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Tagesschläfrigkeit oder -müdigkeit? Unterschiede und Konsequenzen

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Oft lässt sich bereits anhand einer präzisen Schlaf-Wach- Anamnese die Störung früh einordnen. Hierbei ist es beson-

ders wichtig, zwischen den Symptomen Tagesmüdigkeit und Tagesschläfrigkeit zu unterscheiden, weil die folgende Diag- nostik unterschiedlich sein kann. Auch hilft eine präzise Be- schreibung der Symptome dem spezialisierten Schlafzentrum, die richtige Diagnostik zu planen.

Symptomkomplex Tagesmüdigkeit

Tagesmüdigkeit betrifft 20 bis 30 Prozent der Patienten in der Hausarztpraxis (4) und bezeichnet vor allem eine Energielo- sigkeit und teilweise Erschöpfung nach einer physischen oder mentalen Tätigkeit/Anstrengung. Ein müder Patient äussert oft den Wunsch nach Ruhe und Schlaf. Wenn ihm die Gelegen- heit zum Schlaf geboten wird, kann der müde Patient aber in vielen Fällen nicht (rasch) einschlafen. Ein weiteres Merkmal von Müdigkeit ist, dass sie typischerweise durch fortgesetzte körperliche Tätigkeit beziehungsweise Anstrengung eher zu- nimmt, wohingegen Tagesschläfrigkeit dadurch oft verbessert oder zumindest zeitweise unterdrückt werden kann.

Auch ist Fatigue von Müdigkeit abzugrenzen. Fatigue wird vor allem als eine subjektiv empfundene physische und/oder psychische Ermüdbarkeit oder Erschöpfbarkeit bei normaler (oder reduzierter) objektiver Leistungsfähigkeit wahrgenom- men, welche nicht allein durch die Anstrengung im Rahmen der körperlichen oder geistigen Tätigkeiten erklärbar ist. Fa- tigue schränkt alltägliche Tätigkeiten und somit die Leis- tungsfähigkeit relevant ein. Fatigue kann viele organische oder psychische Ursachen haben. Im Zusammenhang mit psychiatrischen Krankheiten wird Fatigue meist in Kombina- tion mit Tagesmüdigkeit beschrieben (5, 6). Bekannt ist Fa- tigue vor allem vom CFS (chronic fatigue syndrome) bezie- hungsweise von der Multiple-Sklerose-Fatigue.

Ein objektives Messinstrument für Tagesmüdigkeit existiert nicht. Es bleiben rein die Angaben des Patienten. Ein Frage- bogen wie die Fatigue Severity Scale (FSS, Fragebogen mit insgesamt 9 Fragen zu Tagesmüdigkeit und Erschöpfbarkeit, minimaler Score: 1 Punkt, maximaler Score: 7 Punkte) stellt neben der Anamnese ein nützliches diagnostisches Instrument

Tagesschläfrigkeit oder -müdigkeit?

Unterschiede und Konsequenzen

Tagesmüdigkeit und Tagesschläfrigkeit betreffen bis zu 25 Prozent der Bevölkerung (1–3). Die Ursachen dafür sind vielseitig und können im Rahmen von internistischen, neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen, als Nebenwirkung von Medikamenten, bei Drogenkonsum, aber auch bei primären Schlafstörungen wie schlafbezogenen Atemstörungen oder Narkolepsie vorkommen. Der Artikel soll einen Überblick über die Differenzialdiagnostik beim Leitsymptom Tagesschläfrigkeit geben.

Annika Triller, Ulf Kallweit

� Für die korrekte klinische Diagnosestellung ist eine mög- lichst genaue Unterscheidung der subjektiven Beschwerden hinsichtlich der Kardinalsymptome von Tagesschläfrigkeit vs. Tagesmüdigkeit wichtig. Fragebögen können zur genau- eren Differenzierung von Tagesschläfrigkeit (mittels ESS) vs.

Tagesmüdigkeit (mittels FSS) hilfreich sein.

� Patienten mit EDS, Hypersomnie oder Tagesmüdigkeit kann geholfen werden; die Symptome sollten ernst genommen werden.

� Tagesschläfrigkeit liegt vor, wenn Patienten über Sekunden- schlaf, unwillkürliches Einnicken in inadäquaten Situationen oder nicht vermeidbare Tagesschläfchen klagen.

� Tagesmüdigkeit beschreibt ein breites Symptomspektrum.

Häufig wird über eine vorwiegend körperliche Müdigkeit und/oder eine rasche körperliche Erschöpfbarkeit berichtet, eine eigentliche Einschlafneigung besteht meistens nicht.

� Da die therapeutischen Strategien je nach vorliegender Dia- gnose signifikant variieren (medikamentöse Therapie, Um- stellung der Lebensgewohnheiten, psychiatrisch-psychologi- sche Therapie bis hin zu nächtlicher Überdruckatmung), ist eine genaue und richtige Diagnosestellung zu einem frühen Zeitpunkt der Erkrankung essenziell.

� Bei Tagesschläfrigkeit/Hypersomnie ist eine Überweisung in ein Schlaflabor, idealerweise mit entsprechendem Schwer- punkt, für detaillierte Abklärungen mittels elektrophysiolo- gischer Schlafuntersuchungen (Polysomnografie, Aktigrafie, Schlaflatenztests und multipler Wachhaltetest) ratsam.

MERKSÄTZE

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dar. Bei Patienten mit Tagesmüdigkeit oder Fatigue findet man oft einen FSS-Score deutlich über 4 (7).

Symptomkomplex Tagesschläfrigkeit

Mindestens 5 Prozent der Bevölkerung leiden an einer schwer ausgeprägten Tagesschläfrigkeit (excessive daytime sleepi- ness, EDS) (2). Unter EDS versteht man einen erhöhten Schlafdruck tagsüber, welcher sich in einer verstärkten Ein- schlafneigung, einem unwiderstehlichen Schlafbedürfnis bis hin zu unabwendbaren «Schlafattacken» mit ungewolltem Einschlafen in inadäquaten Situationen (teilweise als Sekun- denschlaf) manifestiert (8–10). Falls die Möglichkeit zu schla- fen besteht, wird diese in der Regel auch genutzt, und Schlaf tritt oft sehr rasch ein.

Hypersomnie ist sensu stricto zunächst von Tagesschläfrigkeit abzugrenzen. Der Begriff Hypersomnie beschreibt auf der Symptomebene ein abnormal erhöhtes Schlafbedürfnis und eine erhöhte Schlafdauer von mehr als 11 Stunden innerhalb von 24 Stunden (10). Gemäss der neuesten internationalen Klassifikation der Schlafstörungen sollte der Begriff Hyper- somnie nur noch zur Bezeichnung spezifischer Erkrankungen (idiopathische Hypersomnie) innerhalb der Gruppe der Hypersomnolenzen zentralnervösen Ursprungs verwendet werden. Diese Begriffsdefinition hat sich jedoch bisher im klinischen Alltag noch nicht durchsetzen können.

Zur Beurteilung von EDS stehen subjektive wie auch objek- tive Messmethoden zur Verfügung. Die bekanntesten und am besten validierten Instrumente, die als Messgrösse für die subjektive EDS verwendet werden können, sind Fragebögen wie die Epworth Sleepiness Scale (ESS). Mithilfe der ESS soll der Patient die Neigung zum Einschlafen in 8 verschiedenen Situationen zwischen 0 (kein Einschlafen) und 3 (hohe Chance einzuschlafen) einschätzen (20). Aus der Summe der Punkte errechnet sich der Gesamtscore, wobei Werte > 10 als Zeichen einer abnormen Schläfrigkeit/Einschlafneigung angesehen werden. Eine objektive Messung von Schläfrigkeit erfolgt im Schlaflabor mittels des multiplen Schlaflatenztests (MSLT) (3), wobei eine Einschlaflatenz ≤ 8 Minuten für eine patho- logische EDS spricht. Im multiplen Wachhaltetest (MWT) wird der Patient in 4 über den Tag verteilten Sitzungen auf- gefordert, für 40 Minuten in einem fast abgedunkelten Raum mit offenen Augen zu sitzen, ein Bild zu fixieren und möglichst lange nicht einzuschlafen. Normwerte für den MWT sind nicht einheitlich festgelegt. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass 97,5 Prozent gesunder Individuen zumindest > 8 Minu- ten wach bleiben konnten, weshalb dieser Wert als «cut-off»

für eindeutig pathologisch festgelegt wurde. Im klinischen Alltag werden Werte von > 20 Minuten in der Regel als norm- wertig angesehen.

Zur Objektivierung einer Hypersomnie im Sinne eines ab- normal erhöhten (nächtlichen) Schlafbedarfs stellt die Poly- somnografie ad libitum (dem Patienten wird erlaubt auszu- schlafen) die optimale Methode dar. Um auch die Tagesschlafzeiten festzuhalten, können in einzelnen Fällen auch 24-Stunden- oder sogar 48-Stunden-Ableitungen ge- macht werden.

Hypersomnolenzen zentralnervösen Ursprungs

Der Begriff Hypersomnolenz wird als Überbegriff für die Gruppe der Hypersomnolenzen zentralnervösen Ursprungs

Kasuistik 1

Ein 18-jähriger Mann ist seit einem halben Jahr in Ausbildung zum Landschaftsgärtner. Er leide seit etwa 3 bis 4 Monaten an einer chroni- schen Müdigkeit und müsse am Nachmittag nach Heimkehr von der Ausbildungsstelle regelmässig 2 bis 3 h schlafen. Der Schlaf sei tief und fest, manchmal träume er sogar. Erkrankungen bestünden ansonsten nicht. Gelegentlich habe er schon einmal Cannabis (Tetrahydrocanna- binol, THC) konsumiert und trinke an den Wochenenden regelmässig mit Freunden Alkohol.

Spezifische Schlaf-Wach-Anamnese: Abends PC-Spiele, teilweise auch im Bett. Schlafen in der Regel gegen 0 Uhr. Vorher könne er oft nicht einschlafen. Anschliessend tiefer und durchgängiger Schlaf bis 4 Uhr. Dann gehe der Wecker für die Arbeit. Ab ca. 9 Uhr morgens «nur noch müde», Einschlafneigung, selten mittags kurze Nickerchen, wenn möglich. Am Nachmittag, ca. von 16 bis 18.30 Uhr, Schlafzeit. An den Wochenenden anderer Rhythmus mit Schlafzeiten von ca. 3 Uhr morgens bis 12 Uhr.

Weitere Untersuchungen: Schlafprotokoll. Aktimetrie (hier optio- nal). Das Schlafprotokoll bestätigt die oben stehenden Angaben und zeigt sogar für die Wochentage noch kürzere Nachtschlafzeiten an.

Diagnose: Chronischer Schlafmangel bzw. verhaltensbedingte Stö- rung des Schlaf-Wach-Rhythmus. Mit Beginn der Ausbildung hat sich für den jungen Mann eine Veränderung vor allem der Aufstehzeiten eingestellt. Eine entsprechende Anpassung der Bettgehzeit hat er aber nicht durchgeführt. Durch Tagesschlaf von 3 h am Nachmittag/Abend fehlt der Schlafdruck, um z. B. gegen 21 Uhr ins Bett gehen zu können und zu schlafen.

Therapie: Verhaltenstherapeutische Massnahmen. Vermeidung eines (längeren) Nachmittagsschlafs, frühere Zubettgehzeiten und verbes- serte Schlafhygiene.

Parasomnien z. B. Schlafwandeln, REM-Schlaf-Verhaltensstörungen

Verhalten Schlafhygiene Chronischer Schlafmangel

Langschläfertyp Zirkadiane Rhythmusstörung

Hypersomnolenzen Narkolepsie Typ 1 Narkolepsie Typ 2 Idiopathische Hypersomnie

Schlafbezogene Bewegungsstörung z. B. Restless-Legs-Syndrom

Insomnie

Niedrig

Tagesschläfrigkeit

Hoch

+

Abbildung 1: Auftreten von Tagesschläfrigkeit bei verschiedenen Erkrankungen

(3)

verwendet. Dazu zählen Erkrankungen, welche entweder durch eine Tagesschläfrigkeit oder durch eine Hypersomnie oder beides charakterisiert sind.

Wie Abbildung 1 veranschaulicht, stellt die EDS/Hypersom- nie das Leitsymptom der zentralnervösen Hypersomnolenzen dar. Die Diagnose einer Narkolepsie oder einer idiopathi- schen Hypersomnie kann nur gestellt werden, wenn EDS und Hypersomnie klar nachgewiesen werden können. Tagesmü- digkeit allein reicht dafür nicht aus.

Eine EDS wie auch eine Tagesmüdigkeit kann auch im Rah- men internistischer, neurologischer und psychiatrischer Er- krankungen oder als Nebenwirkung von Medikamenten be- ziehungsweise bei Drogenkonsum auftreten. Einschränkend muss beachtet werden, dass diese Einteilung eine Orientie- rung ist und EDS und Tagesmüdigkeit in der Praxis teilweise nicht eindeutig voneinander unterschieden werden können.

Gemäss der neuesten Klassifikation ICSD-3 (11) gehören zur Gruppe der Hypersomnolenzen zentralnervösen Ursprungs insgesamt 8 Diagnosen. Die am besten definierte Erkrankung dieser Gruppe ist die Narkolepsie Typ 1 (NT1) (12–14). Die Kardinalsymptome sind EDS, Auftreten von Kataplexien, hypnagoge/hypnopompe Halluzinationen (d. h. während der Einschlaf- oder Aufwachphase), Schlaflähmungen und ge- störter Nachtschlaf. Kataplexien sind pathognomonisch, sie können partiell oder generalisiert auftreten, das heisst nur einzelne Muskelgruppen betreffen, wie typischerweise die Nacken- oder Gesichtsmuskulatur (schwerfälliges Sprechen, Kieferöffnung), oder zu weichen Knien bis hin zum vollstän- digen Stürzen führen. Das Bewusstsein ist dabei erhalten. Die Dauer einer Kataplexie ist meist kurz, von Sekunden bis zu wenigen Minuten. Kataplexien enden unmittelbar und meis- tens vollständig. Kataplexien können sehr selten, das heisst

Kasuistik 2

Eine 21-jährige Studentin berichtet über eine ausgeprägte Müdigkeit und Einschlafneigung seit einigen Jahren, verstärkt aber erst seit etwa einem halben Jahr. Sie schlafe inzwischen regelmässig morgens und nachmittags bei der Busfahrt zur bzw. von der Uni ein. Auch halte sie Mittagsschlaf, wann immer möglich. Am letzten Wochenende sei sie während des Geburtstagsessens der Grossmutter eingeschlafen. Sie jobbt zweimal wöchentlich als Kellnerin in einer Bar. Es bestehe ein leichtes Asthma bronchiale. Sie nehme gelegentlich ein «Asthma- spray». Normwertiger Body-Mass-Index (BMI).

Spezifische Schlaf-Wach-Anamnese: Im Wesentlichen regelmässige Schlafzeiten (von 22 bis 6.30 Uhr). Nur wenn sie arbeite, gehe sie erst gegen 2 Uhr ins Bett. Da dies in der Regel freitags bzw. samstags sei, könne sie am folgenden Tag auch bis 12 Uhr ausschlafen. Der Nacht- schlaf sei oft unruhig und gestört. Sie träume viel in letzter Zeit. Inzwi- schen immer 15 bis 20 min Mittagsschlaf, manchmal zu Hause, manchmal auch in der Uni. Weitere 3 bis 6 kurze «Schläfchen» tags- über. Sie könne sich nicht gegen das Einschlafen wehren.

Weitere Untersuchungen: Routinelaboruntersuchungen inkl. Schild- drüse. Die Werte sind alle normwertig. Überweisung in ein schlafmedi- zinisches Zentrum zur Abklärung der Tagesschläfrigkeit.

Diagnostik im schlafmedizinischen Zentrum: Videopolysomnografie mit Schlaf ad libitum, multipler Schlaflatenztest (MSLT), Aktigrafie, Magnetresonanztomografie (MRT) des Schädels, Speziallabor inkl.

Liquoruntersuchung.

Diagnose: Narkolepsie

Therapie: 1. Verhaltenstherapeutische Massnahmen, vor allem Einpla- nung von Tagesschlafzeiten. 2. Pharmakotherapie mit einem wachför- dernden Medikament.

Tabelle:

Differenzialdiagnostik der Tagesschläfrigkeit

Grunderkrankung Medikamentös/ Schlafbezogene Labor?

oder Komorbidität toxisch? Atmungsstörung?

Internistisch: Beispiele: – Schnarchen? – NüBZ

– Hypothyreose – Dopaminagonisten – BMI? – TSH

– fortgeschrittene Herzinsuffizienz – Antiepileptika – Halsumfang? – Hb

– Niereninsuffizienz – Benzodiazepine – Alter? – Blutbild

– Leberinsuffizienz – sedierende Antidepressiva – Geschlecht? – Na, K, Ca

– Malignome – Neuroleptika – NoSAS-Score/ – CRP

Neurologisch: – Alkohol Berliner Fragebogen

– Z. n. Schlaganfall – Drogen

– Z. n. SHT – Parkinson – Demenz

– neuromuskuläre Erkrankung – Epilepsie

– MS Psychiatrisch:

– Depression – Angststörung – somatoforme Störung

SHT: Schädel-Hirn-Trauma, MS: Multiple Sklerose, BMI: Body-Mass-Index, NoSAS: «neck circumference»/«obesity»/«snoring»/«age»/«sex», NüBZ:

Nüchternblutzucker, TSH: thyreoideastimulierendes Hormon, Hb: Hämoglobin, CRP: C-reaktives Protein, Z. n.: Zustand nach

(4)

nur wenige Male im ganzen Leben, bis zu vielfach täglich auftreten. Der NT1-Patient schläft nachts in der Regel oft schlecht und erwacht häufig.

Mittels Lumbalpunktion kann die Konzentration an Hypocre- tin 1 (auch Orexin A genannt), einem Peptid im Liquor, unter- sucht werden, die bei NT1-Patienten erniedrigt ist (13, 14).

Im Vergleich dazu sind die diagnostischen Möglichkeiten zur Unterscheidung der übrigen Erkrankungen in der Gruppe der zentralen Störungen mit EDS deutlich eingeschränkt. Zu die- sen Erkrankungen zählt auch die Narkolepsie Typ 2 (NT2), für welche dieselben Diagnosekriterien wie für die NT1 gelten, nur dass keine Kataplexien vorliegen dürfen und der Hypo- cretin-1-Spiegel im Liquor normwertig sein muss (8, 10).

Die idiopathische Hypersomnie (IH) ist gekennzeichnet durch Tagesschläfrigkeit und eine verlängerte Schlafdauer (> 11 h) pro 24 Stunden. Morgendliche Schlaftrunkenheit und erschwertes Erwachen sowie nicht erholsame Tages- schläfchen sind bei dieser Entität typisch (8, 15). Häufig geht die IH mit einer Dysfunktion des autonomen Nervensystems einher, und die Patienten klagen über Kopfschmerzen, ortho- statische Probleme, allgemeine Schwäche, Temperaturper- zeptionsstörungen beziehungsweise Dysregulation oder kalte Hände und Füsse.

Schwierig davon zu unterscheiden sind Patienten mit Hyper- somnie im Rahmen einer psychiatrischen Erkrankung wie zum Beispiel Depression, Angststörungen, anderen affektiven Störungen, aber auch Konversionsstörungen. Erschwerend kommt hinzu, dass Patienten im Laufe ihrer chronischen EDS oft auch reaktiv depressive Züge entwickeln und dadurch eine Unterscheidung zwischen Ursache und Folge der EDS

oder Hypersomnie schwierig ist. Keine EDS, sondern eine ausgesprochen schwere Tagesmüdigkeit und Erschöpfbarkeit beschreiben Patienten, die an einem CFS leiden.

Das verhaltensinduzierte Schlafmangelsyndrom (behavio- rally induced insufficient sleep syndrome, ISS) (16) ist cha- rakterisiert durch eine sozial oder beruflich bedingte zu ge- ringe Schlafdauer (chronischer Schlafmangel) über längere Zeit hinweg mit entsprechender EDS. Typischerweise zeigt sich bei diesen Patienten an den Tagen ohne Arbeit eine um mindestens 2 bis mehrere Stunden verlängerte Schlafdauer im Vergleich zu den Arbeitstagen. Diese Patienten berichten über eine deutliche Besserung der Symptome, wenn sie während 7 bis 10 Tagen den Nachtschlaf um mindestens 1 bis 2 Stunden verlängern.

Ebenso zur Gruppe der Hypersomnolenzen zentralnervösen Ursprungs gehören das sehr seltene Kleine-Levin-Syndrom, eine Erkrankung mit periodisch erhöhtem Schlafbedarf in Verbindung mit psychiatrischen, kognitiven oder Verhaltens- auffälligkeiten, sowie die Hypersomnolenzen im Rahmen von Medikamenten-, Drogen- oder Substanzgebrauch beziehungs- weise im Rahmen anderer organischer Erkrankungen.

Weitere differenzialdiagnostische Abklärung

Wie die Tabelle zeigt, hat die Anamnese auch einen hohen Stellenwert für die Differenzialdiagnostik. Unabhängig von der Symptomatik (EDS, Tagesmüdigkeit, Schlafstörungen, Hyper- somnie) sollte stets eine gezielte Befragung bezüglich der sehr häufigen schlafbezogenen Atemstörungen erfolgen. Des Wei- teren muss an internistische, neurologische und psychiatrische, möglicherweise der Symptomatik zugrunde liegende Erkran-

Schwerpunktschlaflabor Neurologie

(PSG mit Schlaf ad libitum, 24 h-PSG, MSLT/MWT, Aktigrafie, Hypocretinmessung) Schlaflabor

Verdacht auf Schlafapnoe Diagnostik und Therapie

EDS, Hypersomnie trotz PAP-Therapie, oder wenn keine OSA

Hausarzt

(Anamnese inkl. Schlafanamnese, Fragebögen, Laboruntersuchungen)

Symptome:

EDS und Verdacht auf Schlafapnoe

Symptome:

Hypersomnie, EDS und Verdacht auf Depression

Symptome:

EDS, Hypersomnie

Pneumologe/HNO Psychiater

Neurologe (cMRT, EEG, gegebenenfalls Labor inkl. HLA)

Abbildung 2: Diagnostischer Weg Schlafdiagnostik (EDS: excessive daytime sleepiness, cMRT: kraniale Magnetresonanz- tomografie, EEG: Elektroenzephalografie, HLA: humanes Leukozytenantigen, PAP: positive airway pressure, OSA: obst- ruktive Schlafapnoe, PSG: Polysomnografie, MSLT: multipler Schlaflatenztest, MWT: multipler Wachhaltetest)

(5)

kungen gedacht werden. Natürlich ist auch eine detaillierte Medikamentenanamnese unumgänglich. Nach der Anamnese wird man in aller Regel zusätzlich auch die Indikation zu einer laborchemischen Basisabklärung stellen. Je nach Verdachts- diagnose ist eine Überweisung des Patienten zur weiteren Abklärung sinnvoll.

Der mögliche diagnostische Weg bei Tagesschläfrigkeit ist in Abbildung 2 dargestellt. Dem Hausarzt kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Die erste Anamnese und somit auch die Differenzierung der Symptomatik erfolgen hier. Bei V. a. eine schlafbezogene Atemstörung kann durch einen niedergelas- senen Facharzt eine respiratorische Polygrafie veranlasst wer- den, zudem sollte der Patient in ein Schlaflabor überwiesen werden. Bei Vorliegen von Tagesschläfrigkeit muss zuerst ein Schlafmangelsyndrom ausgeschlossen werden. Sind sämtliche oben genannten Untersuchungen (inkl. respiratorischer Poly- grafie) unauffällig, sollte in einem spezialisierten neurologisch- psychiatrischen, schlafmedizinischen Zentrum weiter abge- klärt und zumeist dann auch weiterbehandelt werden.

Therapie – aktuelle Empfehlungen

Bei Narkolepsie und idiopathischer Hypersomnie werden vor allem wachheitsfördernde Medikamente beziehungsweise Stimulanzien wie Modafinil, Pitolisant, Solriamfetol (in der Schweiz nicht erhältlich) oder Methylphenidat und falls nötig Antikataplektika (Natriumoxybat, Antidepressiva) eingesetzt (13, 17). Für Patienten mit einer psychiatrischen Erkrankung sind in erster Linie die engmaschige psychiatrische Anbindung und Psychotherapie beziehungsweise Verhaltenstherapie, ge- gebenenfalls mit Einsatz von «weckenden», aktivierenden Antidepressiva, zielführend. Das verhaltensinduzierte ISS muss über eine Umstellung der Lebensgewohnheiten und Massnahmen zur Verbesserung der Schlafhygiene, gegebenen- falls mit Einsatz eines Schlafcoachings, angegangen werden.

Bei Nachweis eines Schlafapnoesyndroms stellt die nächtliche Überdruckatmung die Therapie der Wahl dar. Bei Restless- Legs-Syndrom kommen je nach Schweregrad Eisensubstitu- tion, Dopaminagonisten, Opiate oder Gabapentin/Pregabalin zum Einsatz (teilweise off-label). Bei Beschwerden im Rahmen von anderen Erkrankungen oder bei Medikamenten-, Drogen- oder Substanzgebrauch sind primär die Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung beziehungsweise eine Eva- luation und gegebenenfalls eine Optimierung der Dauerme- dikation zu empfehlen.

Fahreignung

Bei Patienten mit Tagesschläfrigkeit muss die Fahreignung beurteilt, mit dem Patienten besprochen und in der Kranken- akte dokumentiert werden (18). Die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (19) sagen aus, dass «unbehandelte oder therapierefraktäre schwere Tagesschläfrigkeit die Fahr- eignung generell ausschliesst». Bis zur Überprüfung, zum Bei- spiel nach Einleitung einer Therapie, sollten Betroffene darü-

ber informiert werden. s

Dr. Annika Triller PD Dr. Ulf Kallweit

Klinische Schlaf- und Neuroimmunologie Universität Witten/Herdecke

D-58448 Witten

Danksagung: Frau Dr. Hildegard Hidalgo, Asbach, für die Unterstützung bei diesem Artikel.

Interessenlage: Annika Triller hat keine Interessenkonflikte deklariert, Ulf Kallweit erhielt Honorare für Vortrags- oder Beratungstätigkeiten von den Firmen AOP, Bioprojet, Jazz Pharma, Takeda und UCB Pharma.

Literatur:

1. Ohayon M et al.: Operational definitions and algorithms for excessive sleepiness in the general population. Arch Gen Psychiatry 2012; 69: 71–79.

2. Ohayon MM et al.: Prevalence of narcolepsy symptomatology and dia- gnosis in the European general population. Neurology 2002; 58: 1826–

1833.

3. Arand D et al.: The clinical use of the MSLT and MWT. Sleep 2005; 28:

123–144.

4. Raetzo MA et al.: Alltagsbeschwerden?: diagnostische und therapeuti- sche Strategien in der allgemeinmedizinischen Praxis. Hans Huber, Bern, 1998.

5. Finsterer J, Mahjoub SZ: Fatigue in Healthy and Diseased Individuals. Am J Hosp Palliat Care 2014; 31: 562–575.

6. Mathis J, Hatzinger M: Praktische Diagnostik bei Müdigkeit/Schläfrigkeit.

Schweiz Arch Neurol Psychiatr 2011; 162: 300–309.

7. Valko PO et al.: Validation of the fatigue severity scale in a Swiss cohort.

Sleep 2008; 31: 1601–1607.

8. Bassetti C, Aldrich MS: Idiopathic hypersomnia. A series of 42 patients.

Brain 1997; 120 (Pt 8): 1423–1435.

9. Marti-Soler H et al.: The NoSAS score for screening of sleep-disordered breathing: a derivation and validation study. Lancet Respir Med 2016; 4:

742–748.

10. Lammers GJ et al.: Diagnosis of central disorders of hypersomnolence: a reappraisal by European experts. Sleep Med Rev 2020; 52: 101306; doi:

10.1016/j.smrv.2020.101306.

11. American Academy of Sleep Medicine (AASM): International Classifica- tion of Sleep Disorders – Third Edition (ICSD-3). Darien, IL, 2014.

12. Latorre D et al.: T cells in patients with narcolepsy target self-antigens of hypocretin neurons. Nature 2018; 562: 63–68.

13. Bassetti CLA et al.: Narcolepsy – clinical spectrum, aetiopathophysio- logy, diagnosis and treatment. Nat Rev Neurol 2019; 15: 519–539.

14. Triller A, Kallweit U: Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie der Nar- kolepsie. Der Neurologe und Psychiater 2017; 18: 40–45.

15. Billiard M, Dauvilliers Y: Idiopathic hypersomnia. Sleep Med Rev 2001; 5:

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16. Roehrs T et al.: Excessive daytime sleepiness associated with insufficient sleep. Sleep 1983; 6: 319–325.

17. Kallweit U, Bassetti CL: Pharmacological management of narcolepsy with and without cataplexy. Expert Opin Pharmacother 2017; 18: 809–817.

18. Mathis J et al.: Fahreignung bei Tagesschläfrigkeit. Swiss Med Forum 2017;

17: 442–447.

19. Bundesanstalt für Strassenwesen: https://www.bast.de/BASt_2017/DE/

Verkehrssicherheit/Fachthemen/U1- BLL/Begutachtungsleitlinien.pdf?

blob=publicationFile&v=20

20. Bloch KE et al.: German version of the Epworth Sleepiness Scale. Respi- ration 1999; 66: 440–447.

Referenzen

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