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Trends und Muster in West und Ost

Im Dokument EUROPA AUF DEM „RECHTEN“ WEG? (Seite 41-61)

Michael Minkenberg

Zum Begriff „radikale Rechte“

Als Ausgangspunkt schlage ich eine modernisierungstheoretisch fundier-te Defi nition von Rechtsradikalismus vor, die sich auf spezifi sche Ein- und Ausgrenzungsmechanismen und -semantiken bezieht. Diese ergeben sich in letzter Instanz aus einem übersteigerten, einem radikalen Ver-ständnis der Nation als primäre Wir-Gruppe, bei der gerade in Zeiten be-schleunigten sozialen und kulturellen Wandels eine Schließungstendenz sichtbar wird. Als Rechtsradikalismus bezeichne ich eine politische Ideolo-gie oder Strömung, die auf ultranationalistischen Vorstellungen basiert und sich tendenziell – nicht notwendigerweise aktuell direkt und explizit – gegen die liberale Demokratie richtet. Der ultranationalistische Kern im rechtsradikalen Denken besteht darin, dass in der Konstruktion nationa-ler Zugehörigkeit spezifi sche ethnische, kulturelle oder religiöse Kriterien der Inklusion und Exklusion verschärft, zu kollektiven Homogenitätsvor-stellungen verdichtet und mit autoritären Politikmodellen verknüpft werden. Also: Politik von oben nach unten mit dem Anspruch, im Namen des Volkes zu handeln. Wie so etwas bildlich aussehen kann, hat uns die Schweizer Volkspartei schon vor Jahren deutlich gemacht. Die Ent-wicklung der Schweiz zeigt uns, wie dicht wir an einer EntEnt-wicklung sind, Zentrale Einsichten zum Thema

1. Der europäische Rechtsradikalismus der Gegenwart ist ein modernes Phänomen, das mehrere Phasen der Erneuerung durchlaufen hat.

Diese wurde entweder als Folge von Modernisierungsschüben der westlichen Nachkriegsgesellschaften sichtbar oder gestalteten sich als Neukonstituierung im Zuge von Regimewechseln in Osteuropa.

2. Der europäische Rechtsradikalismus der Gegenwart ist ein interna-tionales Phänomen, das stets im Vergleich untersucht werden sollte.

Dies ist kein Plädoyer gegen länderspezifi sche Zugriffe, aber ein Argument gegen Studien, deren Kriterien aus nationalen Traditio-nen statt aus komparativen Konzepten abgeleitet werden.

die die Dramatik der Frage „Europa auf dem ‚rechten‘ Weg?“ unterstreicht.

Auch wenn das Etikett „Rechtsextremist“ sicherlich nicht für alle passt, die im November 2009 für ein Verbot von Minaretten gestimmt haben.

Das SVP-Plakat (oben links) stammt aus dem Wahlkampf zum National-rat im Jahr 2007. „Volksinitiative für die Ausschaffung krimineller Aus-länder“, heißt es auf dem Plakat. Es wird eine klare Grenzziehung zwi-schen drinnen und draußen vorgenommen: Es gibt eine Grenzziehung zwischen denen, die rein gehören – den weißen Schafen –, und denen, die nicht rein gehören – den schwarzen Schafen. Das Poster hat sich als Exportschlager entwickelt. Es wurde von einer deutschen Partei aufgegrif-fen, mit der Herr Blocher eigentlich gar nicht in Verbindung gebracht werden will. Deswegen hat er auch die NPD auf Plagiat verklagt. Die NPD hat sich Blochers Plakat zum Landtagswahlkampf 2009 in Hessen be-dient. Die hessischen Nationaldemokraten haben die kriminellen Aus-länder weggelassen und sich stattdessen auf die Formel „sozial geht nur national“ konzentriert – also die soziale Frage mit Nationalismus ver-knüpft. Das ist ein ziemlich altes Phänomen in der Geschichte rechts-radikaler Bewegungen des 20. Jahrhunderts.

NPD-Wahlplakat SVP-Wahlplakat

Vorteile des Begriffs „Rechtsradikalismus“

Mein Begriff von Rechtsradikalismus grenzt sich in mehrfacher Hinsicht von anderen verbreiteten Begriffen ab, ohne sie als Varianten des Rechts-radikalismus auszuschließen: Der Faschismus-Begriff beispielsweise be-zieht sich auf spezifi sche historische Phänomene.1 Er stellt in meiner Defi nition eine Untergruppe dar und kann nicht synonym mit Rechts-radikalismus gebraucht werden, weil es sich lediglich um eine Gruppe der radikalen Rechten handelt, die sich explizit auf diese spezifi schen histo-rischen Vorbilder bezieht. Rechtspopulismus auf der anderen Seite ist eine Kategorie, die oft in den Defi nitionen analytisch unbestimmt bleibt und sehr inklusiv ist. Da werden Bewegungen wie die deutschen Republikaner, die italienische Forza Italia, die britische BNP, die kanadische Reform Party und die amerikanische Ross Perot-Bewegung nebeneinandergestellt.2 Ich argumentiere hingegen, dass der Rechtspopulismus eher Ausdruck eines politischen Stils ist – parteiübergreifend, vielleicht sogar zum Teil lager-übergreifend – und insofern für die Analyse bestimmter Gruppen nicht brauchbar ist. Den in Deutschland besonders beliebten Begriff des Rechtsextremismus würde ich von meinem Begriff des Rechtsradikalismus abgrenzen, da er in Deutschland zumindest oft ein Element von Verfas-sungsgegnerschaft beinhaltet,3 das eine staatlich normative Deutung und Ausgrenzung meint: Extremist ist der, der sich gegen die Freiheitliche demokratische Grundordnung richtet und außerhalb des demokratischen Konsens stellt. Diese Defi nition ist vielleicht sinnvoll, wenn sich staat liche Behörden mit dem Phänomen beschäftigen, aber Soziolog/innen und Politolog/innen sollten sich nicht so schnell vom Staat vorgeben lassen, wer und was untersucht werden sollte. Der staatliche Rechtsextremismus-begriff bezieht sich zudem auf Parteiengruppen und deren Programme.

1 Griffi n, Roger (1991): The Nature of Fascism. New York: St. Martin‘s Press.

2 Decker, Frank (2000): Parteien unter Druck. Der neue Rechtspopulismus in den westlichen Demokratien. Opladen: Leske + Budrich.

3 Backes, Uwe; Jesse, Eckard (1989): Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland.

Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung; Backes, Uwe; Jesse, Eckard (2001): Die „Extremis-mus-Formel“ – Zur Fundamentalkritik an einem historisch-politischen Konzept. In: Jahrbuch Extremismus und Demokratie. 13. Jg., Baden-Baden: Nomos, S. 13–29.

Ich behaupte aber, dass sich der gesellschaftliche Ort des Rechtsradikalis-mus sowohl in Organisationen und Medien wie auch in Orientierungen und Milieus der Bevölkerung befi ndet. Das letztere wird vom Rechtsex-tremismusbegriff des Verfassungsschutzes nicht erfasst – es soll und darf nicht erfasst werden. Dabei muss der organisierte Rechtsradikalismus noch einmal hinsichtlich seiner organisatorischen Ausformung unter-schieden werden, und zwar nach parteiförmigen und nichtparteiförmi-gen Kriterien. Die nichtparteiförmige radikale Rechte sollte weiterhin nach dem Grad der Organisation unterschieden werden: Auf der einen Seite stehen bewegungsförmige Ausprägungen, das heißt solche von wenig strukturierten, nicht auf Wahlen und öffentliche Ämter, aber gleichwohl auf die Mobilisierung von Öffentlichkeit im allgemeinen und eines spe zifi schen Mobilisierungspotenzials im besonderen ausgerichtete Organisationen oder „Netzwerke von Netzwerken“. Auf der anderen Seite befi ndet sich das Ensemble von Kleingruppen im Sinne eines subkultu-rellen Milieus. Dieses operiert relativ autonom von größeren Gruppen, Organisationen und Parteien und von ihm geht eher als von den anderen beiden Ebenen Gewalt aus.

Phasen des Rechtsradikalismus in Westeuropa:

Umdeutung alter Politikkonzepte

Nach dem Ende der Rechtsdiktaturen der Zwischenkriegszeit des 20. Jahr-hunderts lassen sich in Europa (und Nordamerika) drei Phasen rechtsra-dikaler Mobilisierung unterscheiden (vgl. auch Minkenberg 1998, Kap. 9):

1) Die unmittelbare Nachkriegsära (McCarthyismus in den USA, Pouja-dismus in Frankreich, SRP und DRP in der BRD, MSI in Italien).

2) Die 1960er- und frühen 1970er-Jahre (Wallace-Bewegung in den USA, NPD in der Bundesrepublik, Powellism und National Front in britannien).

3) Die 1980er- und 1990er-Jahre, in denen sich in fast allen Demokratien rechtsradikale Parteien und Bewegungen etabliert haben, die sich von den Vorgängern unterscheiden (siehe Tabelle 1, S. 46).

Man kann in diesem Zusammenhang von einer Erneuerung des Rechts-radikalismus nach 1968 sprechen. Sie lässt sich sowohl auf der ideolo-gischen als auch auf der organisatorischen Ebene beobachten.

Ideologische und organisatorische Erneuerung nach 1968

Ideologische Erneuerung: In ideologischer Hinsicht hat sich ab den 1970er-Jahren in Westeuropa das Konzept des „Ethnopluralismus“ ver-breitet, das sich von der traditionellen, biologistisch begründeten Hierar-chie der RassenuntersHierar-chiede abhebt. Gleichwohl streicht es aber die Unvereinbarkeiten von Kulturen und Ethnien hervor, was nicht selten zu einer Naturalisierung sozialer Beziehungen führt. Ethnopluralismus ist somit eine modernisierte Abwehrstrategie gegen Immigration und Inte-gration.

Bei der ideologischen Erneuerung haben die Denkzirkel, Intellektuellen-gruppen, Politunternehmer/innen und think tanks der „Neuen Rechten“

eine besondere Rolle gespielt. Diese Neue Rechte tritt durch ihr Bemühen hervor, einen Gegendiskurs zu den „Ideen von 1968“ zu entwerfen. Da-bei steht der Versuch, einen „Kulturkampf von rechts“ zu initiieren und eine kulturelle Hegemonie im vorpolitischen Raum herzustellen, im Mit-telpunkt. Dieser „Kulturkampf“ war eng mit einer europapolitischen Vi-sion verknüpft, die Europa als einheitlichen Kulturraum begriff. Mit der Formel vom „dritten Weg“ richtete sie sich sowohl gegen die kapitalisti-sche USA als auch gegen die kommunistikapitalisti-sche Sowjetunion. Der Gegner wurde von der radikalen Rechten zusammenfassend als „Wodka-Cola-Imperialismus“ etikettiert.

Auf der Ebene der Parteiendiskurse ist hervorzuheben, dass kaum eine der gegenwärtigen rechtsradikalen Parteien noch eindeutig diktatorische oder autokratische Politikkonzepte vertritt. Das trifft vor allem auf die

besonders erfolgreichen Parteien in Belgien, Österreich, Frankreich und Italien zu. Sie wollen die Demokratie nicht abschaffen, aber in ihrem Sinne zu einer „Ethnokratie“ umdeuten. Fast allen Parteien gemeinsam ist ein exklusives Nationsverständnis, das mit den Parolen: „Les Français d’abord!“, „Deutschland den Deutschen“ die Zugehörigkeit zur Nation und die Teilhaberechte an den Gütern und Leistungen des Systems, ins-besondere am Wohlfahrtsstaat, an ethnischen Kriterien festmacht. Diese Slogans unterscheiden sich von früheren Forderungen eines Algérie française oder dem NPD-Aufruf der 1960er-Jahre „Breslau, Königsberg, Stettin – deutsche Städte wie Berlin!“ Allerdings bestehen im Fall der deutschen Parteien revanchistische Gedanken einer Rückkehr verlorener Gebiete noch fort. Der französische Front National ist in der ideologischen Erneu-erung am weitesten fortgeschritten. Mit dem Verlust Algeriens hat er sich abgefunden; vom Poujadismus der 1950er-Jahre hat er zwar den Populis-mus übernommen, nicht jedoch dessen antimodernes Wirtschaftspro-gramm.

Organisatorische Erneuerung: Die ideologische Erneuerung wird von einer organisatorischen Erneuerung begleitet. Es lässt sich eine Welle von Neugründungen rechtsradikaler Parteien und Gruppen seit Mitte der 1980er-Jahre in fast allen westeuropäischen Demokratien beobachten. In Westeuropa wurden zwischen 1965 und 1995 neunzehn rechtsradikale Parteien gegründet, die Hälfte von ihnen erzielte ab Anfang der 1980er-Jahre durchschnittlich mehr als 4 Prozent in nationalen Wahlen. Die Wahlerfolge einzelner Parteien je nach politischer Kultur der Länder und der Gelegenheitsstrukturen, insbesondere die Struktur des Parteienwett-bewerbs, variieren zum Teil erheblich:

Faktoren für den Erfolg der radikalen Rechten

Generell ist festzustellen, dass rechtsradikale Parteien in Europa dort erfolgreich waren, wo ihnen folgender „Erneuerungscocktail“ gelang.

Dieser besteht aus drei Elementen:

1. Eine Modernisierung ihrer Ideologie und Strategie (Abkehr von Faschismus, biologistischem Rassismus und offener schaft), sowie

Wahlergebnisse rechtsradikaler Parteien (in %) in ausgewählten EU-Mitglieds-staaten, nationale Parlamentswahlen 1980 – 2009 (Durchschnittswerte) und Wahl

zum Europaparlament 2009* Tabelle 1

1980 –

Frankreich (F) 0,4 9,9 12,7 14,9 12,4 4,7 6,3

Großbritannien (GB) -.- 0,6 0,9 -.- 0,2 0,7 8,3

Italien (I) 6,8 5,9 17,8 15,7 4,3 8,3 10,2

Norwegen (N) 4,5 8,4 6,0 15,3 14,7 22,5

--Österreich (A) 5,0 9,7 19,6 24,4 10,0 28,2 17,8

Schweden (S) -.- -.- 4,0 -.- 1,5 3,0 3,3

Schweiz (CH) 3,8 6,3 10,9 9,3 1,3 30,0

--Durchschnitt (Ø) 2,8 5,0 8,7 10,4 7,2 12,7

Folgende Parteien wurden in die Berechnung einbezogen:

Belgien: Vlaams Blok, Front National; Dänemark: Fremskridtsparti, Dansk Folkeparti; Deutschland: Republikaner, DVU, NPD;

Frankreich: Front National, Mouvement National Républicain; Großbritannien: British National Party, National Front;

Italien: Movimento Sociale Italiano, Alleanza Nazionale, Movimento Sociale-Fiamma Tricolore, Lega Nord; Niederlande:

Centrumpartij, Centrumdemocraten, List Pim Fortuyn, Geert Wilders PVV; Österreich: FPÖ, BZÖ; Schweden: Ny Demokrati, Sverigedemokraterna, Nationaldemokraterna;

* Minkenberg, Michael (2003): Rechtsradikalismus / Rechtsextremismus. In: Dieter Nohlen (Hg.): Kleines Lexikon der Politik.

3. überarb. Aufl age, München: Beck, S. 425 – 431. http://electionresources.org/ (letzter Zugriff: 17.7.2010).

** ohne AN, aber incl. Lega Nord, Movimento Sociale Fiamma Tricolore, Mussolini, Rauti

** ** **

2. eine Anpassung an die politischen Gelegenheitsstrukturen unter Wahrung von Anschlussmöglichkeiten an den Nationsgedanken,

und daraus hervorgehend

3. die Entwicklung eines eigenen Profi ls in Abgrenzung zu anderen politischen Akteuren. Das ist in Frankreich eher gelungen als in Deutschland, weil in Frankreich offenbar mehr Spielraum für so eine Abgrenzungsstrategie im Sinne eines populistischen mus existierte, der in Deutschland in der Nachkriegsentwicklung stärker diskreditiert war und somit den politischen Raum für solche

Parteien eingeengt hat.

Die Akteure der radikalen Rechten in Westeuropa

Das Feld der radikalen Rechten in Europa muss allerdings noch einmal differenziert und ergänzt werden, denn wir haben es hinsichtlich der Organisationsform nicht nur mit Parteien und auch nicht nur mit einem ideologischen Typ zu tun. Gemäß unterschiedlicher Ausgrenzungsfi guren im rechtsradikalen Diskurs kann man verschiedene ideologische Spiel-arten der radikalen Rechten identifi zieren (siehe Tabelle 2, S. 49, erste Spalte):

• eine autokratisch-faschistische Rechte, die durch die ideologische Nähe zu faschistischen und autokratischen Regimen der Zwischenkriegszeit gekennzeichnet ist;

• eine rassistische oder ethnozentrische Rechte, die sich durch eine Agenda der ethnischen Segregation und des Glaubens an die Über-legenheit der jeweils eigenen Ethnie bzw. durch eine „ethnoplura-listische“ Argumentation der Unvereinbarkeit von Kulturen und Eth nien auszeichnet;

• eine autoritär-populistische Rechte, die sich programmatisch weniger eindeutig bestimmen lässt als die anderen Varianten, die aber durch intern autoritäre, auf einen charismatischen Führer hin ausgerichteten Strukturen und einen wie immer gearteten populistischen und be-stimmte Gruppen ausgrenzenden Diskurs gekennzeichnet ist;

• eine religiös-fundamentalistische Rechte, die primär religiös argumen-tierend die „Reinheit“ und Überlegenheit der eigenen Kultur bzw. des eigenen Volkes verteidigt.

Bei allen Varianten dominiert ein auf innere Homogenität bzw. Ver-gemeinschaftung abzielendes, antipluralistisches Nationsverständnis.

Alle Varianten weisen außerdem einen gegen die etablierten Eliten ge-richteten populistischen Stil auf. Bei den einzelnen Ausprägungen gibt es zweifellos Überlappungen und fl ießende Übergänge. Nimmt man die drei organisatorischen Typen hinzu, so ergibt sich zur groben Strukturie-rung des Feldes von Akteuren und Organisationen in der rechtsradikalen

„Akteursfamilie“ eine Matrix mit ideologischen und organisatorischen Varianten, die in Tabelle 2 auf ausgewählte Länder Westeuropas ange-wendet wird.

Variationen der radikalen Rechten in Westeuropa

Die Gruppierungen sind in verschiedenen Ländern unterschiedlich stark.

Bei der Gegenüberstellung der relativen Stärke einzelner Organisations-typen fällt im westeuropäischen Vergleich ein Muster auf, das hier skiz-zenhaft zusammengefasst werden soll: Auf der einen Seite fi ndet man eine Gruppe von Ländern, in denen der rechtradikale Parteiensektor stark, der Bewegungssektor jedoch eher schwach ist. Dazu zählen vor allem Dänemark, Österreich, Frankreich, Italien und Belgien (wenn man berücksichtigt, dass in Belgien der Vlaams Blok / Vlaams Belang nicht im wallonischen Landesteil antritt und man infolgedessen nur die Wahler-gebnisse in Brüssel und Flandern heranzieht). Dem steht auf der anderen Seite mit Deutschland, Großbritannien und Schweden eine Ländergrup-pe gegenüber, in der es sich eher umgekehrt verhält: ein schwacher oder fragmentierter Parteiensektor korrespondiert mit einem starken Bewe-gungssektor bzw. Gewaltmilieu.

Akteure der westeuropäischen rechtsradikalen Familie (1990er-Jahre)

(in Klammer das jeweilige Land in der Abkürzung aus Tabelle 1) Tabelle 2

Parteien- /

AN: Alleanza Nazionale (Nationale Allianz) ANS: Aktionsfront Nationale Sozialisten

BNP: British National Party (britische Nationalpartei) BZÖ: Bündnis Zukunft Österreich

DVU: Deutsche Volksunion

FANE: Fédération Action National-Européen (National-europäisches Aktionsbündnis) FAP: Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei

FNE: Faisceaux nationalistes européennes (Nationalistische europäische Faschisten) FPÖ: Freiheitliche Partei Österreichs

GUD: Groupe Union Defense (Union Verteidigungsgruppe) MSI: Movimento Sociale Italiano (Italienische soziale Bewegung)

MS-FT: Movimento Sociale Fiamma Tricolore (Soziale Bewegung – Trikolorefl amme) NPD: Nationaldemokratische Partei Deutschland

Wie ich andernorts gezeigt habe,4 lassen sich diese Variationen eher mit kulturellen als mit strukturellen Faktoren erklären. Denn alle vier Länder mit einem starken rechtsradikalen Parteiensektor sind überwiegend katho-lisch – im Falle Dänemarks protestantisch – und weisen ein vorwiegend kulturelles Nationsverständnis auf. In diesen Ländern ist außerdem mit dem Islam eine nichtchristliche Religion die zweitgrößte Religions-gemeinschaft. Demgegenüber sind die drei Länder mit schwachem Par-teien- und starkem Bewegungssektor überwiegend protestantisch und historisch durch ein ethnisches Nationsbild geprägt. Das wird im inner-deutschen Vergleich noch einmal bestätigt: denn in den neuen Ländern, die man als protestantisch oder gar völlig entkirchlicht einstufen kann, ist der Bewegungssektor besonders stark ausgeprägt, während der Parteien-sektor vor allem in den alten Ländern, und hier noch einmal besonders im katholischen Süden Deutschlands, besonders stark ist.

Die Wirkung strukturell-institutioneller Faktoren wie die Polarisierung in der Parteienkonkurrenz oder Wahlsysteme (Verhältnis- oder Mehrheits-wahlen) ist im Vergleich dieser Länder weniger deutlich. Unter den poli-tischen Gelegenheitsstrukturen kommt der Reaktion anderer politischer Akteure auf die radikale Rechte ein größeres Gewicht zu als etwa dem Wahlsystem: Repression oder Ausgrenzung hemmt die rechtsradikalen Parteien, kann aber nicht verhindern, dass sich der Bewegungssektor ver-gleichsweise stark entfaltet. Dies wirft wichtige Fragen nach dem richti-gen Umgang mit Rechtsradikalismus und nach der Auswahl der Mittel mit Blick auf die beabsichtigten Ziele auf.

4 Minkenberg, Michael (2003a): The West European Radical Right as a Collective Actor: Mode-ling the Impact of Cultural and Structural Variables on Party Formation and Movement Mobi-lization. In: Comparative European Politics 1, Nr. 2, S. 149–170; Minkenberg, Michael (2008):

The Radical Right in Europe: An Overview. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.

Die Situation in Osteuropa:

Autoritäre Vergangenheit und radikale Systemwechsel

Der Blick auf Osteuropa ist ein wenig dadurch beeinträchtigt, dass hier neue Demokratien analysiert werden, die bisher nicht vergleichbar tief-gehend wie westeuropäische Länder erforscht sind. Dennoch gibt es in-zwischen eine Reihe von Daten, die Aufschluss darüber erlauben, inwie-weit die Phänomene im Osten mit denen in Westeuropa vergleichbar sind. Ausgangspunkt dieser Betrachtung ist, dass es sich hier um relativ junge Demokratien mit einer in der Regel nicht demokratischen Vergan-genheit handelt. Bis auf die Tschechische Republik und die Slowakei ha-ben alle Nachfolgestaaten des Warschauer Pakts eine auto ritäre Vergan-genheit auch in der Zwischenkriegszeit. In den Ländern Osteuropas fand in der Regel ein radikaler Systemwechsel mit dem Aufbau politisch relativ neuer Strukturen, unter anderem eines offenen Parteienwett bewerbs, statt.

Osteuropa im regionalen Vergleich

In Osteuropa sollte man einerseits den Blick auf die regionalen Besonder-heiten des Phänomens richten sowie andererseits auch nach den Grün-den hierfür und für deren qualitative und quantitative Varianz in der Ära des Systemwechsels und der Konsolidierung von jungen Demokratien fragen. So schwankt zum Beispiel die Bandbreite durchschnittlicher rechtsradikaler Wahlerfolge in Osteuropa in den 1990er-Jahren und kurz danach erheblich.

Der Erfolg rechtsradikaler Parteien in Osteuropa weist folgende regionale Besonderheiten auf:

• In den baltischen Ländern (sowie in Bulgarien bis zum Auftreten von Ataka in den Wahlen vom Juni 2005) war bzw. ist keine nennenswerte rechtsradikale Partei zu fi nden, obwohl die Bedingungen dafür recht günstig waren.

• In Tschechien verfl og ab Ende der 1990er-Jahre der Zulauf für die Republikaner fast völlig.

• In Ungarn zeichnet sich mit dem Niedergang von Csurkas Wahrheits-und Gerechtigkeitspartei (MIÉP) Wahrheits-und dem neuerlichen erfolgreichen Auftreten von Jobbik (17 Prozent der Stimmen in den Parlamentswah-len von 2010) ein Austausch im rechtsradikaParlamentswah-len Parteienlager ab.

• Auf der anderen Seite haben in Rumänien, und abgestuft dazu auch in Polen, derartige Parteien mit zusammengenommen oft zweistelligen Ergebnissen für die Region überdurchschnittliche Wahlerfolge erzielt.

Tabelle 3

1990 – 1994 1995 – 1999 2000 – 2004 2005 – 2009 EP 2009

Bulgarien (BG) -.- -.- -.- 8,7 11,9

Polen (PL) 14,1 8,0* 7,9 11,1 1,5

Rumänien (RO) 5,8 9,2 20,9 3,2 8,6

Slowakei (SVK) 5,4 9,1 7,0 11,7 5,5

Slowenien (SLO) k. A. k. A. 4,4 5,5 2,9

Tschechische Rep. (CS) 6,8 6,0 1,1 -.-

-.-Ungarn (H) 0,8 5,5 4,5 1,7 14,8

Folgende Parteien wurden in die Berechnung einbezogen: Bulgarien: Ataka; Polen: KPN, ZChN, LPR, NOP (EP 2004); Rumänien: PUNR, PRM; Slowakei: SNS; Slowenien: SNS; Tschechische Republik: SPR-RSC;

Ungarn: MIÉP, Jobbik.

* geschätzter Anteil der ZChN und KPN, die 1997 als Partner im Wahlbündnis Solidarnosc AWS antraten (Gesamtergebnis 33,8 %)

** Tschechischer Nationalrat Quelle: siehe Tabelle 1

Wahlergebnisse rechtsradikaler Parteien (in %) in ausgewählten Ländern Osteuropas:

nationale Parlamentswahlen 1990 – 2004 (Durchschnittswerte) und Wahl zum Europaparlament 2009

• In Polen gibt es eine besonders fl ießende Situation. Die Umstrukturie-rung des Parteiensystems und die Reorganisation und Umbenennung einzelner Parteien stehen auf der Tagesordnung. Als polnische Beson-derheit ist auch das Vorhandensein klerikal-nationalistischer Parteien hervorzuheben. Seit der polnischen Parlamentswahl im Jahr 2001 war bis zur Neuwahl von 2007 die neugegründete religiös-fundamen-talistische Liga der Polnischen Familie (LPR) im Parlament vertreten.

Diese Partei orientiert sich an rechten Ideologen der Zwischenkriegs-zeit, Roman Dmowski, und ist mit dem ultrakatholischen und antise-mitischen Sender Radio Maryja verbündet. Die LPR greift zudem auf die Netzwerke älterer rechtsradikaler Parteien (wie ZChN, ROP und SN) zurück.

Die Akteure der radikalen Rechten in Osteuropa

Bei der Beurteilung der Wahlerfolge muss man ferner unterscheiden, mit

Bei der Beurteilung der Wahlerfolge muss man ferner unterscheiden, mit

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