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Zwischen parlamentarischer Bedeutungslosigkeit, Rechtspopulismus und rassistischer Gewalt

Im Dokument EUROPA AUF DEM „RECHTEN“ WEG? (Seite 195-200)

Sie waren wegen Anstachelung zum Rassenhass, Waffenbesitz und Bil-dung einer „illegalen Vereinigung“ (Asociación Ilícita) angeklagt: Anfang Juni 2010 wurden in Madrid 14 Mitglieder der spanischen Skinheadsek-tion Blood and Honour (B & H) zu Haftstrafen zwischen einem und drei-einhalb Jahren verurteilt, außerdem wurde die Aufl ösung der Organisation verfügt. Damit wurde zum dritten Mal in Spanien eine Neonaziorgani-sation als „illegale Vereinigung“ verurteilt. Auch wenn das Gericht im Strafmaß unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft blieb, setzte es mit der Verurteilung ein Zeichen. Experten hoffen, dass der Richterspruch künftig als Referenz dient.1 Bisher sorgte sich die Öffentlichkeit wenig angesichts der Präsenz rechtsextremer Organisationen, Strafen gab es kaum.

Dimensionen des Rechtsextremismus in Spanien

„Das Thema Rechtsextremismus interessiert die heutigen Politiker kaum.

Es gibt keinerlei präventive Politik“, meint der spanische Journalist Xa-vier Vinader. Laut ihm ist der Rechtsextremismus „eine Gefahr, die da ist, aber halb versteckt und immer dazu bereit, jedwede sich bietende Gele-genheit am Schopf zu packen“. Glücklicherweise hätte sie jedoch zur Zeit keinerlei soziologische Bedeutung im politischen Panorama Spaniens, so Vinader. „Allerdings bläst der Wind in den Reihen der konservativen Par-teien stark in die rechte Richtung.“2 Rechtsextreme Parteien konnten bei

Frauke Büttner

Spanien

1 El País vom 06.07.2010, Entrevista Esteban Ibarra, Movimiento contra la Intolerancia, www.elpais.com, eingesehen 06.07.2010.

2 Gespräch der Autorin mit Xavier Vinader am 09.06.2010 in Barcelona.

den Wahlen zum spanischen Parlament im Jahr 2008 lediglich 0,2 Pro-zent der Stimmen auf sich vereinen.3 Dennoch gehört rassistische Gewalt gegen Migranten, Homosexuelle, Obdachlose und andere zum gefähr-lichen Alltag. Die Nichtregierungsorganisation Movimiento contra la Into-lerancia (MCI), die seit acht Jahren im Bereich der Rechtsextremismus-prävention und Toleranzförderung arbeitet, registrierte mehr als 80 Todes-opfer rechtsextremer Gewalt seit 1991 und beziffert die Vorfälle mit ras-sistischem, rechtsextremem, homophobem oder antisemitischem Hin-tergrund auf 4.000 pro Jahr.4

Es gibt von staatlicher Seite keine konkreten Erhebungen über rechtsex-tremistische Gruppen, ihre Mitglieder/innen und Wähler/innen. Schät-zungen zufolge existieren etwa 70 Gruppierungen, darunter 20 Parteien.

Laut Polizeiangaben haben diese insgesamt 10.000 Mitglieder. MCI nennt diese Zahl als Minimum.5 „15.000 Mitglieder ist die realistischere Schät-zung, wenn man sogenannte ultrarechte Fußballfans mit einrechnet“, sagt MCI-Vorsitzender Esteban Ibarra. Der Frauenanteil in der Szene beträgt etwa 20 Prozent. Welche Funktionen und Postitionen die Frauen einnehmen, ist unbekannt.

Die Vernetzung und Agitation im Internet hat in den vergangenen Jah-ren erheblich zugenommen. Mehr als 200 spanische Webseiten verbrei-ten rechtsextreme und rassistische Inhalte, mehrere spanische Online-Versandhäuser verkaufen entsprechende Kleidung, Bücher und Musik. Es gibt über 60 aktive spanische Rechtsrock-Bands, die insgesamt mehr als 20 Konzerte jährlich geben, die sogar teilweise öffentlich im Internet be-worben werden.6

Spanien

3 Büttner, Frauke (2008): Wahlschlappe in Spanien, Der Rechte Rand 112, Mai / Juni 2008.

4 Movimiento contra la Intolerancia (2010): Informe Raxen Especial 2010. Ofensiva Xenófoba durante la crisis económica. Madrid, Movimiento contra la Intolerancia, S. 52, 58. Zur Arbeit des MCI siehe Büttner, Frauke (2010): Handeln für Toleranz und gegen Rechtsextremismus in Spa-nien – Ansätze des „Movimiento contra la Intolerancia“. In: Spöhl, Holger / Kolls, Sarah (Hg.):

Rechtsextremismus in Deutschland und Europa. Frankfurt am Main, Peter Lang, S. 177 ff.

5 Duva, Jesús: 10 000 ‚ultras‘ unidos por la xenofobia. El País, 08.10.2006, eingesehen 02.07.2010, sowie Movimiento contra la Intolerancia 2010, S. 58.

6 Movimiento contra la Intolerancia 2010, S. 39.

Rechtsextreme Organisationen und ihre Erscheinungsformen Die rechtsextreme Szene Spaniens kann in drei Spektren unterteilt wer-den, wobei die Grenzen zum Teil fl ießend sind: (1) Nostalgische franquis-tische, falangistische und ultrareligiöse Organisationen und Parteien, (2) rassistische und ethnozentristische Parteien sowie (3) neonazistische, nationalrevolutionäre Parteien und Organisationen sowie parteiun-gebundene Kräfte wie rechtsextreme Skinheads und ultrarechte Fußball-fans.

Im Spektrum der nostalgischen und falangistischen Organisationen ist die 1933 gegründete Falange Española de las JONS (FE de las JONS) die älteste und bei gesamtspanischen Wahlen derzeit stimmenstärkste rechts-extreme Partei. Bei den Wahlen zum spanischen Senat und Abgeordne-tenhaus im Jahr 2008 erzielte sie 0,05 Prozent. Die einzige rechtsextreme Partei, die nach dem Tod des Diktators Francisco Franco im Parlament vertreten war, war Fuerza Nueva („Neue Kraft“), die 1979 unter Führung des Faschisten Blas Piñar ein Abgeordnetenmandat erhielt. In Fuerza Nueva hatten sich mehrere ultrarechte, falangistische Strömungen orga-nisiert, nachdem die franquistische Einheitspartei Movimiento Nacional

Spanien

Demonstration der

„Movimiento Social Republicano“, 26. Juni 2010 in

Zaragoza.

Slogan: „Arbeiten:

Besser ein Recht als eine Pfl icht“. „Kapitalismus kann nicht reformiert werden. Er kann nur zerstört werden.“

(„Na tionale Bewegung“) per Regierungsdekret aufgelöst worden war.7 Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen 1982 verlor Blas Piñar zahlreiche Wähler an die rechtskonservative Alianza Popular.

Derzeit gibt es 13 Falange-Abspaltungen8, die sich auf den Falange-Grün-der José Antonio Primo de Rivera und den National-Syndikalismus bezie-hen. Sie vertreten die Idee eines politischen Systems, das auf einem star-ken Staat mit einer nationalen vertikalen Einheitsgewerkschaft basiert, in der sowohl Arbeitnehmer/innen als auch Arbeitgeber/innen vertreten sind. Zur nostalgischen Rechten gehören sich am Franquismus orien-tierende Organisa tionen wie Confederación Nacional de ex Combatientes („Nationaler Verband ehemaliger Kämpfer“) und Stiftungen wie Funda-ción Francisco Franco. Parteien wie Alternativa Española und Movimiento Católico Español schlagen die Brücke zum katholisch-fundamentalis-tischen Spek trum. Rassistische, ethnozentristische und neonazistische Parteien und deren Jugendorganisationen sowie parteiungebundene Kräfte entstanden in den 1990er- und 2000er-Jahren. Ihr gemeinsamer Nenner sind mas sive Hetze und Polarisierung gegen Migrant/innen.

Prägend für die Entstehung und inhaltliche Ausrichtung vieler ultrarech-ter Gruppierungen in Spanien war die Vereinigung Circulo Español de Amigos de Europa (CEDADE, „Spanischer Kreis der Freunde Europas“), die 1966 im damals noch franquistischen Spanien ihre Aktivitäten be-gann und sich erst 1993 aufl öste. Unter ihrem Dach sammelten sich Falangisten und ehemalige Kämpfer der „División Azul“, ehemalige SS- und Gestapo-Offi ziere und Neonazis. Journalist und Buchautor Joan Cantarero sieht in ihrem Verschwinden „nicht das Ende, sondern den Anfang des aktivsten Neonazismus in Spanien“.9 Mitte der 1990er-Jahre entstanden unter Mitwirkung ehemaliger CEDADE-Aktivisten Parteien wie die rechtsextreme Democracia Nacional (DN) oder die sich offen Spanien

7 Bernecker, Walther L. (1997): Spaniens Geschichte seit dem Bürgerkrieg, München. Beck’sche Reihe, S. 226.

8 Vgl. http://servicio.mir.es/registro-partidos/index.htm, Abruf am 24.11.2009.

9 Cantarero, Joan (2010): S. 24.

auf nationalsozialistische und faschistische Strömungen beziehende Ali anza por la Unidad Nacional, heute Alianza Nacional (AN). Andere Ex-CEDADE-Kader wie Pedro Varela Geiss investierten in die überpar-teiliche Ideologiearbeit. Varela Geiss eröffnete die Libreria Europa, eine Buchhandlung in Barcelona, in der NS-verherrlichende Literatur ver-kauft wird.

Eine der jüngeren Parteien ist das nationalrevolutionäre Movimiento So-cial Republicano (MSR), das sich als patriotisch-sozialistische Alternative darstellt, teilweise Erscheinungsformen autonomer Nationalisten auf-weist und radikalste Teile der neonazistischen Szene integriert. Wie eng die Verbindungen sind, zeigte sich im Juni 2010 im „Blood and Honour“-Prozess: 17 der 18 Angeklagten hatten einige Jahre zuvor auf Wahllisten der MSR kandidiert.10 MSR-Vorsitzender Juan Antonio Llopart war im September 2009 als Geschäftsführer des Verlags Ediciones Nueva Republica wegen Rechtfertigung des nationalsozialistischen Völkermords ver urteilt worden.11 Die MSR ist ein Wahlbündnis mit España 2000 und der 2006 gegründeten Frente Nacional (FN) eingegangen, in deren populistischen Diskursen die Gefährdung der nationalen Identität durch Einwanderung im Mittelpunkt steht. Dieses Bündnis ist der zweite Versuch, eine

gemein-Webseite der Democracia Nacional:

„Benehmt Euch oder zieht Euch zurück!“

Initiative gegen die hohe Kriminalitätsrate unter Ausländern

Spanien

10 El País vom 05.07.2010: El líder de la organización nazi Blood & Honour, condenado a tres años de cárcel, Abruf 06.07.2010, sowie Peris, Joana 12.06.2010, Juicio a un brazo político de los neonazis.

http://www.diagonalperiodico.net eingesehen am 07.06.2010.

11 Amical de Mauthausen y altres camps, SOS Racisme-Catalunya, 08.10.2010: Comunicat davant la sentència de la Secció X de l’Audiència Provincial de Barcelona del procés judicial de la Lli-breria Kalki, http://www.sosracisme.org/accions/comunicat.php?doc=185&cat=0, eingesehen 15.06.2010 so wie La Vanguardia, 08.10.2009, lavanguardia.es, eingesehen am 15.06.2010.

same Wahlplattform zu bilden. Der erste Versuch, an dem 2000 statt der FN die Democracia Nacional beteiligt war, scheiterte kläglich.

Im rassistischen, ethnozentristischen Spektrum, das meist darauf bedacht ist, sich nicht mehr offen demokratiefeindlich zu gerieren,12 gibt es ne-ben rechtsextremen Parteien wie FN und España 2000 die rechtspopu-listische katalanische Plataforma de Catalunya (PxC), die versucht, sich außerhalb eines Rechts-Links-Diskurses darzustellen. Die 2002 von Josep Anglada-i-Ruis, einem ehemaligen Aktiven der Fuerza Nueva, gegrün-dete Partei konnte 2007 ihre Stimmen im Vergleich zur vorhergehenden Wahl verdreifachen und 17 Abgeordnete in Kommunalparlamente ent-senden.13

Über die in Parteien organisierten Rechtsextremen hinaus gibt es in Spa-nien ein breites Spektrum freier Kräfte. Dieses umfasst neonazistische, nationalrevolutionäre und patriotische Organisationen, rechtsextreme Skinheads, politisch-kulturelle Gruppen und ihre Netzwerke. Es gibt viele rechtsextreme „jugendkulturelle Erlebniswelten“, deren Veranstaltungen meist wenig offensichtlich im halb- oder nichtöffentlichen Raum statt-fi nden. Über Konzerte und Demonstrationen besteht teilweise eine enge Anbindung an die Parteien DN, MSR und AN. Auch das Problem ultra-rechter „Fußballfans“ ist seit Jahren virulent. Viele der jährlichen 4.000

„Hassverbrechen“ („Hate Crimes“) gehen auf ihr Konto.14 Spanien

12 Eine solche Tendenz beschreibt auch Michael Minkenberg in: Friedrich Ebert Stiftung, Forum Berlin: Europa auf dem ‚rechten‘ Weg? Rechtsextremismus in Europa. Impulse gegen Rechtsex-tremismus 2 / 2010, S. 3.

13 Fernandez, David 23.04.2010: Ultras europeos fi nancian la lista de Plataforma de Catalunya.

Diagonal Nr. 124, Casals Meseguer, Xavier 2009: La Plataforma per Catalunya: la eclosión de un nacional-populismo catalán (2003 – 2009), WP Nr. 274, Institut de Ciències Politiques I Socials, Barcelona 2009.

14 Cantarero, Joan (2010): S. 95; Movimiento contra la Intolerancia (2005): Racismo y violencia ultra en el futbol. Madrid, S. 7 ff.

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