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Rechtsextremismus und -populismus in den Niederlanden: Nichts gelernt

Im Dokument EUROPA AUF DEM „RECHTEN“ WEG? (Seite 133-155)

Stellen Sie sich ein Flugblatt vor, das verkündet: „Die fünfte Kolonne der Muslime erobert Europa. Bald leben wir in Eurabien unter dem Gesetz der Scharia.“ Oder stellen Sie sich ein Flugblatt vor, auf dem zu lesen ist, dass

„die weltweite Verschwörung der Juden, dieses dreckige Ungeziefer, das immer wiederkehrt, um unsere Gesellschaften zu verpesten, wieder die Kontrolle über die Banken und die Wirtschaft übernommen hat“. In den Niederlanden hätten beide Flugblätter einen öffentlichen Aufschrei gegen die Autoren zur Folge, da wir das Jahr 1989 schreiben und wir ge-rade aus unserer Zeitmaschine gestiegen sind, um Zeugen der darauf-folgenden Protestmärsche und bevorstehenden Verhaftungen jener Neo-nazis zu werden, die diese Flugblätter verteilt haben. Dies waren die guten alten Zeiten, als die extreme Rechte klein war, als es keinen offen zur Schau gestellten Mainstream-Rassismus und -Antisemitismus gab und jede Äußerung oder jedes Anzeichen von Diskriminierung sofort von antirassistischen und antifaschistischen Gruppen sowie allen aufrechten Demokraten attackiert wurde. In jenen Tagen war die Unterstützung der Rechte von Wirtschaftsimmigranten oder Gastarbeitern, wie sie damals genannt wurden, die Norm und nicht die Ausnahme. In Westeuropa glaubte jeder, der auf der linken Seite des politischen Spektrums stand, an eine Zukunft, in der Gleichberechtigung herrscht und die frei von Dis-kriminierung ist, während jene auf der rechten Seite, die sich nicht öffentlich äußerten, als Rassisten oder zumindest als Apologeten gebrand-markt wurden. Während der 1980er-Jahre erhielten antirassistische und antifaschistische Gruppen umfangreiche Unterstützung seitens der Be-völkerung. Dies ging so weit, dass Antirassismus in den Niederlanden die Norm wurde und jegliche abweichenden Stimmen sofort als rassistisch oder faschistisch abgestempelt wurden.

Ronald Eissens & Suzette Bronkhorst

Niederlande

Zeitsprung

Stellen Sie sich eine Webseite vor, die verkündet: „Die fünfte Kolonne der Muslime erobert Europa. Bald leben wir in Eurabien unter dem Gesetz der Scharia.“ Oder stellen Sie sich ein Weblog oder ein Internetforum vor, wo es heißt, „die weltweite Verschwörung der Juden, dieses dreckige Unge-ziefer, das immer wiederkehrt, um unsere Gesellschaften zu verpesten, hat wieder die Kontrolle über die Banken und die Wirtschaft übernom-men“. Viele Menschen würden der ersten Aussage zustimmen oder sich zumindest nicht dadurch provoziert fühlen. Und die zweite Aussage wür-de nicht die Empörung hervorrufen wie früher. Jüdische Gemeinschafts-gruppen und die Überbleibsel antirassistischer Organisationen würden versuchen, etwas zu unternehmen, und der Rest der Bevölkerung würde nur mit den Schultern zucken und das Ganze ignorieren. In diesem Fall sind wir nicht mit der Zeitmaschine unterwegs – wir befi nden uns in der Gegenwart, wir schreiben das Jahr 2010, es ist die Ära nach dem 11. Sep-tember, den Anschlägen von Madrid und London und dem Mord an Theo van Gogh. Heute leben wir mit der Angst vor islamistischem Terrorismus.

Der Islam wird in Europa zunehmend als Bedrohung wahrgenommen, nicht nur von der wieder erstarkten extremen Rechten, sondern auch von populistischen Parteien und einem Teil der gesellschaftlichen Mitte.

Entwicklung der extremen Rechten: die 1980er- und 1990er-Jahre Die jüngere Geschichte des Rechtsextremismus in den Niederlanden beginnt in der zweiten Hälfte der Jahre. In den späten 1980er-Jahre und frühen 1990er-1980er-Jahre erlebten die Niederlande ein Wiedererstar-ken rechtsex tremer Gruppen. Obwohl die meisten dieser Gruppierungen politische Ziele hatten, war die Centrum Partij (Zentrumspartei, CP) die einzige, die einen ernsthaften Versuch unternahm, an Wahlen teilzuneh-men. Angeführt wurde die Partei von Hans Janmaat, einem desillusio-nierten Lehrer für Sozialkunde. Er gründete die Partei, nachdem er bereits Mitglied der meisten Mainstream-Parteien in den Niederlanden gewesen Niederlande

war. Die Agenda der Centrum Partij war einfach und rassistisch: Ausländer sind schuld an allem Übel des Landes. Schon bald sah sich die CP mit Schwierigkeiten konfrontiert, da sie versuchte, das gesamte Spektrum rechter Extremisten, von Hardcore-Neonazis bis zu „gemäßigten“ Musli-men-Hassern und Ausländerfeinden, zu „vereinen“. Ein Auseinanderbre-chen war unvermeidlich. Die erste Splittergruppe gründete eine neue Partei, die Centrum Party 86 (CP ‚‘86), die sich aus radikalen Rechten, gewalt bereiten und kaum verhohlenen Neonazi-Sympathisanten zusam-mensetzte. Die extremere CP ‘86 gewann vier Sitze bei den holländischen Kommunalwahlen im Jahr 1990 und fünf Sitze 1994, scheiterte jedoch aufgrund interner Radikalisierung. Sie wurde 1998 per Gerichtsbeschluss offi ziell als kriminelle Organisation eingestuft und verboten.

Aus den moderateren Teilen der Partei bildeten sich die Centrum Demo-craten (Zentrumsdemokraten), die versuchten, mit einem gemäßigteren Themenkatalog das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen. Ihr Pro-gramm war fremdenfeindlich, chauvinistisch, gegen Schwarze gerichtet und teilweise antisemitisch. Obwohl die Wählerbasis der Centrum Demo-craten relativ klein war, gelang es ihnen, in einige holländische Stadträte gewählt zu werden. Auf dem Höhepunkt ihrer Popularität im Jahr 1994 hatten sie landesweit insgesamt 77 Sitze und gewannen außerdem drei Sitze bei den im selben Jahr stattfi ndenden Parlamentswahlen. Interes-santerweise wurden die Centrum Democraten im Vorfeld der Kommunal- und der Parlamentswahlen von mehreren investigativen Journalisten infi ltriert. Dies führte zu einer Flut von Artikeln in Zeitungen und Zeit-schriften sowie einer Fernsehdokumentation über den Ortsverband der Partei in Amsterdam, in der einer der Kandidaten für den Stadtrat sich damit rühmte, eine Anlaufstelle für Drogenabhängige aus Surinam ange-zündet zu haben. Obwohl er gewählt wurde, hatte er keine Gelegenheit mehr, seinen Platz im Stadtrat einzunehmen: Er wurde wegen Brandstif-tung verhaftet, verurteilt und ins Gefängnis geschickt. Vor den Wahlen im Jahr 1994 hatten die Medien kaum über Rechtsextremismus berichtet.

Nach 1994 änderte sich das kurzfristig, doch nachdem sich der erste Schock, eine rassistische Partei im Parlament zu haben, gelegt hatte,

ver-Niederlande

loren die Medien das Interesse und hörten auf, darüber zu berichten.

Tatsächlich wurde seitens der Medien eine wirkungsvolle Nachrichten-sperre zur extremen Rechten verhängt, die zur Folge hatte, dass die Centrum Democraten bei den Parlamentswahlen alle ihre Sitze verloren.

Von diesem Rückschlag konnten sie sich nie erholen.1

Hardcore-Extremisten: ohne öffentliche Unterstützung, aber mit Erfolg

Zwischen 1998 und 2007 konnte die extreme Rechte in den Niederlan-den keine Fortschritte machen. Es existierte lediglich eine kleine, in sich geschlossene Gruppe von etwa 500 Hardcore-Extremist/innen, die sich ständig gegenseitig bekriegten und von antirassistischen und antifaschis-tischen Gruppen in den Niederlanden erfolgreich gestört wurden.

Zu jener Zeit hatte die extreme Rechte weder eine charismatische Füh-rungspersönlichkeit noch einen klassischen „starken Mann“ vorzuwei-sen. Deren sichtbare Hardcore-Aktivitäten, in erster Linie vom Typus

„Sieg Heil“-Skinhead, fanden wenig Anklang in einer holländischen Öffentlichkeit, die von Schuldgefühlen über den Holocaust geplagt war.

Aus einigen kleinen Splittergruppen formierten sich neue politische Par-teien, die einige Sitze in Stadträten gewannen, doch der angestrebte Durchbruch blieb aus. Stattdessen verabschiedeten sich die eingefl eisch-ten Anhänger von der Idee, jemals in eine demokratische Struktur ge-wählt zu werden und konzentrierten sich fortan auf den Aufbau radikaler Aktivistenbewegungen. Bis heute konnten sie eine Gruppe junger An-hänger um sich scharen, hauptsächlich über das Internet. Hierzu zählen etwa 1.000 junge Hardcore-Neonazis und circa 10.000 Sympathisan-Niederlande

1 De Centrumdemocraten (CD) electoraal: Kroniek extreemrechts 1945 – 2003.

Anne Frank Foundation, Amsterdam.

http://www.monitorracisme.nl/content.asp?PID=182&LID=1

Donselaar, Jaap van (2000): Monitor Racisme en Extreemrechts. 3rd report, Leiden: Universiteit Leiden, S. 43.

ten – eher unerheblich angesichts einer niederländischen Gesamtbe-völkerung von 17 Millionen. Dies gibt dennoch Anlass zur Sorge, denn eine Reihe wissenschaftlicher und Regierungsstudien belegen eine schnel-le Radikalisierung dieser jungen Extremisten. Darüber hinaus wird ein Anstieg von Hassverbrechen verzeichnet, die einen Neonazi-Hintergrund haben und sich gegen einzelne Personen richten.2 Außerdem gelang es einem Teil der Hardcore-Szene, der in der Aktionsgruppe Nationale Volks Unie (NVU) vereint ist, den mehrheitlich vertretenen Grundsatz holländischer Bürgermeister, keine rechtsextremen Demonstrationen in ihren Städten zu erlauben, erfolgreich anzufechten. Indem sie vor Ge-richt das Recht auf freie Meinungsäußerung einforderte und tatsächlich gewann, veränderte die NVU die gesamte Dynamik. Seitdem erlauben Bürgermeister alle rechtsextremen Demonstrationen und Gegende-monstrationen, versuchen jedoch, die Demonstranten zeitlich und räum-lich voneinander zu trennen und sich eher auf die öffenträum-liche Ordnung als auf ideologische Inhalte zu konzentrieren.3

Der neue Schauplatz: natürlich der Mainstream!

Unterdessen erging es dem Populismus wesentlich besser. Die Lijst Pim Fortuyn (LPF), angeführt vom extravaganten, charismatischen Pim Fortuyn, war eine populistische Partei mit fremdenfeindlichen Zügen und einer anti-islamischen Haltung. Fortuyn, Professor, Journalist und offen homosexuell, war zuvor Mitglied in den meisten Parteien in den

Niederlande

2 Dutch Ministry of Internal Affairs: Actieplan polarisatie en radicalisering 2007– 2011. S. 4, 5.

Anne Frank Foundation, Amsterdam: Kroniek racistisch en extreemrechts geweld 1945 – 2008 – Toename en verharding, http://www.monitorracisme.nl/content.asp?PID=316&LID=1 and Anne Frank Foundation, Amsterdam: Kroniek racistisch en extreemrechts geweld 1945–

2008 – Respons op racistisch geweld.

http://www.monitorracisme.nl/content.asp?PID=307&LID=1.

Landelijk expertisecentrum van Art. 1, Anne Frank Stichting. Universiteit Leiden: Monitor Ras-sendiscriminatie 2009, S. 143 – 149. http://www.art1.nl/scripts/download.php?document=843.

3 Anne Frank Foundation, Amsterdam: Jurisprudence demonstrations extreme-right in the Netherlands; http://www.monitorracisme.nl/content.asp?PID=230&LID=1.

Niederlanden gewesen. Im Jahr 2002 wurde ihm die Führung der Leefbaar-Partei angeboten, einer neuen Partei mit leichtem Hang zum Populismus. Fortuyn nahm an und konnte mit klassisch einfachen Lö-sungsangeboten für komplizierte Sachverhalte schnell Erfolge bei der Bevölkerung verzeichnen. Als er jedoch in einem Interview bekannt gab, den ersten Artikel der holländischen Verfassung – der das Recht auf Gleichheit und den Schutz vor Diskriminierung gewährleistet – abschaf-fen zu wollen, warf ihn die Führung der Leefbaar-Partei hinaus. Unbeirrt davon rief Fortuyn nur wenige Tage später seine eigene Partei ins Leben, die Lijst Pim Fortuyn (LPF), wobei er die Mehrheit der Anhänger der Leefbaar mitnahm und öffentlich erklärte, er „plane, Ministerpräsident zu werden“. Am 6. Mai 2002, einige Tage vor den Parlamentswahlen, wurde Fortuyn von einem radikalen Tierschützer ermordet. Dennoch entschied die Regierung, die Wahlen wie geplant stattfi nden zu lassen und die LPF gewann 26 Parlamentssitze. Die neu gebildete Koalition aus LPF, Konservative Liberalen und Christdemokraten hielt nur 86 Tage.

Nach zahlreichen internen LPF-Problemen verließen die Konservativen, Liberalen und die Christdemokraten das Kabinett, was zu Neuwahlen führte. Die LPF zog mit nur acht Sitzen ins neue Parlament ein und verschwand 2006 endgültig von der politischen Bühne.

Die Weichen waren jedoch gestellt. Fremdenfeindlicher Populismus war fortan kein Tabu mehr und obwohl seitdem keine rechtsextremen Grup-pen ins Parlament einzogen, wuchs die Unterstützung für rechtes Ideen-gut in den vergangenen zehn Jahren, besonders unter jungen Leuten, die sich unter dem Einfl uss des Internets und der Anwerbung von Neo nazi-Gruppierungen zunehmend radikalisieren. Gleichzeitig wächst die Un-terstützung für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit unter den Mit-gliedern der gesellschaftlichen Mitte, was tatsächlich noch gefährlicher ist.

Niederlande

Wilders, eine „Erfolgsgeschichte“

Der wichtigste Neueinsteiger an der populistischen Front in den Nieder-landen ist Geert Wilders, ehemaliges Mitglied der konservativ-liberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie, die er 2004 aufgrund der offenen Haltung der Partei zum geplanten Beitritt der Türkei zur Europäischen Union verließ. Fortan äußerte sich Wilders im Parlament als Ein-Per-sonen-„Gruppe“ anti-islamisch und anti-muslimisch. Zunächst tat er dies quasi in Eigenvertretung, doch seit den Wahlen von 2006 ist seine neue Partei, die Partij voor de Vrijheid (PVV), mit neun Sitzen im Parlament vertreten. Wilders äußert sich sehr freizügig zu einer Reihe von Themen wie Immigration, Redefreiheit, den fundamentalen Glaubensinhalten des Islams und dem Verhalten junger Marokkaner in den Städten. Sein kontroverser, aber harmloser Film über den Islam in den Niederlanden, Fitna, löste 2008 weltweit eine heftige Debatte aus. Am 21. Januar 2009 wurde Wilders vom Berufungsgericht in Amsterdam wegen „Anstiftung zu Hass und Diskriminierung“ angeklagt. Der Fall soll im Herbst 2010 verhandelt werden.

Wilders wurde zudem die Einreise nach Großbritannien zwischen dem 12. Februar und dem 13. Oktober 2009 verboten, da das britische Innen-ministerium seine Anwesenheit als „Bedrohung einer der grundlegenden Interessen der Gesellschaft“ ansah. Das Verbot wurde nach Wilders’ Ein-spruch aufgehoben. Er besuchte Großbritannien am 16. Oktober 2009.

Vor dem Hintergrund der anti-muslimischen Stimmung in den Nieder-landen und andernorts nach den Anschlägen vom 11. September 2001

Geert Wilders

Niederlande

wuchs Wilders’ Popularität rapide von Monat zu Monat. Sein Vorgehen ist einfach. Er lässt sich auf keine Debatten ein. Er macht kurze, präg

-nante Aussagen, sowohl im als auch außerhalb des Parlaments: Bei-spielsweise behauptet er, der Koran sei ein faschistisches Buch, das ver-boten werden sollte; oder er fordert ein Ende der Einwanderung von Muslimen und kündigt an, alle Paragraphen gegen Diskriminierung aus dem holländischen Strafgesetzbuch streichen zu wollen („Weil ich dis-kriminieren WILL“).

Wilders’ Rhetorik und seine Art, Debatten zu führen, erinnern in hohem Maße an die Nazizeit. Er meint, Muslime sollten die Straßen mit Zahn-bürsten reinigen, genauso wie die Juden, die kurz nach dem „Anschluss“

Österreichs 1938 in Wien dazu gezwungen wurden, die Straßen mit kleinen Bürsten zu säubern. Wenn Wilders darauf angesprochen wird oder Men-schen versuchen, mit ihm über irgend einen bestimmten Punkt zu disku-tieren, verweigert er jede Debatte und behauptet, sein Gegenüber würde Unsinn erzählen oder sei geisteskrank, verrückt oder ein Mitglied der „lin-ken Kirche“. Er beschuldigte seinen Hauptgegner, den politischen Führer der Liberaldemokratischen Partei D66, Alexander Pechthold, öffentlich im Parlament, ein Verbündeter von Theo van Goghs Mörder zu sein. Den Minister für Integration nannte er „völlig verrückt“. Mit seiner aggressiven Rhetorik und seiner eigenartigen blondierten Frisur könnte er der Spross aus einer bizarren Verbindung von Mozart und Joseph Goebbels sein.

Wahlplakat der PVV mit Wilders:

„Mehr Sicherheit, weniger Migranten“

Niederlande

Von dem Moment an, als Wilders’ Popularität wuchs, bestritt er jegliche Verbindungen zur extremen Rechten. Er präsentiert sich als entschie-dener Unterstützer Israels, behauptet, er wünsche keinen Kontakt zu Neonazis und nennt sich selbst einen „Freund des jüdischen Volkes“.

Wilders reist regelmäßig nach Israel und besucht jedes Mal Freunde wie den ultrarechten Politiker Avigdor Liebermann oder rechte Siedler im Westjordanland. Über Jahre wurde allgemein angenommen, dass seine pro-israelische und pro-jüdische Haltung eine reine Pose sei, eine prak-tische Art und Weise, Skinheads von seiner Partei fern zu halten. Doch scheint Wilders ein Doppelspiel zu spielen: Mitglieder des Europäischen Parlaments aus seiner Partei sollen an einem Treffen parteiunabhängiger rechtsextremer MdEPs teilgenommen haben, bei dem auch Holocaust-Leugner wie Jean Marie Le Pen, Nick Griffi n und andere anwesend waren.4 Wilders’ PVV ist keine politische Partei im herkömmlichen Sinne. Sie hat keine Mitglieder und keine Parteistruktur; es handelt sich lediglich um eine Stiftung mit Geert Wilders als einzigem Vorstandsmitglied. Seine Parlamentarier wurden alle von Wilders ausgewählt und von ihm per-sönlich dazu eingeladen, für einen Sitz zu kandidieren. Wilders lehnt eine demokratische Parteistruktur ab, da er dadurch seine Führungsposi-tion gefährdet sieht. An Parteiversammlungen dürfen die Medien nicht teilnehmen; die Teilnehmer dieser Versammlungen dürfen nicht darüber sprechen. Wie andere populistische Führer auch, hält Wilders die unein-geschränkte Führungsmacht und die totale Kontrolle für unabdingbar.

Wilders und die Medien

Wilders und seine Gruppe profi tieren von der Aufmerksamkeit anderer und der Behauptung, schikaniert zu werden. Gleichzeitig versuchen sie, beständig zu beweisen, sie würden von anderen Parteien und jenen, die Wilders als „Mitglieder der linken Kirche“ bezeichnet – was letztlich

je-Niederlande

4 „Who do you think you are kidding?“ In: The New Statesman, 23. July 2009.

http://www.newstatesman.com/uk-politics/2009/07/party-griffi n-bnp-european.

den einschließt, der ihn kritisiert – „verleumdet, dämonisiert und igno-riert“. Ihm ist es gelungen, die „extreme, prägnante Aussage” zu einer Kunstform zu erheben, und die holländischen Medien überschütten ihn mit Aufmerksamkeit. Wilders Taktik funktioniert folgendermaßen: Er versendet eine SMS oder Twitter-Nachricht, die besagt, dass Muslime am Verkehrsstauproblem im Land schuld seien. Die Medien veröffentlichen diese aberwitzige Behauptung und fordern Politiker/innen und Expert/in-nen dazu auf, sie zu kommentieren. Auf diese Art und Weise wird das Thema die Medien für einige Tage beherrschen. Natürlich wird Wilders sich weigern, irgendwelche Interviews zu geben oder seine Idee im Fern-sehen zu dis kutieren. Dann wird er eine neue Nachricht verschicken, in der er behauptet, jeder, der seine Idee kritisiere, würde versuchen, ihn zu dämo nisieren und ihm das Recht auf freie Meinungsäußerung abzuspre-chen. Das Ergebnis ist maximale Aufmerksamkeit für ihn selbst und für seine Partei sowie eine wachsende Unterstützung seitens der Bevölke-rung. Vielen erscheint Geert Wilders als ein „Mann des Volkes“, der sich traut, Dinge öffentlich auszusprechen, die sonst niemand offen sagen würde: die „Wahrheit über die Muslime, die versuchen, das Land zu über-nehmen“.

Wilders’ Einfl uss auf die Politik

Einige Zeit lang versuchten die anderen Parteien im holländischen Parla-ment, Wilders entweder zu ignorieren oder ihn ernst zu nehmen und sich auf eine Debatte mit ihm einzulassen. Nach vier Jahren, in denen diese Ansätze kaum erfolgreich waren, entschlossen sich die anderen Par-teien schlussendlich zum Frontalangriff, indem sie jede Bemerkung der Partij voor de Vrijheid analysierten und anfochten, um das komplette Feh-len jeglicher realer Ideen, Pläne oder Lösungen auf Seiten von Wilders und seiner Partei aufzudecken. Leider scheint dies bislang wirkungslos gewesen zu sein. Wie so oft hat die Unterstützung von Populismus oder Extremismus zum Teil nicht mit Logik oder einer thematischen Ausein-andersetzung zu tun – sie ist rein emotional. Ein erheblicher Teil der hol-ländischen Gesellschaft empfi ndet, dass Wilders Recht hat, dass Muslime Niederlande

eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen, dass DIE LINKE die Me-dien kontrolliert und dass sämtliche Maßnahmen zur Integration von Migranten in die Gesellschaft ein „linkes Hobby“ seien. Untersuchungen zeigen, dass 16 Prozent der PVV-Wähler/innen eine höhere Bildung ha-ben; die meisten sind männliche Atheisten. Umfragen ergaben, dass sie von der Politik enttäuscht5 oder „hedonistisch und konservativ, nur an sich selbst interessiert“6 sind. Diese Wähler/innen haben kein Vertrauen in das sogenannte „multikulturelle Establishment“, weil sie dieses Estab-lishment für alle Übel der Gesellschaft verantwortlich machen, vor allem aber für die Anwesenheit derjenigen, die sie für die Hauptschuldigen halten: die Muslime.

Mitte 2009 verschärften Regierung und Politiker angesichts der Umfrage-werte, die die PVV als stärkste Partei des Landes mit 32 Sitzen im Parla-ment sahen, ihre Rhetorik zu Immigration und Sicherheit – zwei Haupt-themen der PVV – und rieten öffentlich fi nanzierten Antirassismus-Organisationen hinter vorgehaltener Hand, weniger deutlich gegen Populismus, die LPF, Pim Fortuijn, Wilders und die PVV vorzugehen. Das Innenministerium beauftragte den bekannten Rechtsextremismus-Ex-perten und Anthropologen Jaap van Donselaar und den Terrorismus-experten Professor Bob de Graaff von der Universität Leiden sowie Hans Moors, einen Experten zum Thema Radikalisierung von der Universität

Mitte 2009 verschärften Regierung und Politiker angesichts der Umfrage-werte, die die PVV als stärkste Partei des Landes mit 32 Sitzen im Parla-ment sahen, ihre Rhetorik zu Immigration und Sicherheit – zwei Haupt-themen der PVV – und rieten öffentlich fi nanzierten Antirassismus-Organisationen hinter vorgehaltener Hand, weniger deutlich gegen Populismus, die LPF, Pim Fortuijn, Wilders und die PVV vorzugehen. Das Innenministerium beauftragte den bekannten Rechtsextremismus-Ex-perten und Anthropologen Jaap van Donselaar und den Terrorismus-experten Professor Bob de Graaff von der Universität Leiden sowie Hans Moors, einen Experten zum Thema Radikalisierung von der Universität

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