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Achim Truger
Blickwinkel Arbeit
Achim Truger
Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf
Vortrag auf der
FÖS-Jahrestagung,
am 5. Mai 2006 in Berlin
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Achim Truger
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Schwerpunkte:
• Wachstum und Beschäftigung
• soziale Gerechtigkeit / Verteilungsgerechtigkeit
• Frage der Verknüpfung der ÖSR/ÖFR mit Sozialreformen
• Unterschiede Mehrwertsteuererhöhung vs. Ökosteuererhöhung
• makroökonomische Perspektive
Î 5 Thesen
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These 1: Die makroökonomischen Wirkungen und die Verteilungs- wirkungen der ÖSR sind im Rahmen des Möglichen gut erforscht und beherrschbar.
• Von Detailfragen und akademischen Fingerübungen abgesehen ist der Erkenntnisstand schon seit etwa 10 Jahren ausreichend gut.
Îkeine neue Fragestellung, keine wirklich neuen Antworten
• (Ich würde mir wünschen, dass Vergleichbares auch für andere
Steuerreformprojekte gelten würde (z.B. Kirchhof, Unternehmensteuerreform).
Offenbar wird hier mit zweierlei Maß gemessen)
• Wir wissen, dass Ökosteuern für sich genommen eine selektive Belastung für Unternehmen und private Haushalte mit zudem regressiven Verteilungswirkungen bedeuten
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These 1: Die makroökonomischen Wirkungen und die Verteilungs- wirkungen der ÖSR sind im Rahmen des Möglichen gut erforscht und beherrschbar.
• Wir wissen aber auch, dass diese Effekte bei schrittweiser Einführung,
aufkommensneutraler Kompensation, ggf. Sonderregelungen für energieintensive Produktion und Sozialtransfers (über-)kompensiert werden können.
• moderat positive Beschäftigungseffekte sind möglich
• im Großen und Ganzen war die Ausgestaltung der ÖSR in Deutschland so, dass genau das eingetreten ist.
• Mögliches Problem: Das FÖS-Kurzkonzept besteht aus sehr vielen einzelnen Maßnahmen mit sehr starken gruppenspezifischen Betroffenheiten. Eine Wirkungsanalyse müsste doch sehr ins Detail gehen.
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These 2: Es gibt (fast) keine unmittelbare „natürliche“ Verzahnung zwischen ÖSR und anderen Reformprojekten. Die
Verzahnung läuft über das Aufkommen. Daher müssen die Reformprojekte jeweils unabhängig von der ÖSR geprüft werden und für sich genommen Sinn machen.
• Was wäre eine „natürliche“ Verzahnung? Wenn die Ökosteuern unerwünschte ökonomische oder verteilungspolitische Wirkungen der verzahnten Reform kompensieren oder erwünschte Wirkungen verstärken würde.
• aber: Dann müsste eine Belastung der Wirtschaft und der Haushalte sowie eine regressive Verteilungswirkung an sich erwünscht sein. Unwahrscheinlich!
• daher: Verzahnung läuft über das Aufkommen. Ein nicht-ÖSR-Projekt verursacht Kosten und die ÖSR soll die Finanzierung liefern.
• Sehr viele Anknüpfungspunkte, aber natürlich auch die Gefahr, dass das primär ökologische Ziel aus den Augen gerät. Außerdem kann der Streit über die „richtige“
Verwendung zum echten Problem werden.
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These 3: Es ist zwar für die weiteren Umsetzungschancen der ÖSR wichtig, in der Diskussion anschlussfähig zu bleiben und immer wieder
Vorschläge zu machen, aber man sollte wählerisch sein, an welche Reformprojekte man sich anhängt:
Ökosteuer als Ersatz für die geplante Mehrwertsteuererhöhung zur Haushaltskonsolidierung ist keine gute Idee!
• Man kann zwar argumentieren, dass die Ökosteuer der Mehrwertsteuer
makroökonomisch vorzuziehen ist (geringere Belastung des privaten Konsums).
Mit Kollegen zusammen habe ich das auch mal gemacht, wobei solche Rechnungen immer mit Vorsicht zu genießen sind.
• aber: man muss die zu finanzierende Reformmaßnahme erst diskutieren, bevor man bereit ist, sie zu finanzieren!
• entscheidend ist, dass eine ruckartige Konsolidierung durch die
Mehrwertsteuererhöhung in 2007 (2%-Punkte = 16 Mrd. Euro zur Konsolidierung) in einem noch fragilen Aufschwung makroökonomisch extrem riskant ist. Obwohl sie im Detail andere Wirkungen hätte, könnte die Ökosteuer an diesem Grundproblem nichts ändern.
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These 3: Es ist zwar für die weiteren Umsetzungschancen der ÖSR wichtig, in der Diskussion anschlussfähig zu bleiben und immer wieder
Vorschläge zu machen, aber man sollte wählerisch sein, an welche Reformprojekte man sich anhängt:
Ökosteuer als Ersatz für die geplante Mehrwertsteuererhöhung zur Haushaltskonsolidierung ist keine gute Idee!
• ähnlich falsch wäre m.E. die Gegenfinanzierung einer Unternehmensteuerreform oder einer Flat-Tax à la Kirchhhof etc.
• nebenbei bemerkt: Ich wundere mich, wie einige Grüne den Nachhaltigkeitsbegriff fast nur noch im Sinne einer primitiven und ökonomisch irrationalen Anti-
Schuldenpolitik verstehen, während die ökologische Komponente deutlich in den Hintergrund gerückt ist.
• Konkret zum FÖS-Konzept: M.E. eignet sich das auch politisch nicht zum Ersatz der Mehrwertsteuererhöhung. Eine solche Vielzahl von Einzelmaßnahmen müsste politisch jeweils einzeln erkämpft werden, während bei der Mehrwertsteuer einfach am Satz gedreht werden müsste.
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These 4: Stattdessen sollte man nach wachstums-/beschäftigungs- sowie sozial-/verteilungspolitisch sinnvolleren Anknüpfungsmöglichkeiten suchen. Mit dem bisherigen Grundansatz der ÖSR gibt es gute Erfahrungen. Es sollte ergänzend aber auch stärker über andere Verwendungsmöglichkeiten (z.B. öffentliche Investitionen, soziale Kompensation) nachgedacht werden.
• Die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen in den SV war und ist weiterhin sinnvoll
• Man könnte auch über die Gegenfinanzierung eines Progressivmodells nachdenken.
• Es gibt aber auch gute Gründe ergänzend stärker als bisher, ökologische
Ausgabenprogramme, öffentliche Investitionen und kompensierende Sozialtransfers zu finanzieren.
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These 4: Stattdessen sollte man nach wachstums-/beschäftigungs- sowie sozial-/verteilungspolitisch sinnvolleren Anknüpfungsmöglichkeiten suchen. Mit dem bisherigen Grundansatz der ÖSR gibt es gute Erfahrungen. Es sollte ergänzend aber auch stärker über andere Verwendungsmöglichkeiten (z.B. öffentliche Investitionen, soziale Kompensation) nachgedacht werden.
• Die gesamtwirtschaftliche Ausgangslage hat sich seit Mitte der 90er Jahre sehr gewandelt:
• Die Staats- und Abgabenquote ist deutlich gesunken. Die Sparpolitik hat die staatliche Aufgabenerfüllung massiv geschwächt.
• Die öffentlichen Investitionen sind mit 1,3 % des BIP auf einem Tiefststand angelangt.
• Die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist massiv gestiegen. Weitere Entlastungen bei den Lohnstückkosten sind angesichts des ständig steigenden Außenbeitrags nicht mehr wichtig oder sogar kontraproduktiv.
• Aufgrund der autonomen Preisentwicklung bei den Energieträgern, könnte der Preisimpuls der Ökosteuer schwieriger durchsetzbar werden / politisch besser vermittelbar
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These 5: Die ökologische Steuerreform ist kein Ersatz für eine auf Wachstum und Beschäftigung ausgerichtete makroökonomische Politik und eine gerechte Steuer- und Verteilungspolitik. Letztere würden wahrschein- lich sogar die Perspektiven ökologischer Politik verbessern helfen.
• Wenn man die Steuerquote wieder erhöhen möchte, gibt es verteilungspolitisch wesentlich gerechtere Möglichkeiten: effektivere Kapitaleinkommensbesteuerung, höherer Spitzensteuersatz bei der Est, Stärkung der vermögensbezogenen
Besteuerung (Erbschaftsteuer, Vermögensteuer, (ökologische) Grundsteuer).
• Positive Makroeffekte einer ÖSR sind nicht durchschlagend. Konjunkturgerechtere Finanzpolitik hätte viel mehr ausrichten können, ohne die Konsolidierung dauerhaft zu beeinträchtigen.
• Durchaus realistisch: Die deutsche Wirtschaft hätte sich schon 2003 dauerhaft aus der Stagnation lösen können und wäre von da an mit etwa 2 % gewachsen.
Î Arbeitslosigkeit wäre gesunken, Einkommen wären stärker gestiegen. Hätte das der Bereitschaft zu ökologischer Politik geschadet?
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These 1: Die makroökonomischen Wirkungen und die Verteilungswirkungen der ÖSR sind gut erforscht und beherrschbar.
These 2: Die Verzahnung mit anderen Reformprojekten läuft über das
Aufkommen. Daher müssen die Reformprojekte unabhängig von der ÖSR für sich genommen Sinn machen.
These 3: Man sollte wählerisch sein, an welche Reformprojekte man sich anhängt: Ökosteuer als Ersatz für die Mehrwertsteuererhöhung zur Haushaltskonsolidierung ist keine gute Idee!
These 4: Stattdessen nach sinnvolleren Anknüpfungsmöglichkeiten suchen.
Mit dem bisherigen Grundansatz der ÖSR gibt es gute Erfahrungen.
Es sollte auch stärker über zusätzliche Verwendungsmöglichkeiten (z.B. öffentliche Investitionen etc.) nachgedacht werden.
These 5: Die ÖSR ist kein Ersatz für eine auf Wachstum und Beschäftigung ausgerichtete makroökonomische Politik und eine gerechte Steuer- und Verteilungspolitik. Letztere würden wahrscheinlich sogar die Perspektiven ökologischer Politik verbessern helfen.