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Technik und die Frage nach dem Kriterium der moralisch-praktischen Güte

Das Kriterium der technisch-praktischen Güte eines technischen Produkts ist seine Brauchbarkeit oder Funktionalität für den technischen Handlungszweck und ist von Ingenieurwissenschaftlern und von Usern zu beurteilen. Ob tech-nischen Gütern auch eine moralische Güte zuzusprechen ist bzw. durch wel-che moraliswel-che Güte die Handlungszwecke sich auszeichnen, für die die tech-nischen Instrumente konstruiert wurden, ist eine ethische Frage.

Die Sehnsucht nach der guten Technik

Ethik ist die systematische Beurteilung moralischer Praxis (griech. prattein = handeln) nach Kriterien eines gelingenden und gerechten menschlichen Zu-sammenlebens. Zur moralischen Praxis zählen zum einen individuelle Inten-tionen und freiverantwortliche menschliche Handlungen, aber auch soziokul-turelle sittlich-normative Gemeinschaftsüberzeugungen (allgemeinübliche Sitten und Bräuche) sowie menschengemachte strukturelle Handlungsbedin-gungen (z. B. Rechtsgesetze, Organisationsregeln, berufsethische Kodizes etc.). All diese Elemente sind mögliche Gegenstände der ethischen Beurtei-lung. Da insbesondere komplexe technische Geräte oder Technologien eben-falls menschliches Handeln beeinflussen, indem sie bestimmte Handlungs-weisen erleichtern und andere unter Umständen ausschließen, gehören auch sie zu den von Menschen zu verantwortenden strukturellen Handlungsbedin-gungen, die auf ihre moralische Güte hin befragt werden können, also darauf-hin, ob sie gerechtes menschliches Handeln eher befördern oder erschweren.

Gerechtes menschliches Zusammenleben steht unter der Bedingung des Axi-oms, das im ersten Artikel der Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Na-tionen Ausdruck gefunden hat: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.« (Art. 1 AEMR)37 Der Satz scheint sich in der Form ei-ner Tatsachenbeschreibung zu präsentieren. Aber Freiheit, Würde und Rechte sind keine sinnlich wahrnehmbaren, sondern vielmehr moralische Gegeben-heiten. Genau betrachtet handelt es sich um einen rechtsethischen Imperativ, der vorschreibt, das Menschen als gleichberechtigte Rechtssubjekte aner-kannt werden sollen, nicht zum Spielball beliebiger Machtideologien degra-diert zu werden.. Ethik macht keine Aussagen darüber, was der Fall ist und auch nicht, was z. B. unter Einsatz technischer Mittel der Fall sein könnte, sondern was in Bezug auf menschliches Zusammenleben der Fall sein soll. Zu-gleich beziehen sich moralische (inklusive rechtsethische) Forderungen nicht auf (mathematisierbare) Relationen zwischen Sachverhalten, sondern auf die moralische Qualität der Beziehungsgestaltung zwischen Menschen als Perso-nen. Der Basissatz der Ethik lautet somit: Alle Menschen sollen als Gleichbe-rechtigte anerkannt werden! Die Tatsache, dass diese Grundforderung in der Wirklichkeit vielfach nicht erfüllt wird, erweist nicht etwa die Inkorrektheit der moralischen Forderung, sondern eben nur, dass sie oft missachtet wird.

Die gegenteilige Forderung, nämlich, dass Ethik die moralische Ungleichheit von Menschen und die Infragestellung der Menschenrechte rechtfertigen und befördern soll, kann niemand ernsthaft befürworten. Das ethische Basisaxiom spiegelt sich folgerichtig auch im ersten Artikel des Grundgesetzes der Bun-desrepublik Deutschland. »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« (Art. 1 GG)38

37 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen https://www.auswaerti- ges-amt.de/blob/209898/beeab63c2704f684c606a65589cf236c/allgerklaerungmenschen-rechte-data.pdf (30.03.2021).

38 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland https://www.bundestag.de/grundgesetz (30.03.2021).

Die Menschenwürde ist der höchste Wert der deutschen Verfassung sowie der Verfassung eines jeden Staates, der als moralisch legitimierter Rechtsstaat gelten will. Insofern gilt das ethische Basiskriterium auch für die Technikethik wie für jede andere Bereichsethik. Die brisante Aktualität dieses machtkriti-schen Kriteriums angesichts einer Vielzahl autokratisch geführter Regimes so-wie der Monopolstellung von international agierenden Firmen springt mit Blick auf die Informationstechnologien beispielhaft ins Auge. Technologien als Erweiterung menschlicher Handlungsmacht dürfen nicht Machtverhält-nisse zementieren helfen, sondern haben letztlich dem guten und gerechten Zusammenleben aller Menschen zu dienen.

Im Verlaufe der Moderne ist uns – z. T. schubweise – bewusst geworden, dass wir Menschen die Biosphäre durch unsere technischen Erfolge überfordern.

Die von Greta Thunberg ins Leben gerufene internationale »Fridays for Fu-ture«-Bewegung drängt darauf, angesichts unübersehbar gewordener globa-ler Folgen der anthropogenen Erderwärmung endlich nicht länger vor den 1972 erstmals und seither alle zwei Jahre erneut vom Club of Rome formulier-ten Einsichformulier-ten in die natürlichen »Grenzen des Wachstums« die Augen zu ver-schließen (Meadows 1972). Das seit ca. 200 Jahren anwachsende Umweltkri-senbewusstsein kann nicht mehr als kulturpessimistische, wissenschafts-feindliche Träumerei von westlichen Wohlstandskindern abgetan werden. Eu-ropa erlebt seit 2015 die schlimmsten Sommerdürren seit 2100 Jahren.39 Viel-mehr sieht sich die protestierende junge Generation unterstützt von unabhän-gigen Klima- und Umweltforschern und über alle Zweifel erhabenen interna-tionalen Forschungsinstitutionen und Forschungsverbünden, allen voran der Weltklimarat IPCC40, wenn sie für die Sicherung der Lebensgrundlagen ihrer und nachfolgender Generationen auf die Straße geht. Die wissenschaftlichen Studien zeigen in erschütternder Weise, dass die Erde unseren technologiege-triebenen Lebensstil nicht mehr zu tragen vermag und die Resilienzen der Subsysteme überfordert. Mental müssen wir uns daher von uralten kulturel-len Leitbildern einer unerschöpflichen Natur verabschieden und der erschre-ckenden Übermacht anthropogener Ausbeutung und Transformation der bi-ologischen Arten und Lebensräume auf allen Ebenen ins Auge sehen. Außer dem anthropogenen Treibhauseffekt, das Resultat einer Verfeuerung fossiler Brennstoffe, die sich in Jahrmillionen gebildet haben, innerhalb der zwei Jahrhunderte industrieller Revolution, haben wir einen massiven Rückgang der Biodiversität zu verantworten, sodass erstmals von einem durch eine ein-zige Spezies, nämlich der des homo sapiens sapiens, verursachten Faunen-schnitt die Rede ist. Nicht nur große Wildtierarten und Vögel, sondern sogar

39 Europa von schwerster Dürre seit 2100 Jahren betroffen, in: Süddeutsche Zeitung v. 15. März 2021, https://www.sueddeutsche.de/wissen/duerre-klimawandel-waldsterben-borkenkae-fer-trockenheit-1.5235883 (30.03.2021).

40 Die Berichte des Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC) finden sich unter

Die Sehnsucht nach der guten Technik

die sprichwörtlichen Myriaden von Insekten haben wir in einem Maße ver-drängt, das aufgrund des Wegfalls von Bestäubungsleistungen die Erzeugung pflanzlicher Nahrungsgrundlagen bedroht ist. Die Weltmeere sind vermüllt und überfischt. Auf menschenleeren Pazifikinseln sterben Meeresvögel durch den angeschwemmten Plastikmüll der zivilisierten Welt einen qualvollen und sinnlosen Tod. Dies sind die Spuren einer Spezies, nach der der niederländi-sche Atmosphärenforniederländi-scher und Nobelpreisträger Paul J. Crutzen zu Beginn des Jahrtausends nun sogar ein neues geologisches Zeitalter benannt hat – das Anthropozän (Crutzen et al. 2000; Crutzen 2002).

Schon vor Jahrzehnten forderte der deutsch-jüdische Philosoph Hans Jonas angesichts der Umweltkrise und atomarer Bedrohungsszenarien eine techno-logiebezogene Zukunfts- und Verantwortungsethik, die im Hinblick auf tech-nologische Risikoeinschätzung die Pflicht zum Aufspüren einer »Heuristik der Furcht« zugrunde legt (Jonas 1984, S. 392), in Verantwortung für die Of-fenhaltung der Möglichkeit »der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden« (Jonas 1984, S. 36). Doch die Schritte über diese Grenzen sind längst getan! Wie lässt sich Verantwortung denken für eine sichere Endlagerung ato-maren Mülls angesichts einer Halbwertszeit von 22 000 Jahren im Fall von Plutonium – ohne den Begriff der Verantwortung zu sprengen? Hier sind Ur-teilsvermögen und Aufrichtigkeit gefordert.