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Da der Fokus auf den Einsatz von Biotechnologie für den Prozess einer Biolo-gischen Transformation zu eng erscheint, definieren wir den Begriff in Abhän-gigkeit von Patermann (Patermann 2014) als eine systematische Anwendung des Wissens über Natur und/oder natürliche Prozesse, die darauf abzielt, ein Fertigungssystem hinsichtlich seiner gesellschaftlichen und geschäftlichen Herausforderungen zu optimieren, indem wir eine Konvergenz von Bio- und Technosphäre anstreben (Wolperdinger und et al. 2018).

Als solches wird sie als Prozess hin zu einer nachhaltigen industriellen Wert-schöpfung verstanden. Dabei unterscheiden wir zwischen drei Entwicklungs-modi der Konvergenz von Bio- und Technosphäre:

1. die Inspiration als Transfer von Naturphänomenen (Biomimikry, Bi-omimetik), die eine bioinspirierte Wertschöpfung ermöglichen, 2. die Integration technischer und biologischer Prozesse (d. h.

Biotech-nologie) in traditionelle Wertschöpfungsumgebungen, z. B. zum Schlie-ßen von Kreisläufen oder zur Herstellung neuartiger Produkte und 3. die Interaktion der Bio- und Technosphäre.

Während traditionelle Fertigungssysteme als genau definierte isolierte sozio-technische Einheiten betrachtet wurden, gibt es schon länger Lösungen für die Modi Inspiration und Integration. Die Interaktion ist jedoch ein völlig neuer Ansatz, der eine vollständige Verschmelzung von Bio- und Technosphäre mit einer engen Vernetzung von Bio- und Fertigungs- und Informationstechnolo-gie anstrebt. Angetrieben von technischen Fortschritten bei der digitalen Ver-netzung und in der Biotechnologie, ist es ihr Ziel, völlig neue, autarke (bioin-telligente) Wertschöpfungstechnologien und -strukturen zu schaffen, um eine autonome Ad-hoc-Anpassung der Systemarchitektur an die optimale Lösung einer Wertschöpfungsaufgabe zu ermöglichen. Abbildung 2-3 zeigt den Pro-zess und die Entwicklungsmodi der biologischen Transformation.

Abbildung 2-3: Prozess und Entwicklungsmodi der Biologischen Transformation Quelle: Fraunhofer IPA, IGB nach Biotrain-Studie

Die Biologische Transformation der Produktion

Inspiration

Dieser Entwicklungsmodus ist definiert als Übertragen von Naturphänome-nen in Form eines Analyseprozesses, einer Abstraktion und technischen Rea-lisierung. Als solcher existiert er seit Jahren in der Biomimetik, obwohl es meist auf einzelne Aspekte der Herstellung reduziert wird.

Sein Ansatz basiert auf der Idee, Konzepte/Eigenschaften der Natur (z. B.

Strömungsdynamik, Leichtbau, Biomechanik), den Evolutionsprozess (z. B.

bioanaloge Optimierungstechniken) und Prinzipien der Natur (z. B. Modula-rität, Resilienz, Selbstorganisation, Selbstheilung) technisch zu duplizieren, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Die Ergebnisse des Inspirationsmo-dus sind ausschließlich technische Lösungen. Es gibt zahlreiche Beispiele;

Ta-belle 1 fasst eine Auswahl zusammen.

Tabelle 2-1: Beispiele für Technologien, die von natürlichen Prozessen inspiriert sind

Biologisches System Technisches System Ressourcenschonender

Rindenaufbau

Additive Fertigung Insektenpanzer Exoskelett

Lotuseffekt Funktionalisierung und Beschichtungen Knochenstruktur Leichtbau

Vogelschwarm Schwarmintelligenz für das Management von Organisationen

Pflanzenfotosynthese Künstliche Fotosynthese

Integration

Ein weiterer Entwicklungsmodus der biologischen Transformation ist die In-tegration technischer und biologischer Prozesse, eine Kombination von biolo-gischer und traditioneller Produktionstechnologie. Das wurde ursprünglich von Kremoser (Kremoser 2016) und Patermann als Biologisierung bezeichnet (Patermann 2014). Daher sind die wichtigsten Enabler die weiße (industri-elle), blaue (maritime), rote (pharmazeutische), graue (Umwelt-) und grüne (Pflanzen-) Biotechnologie. Beispiele für die systematische Nutzung von Sy-nergiepotenzialen von Technik und Natur sind der Einsatz von Mikroorganis-men zur Herstellung von pharmazeutischen Wirkstoffen, Vitaminen oder or-ganischen Säuren, aber auch zur Rückgewinnung seltener Erden aus Magne-ten, die Funktionalisierung von Polymeren, die Gewinnung von Methan aus industriellem und kommunalen Abwasser und die Umsetzung natürlicher Fil-termechanismen zum Schließen von Wertschöpfungszyklen.

Das Prinzip der Symbiose ist ein evolutionäres Schlüsselprinzip der Natur, das im Kontext einer nachhaltigen industriellen Wertschöpfung an Relevanz

ge-winnen dürfte. Abbildung 2-4 zeigt eine integrierte, bereits sehr weit entwi-ckelte Anwendung in Form eines funktionellen Diagramms, das die Symbiose zwischen einer traditionellen Wertschöpfungsumgebung und einem Mikroal-gen-Fotobioreaktor und der Nutzung regenerativ zugänglicher Ressourcen (Sonnenlicht) veranschaulicht.

Abbildung 2-4: Integrierte Nutzung und Produktion biologischer Ressourcen am Bei-spiel der Wertschöpfung von Mikroalgen. Quelle: Fraunhofer IGB Die im Fotobioreaktor wachsenden Algen nutzen Nährstoffe, CO2 und Son-nenlicht für die Fotosynthese und Selbstreplikation. Das CO2 kann aus Fab-rikemissionen stammen und zusammen mit nährstoffreichen Abwässern von Biogasanlagen zum Algenwachstum beitragen. Die kultivierten Algen wiede-rum können in vielerlei Hinsicht für industrielle Wertschöpfungsprozesse ver-wendet werden. Mikroalgen produzieren eine Vielzahl chemischer Grund-stoffe wie Vitamine, Fettsäuren oder Carotinoide mit einem hohen Wert-schöpfungspotenzial für die Pharma-, Lebensmittel-, Futtermittel- und die Kosmetikindustrie. Ferner ist die Herstellung von biobasierten Kunststoffen aus Mikroalgeninhaltsstoffen möglich. Die nach der Extraktion der Wertstoffe verbleibende Biomasse kann zudem energetisch genutzt – zu Biogas umge-wandelt und dieses in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen eingesetzt werden.

Wichtige Inhaltsstoffe wie stickstoff- und phosphorhaltige Produkte können extrahiert und beispielsweise als Dünger verwendet werden.

Interaktion

Der dritte und disruptivste Ansatz für die zukünftige Produktionstechnik ist die vollständige Verschmelzung der Bio- und der Technosphäre in Form einer umfassenden Vernetzung von Bio- und Produktions- und Informationstech-nologie. Sie wird als Interaktion bezeichnet. Das Ergebnis dieses Modus ist ein biointelligentes Produktionssystem, das gemäß den Eigenschaften von Le-bewesen entwickelt ist. Nach Goertz und Bruemmer sind die Charakteristika des Lebens (Görtz 2012) zelluläre Organisation, Stoffwechsel, Homöostase, Komplexität, Stimulation und Kommunikation, Reproduktion, Vererbung und Entwicklung, Bewegung und Evolvierbarkeit. Entscheidend für die Reali-sierung eines biointelligenten Systems ist nicht das einzelne Merkmal, son-dern die Summe der Eigenschaften. Der Übergang zu einem System stellt ein

Die Biologische Transformation der Produktion bisher kaum umgesetztes, hochkomplexes Zusammenspiel von Informatio-nen/Daten, Biotechnologie und konventioneller Produktionstechnik dar, mit dem Ziel einer autonomen und ad hoc angepassten Systemarchitektur für die optimale Lösung einer Wertschöpfungsaufgabe. Hier soll ein System nicht mehr als abgegrenzte Einheit, sondern als regionale Wertschöpfungszelle ver-standen werden. Biointelligente Wertschöpfungszellen werden dezentrali-siert, nutzen regionale Ressourcen in Symbiose mit ihrer umgebenden natür-lichen Umgebung und pflegen eine Vielzahl von Austauschbeziehungen mit den umgebenden Systemen Abbildung 2-5 zeigt schematisch, wie durch bio-intelligente Systeme eine nachhaltige Bedürfnisbefriedigung erreicht werden kann.

Abbildung 2-5: Nachhaltige Bedürfnisbefriedigung durch biointelligente Systeme.

Quelle: Fraunhofer IPA