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2 Auswahl der regionalen Analyseebene

3.5 Zwischenfazit regionaler Versorgungsbedarf

Der Versorgungsbedarf wird in dieser Arbeit als relatives Konzept verstanden, mit dem die für die Gesundheitsversorgung relevante Mehr- oder Minderbe-lastung einer regionalen Bevölkerung anhand von Einflussfaktoren auf den Gesundheitszustand und den Bedarf an medizinischer Versorgung gemessen wird. Mithilfe einer Faktorenanalyse werden ausgewählte und nach verschie-denen Kriterien geprüfte Faktoren der regionalen Demographie, Mortalität, Morbidität, Sozioökonomischen Rahmenbedingungen und Umweltrisiken zu einem Bedarfsindex zusammengefasst. Um die Faktorwerte des Bedarfsindex interpretieren zu können, wird der Mehr- oder Minderbedarf einer Region als mithilfe des Bedarfsindex geschätzte prozentuale Abweichung der ambulanten Kosten je Versichertem nach Mittelbereich vom Bundesdurchschnitt ausge-drückt. Demnach weichen die bedarfsbedingten Kosten je Versichertem zwi-schen rund –8 % und +15 % vom Bundesdurchschnitt ab, wobei ein deutliches Ost-West-Gefälle und ein leichtes Nord-Süd-Gefälle zu erkennen sind.

4 Angebot

Die Angebotsseite im deutschen Gesundheitswesen besteht aus vier großen Ver-sorgungsbereichen:

1. der ambulanten medizinischen Versorgung, 2. der stationären Versorgung,

3. der Arzneimittelversorgung und

4. der Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln.

Das medizinische Leistungsangebot im ambulanten Bereich wird zum Großteil von Vertragsärzten vorgehalten, die ihre Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen. Die vertragsärztliche Versorgung besteht aus der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung. Die hausärztliche Versorgung leistet dabei vor allem die „allgemeine und fortgesetzte ärztliche Betreuung eines Patienten in Diagnostik und Therapie bei Kenntnis seines häuslichen und famili-ären Umfelds“ (§ 73 Abs. 1 SGB V), übernimmt die Koordination der verschiede-nen Leistungen für eiverschiede-nen Patienten und dokumentiert die Krankengeschichte. Der Leistungsumfang beschränkt sich dabei nicht nur auf Diagnose und Behandlung, sondern auch auf Prävention, Rehabilitation, Pflege und palliative Begleitung (vgl.

Stevens & Gilliam 1998). Der Hausarzt ist als erste Anlaufstation bei Beschwerden vorgesehen, von wo aus der Patient ggf. an spezialisierte Versorgungsangebote wie Fachärzte oder ins stationäre Umfeld überwiesen wird.

Bei den Organisationsformen der vertragsärztlichen Versorgung lässt sich in den letzten zwei Jahrzehnten eine Abkehr von der klassischen Einzelpraxis und ein Trend zu mehr Berufsausübungsgemeinschaften, Medizinischen Ver-sorgungszentren (MVZ) mit angestellten Ärzten und eine Zunahme von Zweig-praxen feststellen (vgl. Uhlemann & Lehmann 2011). Neben der reinen Anzahl ist die Produktivität der ärztlichen Leistungsanbieter, ihre fachliche Mischung (unterschiedliche Arztgruppen), die geographische Verteilung gemäß des regio-nalen Versorgungsbedarfs und die Qualität der erbrachten Leistungen entschei-dend bei der Betrachtung des Leistungsangebotes (vgl. Castillo-Laborde 2011).

Auf der Angebotsseite muss daher

• die verfügbare und notwendige Leistungsmenge,

• die Verteilung der Leistungsmenge und

• die Spezialisierung der Leistungen

geregelt werden. Die Bedarfsplanung ist dabei das Instrument, mit dem gesteu-ert werden kann, welche Kapazitäten wo zur Verfügung stehen sollen, um eine

flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung zu ermöglichen. Entspricht das zugängliche Angebot nicht dem Versorgungsbedarf der lokalen Bevölkerung, entstehen Gerechtigkeitsprobleme, Effizienzprobleme (Engpässe und Über-schüsse) und Unzufriedenheit bei den Versicherten (vgl. Dessault & Franceschini 2006). Es erscheint gerecht, dass in Regionen mit schlechtem Gesundheitszu-stand mehr Ärzte zur Verfügung stehen als in Regionen mit gutem Gesundheits-zustand (sonstige Gleichheit der Regionen vorausgesetzt), es sei denn, es könnte gezeigt werden, dass die relative Effektivität der Ressourcen in Regionen mit gu-tem Gesundheitszustand höher ist (vgl. Frohlich & Carriere 1997).28

Grundsätzlich gilt die Angebotsdichte ärztlicher Versorgung als Indikator für die Gesundheitschancen der regionalen Bevölkerung. Unter der Prämisse, dass die Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung im Bedarfsfall eine Verbesserung des Gesundheitszustands zur Folge hat, ist der Zugang zu Gesundheitsleistungen in Regionen mit hoher Arztdichte leichter und damit der Zugang zu einer guten Gesundheit einfacher. In einer kanadischen Studie mit Daten des Canadian Nati-onal Population Health Survey konnte ein entsprechender positiver Zusammen-hang zwischen der Angebotsdichte der Hausärzte und dem Gesundheitszustand der Bevölkerung, gemessen mit Angaben zum subjektiven Gesundheitszustand und dem Health Utility Index, gezeigt werden (vgl. Pierard 2009). Dem wider-sprechen die Ergebnisse einer amerikanischen Studie, in der kein Zusammen-hang zwischen der Arztdichte und ambulant sensitiven Krankenhausfällen bzw.

der Mortalität der Bevölkerung festgestellt werden konnte (vgl. Krakauer, Jacoby et al. 1996). Auch für Deutschland zeigen Analysen des ZI (vgl. von Stillfried &

Czihal 2012), dass zwischen der Krankheitslast auf Kreisebene (gemessen mit re-lativen Risikoscores des Risikostrukturausgleichs) und der regionalen Arztdich-te kein signifikanArztdich-ter Zusammenhang besArztdich-teht. Laut Starfield und Shi et al. (2005) ist zwischen dem primärärztlichen Angebot und dem spezialisierten ärztlichen Angebot zu unterscheiden: insbesondere die primärärztliche Versorgungsdichte stehe im Zusammenhang mit besseren Gesundheitsoutcomes, während zwischen

28 Es ist grundsätzlich denkbar, dass eine sehr kranke Bevölkerung weniger von bestimm-ten Versorgungsleistungen profitiert, als eine gesündere Population. Verlagerte man Versorgungsressourcen in die Regionen mit kränkerer Bevölkerung, so wäre eine Re-duktion der Netto-Gesamtgesundheit die Folge. Allerdings sind keine empirischen Studien zur Messung der Effektivität von Versorgungsleistungen bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen bekannt; insbesondere die regionale Abgrenzung der Analyse-population würde eine wesentliche Herausforderung bei der regionalen Effektivitäts-messung von Versorgungsleistungen darstellen.

Gesundheitsindikatoren (hier Mortalität) und spezialisiertem ärztlichem Leis-tungsangebot kein Zusammenhang bestehe.

Die Berücksichtigung der Inanspruchnahme des ärztlichen Angebotes bei der Betrachtung des Zusammenhangs mit dem Gesundheitszustand ist geboten – die reine Verfügbarkeit des ärztlichen Angebotes garantiert nicht notwendigerweise eine Verbesserung des Gesundheitszustands, es muss auch genutzt werden (vgl.

Hillebrandt 1994). Auch ist zwischen Verbesserung des Gesundheitszustandes und Verringerung des Versorgungsbedarfs zu unterscheiden. Die Inanspruch-nahme ärztlicher Leistungen kann den Versorgungsbedarf vermindern, aber insbesondere bei chronischen Erkrankungen nicht immer eine Verbesserung des gesamten Gesundheitszustandes des Patienten bewirken. Laut dem Sachver-ständigenrat (2001) entspricht das ärztliche Versorgungsangebot dann dem Be-darf, „wenn durch Art und Umfang seiner Bereitstellung vermeidbare, relevante gesundheitliche Nachteile bei Nachfragern vermieden werden“ (Kap. 3.5, § 34).

Ebenso ist der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Versorgungsbedarf der Bevölkerung und dem Vorhandensein eines ärztlichen Angebotes zu berück-sichtigen: Im Idealfall soll sich das regionale Angebot am Versorgungsbedarf orientieren, sollten sich Ärzte also bevorzugt dort niederlassen, wo auch der Ver-sorgungsbedarf hoch ist. Nimmt die regionale Bevölkerung das Versorgungsan-gebot in Anspruch, soll sich der Versorgungsbedarf verringern. Betrachtet man nun ausschließlich einen Zeitpunkt, ist unklar, ob das Angebot auf den Versor-gungsbedarf reagiert hat und die Verringerung des Bedarfs noch nicht eingetre-ten ist, oder ob andere Faktoren wie beispielsweise ein ineffizientes Angebot mit Zugangsbarrieren einen positiven Zusammenhang zwischen Angebot und Bedarf verhindern. Auch ist das ärztliche Angebot eine „träge“ Größe, die nicht beliebig schnell auf eine Veränderung des regionalen Versorgungsbedarfs reagieren kann.

Im folgenden Kapitel werden zunächst eine Reihe von Einflussfaktoren auf die regionale Angebotsstruktur und -dichte wie die Bedarfsplanung, die Niederlas-sungsgründe des individuellen Arztes und Steuerungsinstrumente der regionalen Akteure vorgestellt. Anschließend erfolgt die Beschreibung der Indikatoren zur Messung des hausärztlichen Angebots und der dafür benötigten Datengrundlagen.

Abschließend werden die regionalen Unterschiede der hausärztlichen Angebotska-pazitäten für Deutschland auf kleinräumiger Ebene der Mittelbereiche dargestellt.

4.1 Beeinflussende Faktoren auf die regionale