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In mehreren Beiträgen wurde die Frage erörtert, wie sich ein EG-Beitritt auf die Identität der Schweiz auswirken würde. Ausserdem wurden die Befunde zum schweizerischen Konkordanzsystem, insbesondere die Immobilismus-These, ergänzt und nuanciert. Urs Altermatt äusserte die Befürchtung, dass die Beteiligung der Schweiz an der europäischen Integra­

tion aufgrund der Mehrsprachigkeit des Landes zu einer verstärkten Orien­

tierung auf die jeweiligen Nachbarländer führen und damit ein «Auseinan­

derrücken der Sprachgruppen» zur Folge haben könnte. Eine derartige Tendenz lasse sich schon jetzt an der Programmwahl der Fernsehzu­

schauer erkennen. Bei der Vorbereitung der 700-Jahr-Feier habe es sich als sehr schwierig erwiesen, die Frage nach der Identität des Schweizers zu beantworten. Die Distanz zwischen den Alltagskulturen der verschiedenen Sprachgemeinschaften stelle den Intellektuellen die Aufgabe, einen nationa­

len Uberbau schaffen zu müssen. Auch Alois Riklin verwies auf die relativ schwache Kommunikation zwischen Deutschschweiz und Romandie. Der Hoffnung Linders, der von der EG ausgehende Zwang von aussen könne genutzt werden, um Konkordanzmechanismen zugunsten von Mehrheits­

entscheidungen zurückzudrängen und mehr Partizipation im internationa­

len Bereich gegen weniger Integr ation im innerschweizerischen einzutau­

schen, hielt er entgegen, dass die meisten Ausländer die Schweiz - wie die Schweizer selbst - als sehr immobil ansähen, während die drei Referenten erwarteten, dass alles in Bewegung kom men werde.

Die Annahme einer Beständigkeit schweizerischer Traditionen lag auch den Anfragen von Volker Press und Michael Kreile zugrunde. Press bezweifelte, dass die europäische Integration den Sprachnationalismus för­

dern werde, und stellte die Frage, ob die auf die direkte Demokratie bezo­

gene politische Kultur nicht auch den Zusammenhalt der Schweiz in einem integrierten Europa sichern würde. Wo seien denn die politischen Kräfte in der Schweiz, die nicht nur eine Abkehr von der Neutralität, sondern auch einen gewissen Demokratieverzicht als Preis für den EG-Beitritt durchset­

zen könnten, fragte Kreile. Ferner machte er geltend, dass die Partizipation der Schweiz an einer erweiterten EG in ihren Wirkungschancen recht be­

grenzt sei. Wolf Linder hielt d agegen, es stehe nirgends geschrieben, dass die Partizipation der Bürger im schweizerischen System optimiert sei. Der Abbau formaler Beteiligungsmöglichkeiten sei nicht notwendigerweise mit dem Abbau von Demokratie gleichzusetzen. Kurt Rothschild meinte, dass

der Binnenmarkt die sprachliche u nd kulturelle Identität der beteiligten Länder nicht wesentlich be rühre. Riklin kritisierte, dass in der Europa-Debatte in der Schweiz von offizieller Seite zu sehr die Hindernisse für eine EG-Mitgliedschaft hervorgehoben würden. Die Schweiz befinde sich jedoch so oder so in der Einflusssphäre der EG. Bei faktischer Integration ohne Mitbestimmung müsse sie auch Einbussen an Unabhängigkeit hin­

nehmen.

Einen zweiten Themenkomplex bildete de r Immobilismus bzw. die Wandlungsfähigkeit des schweizerischen Konkordanzsystems. Auf die Frage, ob die Schweiz noch regierbar bleibe, wenn das Konkordanzsystem verschwinde, antwortete Hans Peter Fagagnini, er könne sich einen Abschied von der Konkordanz schwer vorstellen. Wohl aber seien andere Formen und eine andere Zusammensetzung der Regierung denkbar. Alter­

matt fasste eine Anpassung der Zauberformel an veränderte Zeitumstände ins Auge, und Linder hielt aufgrund der Umschichtungen im Parteiensy­

stem neue Koalitionen für möglich oder sogar wahrscheinlich. Insofern sei die Konkordanz noch nicht am Ende, denn «es sind noch längst nicht alle Spiele gespielt, die spielbar sind». Fagagnini stützte zunächst die Immobilis-mus-These, indem er auf die geringen Veränderungen in den Wahlergeb­

nissen über einen längeren Zeitraum hinwies. Allerdings bleibe die Locke­

rung von Milieubindungen nicht folgenlos, sondern schaffe Herausforde­

rungen für die Parteiführungen. Da keine absolute Loyalität gegenüber einer Partei, sondern nur noch bestimmte Grundbindungen erhalten blie­

ben, könnten das Personalangebot und das allgemeine Image der Partei sowie die von ihr aufgeworfenen Streitfragen zu weitreichenden Verände­

rungen im Wahlverhalten f uhren.

Ulrich Klöti unternahm es, einige Korrekturen an der Beurteilung des Ist-Zustandes anzubringen, um den in der Diskussion überzeichneten Gegensatz zwischen der Schweiz und dem übrigen Westeuropa zu relati­

vieren. So machte er darauf aufmerksam, dass die Konkordanz auf der obersten Ebene durch eingebaute Konkurrenzmechanismen ergänzt werde, die insbesondere auf städtischer und kantonaler Ebene zum Tragen kämen. Die direkte Demokratie werde in ihrer Bedeutung vielfach über­

schätzt, der Föderalismus in übersteigerter Weise glorifiziert. Häufig sei die­

ser nur noch eine «Konkurrenz zwischen territorialen Einheiten» und nicht mehr das «schöne subsidiäre Modell». Die Stabilität der Wahlergebnisse sei nicht mit Immobilismus auf der Ebene des politischen Personals gleichzu­

setzen, wo durchaus ein Austausch stattfinde. Wenn grüne und

ökolo-Zusammenfassung der Diskussion

gische Kreise sich vor Europa fürchteten, so zeige dies doch, dass sie offen­

bar mit Rückschritten gegenüber dem rechneten, was in der so immobilen Schweiz schon erreicht worden sei.

Das Fazit aus der Diskussion zog Riklin so: «Ich glaube eben nicht, dass die Souveränität, nicht, dass die Demokratie, nicht, dass der Föderalismus das entscheidende Argument ist im Zusammenhang mit der europäischen Integration, sondern die Identität der Schweizer. Und das führt notgedrun­

gen zu der Frage: Was ist die Identität der Schweizer? Darauf eine Antwort zu geben, fällt uns offensichtlich im Moment sehr schwer.»