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Die extreme Rechte in Italien

Im Dokument EUROPA AUF DEM „RECHTEN“ WEG? (Seite 155-173)

Die extreme Rechte in Italien weist ganz besondere Charakteristika auf, sowohl in ideologischer Hinsicht als auch in ihrer Politik und sogar darin, wie sie sich selbst zwischen rechts und links einordnet.

Italien ist nämlich die einzige westliche Demokratie, wo man – von 1945 bis 1994 ununterbrochen – in den Institutionen des Gesamtstaats und auch in denen der Peripherie eine politische Kraft feststellen kann, die sich eindeutig auf den Faschismus zurückführen lässt – und die darauf stolz ist. Ein halbes Jahrhundert lang (und darüber hinaus) war die Rech-te gleichbedeuRech-tend mit Faschismus, ohne dass man allerdings dabei zwi-schen extremer und moderater Rechten unterschieden hätte, geschweige denn zwischen ihrer parlamentarischen und ihrer außerparlamenta-rischen Erscheinungsform. Als solche hat sie sich immer als eine Kraft gezeigt, die nicht nur gegen das System gerichtet war, sondern auch den demokratischen Institutionen die Loyalität verweigerte.

Sie war systemfeindlich, da sie ein Konzept von Staat und Gesellschaft vertrat, das sich radikal von der bestehenden Ordnung unterschied: sie lehnte den Aufbau der parlamentarischen Institutionen ab und bevor-zugte ein Präsidialregime; sie lehnte das politische System ab, das nach ihrer Ansicht als Parteienherrschaft disqualifi ziert war, und sie war gegen die kapitalistische Ordnung der Wirtschaft; an ihrer Stelle wollte sie einen korporativistischen „dritten Weg“ verfolgen, der auf der „vollendeten Zu-sammenarbeit zwischen den verschiedenen Produktionsfaktoren“, zwi-schen Arbeitern und Arbeitgebern basierte.

Sie war illoyal, indem sie die republikanische Ordnung als das direkte Ergebnis des schändlichen „Verrats“ an der Nation vom 8. November

Roberto Chiarini

Italien

1943 diskreditierte. Darüber hinaus verfolgte sie eine politische Initia-tive, die darauf ausgerichtet war, der neuen, aus den antifaschistischen Parteien hervorgegangenen Führungsschicht keinerlei Anerkennung zu-zugestehen; ebenso wenig den demokratisch-parlamentarischen Institu-tionen, da man diese von Grund auf verdächtigte, die ursprüngliche Vision von der Nation als organischer Gesamtheit aufgegeben zu haben, wie sie dem Faschismus eigen und nicht reduzierbar sei auf ein indivi-dualistisches oder ein Klassenkonzept der Gesellschaft.

Daraus folgte zweierlei. Zum einen war der Begriff der Rechten im demo-kratischen Sprachgebrauch unanwendbar geworden, was dazu führte, dass keine Partei des sogenannten „Verfassungsbogens“1, auf dem sich die antifaschistische Republik gründete, je bereit gewesen wäre, sich als

„Rechts“ zu bezeichnen. Selbst die Democrazia Cristiana, die sich doch stabil als Bollwerk gegen die kommunistische Gefahr etabliert hatte und die so im System faktisch die Funktion eines rechten Pols erfüllte, hat sich stets geweigert, sich als rechts zu bezeichnen. Sie nahm für sich in Anspruch, ihre Berufung im Sinne der berühmten Defi nition ihres Grün-ders Alcide De Gasperi zu sehen als „Mitte, deren Blick nach links gerich-tet ist“. Auf der anderen Seite stand die Rechte beständig im Verdacht, Impulse – und oft auch Initiativen – zu fördern, die auf Umsturz zielten, einen Putsch planten oder Terroranschläge vorhatten. Angefangen 1964 mit dem umstrittenen „Plan Solo“, bei dem die Waffengattung der Cara-binieri dazu bereit gewesen wäre, die militärische Kontrolle des Staats sicherzustellen, indem sie die sogenannten „neuralgischen Zentren“ be-setzen und vor allem die politisch als „am gefährlichsten“ eingestuften Persönlichkeiten festnehmen und schnell wegbringen sollte, bis hin zu der berühmten „Strategie der Spannung“, die um die Mitte der 1960er-Jahre die Stabilität und möglicherweise sogar den Bestand der demokra-Italien

1 Der Ausdruck „Verfassungsbogen“ bezeichnet die Parteien, die 1948 die Verfassung der Itali-enischen Republik ausgearbeitet und gemeinsam verabschiedet haben (Democrazia Cristiana – DC, Partito Comunista Italiano – PCI, Partito Socialista Italiano – PSI, Partito Socialista Democratico Italiano – PSDI, Partito Liberale Italiano – PLI, Partito Repubblicano Italiano – PRI). Von den ersten Parteien nach dem Zweiten Weltkrieg blieb also nur die neofaschistische Partei Movimento Sociale Italieno (MSI) vom Verfassungsbogen ausgeschlossen – Anm. d. Ü.

tischen Institutionen in Gefahr brachte. Es ist kein Zufall, dass bis in die 1980er-Jahre keine demokratische (oder antifaschistische) Partei je bereit gewesen wäre, auch nur eine öffentliche Begegnung – geschweige denn irgendeine Form der Zusammenarbeit – mit dem Movimento Sociale Italiano (MSI) zu akzeptieren. Nie hat die DC einen Schritt unternommen, der in irgendeiner Form zur Legitimation der neofaschistischen Partei beigetra-gen hätte, obwohl sie die ganzen 1950er-Jahre hindurch gern von der parlamentarischen Unterstützung der Rechten, sowohl von MSI als auch von monarchistischer Seite, profi tiert hat (einer lediglich duldenden Un-terstützung wohlgemerkt und vor allem in keiner Weise verabredet), um ihre unsicheren Regierungsmehrheiten zu sichern. Die gleiche DC, die mit dem MSI auf lokaler Ebene in halb Italien zahlreiche Formen der administrativen Zusammenarbeit praktiziert hat. Nicht einmal die PLI, seit Amtsantritt des Vorsitzenden Giovanni Malagodi (1954 –1972) ein Erzfeind jeder wie immer gearteten Öffnung nach links, ist je der Versu-chung erlegen, sich auf lokaler Ebene durch die neofaschistische Partei unterstützen zu lassen; sie ist von der öffentlichen Meinung als rechter Flügel des politischen Spektrums (allerdings loyal gegenüber den Insti-tutionen) wahrgenommen worden – und sie hat sich auch entsprechend verhalten.

Von der alten neofaschistischen Rechten zur neuen neopopulistischen Rechten

Mit dem Beginn der 1980er-Jahre beschleunigte sich, wenn auch unter ständigem stop and go, der „lange Marsch des italienischen Neofaschis-mus durch die Institutionen“ – und es zeigten sich auch erste konkrete Ergebnisse; bis dahin war er hin- und hergerissen zwischen dem Versuch eifriger Wahrung der eigenen nostalgischen Identität und dem Bestreben, sich in irgendeiner Form in das demokratische Spiel einzubringen und so endlich aus dem Ghetto der illegitimen Existenz herauszufi nden. Die Par-tei verwässerte ihre inhaltlichen und symbolischen Bezüge zum Faschis-mus. Gleichzeitig befreiten die demokratischen Kräfte sie vom Ausschluss aus dem demokratischen Zusammenhang – auch DIE LINKE (PRI, PSI,

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PCI) und einige institutionelle Amtsträger (vom designierten Ministerprä-sidenten Bettino Craxi, der 1983 bei der Bildung seiner ersten Regierung in die Sondierungen die Fraktion des MSI einbezog, bis hin zum Staats-präsidenten Pertini, der sich, ebenfalls 1983, zum Totenbett des in Rom ermordeten jungen MSI-Anhängers Paolo di Nella begab). Die ideolo-gische „Temperatur“ sank zwar, die ideoloideolo-gische „Distanz“ zu den an-deren Parteien blieb jedoch bestehen.

Auf dieser Grundlage vollzog sich eine Entwicklung, die langsam, aber unumkehrbar, im Laufe etwa eines Jahrzehnts dazu führte, dass aus der extremen eine gemäßigte Rechte wurde, die nicht mehr illoyal ist, dern die Institutionen anerkennt, die nicht mehr nationalistisch, son-dern europäisch denkt. Durch den Prozess der Erneuerung änderte sich sowohl das ideologische Erbe als auch das politische Programm und so-gar die Selbsteinordnung im Links-Rechts-Schema verschob sich zuneh-mend zur Mitte hin. In dem Maße, wie sich die „originären Ziele“ seiner Identität aufzulösen begannen und sogar seine historische Rolle als alter-native Kraft gegenüber den Parteien des „Verfassungsbogens“ schwand, suchte der MSI nach neuen Bindungen und Tendenzen, zunächst auf dem einzigen Feld, wo sich ihm einige Möglichkeiten für einen Neube-ginn außerhalb der traditionellen Pfade des Neofaschismus zu bieten schienen: in Europa, in Richtung auf die Neue Rechte hin, die auf dem Alten Kontinent beginnt, die Themen der „Anti-Politik“ erfolgreich auf-zugreifen, des Protests gegen Parteienherrschaft, gegen ausländische Zuwanderer und für die Forderung nach mehr Sicherheit. Etwa ein Jahr-zehnt lang schien sich die alte neofaschistische Rechte neu zu erfi nden, indem sie sich modernisiert und zur neuen neo-populistischen Rechten wurde. Ein überzeugender Beleg dafür ist die Entdeckung von Le Pens Front National durch den MSI. Nach seinem Aufstieg zum Star am euro-päischen Firmament der Neuen Rechten war dieser mehrfach ein mit Applaus empfangener Gast der Partei.

Italien

Das Thema „Zuwanderung“: Reminiszenz an Faschismus und Systemkritik?

Der Prozess der vollständigen Einmündung in demokratische Bahnen trifft beim heikelsten Thema, der Zuwandererfrage, auf einige Schwierig-keiten. Die neu gegründete Rechte ist bestrebt, eine Neubewertung zu erreichen, weg von der gegen das System gerichteten zur systemkonfor-men Version. Im Wesentlichen behält sie die vorherige Logik ihrer Argu-mentation bei. Es werden nur die typisch „anderen“ Tendenzen wegge-lassen, die ihr bis kurz zuvor noch dazu gedient hatten, ihre betonte

„Andersartigkeit“ aufrechtzuerhalten. Es bleiben die Hinweise auf die

„großen Migrationsströme von den afrikanischen, nahöstlichen oder bal-kanischen Küsten“, auf den „sehr starken Geburtenzuwachs“ und auf den „hohen Grad der wirtschaftlichen Unterentwicklung“ dieser Völker.

Der Unterschied ist, dass diese Hinweise nicht mehr dazu dienen, der

„Kultur des Materialismus“ den Prozess zu machen, die sich aus der „neu-en Aufklärung“ speist, sondern jetzt eingeführt werd„neu-en in ein Projekt zur Bewahrung des trotz „zahlreicher noch bestehender Widersprüche so be-sonderen […] Entwicklungsmodells“, das wir „in unserem Land“ haben.

In den folgenden vier Jahren wich die neue Gruppierung im Wesentli-chen nicht von dieser Linie ab. Soweit möglich, versuchte sie, mit ihren Ideen den höchsten Grad an Zustimmung in der öffentlichen Meinung zu erreichen, vor allem in Augenblicken großer Dramatik, wie zum Bei-spiel im Dezember 1997, als die Einwanderungsfrage nach der Anlan-dung von tausend Kurden an der kalabrischen Küste in eine neue Phase eintrat, was als der gefürchtete Vorbote weiterer unkontrollierbarer Wel-len von „Desperados“ angesehen wurde. Die Bedrohung durch illegale Einwanderung wurde nun nicht mehr nur als spezifi scher Bezugspunkt in der innerparteilichen Diskussion benutzt, sondern diente jetzt als eines der zahlreichen Argumente, mit denen man die Mehrheit von Mitte-Links bekämpfen wollte. Der Akzent wurde auf den „Niedergang der öffentlichen Ordnung“ gelegt, auf den Zusammenhang zwischen der An-wesenheit der Illegalen und der Kriminalität, auf den instrumentalen

Italien

Charakter des mittlerweile fortgeschrittenen Regierungsvorhabens zur Anerkennung des Wahlrechts für die Immigranten (das als plumper „Stim-menfang“ gebrandmarkt wurde) sowie auf den „Schutz der Schwächsten“, den die Rechte für sich in Anspruch nahm.

Um gegen die Politik der Regierung in diesen Fragen zu opponieren, geht man heute nicht mehr auf die Straße und verzichtet auch meistens auf das Arsenal des ausländerfeindlichen Protests. Man beruft sich im Grun-de lediglich auf die europäischen Normen. ZuminGrun-dest ist das Grun-der Fall, wenn im Senat das Einwanderungsgesetz diskutiert wird. Das Hauptargu-ment gegen die Regierung lautet, sie setze „die Normen der Europäischen Union nicht um“ und man vergesse, dass die europäischen Behörden auch vor kurzem wieder die Mitgliedstaaten aufgefordert hätten, „bei der Gewährung des Asylrechts Vorsicht walten zu lassen“ und gleichzeitig empfohlen hätten, „die Eingewanderten aus Ländern außerhalb der Ge-meinschaft, die kein Recht zum Aufenthalt im Gebiet der Gemeinschaft haben, unverzüglich auszuweisen“. Wenn es eines Beispiels für Italien bedarf, fi ndet man dies in Frankreich, aber es ist nicht mehr das Frank-reich Le Pens, sondern das von Juppé.

Finis Partei, die 1995 aus dem MSI hervorgegangene Alleanza Nazionale (AN), ließ sich selbst in Fällen „wütender Proteste“ gegen die Anwesen-Italien

Wahlplakat der Alleanza Nazionale (National Alliance):

„Verteidige Deine Werte, Deine Kultur und Deinen Bezirk“

heit der Zuwanderer nicht dazu hinreißen, auf die Protestwelle aufzu-springen, wie es noch wenige Jahre zuvor der Fall gewesen war. Das kann man anlässlich der Unruhen in San Salvario in Turin oder in der Via Meda in Mailand belegen. Ihr Presseorgan brachte die Nachricht nicht auf der ersten Seite. Sie wies ihr einen Platz im Inneren zu, und zwar im Lokalteil. Und mehr noch: Sie vermied sogar Bewertungen, die mit Pro-testaufrufen verwechselt werden könnten und entschied sich lieber da-für, die Vertreter der aufgebrachten Einwohner zu Wort kommen zu las-sen; außerdem bemühte sie sich um eine „unaufgeregte Darstellung“. Der Protest richte sich nicht gegen die Fremden aus Ländern außerhalb der EU, sondern gegen Drogenhandel und Kriminalität; dafür spreche jeden-falls, dass die Demonstranten auch die ordentlich registrierten Zuwande-rer eingeladen hätten, sich dem Protest anzuschließen. Zum eigentlichen Angeklagten wurde die Regierung. „Uns reicht es mit der Illegalität“, er-klärte der Vorsitzende des Comitées von San Salvario. „Wir sind es leid, Opfer von Einbrüchen und Gewalt zu sein, die wir den Behörden melden, ohne dass uns jemand anhört“, und „der Staat ist nicht vorhanden“.

Finis Partei lieferte einen weiteren Beweis guten Willens, als eine Verord-nung zur Legalisierung illegaler Zuwanderer, die Sanatoria Dini, in Ge-setzesform verabschiedet werden sollte. Die AN beklagte den offensicht-lichen Mangel an Kooperationsbereitschaft bei der Regierung Prodi

Italien

Wahlplakat der Forza Nuova (FN):

„Bestimmte Menschen wollen, dass unsere Bezirke in die Hände von Ausländern und Drogendealern fallen Andere wollen Ordnung und Sicherheit.

Schließt unsere Grenzen.“

Alien’s deportation Special acts

gegenüber den Vorschlägen der Opposition, als sie sich nicht bereit zeig-te, irgendeinen Änderungsvorschlag am Gesetzestext zu akzeptieren, in-dem sie sofort die Vertrauensfrage damit verband. Die neue Argumen-tationsstrategie lag auf halbem Wege zwischen einem (starken) Verweis auf den Unwillen einer öffentlichen Meinung, die die Fremden ablehnt, und einer (schwachen) Bereitschaft zu einer Politik für deren Integration;

sie ist treffend in der Losung ausgedrückt, die im November 1996 aus-gegeben wurde: „So viel Solidarität wie möglich, so viel Sicherheit wie nötig.“ Die Integrationskraft des politischen Systems scheint zu guter Letzt über die Instrumentalisierung der Proteste gegen die Immigranten als Mittel zum Kampf gegen dieses System gesiegt zu haben.

Von der Systemopposition in die Regierung:

Die erste Partei der rechten Mitte

Auch wenn man die Widerstände der zahlreichen unverbesserlichen Nostalgiker, die geistigen Vorbehalte vieler und die wirren ideologischen Weltbilder ihres intellektuellen Umfelds berücksichtigt, entwickelte sich die AN jedenfalls rasch weiter, um als echte demokratische Kraft glaub-würdig zu erscheinen und erreichte schließlich den Zusammenschluss mit Berlusconis Partei Forza Italia, womit im März 2009 (erstmals in der Geschichte der Republik) eine einzige Partei der rechten Mitte entstan-den ist: das „Volk der Freiheit“ (Popolo della libertà). Es war, wie gesagt, ein Weg nicht ohne Widersprüche und mit manchen hartnäckigen Versu-chen, Überzeugungen, die bis dahin gegolten hatten, zu verteidigen.

Noch im Sommer 1993, mitten in der aufsehenerregenden Wendung zu liberaldemokratischen Ufern, bekräftigte die Partei „die Unmöglichkeit des Zusammenlebens zwischen den Entrechteten aus Nicht-EU-Ländern und denen, die versuchen, […] die eigenen Ressourcen zu verteidigen“.

„Es bedurfte der Volksaufstände von Genua, von Stornara [Provinz von Foggia in Apulien], von Villa Literno [Provinz Caserta in Kampanien], um die vielen ,Gutmenschen‘ davon zu überzeugen, dass die Politik der offenen Tore nicht mehr das geeignete Mittel ist, den Einwanderungs-strom zu kanalisieren“, schrieb die Parteizeitung.

Italien

Die Demokratie wird von den Erben der italienischen extremen Rechten jedenfalls so überzeugt angenommen, dass sich einige der bekanntesten Exponenten der alten neofaschistischen Partei als Wortführer für eine Rechte hervortun, die nicht nur mit alten Einfl üssen aus der Zeit des Faschismus (Nationalismus, Korporativismus, „dritter Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus etc.) aufräumt, sondern selbst die jüngsten Themenschwerpunkte zurückweist, die sich die populistische Rechte in Europa zu eigen gemacht hat: Protest gegen Immigranten, Bedrohung der Sicherheit, Parteienkritik, Ablehnung der europäischen Bürokratie und der Banken etc. An ihre Spitze setzte sich der letzte Parteichef des MSI, Gianfranco Fini, als Nachfolger eingesetzt durch den historischen MSI-Chef Giorgio Almirante, der seine Fehler in der Zeit der Repubblica Sociale Italiana (1943 – 1945) nie bereut hatte: der gleiche Fini, der noch 1990 so weit gegangen war, mit einer Unterschriftenaktion zu drohen, um das sogenannte Martelli-Gesetz (legge Martelli) zu revidieren (das Ge-setz hatte für illegal anwesende Zuwanderer zum ersten Mal die Mög-lichkeit geschaffen, ihren Status zu legalisieren); gleichzeitig sollte ein Volksentscheid verlangt werden, der das Gesetz abschaffen sollte für den Fall, dass das Parlament es nicht revidiert.

Der ideologische Wandel ist so radikal gewesen, dass sich die gleichen früheren MSI-Leute – in ihrer Operationsbasis, der Stiftung Fare Futuro (die Zukunft gestalten) – für eine Verfassungsänderung stark machen, die im Einvernehmen mit der linken Opposition auf eine Gesellschaft ab-zielt, die die Verdienste der Menschen würdigt, auf eine bioethische Politik, die mehr als bisher die Rechte des Individuums achtet, auf eine Einwanderungspolitik, die darauf gerichtet ist, die neu Angekommenen zu integrieren – statt sie zu marginalisieren, geschweige denn sie abzu-schieben, wie das ein kürzlich verabschiedetes Gesetz der Regierung Berlusconi vorschreibt –, indem man ihnen die Staatsbürgerschaft be-reits nach fünf Jahren Aufenthalt zuerkennt (anstatt wie gegenwärtig üblich nach zehn Jahren) und denen, die in Italien geboren sind, auto-matisch den italienischen Pass ausstellt. Zwar fehlte es auch innerhalb der AN nicht an Stimmen und an Triebkräften, vor allem an der Partei-basis und in vielen Bereichen der Peripherie, die sich die neuen

Protest-Italien

gründe zu eigen machten, auch weil sich in der politischen Auseinander-setzung die Stimmung gegen die Zuwanderer machtvoll durchzusetzen begann. So kam es, dass der Sprecher der AN, Maurizio Gasparri, „mehr Härte bei der Abschiebung“ der illegalen Einwanderer forderte und den Vorschlag, den Zugewanderten auch das Wahlrecht zuzugestehen, als

„eine unsinnige Hypothese“ bezeichnete, während andere seiner Partei-freunde – wir sprechen von 1995 –1996 – von „umgekehrtem Rassismus “ redeten. Mancher forderte sogar, „ein Nottelefon zur Verteidigung der Weißen“ einzurichten. Die früheren MSI-Leute haben jedoch weder die Absicht noch die Kraft, sich zu Sprechern der anschwellenden Proteste zu diesem Thema zu machen, denn sie fürchten, diese Welle könnte sie in eine Richtung treiben, in die sie nicht wollen. Dessen ungeachtet ist die extreme Rechte seit der Aufl ösung des MSI auf der Suche nach ihrer eige-nen Identität.

Wo bleibt die extreme Rechte?

Es gibt jetzt weder innerhalb des politischen Systems noch in der öffent-lichen Meinung einen einzigen anerkannten Akteur (wie ihn in der Ver-gangenheit der MSI verkörpert hatte), der für diesen Bereich und diese politische Richtung stünde, eine Richtung, die sogar bedeutende Anhän-ger/innen auch in Italien aufweist – niemand will diese Rolle einnehmen, während sich DIE LINKE schwer tut, die extreme Rechte zu identifi zieren.

Den neuen Vertreter vermutet sie jeweils in jeder der drei Parteien, die bis zur Gründung des PDL die rechte Mitte bevölkern. Einmal war es die Lega Nord (durch ihre Fremdenfeindlichkeit), dann war es AN (wegen ihrer faschistischen Vergangenheit, die sie nie wirklich aufgegeben habe) und schließlich Forza Italia (wegen ihres Populismus).

Im Gegensatz zu den anderen demokratischen Ländern Europas gelingt es hier nicht, diese Ursachen sozialen Unbehagens zu einem klaren poli-tischen Thema werden zu lassen. Sie führen also nicht zur Wiederbe-lebung einer Rechten faschistischer Prägung (abgesehen von Minder-heiten, die es nicht bis ins Parlament schaffen, wie etwa das Movimento Italien

Sociale – Fiamma Tricolore des früheren Anhängers der Repubblica Sociale Italiana (1943–1945) Pino Rauti, der sich vom alten MSI bei der Grün-dung der AN abgespalten hatte, oder Forza nuova von Roberto Fiore und Massimo Morsello, um nur die repräsentativeren zu erwähnen, außer-dem die neonazistischen Naziskin); dieses Unbehagen trägt aber ebenso wenig zum Entstehen einer Rechten der post-materialistischen Art bei. Es wird von keiner der Parteien als spezifi scher Schwerpunkt aufgegriffen;

Sociale – Fiamma Tricolore des früheren Anhängers der Repubblica Sociale Italiana (1943–1945) Pino Rauti, der sich vom alten MSI bei der Grün-dung der AN abgespalten hatte, oder Forza nuova von Roberto Fiore und Massimo Morsello, um nur die repräsentativeren zu erwähnen, außer-dem die neonazistischen Naziskin); dieses Unbehagen trägt aber ebenso wenig zum Entstehen einer Rechten der post-materialistischen Art bei. Es wird von keiner der Parteien als spezifi scher Schwerpunkt aufgegriffen;

Im Dokument EUROPA AUF DEM „RECHTEN“ WEG? (Seite 155-173)