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Zur Rolle von Metaphern im gesellschaftlichen Natur- Natur-Diskurs

Bereits Darwin war sich der Bedeutung von Metaphern im Diskurs über die Natur sehr bewusst. Den Ausdruck »Struggle for existence (of life)« übernahm Darwin von dem Geologen Charles Lyell. Darwin bettete ihn in ein von Mal-thus geprägtes Konzept zur Entwicklung einer geometrisch wachsenden Po-pulation unter arithmetisch begrenzten Ressourcen ein. Im Deutschen wird der Ausdruck prägnant als »Kampf ums Dasein« übersetzt, aber:

»Es sei vorausgeschickt, dass ich die Bezeichnung »Kampf ums Dasein« in einem weiten metaphorischen Sinne gebrauche, der die Abhängigkeit der We-sen voneinander, und was noch wichtiger ist: nicht nur das Leben des Indivi-duums, sondern auch seine Fähigkeit Nachkommen zu hinterlassen, mit ein-schließt.« (Darwin 1988, S. 101)

Darwin ging es also beim »Kampf ums Dasein« um einen theoretischen Er-klärungsbegriff, kurz darum, ein nomothetisches Prinzip, besser noch, eine Bildungsregel für die Entwicklung der Fähigkeiten von Individuen und deren Reproduktion in Populationen – sprich Arten – qua »natural selection« vor-zulegen. Es ging Darwin nicht um einen evolutionären Boxkampf. Nichtsdes-toweniger ist das Prinzip trivialisiert und im klassischen Sozialdarwinismus naiv und unreflektiert auf gesellschaftliche Verhältnisse übertragen worden.

Derart kann eine soziale Norm naturalistisch begründet werden. Metaphern können ontologisiert, trivialisiert und am Ende zu Dogmen werden. Dies ge-schieht auch in aktuellen Diskursen nicht selten mit biologischen Termen wie

»Evolution«, »Ökosystem« oder »DNS«, die dann metaphorisch und reduk-tionistisch auf gesellschaftliche Prozesse übertragen werden. Insbesondere, wenn es um »die Evolutionstheorie« geht, vergessen aktuell manche Wissen-schaftler und viele Laien gerne, dass es »die Evolutionstheorie« nicht gibt, wohl verschiedene »Evolutionstheorien« (Wuketits 1988), sei es Theoriekom-pilationen wie die sogenannten »Synthetische Theorie der Evolution« (Mayr) oder eine Vielzahl von Teiltheorien wie den Gradualismus (Darwin), Punktu-alismus, Saltationismus (Gould), Neutralismus (Kimura) oder Evo Devo (Caroll). All das wird meist schnell unter »Evolution« subsumiert, aber im bi-ologischen Kontext differenziert betrachtet (Zrzavý 2010).

Derartige, ursprünglich im Fachdiskurs auf spezielle Gegenstände bezogene, Terme wandern nach und nach immer häufiger in gesellschaftliche Diskurse ein und werden dann zu Ausgangspunkten für ein sehr weites Feld von Asso-ziationen und Konnotationen. Zumindest die Wissenschaft muss dann recht-schaffen rückfragen und sich immer wieder neu vergewissern, um welche Ob-jekte es geht und in welchen Kontexten, ferner wieweit der jeweilige Gebrauch der Terme plausibel, nachvollziehbar oder legitim ist.

Welche Unterscheidungen sollten beachtet werden? Biologische Terme erwei-sen in der Wiserwei-senschaft und Gesellschaft, kurz gesagt, ihren Dienst in vier un-terschiedlichen Diskursfeldern:

1. als innerwissenschaftliche Terme der Kommunikation, Beschreibung u.

Erklärung wissenschaftlicher Sachverhalte, Phänomene & Theorien.

Wer die merkwürdigen Eigenschaften des Käfers Phloeodes diabolicus begreifen will, nimmt teils anthropomorphe Ausdrücke teils ganz ele-mentare biologische Erklärungskonzepte wie die Theorie der natürli-chen Selektion in Anspruch, um das merkwürdige Phänomen möglichst adäquat beschreiben und erklären zu können. Aber auch technische Versuche, physikalische oder auch anthropozentrische Vergleiche kön-nen der wissenschaftlichen Aufklärung des Phänomens diekön-nen: »Tests mit aus dem Panzer geschnittenen Proben zwischen zwei Stahlplatten zeigen, dass 149 Newton aufgewendet werden müssen, um die Struktur zu zerbrechen. Zum Vergleich: Ein Mensch, der einen Käfer mit Dau-men und Zeigefinger zerdrücken wollen würde, könnte je nach Finger-kraft nur rund 35 bis höchstens 63 Newton aufbringen.«

2. als sprachliche Mittel in der inter- und transdisziplinären Heuristik, d. h. bei der kreativen Suche nach neuen wissenschaftlichen Sachver-halten & Theorien.

• Verlassen solche Terme die engere fachbiologische Perspektive, können sie durchaus in anderen, nicht-biologischen, z. B. rein technischen Fel-dern, neue Produkte oder Vorgehensweisen anregen. In diesem Sinne stimulieren solche Terme und werden für die Forschung fruchtbar, z. B.in der Bionik. Welche Relevanz könnte dieser Käfer für technische Produkte oder Verfahren haben? Im Artikel wird eine technische An-wendung angesprochen: »Das Konstruktionsprinzip sollte auch die In-genieurwissenschaft interessieren, meinen die Forscher: Ein Nachbau der über Puzzelteil-Verbindungen stabilisierten Schichten aus dem 3-D-Drucker, bei dem zwei unterschiedliche Materialien kombiniert wur-den, erwies sich als stabiler als typische Verbindungen, die heute etwa im Flugzeugbau zum Einsatz kommen. Dabei variieren Festigkeit und Elastizität des Materials stark, abhängig von der Anzahl der Puzzlever-bindungen und der Größe und Stärke der einzelnen verbundenen Ele-mente.«

3. im öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs, darüber hinaus der schnel-len Aufklärung und Akzeptanzbeschaffung.

• Selbst in diesem recht unscheinbaren Fallbeispiel kann der kaum platt zu kriegende Käfer einerseits der schnellen Aufklärung über die Bedeu-tung der natürlichen Selektion dienen oder über die besonders überle-bensfähige Architektur eines organismischen Bauplans. Vielleicht las-sen sich damit aber auch Akzeptanzprobleme überwinden, wenn es um die Herstellung oder Nutzung militärischer Anwendungsfelder geht, z. B. kleinster, kaum zerstörbarer Spreng- oder Tretminen.

Natur, Technik & Ethik – Reflexionen und Fragen zur Natur als Vorbild

4. im ideologischen Diskurs gerade auch nichtwissenschaftlichen Grup-peninteressen oder dem Machterhalt von gesellschaftlichen Institutio-nen.

• Mit Bezug auf rassistische oder sexistische Argumentationen sind bio-logische Rechtfertigungen nicht gerade selten; sie stabilisieren dann eine Ideologie und fungieren als Instrumente eines totalitären Herr-schaftsinteresses in der Gesellschaft. Der extrem überlebensfähige Kä-fer Phloeodes diabolicus wird vielleicht kaum zur Festigung einer Ideo-logie beitragen. Doch wer weiß, welche Metaphern, Assoziationen und Konnotationen zu dessen Widerständigkeit noch möglich sind: »Vom Auto überrollen lassen und weiterlaufen, als wäre nichts geschehen?

Kein Problem für den Sechsbeiner.«, heißt es im Artikel. Zudem, der Käfer sei »deswegen berüchtigt, weil man ihn, einmal gesammelt, kaum wie andere Insekten auf eine Nadel im Schaukasten spießen kann«, so Max Barclay, der Chefkurator des Londoner Naturkundemuseums in

»Nature«: »Seine Flügeldecken sind einfach zu fest und undurchdring-lich«. – Welche gesellschaftliche Assoziationen zur Überlebenskunst, Resistenz oder Resilienz werden damit evoziert?

Gerade in den Diskursfeldern 3 und 4 wandern biologische Terme bzw. Phä-nomene in die Gesellschaft und können dann auch zu bloßen »Plastikwör-tern« (Pörksen 1988) verkommen, vielleicht aber auch im wissenschaftlichen Naturdiskurs. – Zugegeben, das hier benutzte, bewusst recht unscheinbare Beispiel mag unproblematisch sein; es wird wohl kaum als individualistisches Überlebensparadigma für eine asoziale Gesellschaft taugen. Doch seinem Bei-namen diabolicus macht der Käfer alle Ehre. Zumindest zeigte ein Experi-ment, dass er von einem Auto überfahren werden konnte, ohne dabei Schaden zu nehmen. Wenn allerdings das Exempel in eine umfassendere Naturkonzep-tion eingebettet wird – sei es in Hierarchiekonzepte oder in solche des Gleich-gewichts oder UngleichGleich-gewichts etc. in der Natur, bedarf es zunächst einer tie-fergehenden historischen oder theoretischen Analyse, sei es, ob oder inwie-weit es sich dabei um historisch bedingte soziomorphe Projektionen handelt, oder um Theorieelemente, die zwar nomothetisch betrachtet einen begrenzten Horizont für kausale oder probabilistische Erklärungen eröffnen, die aber als solche nicht als axiologische oder normative ethische Konzepte taugen, insbe-sondere, wenn dabei vorschnell Seinsaussagen zu Sollensaussagen umgedeu-tet werden, kurz, wenn ontologische Aussagen zur ethischen Beurteilung so-zialer oder technischer Prozeduren oder Produkte bzw. pauschal zur For-schungslegitimation herangezogen werden. Oder noch anders formuliert: Nur weil etwas »Bio« ist oder als solches ausgegeben wird, ist es ethisch betrachtet noch nicht »an sich« gut, sondern bedarf einer unabhängigen ethischen Legi-timation »für mich« als ethisches Subjekt oder für die Gesellschaft.