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Zur Überprüfung der in Kapitel 3.1 aufgestellten Hypothesen werden Indexwerte für die Regierungspositionen gebildet. Ermittelt werden die Positionen der Regierungen der MS auf einer Links/Rechts-Skala (zu H1), ihre Haltung gegenüber europäischer Integration (zu H2) sowie die Nettotransferzahlungen der EU an die MS (zu H3)32. Zur inhaltlichen Ausgestaltung dieser Indizes liegen Daten und Vorschläge in der Literatur vor.

4.6.1 Index der Links/Rechts-Positionen der Regierungen

Zur Bestimmung der Positionen der Regierungen der MS auf einer Links/Rechts-Skala (H1) stehen die Daten des Comparative Manifestos Project von BUDGE et al. (2001) zur Verfügung. Der Datensatz beruht auf einer Inhaltsanalyse der Wahlprogramme der Parteien in allen MS der EU. Die Inhaltsanalyse von Wahlprogrammen hat gegenüber einer Expertenbefragung (wie z.B. HUBER/INGLEHART 1995) generell den Vorteil, dass den ermittelten Indikatoren einheitliche Beurteilungskriterien zugrunde liegen und der Zeitpunkt oder Zeitraum ihrer Geltung feststeht; sie sind damit besser über Zeit und Raum vergleichbar als die Daten aus einer Expertenbefragung (BUDGE 2000).

Außerdem bieten BUDGE et al. (2001) im Vergleich zu HUBER/INGLEHART (1995) aktuellere Daten; ihre Analyse erfasst die Wahlprogramme der MS von 1945 bis 1998, mit Ausnahme von Griechenland (bis 1996), Portugal (bis 1995) und Spanien (bis 1996). In HUBER/INGLEHART sind überhaupt keine Angaben zu Parteien in Griechenland und Luxemburg enthalten.

Die Variable Rile misst die Links/Rechts-Positionen der Parteien auf einer Skala von -100 (links) bis +100 (rechts)33 Zur Bildung des Index der Links/Rechts-Positionen der Regierungen werden die Werte für die einzelnen Regierungsparteien mit der Anzahl ihrer Kabinettssitze (Anzahl der Minister, die eine Regierungspartei stellt) gewichtet. Hat innerhalb der Periode 1999-2000 ein Regierungswechsel stattgefunden, so werden die Werte gewichtet mit der Anzahl der Monate, in denen eine Regierung im Amt war (vgl. MATTILA 2002: 12).

Für parteilose Regierungsmitglieder wird der gewichtete Mittelwert der Regierung angenommen. Diesen Wert ziehe ich einer neutralen Position auf der Links/Rechts-Achse vor, weil sich ein Regierungsmitglied selbst ohne Parteibuch kaum neutral verhalten kann, sondern die Position der gesamten Regierung mit vertreten muss.

32 Die numerischen Werte der Indizes finden sich unter A-4.

33 Der additive Index enthält Indikatoren aus den Bereichen Wirtschaft (Markt-/Planwirtschaft, Regulierung, Protektionismus, Wohlfahrtsstaat), Internationale Beziehungen (Militär, Menschenrechte, Frieden), Freiheit und Demokratie sowie Gesellschaft (Moral, Recht und Ordnung, Zivilgesellschaft).

BUDGE et al. (2001) berichten die Werte für alle Regierungsparteien der MS für die Jahre 1999-2000 mit Ausnahme der italienischen UDEUR (Unione dei Democratici per l’Europa) und DEM (I Democratici). Ihre Position geht ebenfalls als Mittelwert der übrigen Regierungsparteien in den Index ein. Da die Links/Rechts-Dimension den nationalen politischen Konfliktraum und die Bildung von Regierungskoalitionen dominiert, sollten die Positionen der Parteien in einer Regierungskoalition keine sehr große Varianz aufweisen.

Um die Interpretation der Indexwerte zu erleichtern, werden sie schließlich auf Werte zwischen 0 und 1 standardisiert (0 = extrem links, 1 = extrem rechts). Abbildung 4.1 veranschaulicht die standardisierten Links/Rechts-Regierungspositionen der MS in einem Balkendiagramm34.

Abb. 4.1 Links/Rechts-Regierungspositionen der MS, Durchschnittswerte 1999-2000

Quelle: BUDGE et al. (2001)

Die Abbildung verdeutlicht die geringe Differenzierung der MS auf der Links/Rechts-Achse. Bis auf Irland, Großbritannien, Italien und Österreich nehmen alle Regierungen eine Position im schwach linken Bereich ein.

4.6.2 Index der Regierungspositionen zur europäischen Integration

THOMSON et al. (2003) messen die generelle Orientierung der MS zur EU und zur europäischen Integration mit Eurobarometer-Daten. Im Eurobarometer werden die Bevölkerungen der MS befragt. Auch wenn nach DOWNS’ (1957) ökonomischer Theorie der Demokratie die politischen Eliten einen starken Anreiz haben, sich entsprechend der Meinung der Bevölkerung zu verhalten, so lässt sich daraus doch nicht ihr tatsächliches Verhalten

34 Die Kürzel der MS in Abbildungen und Tabellen entsprechen den internationalen Kraftfahrzeugkennzeichen.

ableiten. Dies gilt um so mehr, als die Sitzungen des Ministerrates unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.

Als Alternative stehen zwei Möglichkeiten für die Messung von H2 zur Verfügung:

Im Datensatz von BUDGE et al. (2001) wurde die Haltung der Parteien zur EU mit dem prozentualen Anteil der positiven und negativen (Quasi-)Sätze in den Wahlprogrammen gemessen35. Die Indexwerte ergeben sich als Summe der beiden items. Auf der standardisierten Skala steht die 0 für eine extrem anti-integrationistische und die 1 für eine extrem pro-integrationistische Partei- bzw. Regierungsposition.

Daneben berichtet RAY (1999) die Ergebnisse einer Expertenbefragung zu Parteipositionen zur europäischen Integration. Ein item fragt die generelle Haltung der Parteien zur europäischen Integration ab36. Die aktuellsten Werte beziehen sich auf das Jahr 1996. Die Verwendung von Experteneinschätzungen zur Bestimmung von Parteipositionen hat den Vorteil, dass alle Parteien eines politischen Systems in die Bewertung einbezogen werden können, auch wenn sie in ihren Wahlprogrammen die europäische Integration nicht oder kaum erwähnen (RAY 1999: 285). Allerdings enthalten die Daten von RAY neben den beiden italienischen Parteien, die auch bei BUDGE et al. (2001) fehlen, keine Werte für die finnische VAS (Vasemmistoliitto) und die italienische RI (Rinnovamento Italiano). Analog zum Vorgehen beim Links/Rechts-Index wurden für diese Parteien die Mittelwerte der anderen Regierungsparteien bei RAY eingesetzt.

Eine Korrelationsuntersuchung der Werte der Regierungen auf den beiden Integrationsskalen aus Abbildung 4.2 ergibt einen negativen und nicht signifikanten Zusammenhang. Die Assoziationsmaße Kendall-Tau-b und Spearman-Rho nehmen die Werte -0.105 bzw. -0.129 an. Auch die graphische Darstellung im Streudiagramm mit eingezeichneter Regressionsgerade zeigt, dass die Werte aus der Analyse der Wahlprogramme nicht mit denen der Expertenbefragung übereinstimmen.

35 per 108 (European Community: Positive) zählt “favourable mentions of European Community/Union in general; desirability of expanding the European Community and/or of increasing its competence; desirability of the manifesto country joining or remaining a member”, per 110 (European Community: Negative) dagegen die

“hostile mentions of the European Community/European Union; opposition to specific European policies which are preferred by European authorities; otherwise as 108, but negative”.

36 Die Experten sollten die Parteien auf der folgenden Skala einschätzen: “The overall orientation of the party leadership towards European integration: 1 = Strongly opposed to European integration, 2 = Opposed to European integration, 3 = Somewhat opposed to European integration, 4 = Neutral, no stance on the issue of European integration, 5 = Somewhat in favor of European integration, 6 = In favor of European integration, 7 = Strongly in favor of European integration” (RAY 1999: 295, Hervorhebung im Original).

Abb. 4.2 Regierungspositionen zur europäischen Integration, Durchschnittswerte 1999-2000

Streudiagramm mit Regressionsgerade

Pro/Anti Integration (BUDGE et al. 2001) ,55 ,54 ,53 ,52 ,51 ,50

Pro/Anti Integration (RAY 1999)

1,0

,9

,8

,7

GB S E P

NL L

I IRL

GR

D

F FIN

DK B

A

Für meine Untersuchung möchte ich auf die Werte von RAY (1999) zurückgreifen.

Dies kann praktisch und theoretisch begründet werden. Erstens differenziert RAY stärker zwischen den MS als BUDGE et al. (2001). Zweitens ist die Operationalisierung überzeugender. Die Experten schätzten explizit die Haltung der Parteien zur europäischen Integration. Die Analyse der Wahlprogramme basiert dagegen auf der Häufigkeit von Nennungen. So wird der Wert für eine Partei auch davon beeinflusst, wie aktuell und bedeutend das Thema europäische Integration im jeweiligen MS insgesamt und zur Zeit des jeweiligen Wahlkampfes ist.

4.6.3 Nettotransferzahlungen der EU an die MS

Die Angaben über die Transferzahlungen zwischen der EU und den MS zur Überprüfung von H3 sind den Daten von RODDEN (2002) entnommen. Abbildung 4.3 zeigt die Nettotransferzahlungen (d.h. die Summe aus Beitragszahlungen der MS und Zuwendungen der EU) und die Beihilfen aus Agrar- und Strukturfonds, jeweils im Durchschnitt für die Jahre 1995-1999.

Irland ist mit Abstand der größte Nettoempfänger unter den MS. Es folgen Griechenland, Portugal und Spanien. Zu den Nettozahlern gehören v.a. die Niederlande, Deutschland und Luxemburg, daneben Schweden, Österreich, Belgien und Großbritannien.

Für die übrigen MS ist der EU-Haushalt insgesamt beinahe ausgeglichen.

Abb. 4.3 EU-Transferzahlungen als Anteil am BIP der MS, Durchschnittswerte 1995-1999

Quelle: RODDEN (2002)

Obwohl alle MS Zuschüsse aus den Kohäsionsfonds erhalten, unterscheiden sich diese deutlich in ihrer Höhe. Aus dem Agrarbudget des EU-Haushaltes sind die Zahlungen an Irland sowie Griechenland, Dänemark, Spanien und Frankreich am höchsten, von den Strukturfonds profitieren Portugal und wiederum Griechenland, Irland und Spanien am meisten. Die Angaben beziehen sich auf die Höhe der Zahlungen als Anteil des BIP der MS.

Damit wird zwar nicht direkt erfasst, wie stark beispielsweise einzelne Sektoren der Landwirtschaft in einem MS tatsächlich von Subventionen abhängen. Dennoch erleichtert ein Vergleich der Höhe der Finanzhilfen mit der gesamten Wirtschaftsleistung eines MS die Erfassung der Bedeutung von EU-Subventionen für diesen MS.

Meine Ausführungen zum Forschungsdesign enthielten eine Beschreibung der Daten, stellten die anzuwendenden Methoden vor, diskutierten Kontrollvariablen und den Umgang mit fehlenden Werten sowie die Operationalisierung meiner Hypothesen. Im folgenden Abschnitt werde ich nun die Ergebnisse meiner Analysen darstellen und ausführlich diskutieren.