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5. Analysen und Diskussion der Ergebnisse

5.4 Zusammenfassung und Diskussion

Insgesamt lässt sich bei den für die vier MS untersuchten Vorverhandlungen zur Rechtsetzung auf europäischer Ebene der größte Teil der Varianz in den Präferenzpositionen auf einer einzigen Dimension abbilden. Diese Dimension kann meist eindeutig als Links/Rechts-Dimension interpretiert werden. Die repräsentierten Akteure bzw.

Akteursgruppen weisen unterschiedliche Präferenzen für staatlichen Interventionismus und Regulierung, für Protektionismus oder für Verbraucherschutz auf.

Eine zweite Dimension zur Repräsentation der Konfliktlinien während der Verhandlungen ist am häufigsten in Deutschland erforderlich. Diese spiegelt dann sehr spezifische Interessen wider. Für Großbritannien konnte nur ein Vorschlag untersucht werden.

Dabei lässt sich unter den nationalen Akteuren nur eine Konfliktlinie ausmachen, die die entgegengesetzten Präferenzen von Regierung und Opposition bzw. der Finanzwirtschaft (City of London) für mehr oder weniger europäische Integration wiederzugeben scheint.

Die Ergebnisse meiner Untersuchungen bestätigen weitgehend meine Hypothese zur Dimensionalität der nationalen Vorverhandlungen (H4). Die an den Vorverhandlungen beteiligten staatlichen und privaten Akteure versuchen ihre Transaktionskosten zu minimieren, indem sie möglichst alle Themen innerhalb ihnen vertrauter politischer Spaltungen diskutieren. Eine an nationalen Interessen ausgerichtete Konfliktlinie ist lediglich in zwei Fällen auszumachen: in Großbritannien zwischen nationalen Akteuren und Europäischer Kommission zum Schutz des Finanzstandortes London, in Finnland zwischen nationalen Akteuren und Greenpeace Brüssel zur Beibehaltung der bestehenden nationalen Gesetzeslage.

Ein Vergleich der nationalen Vorverhandlungen mit den Verhandlungen innerhalb des Ministerrates weist auch bei der Analyse einzelner Kommissionsvorschläge auf eine höhere Dimensionalität der Konfliktstruktur auf europäischer Ebene hin66. Das am stärksten strukturierende Merkmal innerhalb des Ministerrates bleibt ein Nord/Süd-Konflikt.

Insgesamt wird der Verhandlungsraum innerhalb des Ministerrates vorrangig durch je spezifische nationale Interessen dominiert. Dieses Ergebnis bestätigt einen gewissen Mangel an Struktur (vgl. THOMSON et al. 2003), da die Präferenzprofile der MS global kein konsistentes Muster aufweisen. Die instabilen Abstimmungsmuster, die entlang unterschiedlicher nationaler Grenzen verlaufen, weisen auf ein themenspezifisches Votieren der Vertreter der MS entsprechend der jeweiligen nationalstaatlichen Interessen hin (so zum EP: NOURY 2002).

Eine Vorhersage des Präferenzmusters der MS im Ministerrat gelingt am häufigsten durch eine angenommene Interessenkonvergenz der südlichen MS. Davon ist lediglich die Gruppe der skandinavischen MS auszunehmen, deren Präferenzprofile untereinander die größten Ähnlichkeiten aufweisen und die in den Clusteranalysen die homogenste Gruppe bilden.

Diese Ergebnisse bestätigen nur zum Teil die in meinen Hypothesen postulierten Zusammenhänge. Erstens entspricht zwar die Anordnung der MS auf der dominanten Nord/Süd-Dimension weitgehend den Links/Rechts-Positionen der Regierungen nach BUDGE et al. (2001) (H1). Da aber auch die übrigen Dimensionen durch unterschiedliche Regulierungs-, Liberalisierungs- oder Protektionsinteressen definiert sind und jeweils andere Anordnungen der MS aufweisen, ist die Hypothese der parteipolitischen oder ideologischen Determinierung der Präferenzstrukturen nach meinen Analysen im Prinzip nicht zu halten.

Der Nord/Süd-Konflikt im Ministerrat bleibt somit eine „Subkategorie der nationalen Spaltung“ (HÖNNIGE/KAISER 2003: 5).

Zweitens gelang die Identifikation einer Mehr/Weniger Integration-Dimension in den Präferenzdaten zum Ministerrat entsprechend des nach RAY (1999) entwickelten Index nicht überzeugend (H2). Dazu ist allerdings zu sagen, dass auch unabhängig von meiner Operationalisierung durch den Index teilweise die Entscheidung, ein Thema bzw. eine Präferenzposition der Kategorie Links/Rechts (mehr oder weniger staatliche Regulierung) oder Mehr/Weniger Integration zuzuordnen, nicht leicht fiel. Das Problem einer klaren Definition bzw. Konzeptualisierung der Integrationsdimension bleibt weiter bestehen.

66 Dieses Resultat scheint nicht durch die größere Anzahl der Akteure in den Untersuchungen zum Ministerrat bedingt, da auf nationaler Ebene auch vor einer Zusammenfassung der Akteure zu Akteursgruppen weniger divergierende Präferenzpositionen bestanden.

Meine Interpretation geht vorrangig von einer Strukturierung des politischen Konfliktraums durch die Links/Rechts-Dimension aus. Dies wird mit der theoretischen Annahme des Strebens der politischen Akteure nach kognitiver Vereinfachung gerechtfertigt.

Im Zweifel wurde deshalb stets eine Einordnung in eine Links/Rechts-Kategorie gewählt.

Die an spezifischen nationalen Interessen orientierten Präferenzprofile der MS und die daraus resultierenden Konfliktlinien lassen sich jedoch als „Integrationsdimension“ im Sinne von HIX (1999b: 72f.) deuten. Er definiert die Integrationsdimension als eine allgemeine national/territoriale Spaltung zwischen den MS. Sie ist nicht einfach definiert durch die Präferenzen der MS für mehr oder weniger europäische Integration. Stattdessen bildet sie Konflikte aufgrund unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen, historischer Mythen, Kultur oder Rechte und Pflichten ab. Diese Konflikte entstehen, wenn die europäische Politik die nationale Identität oder nationale Interessen gefährdet oder wenn ein oder mehrere MS auf Kosten von anderen zu profitieren scheinen (vgl. Kapitel 3.1).

Drittens beschränken sich die im Ministerrat vorherrschenden Konflikte zwischen Nord und Süd nicht auf Subventionen und Redistribution (H3), sondern schließen auch andere wirtschaftliche Interessen (wie Regulierung und Protektionismus) ein. Dennoch kann der Status eines MS als Nettogeber oder Nettoempfänger für eine grobe Schätzung seiner Präferenzpositionen herangezogen werden.

Insgesamt erscheint die praktische Anwendung der im Forschungsdesign entwickelten Skalen zum Testen der Hypothesen problematisch. So wird die Haltung einer Regierung zu einem Kommissionsvorschlag wohl nicht nur durch die in einem Wahlprogramm postulierte Haltung der Regierungsparteien bestimmt. Relevant sind sicherlich ebenfalls der Einfluss anderer Akteure wie privater Interessen- bzw. Lobbygruppen oder der Ministerialbürokratie.

Dabei spielt auch der Kontext für die spezifischen wirtschaftlichen Interessen der MS (wie z.B. eine große Zahl Arbeitsplätze in einer bestimmten Branche) eine große Rolle.

Die Dominanz unterschiedlicher Konfliktlinien bei den Verhandlungen zwischen Vertretern der MS im Ministerrat und zwischen Abgeordneten nationaler Parteien im EP lässt sich durch die unterschiedliche Repräsentationsstruktur dieser beiden Institutionen erklären (Damit bestätige ich die Analyse in HIX et al. 2003). Die Abgeordneten des EP sind in Parteigruppen organisiert, die Vertreter der MS in den Arbeitsgruppen und im COREPER dagegen in nationalen Delegationen. Da die Präferenzunterschiede zwischen den nationalen Delegationen innerhalb der europäischen Parteigruppen zu groß sind, um eine gemeinsame Position zu ermöglichen, existieren nationale Konflikte nur latent. Die Verhandlungen zwischen Parteien und Fraktionen werden so weitgehend auf eine sozio-ökonomische

Dimension verlagert (HIX 1999b). Die Konfliktlinien innerhalb des Ministerrates verlaufen dagegen entlang nationalstaatlicher Grenzen, da ein MS nur mit einer einzelnen Präferenzposition vertreten sein kann. Deshalb werden nur die territorialen Interessenunterschiede sichtbar.

Wie bereits im Forschungsdesign dargestellt, umfasst der DEU eine breite Spanne von Politikbereichen unter den verschiedenen Entscheidungsverfahren und Abstimmungsregeln.

In den Ausführungen zum Untersuchungszeitraum hatte ich argumentiert, dass in meiner Untersuchung die Präferenzprofile der MS für den Zeitraum nach 1995, nach den letzten Beitritten der nördlichen MS Finnland, Österreich und Schweden, repräsentiert werden können. Nach Durchführung der Analysen möchte ich die Generalisierbarkeit meiner Ergebnisse vorsichtig beschränken auf die insgesamt als sehr stabil befundene Nord/Süd-Dimension. Diese ist nicht von der Wahl der Methode abhängig und scheint daneben auch über eine große Zahl unterschiedlicher Themen Bestand zu haben. Dies gilt in gleichem Maße für keine der anderen gefundenen Konfliktlinien, die alle stärker von spezifischen Themen abhängen67.

Eine Verallgemeinerung meiner in Fallstudien durchgeführten Analysen der nationalen Vorverhandlungen ist ungleich schwieriger, da meine Beobachtungen auf einer recht geringen Fallzahl beruhen. Dennoch sind die Ergebnisse hier weitgehend eindeutig. Bei den nationalen Vorverhandlungen lassen sich die Akteure zum größten Teil mit unterschiedlichen Positionen auf einer Links/Rechts-Achse abbilden.

67 Als zweite relativ stabile Konfliktlinie konnte eine Verbraucherschutzdimension identifiziert werden. Diese beruht allerdings auf einer geringeren Anzahl der Themen und weniger konsistenten Präferenzen der MS, weshalb sie weniger klar zu identifizieren ist.