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Die Bewertung dieser so prognostizierten Zukunft ist von der Priorität der Werte abhängig; diese Priorität ist die Folge von Interessen und Wahrneh­

mungen. Es. gibt nicht « die» Bewertung der Sozialpartnerschaft, sondern die Bewertung wird von Fall zu Fall, von Gesichtspunkt zu Gesichtspunkt verschieden sein - je nach dem, ob etwa ein Produzent oder ein Konsument gefragt ist; ein Bauarbeiter öder eine Junglehrerin; ein Gewerbetreibender oder eine Bankangestellte; ein Getr eidebauer oder ein Vie hbauer.

Sicher ist, dass der Trend zu einer g esellschaftlichen, politischen, wirt­

schaftlichen «Verwestlichung» Österreichs weitergehen wird. Wem dient diese Verwestlichung? Sicherlich eher den Jüngeren, den besser Gebildeten und den Innovationsbereiten; also jenen, die - auch jenseits der Konfliktli­

nie zwischen Arbeit und -Kapital - konfliktfähig sind.

12 Pelinka 1987.

Diese Interessen bedürfen keiner speziellen Bündelung in Form zentrali-stischer, dicht organisierter Verbände; sie können sich direkt in den Partei­

enstaat und Parlamentarismus einbringen, sie können sich unmitte lbar durchsetzen. Der von der Sozialpartnerschaft wegführende Trend begün­

stigt diejenigen Interessen, die politisch eher «out», weil im Verbändestaat nicht primär berücksichtigt sind; die aber sozial eher «in», eben weil grund­

sätzlich durchsetzungsfähig sind.

Die Abkehr von der Sozialpartnerschaft bedeutet eine Entsch eidung gegen die konservativen und - vorsichtig - reformistischen Interessen, die traditionell die Sozialpartnerschaft tragen. Diese Abkehr bedeutet eine Ent­

scheidung für besonders innovationsfreudige, auch risikofreudige Interes­

sen.

Zusammenfassung

Die Diskussion um Verbändestaat und Sozialpartnerschaft in Österreich geht in eine sehr widersprüchliche Richtung. Die in de r Öffentlichkeit dominante Meinung sagt eher Nein zu m Verbändestaat und dennoch Ja zur Sozialpartnerschaft - als ob man das gewünschte Ergebnis, die (tatsäch­

lichen oder scheinbaren) sozialen Harmonieeffekte der Sozialpartnerschaft, von ihren Rahmenbedingungen, eben vom Verbändestaat, so einfach tren­

nen könnte.

Ohne dass einer Katastrophentheorie das Wort geredet wird, ohne dass eine Zusammenbruchsthese der Sozialpartnerschaft möglich ist, so ist den­

noch die Aussa ge im Sinne einer Kost en-Nutzen-Analyse möglich: Die österreichische Sozialpartnerschaft ist deshalb bereits im Abstieg, weil der Verbändestaat im Abstieg ist - ohne spezielle Weichenstellung, ohne ent­

sprechende Grundsatzentscheidung, sondern einzig und alle in aufgrund einer Änderung der gesellschaftlichen Rahme nbedingungen. Die Sozial ­ partnerschaft hat ihren Höhepunkt bereits hinter sich - ob es polit isch gewollt wird oder nicht.

Institutionelle Ein griffe, bewusste polit ische Weich enstellungen - wie z. B. die Aufhebung der Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern - bedeuten nur eine Beschleunigung dieses ohnehin bereits ablaufenden Trends. Dieser Trend geht in Richtun g auf Versc hiebung der Rangordnung der Werte.

Der «soziale Friede» wird weniger wichtig - ohne unwichtig zu werden;

politische Berechenbarkeit und Stabilität hören auf, erstrangig zu sein -ohne letztrangig zu werden. An Bedeutung nehmen hingegen zu: Demo­

kratie als Möglichkeit der unmittelbaren Beteiligung Betroffener; und Inno­

Anton Pelinka

vation als w achsende Gestaltungs- und Umge staltüngsfreiheit gegenüber bestehenden gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen Verhältnissen.

Osterreich und die österreichische Demokratie können durchaus poli­

tische Experimente zulassen, ohne befürchten zu müssen, dass eine solche Öffnung zu nic ht vollständig Berechenbarem die demokratischen Errun­

genschaften der 2. Republik zerstören wird. Die 2. Republik hat bisher vor allem auf die E rgebnisse, auf die inh altliche Qualität der P olitik geachtet:

Sicherheit, Wohlstand, innerer Friede.13 Eben weil d ie 2. Rep ublik, nicht zuletzt wegen der Effekte der Sozialpartnerschaft, so erfolgreich war und ist, verschiebt sich die Priorität zunehmend auf die Beteiligungsformen, auf die prozessuale Qualität der Politik: Bürgerbeteiligung, Zugangsgleichheit, Öffentlichkeit.14 Und parallel dazu blickt eine neue Generation von immer besser gebildeten Österreicher(innen) auf d ie Konfliktlinien, an denen die Sozialpartnerschaft vorbeigegangen ist, vorbeigehen musste, aufgrund ihrer Strukturen weiterhin wird vorbeigehen müssen: Ökologie und Begrenzt­

heit der Natur, Generationen und Vernachlässigung des Faktors Zeit, Geschlechter und fakt ische Diskriminierung der Frauen.

Die 2. Republik Österre ich hat bisher als M odell einer Konkord anz­

demokratie gegolten15 - statt des Wettbewerbs um Wählerstimmen war die : Kompromissbereitschaft und Komp romissfähigkeit der politischen Eliten der bestimmende Faktor. Gegenwart und Zukunft weisen jedoch auf eine deutliche Abnahme der Konkordanzdemokratie zugunsten einer Konkur­

renzdemokratie. Österreich teilt diese «Tendenzwende» in Richtung einer verstärkten politischen (und auch wirtschaftlichen) Wettbewerbsorientie­

rung mit anderen «Modelländern» der Konkordanzdemokratie - etwa mit der Schweiz und mit den Niederlanden.16

Österreich hat damit keineswegs aufgehört, Konkordanzdemokratie zu sein. Doch in das vom Wunsch nach Harmonie geprägte Konzert der kompromissbereiten und kompromissfähigen, traditionellen Eliten mischen sich zunehmend Töne eines nicht von vornherein und von oben kanalisierten, mehr oder weniger gesteuerten Konfliktverhaltens. Das Par­

teiensystem wird komplexer, die Ein(ieutigkeit der beherrschenden Kon­

fliktlinien nimmt ab, Mehrfachloyalitäten - die Parteien und Verbände an­

einander binden - gehen zurück.

13 Katzenstein 1984, 133-161.

14 Gerlich 1985.

15 Steiner 1972, 409-426.

16 Vgl. Lehmbruch 1984, ders. 1985.

Das Österreich des letzten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts wird jedenfalls nicht mehr ein Extremfall von Konkordanzdemokratie und Neokorpora­

tismus sein - das politische System Österreichs nähert sich, von konkor­

danzdemokratischen und neokorporativen Extremwerten ausgehend, ver­

stärkt einer europäischen «Normalität».

Dieser Befund bedeutet aber auch, dass die der Sozialparmerschaft immer wieder zuges chriebenen, latent autor itären Tendenzen nicht ent­

scheidend sind oder sein werd en.17 Die Sozialpartnerschaft bedeutet den Vorrang für eine bestimmte Form von Demokratie, eben für Konkordanz­

demokratie. Sie hat im Fal l Österreichs den Parlamentarismus nicht nur nicht zerstört, si e hat vielme hr die Zunahme von Parla mentarismus und Konkurrenzdemokratie letztendlich nicht verhindern können. Mit der So­

zialpartnerschaft ist auch das in der Sozialpartnerschaft angelegte latent Au­

toritäre im Rückzug begriffen.

Die österreichische Sozialpartnerschaft und mit ihr die 2. Republik waren und sind eine Erfolgsstory. Aber: Erfolgreiche Einrichtungen tendie­

ren dazu, sich selbst überflüssig zu machen. Vieles spricht dafür, dass wir schrittweise diese Selbsteliminierung durch Erfolg gerade jetzt erleben. Und es ist der wohl wichtigste Erfolg der 2. Republik, die eine Republik der SPÖ und der ÖVP, der Bundeswirtschaftskammer und des ÖGB, der Land­

wirtschaftskammern und der Arbeiterkammem war und ist, dass wir rela­

tiv gelassen die heraufdämmernden Konturen einer 3. Republik beobach­

ten und bewerten können - einer Republik, in der es weniger Parteienstaat, aber mehr Parteien, in der es kaum noch Verbändestaat und nur eine be­

grenzte Sozialpartnerschaft sowie teil weise andere Verb ände, auch Ver­

bände neuen Typs, geben wird; einer Republik, die schwierig, unberechen­

bar, konfliktreich sein wird, die aber insgesamt ein gutes Stück demokrati­

scher sein kann.

17 Matzner 1982, 446-451.

Anton Pelinka

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