätzen findet sich am deutlichsten in den therapeutischen Bereichen16, während in den Forschungsinstituten der Hochschulen und der außeruniversitären Ein- richtungen wie den Kaiser-Wilhelm-Instituten die naturwissenschaftlich geprägte medizinische Forschung verankert war. In der Forschungsförderung der Notge- meinschaft/DFG ist für die zweite Hälfte der 1920er Jahre eine Verstärkung der Tendenz besonders der naturwissenschaftlichen Fundierung („Chemisierung“) der medizinischen Forschung festzustellen, was sich nicht zuletzt in der Erweite- rung des Fachgutachtergremiums für Chemie in den 1920er Jahren widerspiegel- te.17 Im Bereich der Krebsforschung lässt sich diese Entwicklung in der zuneh- menden Förderung der experimentell-theoretisch ausgerichteten Krebsforschung erkennen, die in hohem Maße biochemische und – im Bereich der Strahlenfor- schung – biophysikalische Methoden integrierte.18 Die Tatsache, dass es nur we- nige, explizit der Krebsforschung zuzuordnende Projekte waren, ist möglicher- weise aber auch als Phänomen des Übergangs zu modernen Formen der For- schungsdesigns in den theoretischen medizinischen Wissenschaften zu interpre- tieren, die verschiedene Denkschriften als wünschenswert bezeichneten.19 Der

15 Hamel u. a., Enseignement, o. S. (aus dem Französischen übersetzt von der Verfasserin).

16 Bei Klasen sind jedoch folgende naturheilkundliche oder homöopathische Gründungen an Hochschulen während der Weimarer Republik aufgeführt: 1920 Eröffnung der Berliner Uni- versitätsklinik für Physiotherapie, 1924 Universitätsklinik für Naturheilverfahren in Jena so- wie 1931 Einrichtung einer homöopathischen Poliklinik an der Berliner Universität. Klasen, Krise, S. 44 f.

17 Alfred Stock war zunächst alleiniger Fachgutachter (Anorganische Chemie), im Berichtsjahr 1923/24 kamen dazu Richard Willstädter (Organische Chemie), Förster (Analytische und technische Chemie), Bodenstein (Physikalische Chemie) und Carl Neuberg (Biochemie und Kolloidchemie). 1927/28 wird Adolf Windaus als weiterer Gutachter für Anträge der Organi- schen Chemie gewonnen.

18 Vgl. Dommann, Durchsicht; und Schwerin, Experimentalisierung.

19 Vgl. hierzu die „Denkschriften, über Gemeinschaftsarbeiten“, publiziert als Heft 2 der Reihe

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16 1. Vor der „Volkskrankheit“

Begriff der „Gemeinschaftsarbeiten“20, der schon bald nach seiner Erstverwen- dung durch die Notgemeinschaft Mitte der 1920er Jahre Eingang in Antragsfor- mulierungen fand, ist ebenfalls im Umfeld der Modernisierung der Forschertätig- keit zu verorten. Gegenwärtig sei die Forschungsgemeinschaft dabei, neben ihrer allgemeinen Wirksamkeit „besondere Forschungsaufgaben im Bereiche der nati- onalen Wirtschaft, des Volkswohls und der Volksgesundheit durchzuführen“, in- dem man planmäßige und wirkungsvolle Zusammenarbeit bedeutender Forscher ermögliche21, so Prälat Prof. Dr. Georg Schreiber, der Vertraute Friedrich Schmidt- Otts in Fragen der Wissenschaftspolitik, über die sich vollziehende Entwicklung.

Diesen Wandel reflektierte Schreiber als einen nicht nur organisatorischer Art, sondern als auf die „Zukunftsaufgaben der Notgemeinschaft“22 gerichtet. Die Medizin, so seine Feststellung, die bisher die Bekämpfung der Krankheiten außer mit bewährten Erfahrungsmethoden hauptsächlich mit „chemischen Gegenmit- teln sowie physikalischen, bakteriologischen und serologischen Verfahren ver- sucht“ habe, komme nach maßgeblicher Meinung immer mehr dazu, „den Che- mismus des Lebens, den Abbau von Stoffen im Blut, die natürlichen Veränderun- gen und das Gleichgewicht der Lebensbedingungen in den Kreis ihrer Betrach- tungen zu ziehen“.23 Die Erkenntnis dieser grundlegenden Mechanismen des Lebens könne jedoch nur in der interdisiplinären Zusammenarbeit von Medizi- nern, Chemikern, Physikern und anderen „Spezialwissenschaftler[n]“ erzielt wer- den: „Die Drüsenforschung oder auch die Erkenntnis der Grundlagen für Tuber- kulose- und Krebsforschung können nach Aussage ihrer führenden Kräfte nur in solcher Vertiefung zum Ziele führen“.24

Die deutsche Medizin war seit Ende des 19. Jahrhunderts besonders stark von physiologischen und bakteriologischen Traditionen geprägt worden25, wobei Letztere das therapeutisch optimistische Modell der therapierbaren Infektions- krankheiten mit sich gebracht hatte, die zum Teil sogar über die Option einer prophylaktischen Bekämpfung verfügten.26 Serologische Diagnostik und Thera- pie, die sich aus der Abhängigkeit der Infektionskrankheiten in den eigenständi- gen Forschungszweig der Immunologie entwickelten, wurden als modellhaft in den Bereich der Krebskrankheiten und der theoretisch-experimentellen Tumor- forschung transferiert. Doch auch handfeste ökonomische Interessen bei der Ent- wicklung von Chemotherapeutika, die für die pharmazeutische Industrie einen lukrativen Markt darstellten, beeinflussten das Wachstum bestimmter Forschungs- gebiete und ihre Ausrichtung in den hochindustrialisierten Gesellschaften.27 Zell-

„Deutsche Forschung. Aus der Arbeit der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (Deutsche Forschungsgemeinschaft)“, Berlin 1928.

20 Vgl. hierzu Flachowsky/Nötzold, Notgemeinschaft.

21 Schreiber, Reich, S. 216 f.

22 Schreiber, Medizin, S. 101.

23 Ebd., S. 102.

24 Ebd.

25 Hagner, Medicine; sowie Sarasin/Tanner (Hg.), Physiologie.

26 Winau, Serumtherapie.

27 Vgl. Wimmer, Neues; und Goodman, Industry.

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17

1.1. Die Wahrnehmung des Krebsproblems

züchtung, Gewebekulturen und die gesamte Experimentalmedizin sind in ho- hem Maße von Apparaten und Reagenzien abhängig, sodass in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre aufgrund der Durchsetzung der Labor- und Experimentalkultur auch für die medizinische Forschungspraxis die Bedeutung des Apparateausschus- ses der Notgemeinschaft/DFG anwuchs.

Krebsforschung wurde in vier traditionsreichen Instituten in Berlin, Heidel- berg, Frankfurt am Main und Hamburg betrieben, die alle im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gegründet worden waren; in den Jahren der Weimarer Repu- blik waren sie den Hochschulen ihres jeweiligen Standortes assoziiert.28 Die fi- nanzielle Situation selbst der renommierten Traditionsinstitute war oft nicht ge- sichert29, sodass die durch wohltätige Stiftungen30 und Vereine auf Landes- oder Reichsebene aufgebrachten Gelder oft dringend für die Realisierung der Krebsfor- schungsarbeiten benötigt wurden.31

Der älteste und bedeutendste Verein dieser Art war das Deutsche Zentralko- mitee zur Erforschung und Bekämpfung der Krebskrankheit (DZK) (1900–1933), dessen jeweiliger Vorstand bzw. Geschäftsführer die international renommierte Zeitschrift für Krebsforschung herausgab und redigierte.32 Auf Anregung des DZK wurde im Februar 1931 dann ein neuer Verband gegründet, der Reichsausschuss für Krebsbekämpfung (RAK), dessen Vorsitz Bruno Dammann innehatte, der die Medizinalabteilung im Reichsministerium des Innern (RMdI) leitete, eine Funk- tion, die etwa einer Staatssekretärsposition entsprach. Nach Damanns frühem Tod 1933 übernahm der Münchener Pathologe und bekannte Krebsforscher Prof.

Dr. Max Borst den Vorsitz des RAK, dessen Vorstand neben Borst die Professoren Wolfgang Heubner (Pharmakologie, Berlin) und Fritz König (Chirurgie, Würz- burg) komplettierten; Hans Auler, Stellvertreter des 1933 entlassenen Berliner Institutsdirektors Ferdinand Blumenthal, übernahm die Geschäftsführung des RAK.

28 Als Übersicht Wagner/Mauerberger, Krebsforschung, S. 18–45. Die Autoren führen auch das

„Zentrale Krebsforschungsinstitut e.V. in Posen“ auf (S. 44 f.), dessen Bau und Betrieb 1943–

1945 aus Mitteln der DFG und des RFR finanziert wurden.

29 Das Berliner Institut unter Ferdinand Blumenthal verfügte kaum über feste Personalstellen und finanzierte sich zum großen Teil aus Spendengeldern. Zur Geschichte dieser Einrichtung vgl. den Bericht von Blumenthal, Entstehung; über den Forschungs- und Ausstattungsstand Ende der 1920er Jahre siehe auch Erdmann, Abteilung; und Hirschfeld, Bericht; sowie Ho- eppner Salazar, Krebsforschung.

30 Das 1930 im Bau befindliche Kaiser Wilhelm-Institut für Zellphysiologie zum Beispiel wurde aus der Hildegard Gradenwitz-Stiftung finanziert, die der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft zwei Millionen Mark mit der Auflage vermacht hatte, die Gelder ausschließlich zur Sicherstellung von Otto Warburgs Krebsforschungsarbeiten zu verwenden, vgl. Kreutzmüller, Umgang, S.

45 f.

31 Das Preußische Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“ (RKI) erhielt in den 1920er Jahren einen – jährlich erneut zu beantragenden – Betrag zwischen 1 000 und 6 000 RM vom Preußischen Ministerium für Volkswohlfahrt, der durch die Polizeihauptkasse ausgezahlt wurde. Vgl. den diesbezüglichen Schriftwechsel 1925–1933 zwischen Ministerium und dem Präsidenten des RKI, Fred Neufeld, BArch, R 86, Nr. 2762.

32 Vgl. Kaiser, Geschichte. Zum 1931 als Nachfolgeorganisation gegründeten Reichsausschuss für Krebsbekämpfung siehe Thom, Reichsausschuss.

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18 1. Vor der „Volkskrankheit“

Aus der als krisenhaft empfundenen, stetig zunehmenden Ausdifferenzie- rung der Medizin in Spezialfächer ergab sich für die Krebsforschung und Krebs- bekämpfung ein relevanter Gegensatz, der im Vorfeld der Gründung des RAK33 eskalierte. Die neu entstandene Disziplin der Röntgenologie und Strahlenheil- kunde34 trat in Konkurrenz zur bislang einzigen therapeutischen Behandlungs- methode des Krebses, der chirurgischen Intervention durch Operation. Auf dem 55. Chirurgenkongress 1931 wurde ein geharnischter Protest der Deutschen Ge- sellschaft für Chirurgie gegen die angebliche Verdrängung der Chirurgie aus der Therapie durch die Strahlenheilkunde beschlossen35, der durch einen von Her- mann Küttner, Ferdinand Sauerbruch und Viktor Schmieden verfassten und in der Medizinischen Welt publizierten Artikel ergänzt wurde. Der Beitrag zeugt von der Schärfe der innerprofessionellen Spannungen, die sich hier am Beispiel der Krebsforschung und -bekämpfung als Interessengegensatz manifestierten, und besonders hart wurde die Verbindung eines der beiden RAK-Vorstandsmitglieder mit einer großen Krankenkasse kritisiert, die eigene Strahlendiagnostik- und Strahlenbehandlungsinstitute aufgebaut hatte.36 Da der RAK nicht nur seine ei- genen, eher bescheidenen Mittel in Krebsforschungsprojekte investierte37, son- dern als fachlich qualifizierter Ansprechpartner der obersten Reichsbehörden, des Reichsgesundheitsamtes und der Gesetzgebungsorgane über Zugang zu weiteren materiellen Ressourcen verfügte, konnte er, so die Befürchtung der Chirurgen, diese vermeintliche Vorrangstellung im Kampf um Fördermittel in der Krebsfor- schung zugunsten der Strahlenheilkunde einsetzen.

Die satzungsgemäßen Aufgaben des RAK, der einer der wichtigsten Koopera- tionspartner der DFG in Fragen der Krebsforschung und der Konzeption des Tumorforschungsprogramms werden sollte38, bestanden in

a) der Förderung, der Zusammenfassung und des Erfahrungsaustausches zwi- schen den vorhandenen Organisationen und Einrichtungen zur Bekämpfung der Krebskrankheiten,

33 Als zeitgenössische Selbstdarstellung Borst, Reichsausschuss; siehe auch Thom, Reichsaus- schuss; sowie zur Vorgeschichte des RAK Kaiser, Geschichte.

34 Eulner, Entwicklung (Röntgenologie, S. 421–427); Scheer, Strahlenkunde.

35 Küttner u. a., Chirurgie.

36 Chefarzt Dr. med. Werner Teschendorf, Köln, leitete das dortige Strahleninstitut der AOK.

Ihm warfen die deutschen Chirurgen die versuchte Monopolisierung der Krebsbehandlung durch die Strahlenheilkunde vor (Küttner u. a., Chirurgie, S. 982). Der zweite Radiologe im RAK-Vorstand war Hans Holfelder aus Frankfurt a. M., der 1933 in die NSDAP und 1934 in die SS eintreten sollte. Zu seiner NS-Karriere vgl. Hammerstein, Universität, Bd. 1, S. 463–

469; sowie Klee, Personenlexikon, S. 267.

37 Eine Ausnahme stellte das langfristig geförderte und in Kooperation zwischen RAK, RGA und RAM sowie der Notgemeinschaft/DFG durchgeführte Projekt der Erforschung des sog.

Schneeberger Lungenkrebses dar. Es war Mitte der 1920er Jahre im Zusammenhang mit der neuen Regelung zur Entschädigung von Berufskrankheiten entstanden und wurde bis in den Zweiten Weltkrieg hinein bearbeitet, vgl. Schreiber, Medizin, S. 64 f.; sowie Elsner/Karbe, Jáchymov.

38 Siehe dazu unten, besonders Kapitel 2.2.

(20)

19

1.1. Die Wahrnehmung des Krebsproblems

b) der Anregung örtlicher und überörtlicher Maßnahmen, die der planmäßigen Krebsbekämpfung dienten, und

c) der Förderung des Ausbaues von Forschungsinstitutionen und Zentralstellen mit allen für wissenschaftliche und therapeutische Zwecke erforderlichen Ein- richtungen.39

Im Hinblick auf die Vermittlung des Erfahrungsaustausches ebenso wie in der Förderung der wissenschaftlichen Forschung hatte der RAK einen auf die Krebs- erkrankung spezialisierten Aufgabenbereich, aber in verallgemeinerter Form lie- ßen sich diese beiden Kernaufgaben auf die Notgemeinschaft/DFG übertragen.

Mit der sich im Laufe des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts verändernden Rangfolge der Todesursachenstatistik, in der die Tuberkulose ihre Vorrangstellung vor den Herz-Kreislauferkrankungen und dem Krebs verlor40, wuchs auch bei den bisher nicht auf Krebserforschung und -bekämpfung spezialisierten Forschungs- instituten das Interesse an diesem Themenbereich. Die wissenschaftliche Bearbei- tung von Fragen der Krebsätiologie und -genese sowie grundlegende, theoretisch- experimentelle Forschungen zur Biologie von Tumoren und dem Stoffwechsel zwischen Zellen oder Gewebeverbänden normaler oder pathologischer Prägung verloren ihre institutionalisierte Exklusivität. Damit wurde, parallel zur öffentli- chen Wahrnehmung der steigenden Erkrankungs- und Sterbehäufigkeit, das Krebsthema auch bei der Forschungsgemeinschaft als eine zukünftig wichtige Forschungsaufgabe im Bereich der Volksgesundheit erkannt. Die Annahme, dass bei allgemein steigendem Lebensalter die Ziffern der Krebsmorbidität und -mor- talität weiterhin wachsen würden41, sowie die Tatsache, dass die Krebsverbreitung bislang kaum systematisch wissenschaftlich erforscht war, führten zu der Einsicht, dass es sich hierbei um ein neues Forschungsgebiet handelte, für das finanzielle Ressourcen erschlossen werden mussten.

Dass es gerade dieser Bereich der medizinischen Forschung war, der den Mitte der 1920er Jahre amtierenden Reichskanzler Hans Luther sehr für die Unterstüt- zung der neuen Forschungskonzeption der Gemeinschaftsarbeiten in der Notge- meinschaft/DFG eingenommen hatte, geht aus einer Eintragung aus dem Tages-

39 In dieser letzten Formulierung meinten die organisierten deutschen Chirurgen eine Minder- schätzung ihrer Leistungen in der Krebsbekämpfung zu erkennen und verwahrten sich öf- fentlich dagegen. Küttner, Chirurgie.

40 Seit 1901, so Alfons Fischer 1930, sei die Sterblichkeit im allgemeinen gesunken, besonders jedoch die Todesfälle an Tuberkulose und Magen-Darmkatarrh (Säuglingssterblichkeit), vgl.

Fischer, Gesundheitsstatistik, S. 103; sowie Riley, Life Expectancy; und Harrison, Disease (Krebs S. 170 f.).

41 Zwischen 1870 und 1925 hatte sich die durchschnittliche Lebenserwartung eines Neugebore- nen um etwa 20 Jahre von 35,58 auf 55,97 Jahre bei den Männern und von 38,45 auf 58,82 Jahren bei den Frauen erhöht. Damit erreichten deutlich mehr Menschen das sogenannte

„krebsfähige Alter“, als das damals etwa das 35. Lebensjahr angesehen wurde, vgl. Wolff, Krebs, Sp. 286. Aus der Perspektive der cancerogenen Substanz formulierte Druckrey: „Ist ihre Wirksamkeit gering, so fällt ihre Wirkung, die Geschwulstentstehung, u. U. [unter Um- ständen – G.M.] nicht mehr in die Lebenserwartung herein“. Druckrey, Krebs, S. 26; zur Lebenserwartung siehe Burgdörfer, Volk, besonders die Abbildung S. 397.

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20 1. Vor der „Volkskrankheit“

kalender des Präsidenten Schmidt-Ott hervor, den Jochen Kirchhoff umfassend ausgewertet hat. Der Reichskanzler habe überschwänglich den Vorschlag gelobt, die Krebsforschung zu einer medizinischen Forschungspriorität zu machen, so notierte Schmidt-Ott am 18. März 1925; das Reich solle unter allen Umständen Fördermittel hierfür bereitstellen, auch wenn 300 Jahre lang an der Lösung des Krebsproblems gearbeitet werden müsse.42

In der 1925 vorgelegten Auflistung der in „planmäßiger und wirkungsvoller Zusammenarbeit bedeutender Forscher“ zu bearbeitenden „besondere[n] For- schungsaufgaben im Bereiche der nationalen Wirtschaft, des Volkswohls und der Volksgesundheit“43 fand sich dann unter den fünfzehn aufgelisteten Arbeitsthe- men der theoretischen und praktischen Medizin auch das der „Krebsgeschwulst“

– allerdings erst an zwölfter Stelle, was nicht gerade für eine Priorisierung dieser Forschungsfragen durch die Notgemeinschaft spricht. Die Krebsforschung ran- gierte damit hinter Forschungen über die Bekämpfung der Schwerhörigkeit, der Farbenblindheit, des Kropfes und der Tuberkulose. Lediglich „postsyphilitische Krankheiten“, „Aufzucht, Mast- und Milchproduktion“ sowie „Arbeitsprobleme“

auf dem fünfzehnten und letzten Platz waren der Krebsforschung in der Rang- folge nachgeordnet.44

1.2. DIE „FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT“

IN DER WISSENSCHAFTSLANDSCHAFT DER REPUBLIK.

EXPERIMENTALISIERUNG DER MEDIZIN UND DIE VERANKERUNG DER KREBSFORSCHUNG

Nicht kommerziell ausgerichtete, experimentell-medizinische, naturwissenschaft- liche oder auch medizinisch-klinische Forschung war oft auf zusätzliche Finanz- mittel angewiesen, die aus anderen Etats als den für Patientenversorgung oder den laufenden Klinikbetrieb vorgesehenen Budgets kommen mussten. Eine wich- tige Rolle spielten hierbei Stiftungen und eingetragene Vereine auf lokaler oder überregionaler Ebene, die Gelder für die Finanzierung von neuartigen Therapie- verfahren oder wissenschaftlichen Forschungen sammelten, die dann einzelnen Forschern oder Institutionen zugutekamen. Angesichts dieser Situation verbes- serte die kurz nach Beendigung des Ersten Weltkrieges erfolgte Gründung der Notgemeinschaft die Situation der medizinischen und naturwissenschaftlichen, nicht industriegebundenen Forschung in Deutschland erheblich.45

Als überregionale, staatsweit agierende Institution und selbstverwaltete Kör- perschaft46 der Forschungsförderung begann die Notgemeinschaft im Jahr 1920,

42 Kirchhoff, Notgemeinschaft, S. 199. Die Arbeit ist seit Dezember 2007 zugänglich unter http://edoc.ub.uni-muenchen.de/7870/1/Kirchhoff_Jochen.pdf.

43 Schreiber, Reich, S. 216 f.

44 v. Müller/Schmidt-Ott, Denkschrift, S. 96.

45 Vgl. Marsch, Notgemeinschaft; sowie Kirchhoff, Notgemeinschaft.

46 „Selbstverwaltung“ bedeutete in den 1920er Jahren in erster Linie Übernahme bisher (aus- schließlich) vom Staat erfüllter öffentlicher Aufgaben durch eine nichtstaatliche Körper-

(22)

21

1.2. Die „Forschungsgemeinschaft“ in der Wissenschaftslandschaft der Republik

ihr zur Verfügung stehende staatliche und private Gelder nach wissenschaftlicher Beurteilung in Form von Forschungsstipendien, Leihgeräten oder Zuschüssen zu Personal- oder Laborkosten an (Nachwuchs-)Wissenschaftler und Wissenschaftle- rinnen zu verteilen. Die Gelder der Notgemeinschaft stammten zum ganz über- wiegenden Teil aus dem Staatshaushalt47, sodass private Spenden und auch die Beiträge des „Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft“48 zum Etat nur eine untergeordnete Rolle spielten. Aus dieser dominierenden staatlichen Finanzie- rungskomponente versuchte das Reichsinnenministerium in der Frühphase der Notgemeinschaft, ein Anrecht auf Mitsprache bei der Verwendung der Gelder abzuleiten, wie Zierold für das Jahr 1921 mitteilte.49 Jedoch war durch die gesam- ten Jahre der Weimarer Republik bis 1934, trotz wechselnder Innenminister, mit Ministerialrat Donnevert für die Notgemeinschaft ein Referent in der Kulturab- teilung des Reichsinnenministeriums zuständig, der der Forschungsgemeinschaft gegenüber stets wohlwollend gesonnen gewesen sei. Diese einvernehmliche Be- ziehung dürfte die Verhandlung über die Freimachung und Verwendung von Mit- teln insgesamt erleichtert haben, obwohl die Stellung der Notgemeinschaft ge- genüber dem Deutschen Reich, realistisch betrachtet, im Grunde schwach war,

„denn dieses war praktisch der einzige Geldgeber“.50

Die Versuche der staatlichen Einflussnahme scheinen insgesamt moderat aus- gefallen zu sein, auch wenn Zierold 1929 als „Krisenjahr“ in die Institutionenge- schichte eingeschrieben hat.51 Der zeitgenössische Tätigkeitsbericht der Notge- meinschaft über das Jahr 1929/30 erwähnte die in der Folge des „Ruck[s] nach links“52 der Reichspolitik in der Forschungsgemeinschaft durchgesetzten Ände- rungen abschwächend als darauf ausgerichtet, „eine stärkere Verbindung der Not- gemeinschaft mit der Reichsregierung und dem Reichstage zu schaffen“.53 Diese Äußerung bezog sich gleichermaßen auf den Wunsch des Reiches, besser infor-

schaft, z. B. einen eingetragenen Verein. Der Selbstverwaltungsgedanke erhielt nach dem Ende des Ersten Weltkrieges starken Auftrieb und wurde besonders in der Kommunalverwal- tung und dem Sozialwesen rezipiert (Gründung der „Zeitschrift für Selbstverwaltung“ 1918).

47 Vgl. hierzu die Tabelle 4 bei Fischer, Akademie, S. 533; sowie Tabelle 1 bei Hachtmann, Er- folgsgeschichte, S. 48. Hachtmann berechnete eine Staatsquote von rund 90 Prozent. Ebd.

48 Vgl. Schulze, Stifterverband.

49 Im Juli 1921 habe das Reichministerium des Innern ein Vetorecht für durch die Notgemein- schaft bewilligte Forschungsgelder gefordert und habe die Notgemeinschaft „immer wieder zum Bericht aufgefordert“, zudem „sich auch sonst durchaus als vorgesetzte Behörde“ aufge- führt. Zierold, Forschungsförderung, S. 24 f.

50 Ebd., S. 24.

51 Ebd., S. 132.

52 Preller, Sozialpolitik, S. 391. Zwischen 1924 und 1928 war die SPD nicht an der Reichsregie- rung beteiligt, aber nach den Wahlgewinnen 1928 bekleidete im Kabinett Hermann Müller II (28.6.1928–27.3.1930) das SPD-Mitglied Carl Severing den Posten des Innenministers.

1930 bis 1932 übernahm der Zentrumspolitiker Joseph Wirth dieses Amt, bevor im Oktober 1932 der DNVP-Politiker Freiherr von Gayl als Innenminister des Kabinetts Papen die

„Krise“ der Forschungsgemeinschaft der Weimarer Jahre beendete, indem er ausdrücklich auf das Recht der Entsendung von Hauptausschussmitgliedern verzichtete.

53 Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (Deutsche Forschungsgemeinschaft), Neunter Bericht, S. 39.

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22 1. Vor der „Volkskrankheit“

miert zu werden, aber auch größeren Einfluss auf die Steuerung der Forschungs- förderung durch die Notgemeinschaft/DFG zu bekommen. Letzteres erhoffte man sich zum einen aus der schriftlichen Fixierung von Richtlinien über das Ver- hältnis von Forschungsgemeinschaft und RMdI, zum anderen aber besonders von der Veränderung der personellen Zusammensetzung des Hauptausschusses der Notgemeinschaft/DFG. Anstelle der bisherigen elf Mitglieder plus elf Stell- vertreter umfasste der Hauptausschuss nach 1929 nun zehn aus Kreisen der Wis- senschaft von der Mitgliederversammlung gewählte und fünf vom Reichsminister des Innern benannte Mitglieder.

Wenn Zierold diesen Änderungen zu Recht kaum praktische Relevanz bei- maß, da ja die Ansprechperson im Reichsinnenministerium mit dem Referenten Ministerialrat Dr. h.c. Donnevert bis zum Ende der Weimarer Republik dieselbe blieb54, wurde offenbar das harmonische Einvernehmen schon durch das in die- ser Regelung zum Ausdruck kommende Bedürfnis nach Kontrolle gestört. Zu vermuten ist auch, dass die Kritik an der Einmischung in die Belange der For- schungsgemeinschaft sich weniger an den vom Reich in die Notgemeinschaft/

DFG abgeordneten Hauptausschussmitgliedern Otto Hoetzsch, dem Schmidt- Ott im Engagement für die Deutsche Gesellschaft zum Studium Osteuropas ver- bundenen DNVP-Mitglied, oder gar dem Zentrums-Mitglied Schreiber entzün- det hatte, als vielmehr an der Person des engagierten SPD-Gesundheitspolitikers Dr. Julius Moses, der als ebenso streitbarer Kämpfer gegen Antisemitismus wie gegen die privilegienorientierte ärztliche Standespolitik einen Stein des Anstoßes darstellte.55 Im Oktober 1932 fixierte die Mitgliederversammlung schließlich die Revision der Satzungsänderung von 1929 und wählte einen neuen Hauptaus- schuss, der bis auf zwei Personen, Hoetzsch und Moses, mit dem vorigen überein- stimmte.56 Bis zum gemeinsam mit dem Präsidenten Schmidt-Ott verkündeten Rücktritt im Juni 1933 konstituierten die 1932 gewählten Professoren den Haupt- ausschuss der „Forschungsgemeinschaft“.57

Der vorsichtigen Einschränkung der Präsidialmacht Schmidt-Otts 1929, der den Vorsitz des Hauptausschusses an einen satzungsmäßig dafür vorgesehenen, gewählten Vorsitzenden abgeben musste, stand allerdings mit der festen Etatisie- rung im ordentlichen Reichshaushalt eine positive Würdigung der bisherigen Ar- beiten der Notgemeinschaft/DFG unter Schmidt-Ott gegenüber. Noch Anfang des Jahres 1930 hatte Schmidt-Ott auf die schwierige finanzielle Situation der Forschungsgemeinschaft hingewiesen, die er mit derjenigen der Inflationsjahre

54 Ab 1930 lautete Donneverts Funktionsbezeichnung „Kommissar des Reichsministeriums des Innern“, Zierold, Forschungsförderung, S. 31.

55 Zur Selbstcharakterisierung von Julius Moses, vgl. Fricke, Leben. Zu seiner Verortung in der Gesundheits- und Krankenkassenpolitik vgl. Schneider (Hg.), Julius Moses. Die kurze Zeit der Tätigkeit im Hauptausschuss der Notgemeinschaft/DFG steht im Mittelpunkt von Ne- mitz, Antisemitismus.

56 Für diese beiden Mitglieder des Reichstages wurden im Oktober 1932 Prof. Fels, München, und Prof. Mitscherlich, Königsberg, gewählt, Letzterer als Repräsentant der Universitäten im Osten des Reiches, deren Situation bisher in der hochschul- und forschungspolitischen Ori- entierung der Forschungsgemeinschaft nicht genügend beachtet worden sei.

57 Zierold, Forschungsförderung, S. 175 f.

(24)

23

1.2. Die „Forschungsgemeinschaft“ in der Wissenschaftslandschaft der Republik

verglich, und die Hoffnung ausgesprochen, dass erneut das Reich, „dem alten Beispiele Preußens getreu, trotz katastrophaler Finanzlage“58, großzügig helfen werde. Die Hilfe erfolgte im selben Jahre durch das RMdI, das die Forschungsge- meinschaft unter „Fortdauernde Ausgaben“ im ordentlichen Haushalt etatisierte und damit im Grunde das Ende einer Übergangslösung als „Notgemeinschaft“

festlegte. Die Erläuterungen zu dem Titel führten aus: „Die aus der bisherigen Entwicklung gewonnene Erkenntnis, daß die von der Notgemeinschaft der Deut- schen Wissenschaft übernommenen Aufgaben notwendiger und dauernder Be- standteil deutscher Wissenschaftsorganisation bleiben werden, hat zu dem Be- schluss geführt, den Namen ‚Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft‘ umzuän- dern in ‚Deutsche Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung‘ (abgekürzt

‚Deutsche Forschungsgemeinschaft‘ ). In Würdigung dieser Entwicklung ist der Ansatz von den einmaligen zu den fortdauernden Ausgaben übernommen worden“.59

Zur Begründung, dass die Haushaltsmittel des letzten Jahres unzureichend gewesen waren, bemühte die Forschungsgemeinschaft in erster Linie die deutlich steigenden Zahlen der Forschungsstipendien von 344 im April 1927 über 488 im Folgejahr auf 671 im März 1929. Außerdem seien große Erfolge auf den For- schungsgebieten der Arbeitsphysiologie, der Sportphysiologie und -biologie er- zielt worden, die unbedingt fortgeführt werden müssten, so der Wortlaut des ministeriellen Begleitschreibens für die Bewilligung der beantragten Ausgaben in Höhe von 7,2 Millionen RM. Die Begründung dieser staatlichen Bewilligung

„Für besondere Wissenschaftsaufgaben auf den Forschungsgebieten der nationa- len Wirtschaft, der Volksgesundheit und des Volkswohls“, für die 1930 2,2 Milli- onen RM vorgesehen waren, erwähnte die Krebsforschung ebensowenig, wie die Auflistung der Verwendungszwecke der Gelder im Bereich der Experimentalfor- schung. Von diesem Betrag – insgesamt 2,75 Millionen RM – waren zwar 860 000 RM für „Medizin (einschließlich physiologische Chemie, Eiweißforschung, Strahlenforschung, Anthropologie, Arbeitsphysiologie, Sportphysiologie, Gewer- behygiene, Kriminalbiologie)“ vorgesehen, aber wiederum erfolgte keine explizite Nennung der Krebsforschung.60

58 Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (Deutsche Forschungsgemeinschaft), Neunter Bericht, S. 41.

59 Notlage der Wissenschaft, Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft. Allgemeines, Bd. 8.

1930–1931, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Ministerium für Kultus, Rep. MK, Nr. 71040, unp. Vgl. a. Geschäftsordnung der Deutschen Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung (Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft) vom 9. September 1929, ab- gedr. in: Zierold, Forschungsförderung, S. 592–595. Schmidt-Ott selbst sah wesentlich etat- rechtliche Gründe für die Ergänzung des Namens Notgemeinschaft. F. Schmidt-Ott, Zur Einführung (30.10.1930), in: Neunter Bericht, S. 5–8, S. 7.

Lothar Mertens verlegte das Ende der „Notgemeinschaft“ kurzerhand in die Zeit der Präsi- dentschaft von Johannes Stark (1934–1936), „da es im Dritten Reich angeblich keine Not mehr gab“. Mertens, Führerprinzip, S. 33.

60 Notlage der Wissenschaft, Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft. Allgemeines, Bd. 8.

1930–1931, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Ministerium für Kultus, Rep. MK, Nr. 71040, unp.

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24 1. Vor der „Volkskrankheit“

Über die in den Jahren der Weimarer Republik insgesamt von der Notge- meinschaft/DFG aufwandten Geldmittel lassen sich verlässliche, archivalisch ge- stützte Aussagen erst ab dem Jahr 1928 treffen. Danach sanken die Ausgaben für die Förderung der medizinischen Forschung vom Höchststand 6 742 977 RM im Jahr 1928 auf 3 320 258 RM im ökonomischen Krisenjahr 1932.61 Im Verhältnis zu den übrigen geförderten Fachgebieten während der Jahre der Weimarer Repu- blik hatte die Medizin prozentual die größten Einbußen hinzunehmen. Von ei- nem Förderungsanteil von 21,1 Prozent aller Notgemeinschafts-Fördergelder im Jahr 1928 fiel dieser Anteil auf 16,8 Prozent im Jahr 1932, während die Fachberei- che Geisteswissenschaft (1928: 30,1 Prozent / 1932: 32,6 Prozent) sowie Biologie und Landwirtschaft (1928: 10 Prozent / 1932: 12,4 Prozent) leichte Steigerungen zu verzeichnen hatten und Naturwissenschaft und Technik als viertes Fachgebiet konstant bei einem Anteil von rund 38 Prozent (1928: 38,4 Prozent / 1932: 38,2 Prozent) der Gelder lag.62

Die Grundlagenforschung auf dem Gebiet der experimentell-theoretischen Krebsforschung, die sich im Deutschland des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts erst in einer Etablierungs- und Verbreiterungsphase befand, konnte in diesem Entwicklungsstadium weder den beteiligten Forschern und Forscherinnen in ab- sehbarer Zeit zu großen wissenschaftlichen Meriten verhelfen noch bei der phar- mazeutisch-chemischen Industrie ein verstärktes Interesse an einer eventuellen Ko-Finanzierung wecken.

Verglichen mit der großzügigen Förderung von öffentlichkeitswirksamen For- schungsexpeditionen schien sich die Notgemeinschaft/DFG in den 1920er Jah- ren der medizinisch-biowissenschaftlichen Grundlagenforschung nicht mit dem gleichen Engagement anzunehmen, obwohl die Medizin ohnehin schon zu den geringer bedachten Forschungsbereichen gehörte. Kürzungsvorschläge der Fach- gutachter für medizinische Unterstützungsanträge63, selbst wenn sie die Hälfte des ursprünglich beantragten Sachkredites von beispielsweise 2000 RM ausmach- ten, ersparten dem Haushalt nur geringe Beträge in Höhe von wenigen Tausend Mark64, wenn im Gegenzug zum Beispiel die Expedition des Polarforschers Alf- red Wegener zur Beobachtung der totalen Sonnenfinsternis am 9. Mai 1929 ohne Abzug mit bis zu 75 000 RM auszustatten war65 oder in Betracht gezogen wurde, in die Entwicklung eines Höhenflugzeuges zwischen 100 000 und 200 000 RM zu investieren.66 Dieses Vorgehen legt den Schluss nahe, dass außenwirksame Presti-

61 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, besonders den Abschnitt 6.4. Materielle Ressourcen für die Forschung, S. 374–432.

62 Die Prozentwerte wurden ermittelt nach Flachowsky, Notgemeinschaft, Tabelle 2, S. 377.

63 Mitte des Jahres 1929 hatten sich zum Beispiel Fachausschuss und Hauptausschuss der Not- gemeinschaft darüber verständigt, es in Zukunft abzulehnen, „jüngeren Forschern wie Assis- tenten, Oberärzten, Privatdozenten Mittel für die Bezahlung einer technischen Hilfskraft zur Verfügung zu stellen“. Schmidt-Ott an das Reichsministerium des Innern, 20.7.1929, BArch, R 73, Nr. 109, unp.

64 In den 1920er Jahren bewegte sich der beantragte Förderbetrag bei der Mehrheit der medizi- nischen Projekte zwischen 500 Mark und 4000 Mark.

65 Fachausschussliste 10/1928–29, BArch, R 73, Nr. 108, unp.

66 Fachausschussliste 11/1928–29, BArch, R 73, Nr. 108, unp. Der Antrag an die Notgemein-

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